Öffentliche Finanzen steuern

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DASEINSVORSORGE

Wege zur Wohlfahrtsstadt Über die bedeutende Rolle der öffentlichen Daseinsvorsorge. von Renate Brauner und Bernhard Müller

er Begriff der Wohlfahrtsstadt ist im Gegenzug zu jenem des Wohlfahrtsstaates jung und wenig etabliert – zu Unrecht, wie wir meinen. Das renommierte „Gabler Wirtschaftslexikon“ sieht den Wohlfahrtsstaat (parallel zum Sozialstaat entstanden) als „Grundmodell der Sozialpolitik moderner Wettbewerbsgesellschaften“, in dem „die staatliche Verantwortung für die Gewährleistung grundlegender Menschenrechte (‚sozialer Grundrechte‘) und für die Daseinsvorsorge seiner Einwohner bei der grundsätzlichen Ausgestaltung der Sozialpolitik Vorrang vor der individuellen Eigenvorsorge“ genießt.1

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AD PERSONAM Mag.a Renate Brauner, war von 1996-2018 in verschiedenen Funktionen Mitglied des Stadtsenates der Stadt Wien, u. a. als Vizebürgermeisterin und Finanzstadträtin. Sie leitet das Büro für Daseinsvorsorge und Kommunalwirtschaft der Stadt Wien und ist Präsidentin des Verbandes der Öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs (VÖWG).

Nach Jahrzehnten an Privatisierung, Deregulierung, Outsourcing und reiner Austeritätspolitik hat in den letzten Jahren ein gewisses Umdenken stattgefunden. Nicht zuletzt durch die COVID-19- Pandemie und ihre mannigfaltigen verheerenden Folgen wurden die Vorzüge einer öffentlichen Daseinsvorsorge inklusive stabilem Sozial- und Gesundheitssystem öffentlich wahrgenommen, thematisiert, geschätzt und dadurch mancherorts auch gestärkt. Aber auch schon vor der sogenannten Coronakrise wurden weltweit zahlreiche städtische Wasserwerke, Energieversorger, Kläranlagen oder Verkehrsbetriebe rekommunalisiert, da sich die Privatisierungen als teure Irrwege mit oft dramatischen Folgen für die Qualität und Leistbarkeit der „public services“ erwiesen haben. Womit wir bei der Wohlfahrtsstadt wären.2 Wiewohl es keine allgemein gültige wissenschaftliche Definition dieses Begriffs gibt, geht es dabei zweifellos um ein starkes kommunales Wohlfahrtswesen sowie eine soziale und inklusive Stadtentwicklung, die ein gutes Leben für alle Menschen möglich machen sollen. Letzteres mag trivial klingen, aber genau darum geht es.

Vorbild Wien

AD PERSONAM Bernhard Müller, BA, MPA, war nach Tätigkeiten in der Privatwirtschaft und im Öffentlichen Dienst von 2005-2015 Bürgermeister der Stadt Wiener Neustadt und leitet seitdem in der Funktion Generalsekretär die Geschäfte von Urban Forum – Egon Matzner-Institut für Stadtforschung.

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KDZ FORUM PUBLIC MANAGEMENT #1 2021

Seit der Jahrtausendwende folgen immer mehr europäische Gemeinden und Städte dem Vorbild Wiens und entscheiden sich gegen Privatisierungen oder rekommunalisieren Dienstleistungen. Im April 2019 präsentierte das Büro für Daseinsvorsorge und Kommunalwirtschaft der Stadt Wien in

1 https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/ wohlfahrtsstaat-50157 2 Wilfried Rudloff bezeichnete seine 1999 erschienene Studie „Kommunale Ernährung, Fürsorge und Wohnungspolitik am Beispiel Münchens, 1910–1930“ mit dem Titel „Die Wohlfahrtsstadt“.


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