Räume und Raum erzählen – Architektur im Dokumentarfilm Architektur zu verfilmen ist eine Herausforderung: Wie lässt sich dreidimensionaler Raum im zweidimensionalen Bild einfangen? Wie kann die Dramaturgie von Raumfolgen dargestellt werden? Lassen sich theoretische Konzepte veranschaulichen? Wie sind sinnliche Anmutungen, wie Lichtstimmungen oder haptische Qualitäten eines Raumes wiederzugeben? Räume filmisch zu fassen bleibt immer eine Annäherung an und eine Rekonstruktion von Realität. Am Ende haben die Gebäude zwei Baumeister: den Architekten und den Filmemacher. Architekturfilme bilden ein Nischengenre. Interessanterweise gibt es viele gelungene Beispiele aus der Schweiz. Das hängt einerseits damit zusammen, dass der Dokumentarfilm generell eine Stärke des einheimischen Filmschaffens ist und es andererseits eine hohe Dichte an interessanten Architekturbüros gibt, über die es zu berichten lohnt. Dabei sind unterschiedliche Haltungen denkbar: Ein Film kann sich um eine neutrale ausgewogene Perspektive bemühen oder eindimensional Position ergreifen. Er kann von einem spontanen Gestus getragen oder wie Architekturfotografie stark komponiert sein. Er kann sich auf historisches Material abstützen oder dem Fiktionalen annähern, etwa mit nachgespielten oder gezeichneten Szenen. Betrachtet man die inhaltliche Ausrichtung von Architekturfilmen, lassen sich drei Untergruppen ausmachen: Entweder sie greifen ein städtebauliches Thema auf, stellen ein einzelnes Gebäude ins Zentrum oder sie porträtieren Architektinnen und Architekten. Einige Beispiele sollen dies veranschaulichen. Urbane Impressionen und Konzepte Eines der ersten filmischen Städteporträts ist Berlin – die Synphonie der Großstadt ( D, 1927 ). Der deutsche Regisseur Walter Ruttmann, ursprünglich Maler und Grafiker, drehte als erster abstrakte Filme. Dies merkt man seinem Berlin-Porträt an. Viele Einstellungen sind reduziert auf horizontale oder vertikale Linien, wie Stromleitungen oder Eisenbahnschienen. Auch Fassaden von Gebäuden wurden so eingefangen, dass ihre lineare Struktur betont wird. Dabei durchmass Ruttmann die Stadt in ihren Dimensionen: Von der Vogelperspektive hinunter auf die Strasse, durch den Gulli in die Kanalisation. Die Stadt ist ein Schlund aus Stein, in den am Morgen viele Menschen aus den Vorbezirken gespült werden. Natur findet in seinen Filmen kaum Platz. Ruttmann betonte zudem den industriellen Charakter der
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