Leseprobe Psychiatrische Pflege 1/2020

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Nachruf

Hansgeorg Ließem Ein Nachruf Stefanie Lutz-Scheidt

A

m 28. August 2019 verstarb Hansgeorg Ließem nach längerer schwerer Krankheit. Wir verlieren in ihm einen inspirierenden, kreativen und streitbaren Vertreter, der sich deutschlandweit für die Etablierung der Leistung Soziotherapie eingesetzt hat. Ließem arbeitete 40 Jahre lang als Sozialplaner mit dem Arbeitsschwerpunkt Psychiatrie, Stadtentwicklung, Alten- und Behindertenhilfe. Er war Mitbegründer des Berufsverbands der Soziotherapeuten e. V. und betätigte sich als Autor unterschiedlicher Artikel, Bücher und Arbeitshilfen. Mit seiner braunen Aktentasche quer durch die Republik reisend konnte man Ließem überall antreffen, wo Soziotherapie als Leistungsangebot für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen einen engagierten Fürsprecher benötigte. Im persönlichen Kontakt war er Ratgeber, gab die Richtung vor und regte neue Gedanken an. Er verstand es, dass sich Menschen in seiner Nähe wichtig und am richtigen Platz fühlten. Ihm war es zeitlebens ein großes Anliegen, die Soziotherapie als wichtigen Baustein der gemeindenahen psychiatrischen Versorgung zu etablieren und somit Betroffenen ein personenzentriertes Unterstützungs- und Behandlungsangebot zu ermöglichen. Sehr freundlich und höflich im Ton zeigte sich Ließem in der Sache streitbar und inhaltlich versiert. Seine Kritik richtete sich vor allem an die Vertreter der Krankenkassen, die mit hinhaltender Zähigkeit um die vertraglich angemessenen Regelungen feilschen und somit eine flächendeckende Etablierung der Leistung verhindern. Soziotherapie nimmt, trotz nachgewiesener Wirksamkeit der Interventionen, in der Versorgungspraxis eine geringe Rolle ein. Dies ist umso verwunderlicher, da Soziotherapie eine festgeschriebene und kassenärztlich abrechenbare Regelleistung gemäß SGB V § 37a darstellt und per Gesetz jedem Versicherten zusteht. Laut Ließem bestehen die Hauptschwierigkeiten im Missverhält-

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nis zwischen den hohen Zulassungsvoraussetzungen und den Durchführungsanforderungen für die Behandler und die im Gegensatz dazu stehende geringe Vergütung. Betrachtet man Soziotherapie inhaltlich, erscheint dies umso verwunderlicher. Soziotherapie ist für gemeindepsychiatrische Leistungserbringer eine sehr nahe liegende Leistungsart. Sie ist aufsuchend tätig und lebensweltorientiert. Die betroffenen Personen werden durch psychosoziale Interventionen gezielt dabei unterstützt, ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten in einem größtmöglichen Ausmaß zu entwickeln, um somit einen hohen Grad an Autonomie und Selbständigkeit zu erhalten sowie Unabhängigkeit von professioneller Hilfe zu erlangen. Da drängt sich die Frage auf, die Ließem immer wieder verwunderte: Warum werden Leistungen, die regelhaft im SGB V zur Verfügung stehen, nicht aktiv und konstruktiv durch die Kassen gefördert und ihren Versicherten bedarfsentsprechend zugänglich gemacht? Diese Diskrepanz mahnte Ließem immer wieder an. In seinem Sinn wünscht sich der Vorstand des Berufsverbandes einen gemeinsamen Gestaltungwillen aller an der Versorgung Beteiligten und Verantwortlichen, um betroffenen Menschen einen Verbleib in ihrem häuslichen Umfeld zu ermöglichen und somit ihr Recht auf Teilhabe und ein Leben in der Gemeinschaft zu wahren.

Stefanie Lutz-Scheidt ex. Krankenschwester mit sozialpsychiatrischer Zusatzausbildung, Geschäftsführerin des psychiatrischen Fachpflegedienstes Visit – soziotherapeutische Pflege GmbH, Mitglied im Vorstand des Berufsverbandes der Soziotherapeuten e. V.

© 2020 Hogrefe


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