Lie:zeit Ausgabe 107

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08/2022

Eklatanter Arbeitskräftemangel in Liechtenstein Können Sie sich daran erinnern, dass der Fachkräftemangel überhaupt je einmal kein Thema war? Er ist vielmehr ein Dauerbrenner. Das erstaunt auch nicht, ist doch Knappheit ein Wesensmerkmal von Märkten – auch auf dem Markt für Fachkräfte. Und Mangel akzentuiert sich üblicherweise bei steigender Nachfrage. Text: Thomas Lorenz

In Liechtenstein waren Ende 2020 rund 15‘000 Personen mehr beschäftigt als noch bei der Jahrtausendwende – ein satter Zuwachs von 59%. Fast 4‘000 kamen alleine von 2015 bis 2019 dazu – was für eine Nachfrage! Durch die Pandemie scheint der Arbeitsmarkt für einzelne Branchen – speziell in der Gastronomie, in der Reisebranche und im Eventbereich arg durchgerüttelt worden zu sein, und Unternehmen sind aus Mangel an Personal bereits gezwungen, ihre Dienstleistungen anzupassen. Die Knappheit an Fachkräften kann so durchaus zu einem Wachstumshemmnis werden.

Einschneidende Veränderungen Was aber der ganzen Wirtschaft noch bevorsteht sind die einschneidenden Veränderungen, die durch die demografische Entwicklung in den nächsten Jahren ausgelöst werden. Die Herausforderung ist mittlerweile allbekannt: geburtenstarke Jahrgänge der 60er-Jahre gehen in Pension und die nachrückenden jungen Jahrgänge sind anzahlmässig deutlich kleiner. Ende 2000 standen 5‘900 55- bis 64-Jährigen in Liechtenstein rund 4‘100 Personen im Alter zwischen 15 und 24 gegenüber, also eine Lücke von 1‘800 Personen. Auf 1.4 Personen, die den Arbeitsmarkt bald verlassen, kommt eine Person in der jungen Altersgruppe nach. Noch deutlicher wird das Bild, wenn der Vergleich für alle rund 40‘000 in Liechtenstein Beschäftigten anstellt wird: Ende 2020 waren 7‘100 davon zwischen 55 und 64 Jahre alt, 3‘600 im Alter

handene Potenziale zu nutzen und nicht an Standortattraktivität einzubüssen.

Niedrige Frauenerwerbsquote in Liechtenstein Nicht ausgeschöpftes Arbeitskräftepotenzial liegt vor allem bei den Frauen. Die Frauenerwerbsquote in Liechtenstein ist vergleichsweise niedrig und der Anteil der in Teilzeit arbeitenden Frauen vergleichsweise hoch. Wären Liechtensteinerinnen im gleichen Ausmass erwerbstätig wie die weibliche Bevölkerung der Schweiz, könnten rund 700 Vollzeitstellen zusätzlich besetzt werden. Wo also die Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder mangelnde Flexibilität auf Arbeitgeberseite Hindernisgründe für Frauenerwerbstätigkeit sind, lassen sie sich beseitigen.

15 bis 24. Das ergibt schon beinahe ein Verhältnis von 2 : 1. Die liechtensteinische Wirtschaft ist in den letzten Jahren nachweislich in erster Linie durch einen Anstieg von Arbeitskräften gewachsen und nicht durch Produktivitätszuwächse. Dabei wurden die zusätzlichen Arbeitsstunden vor allem durch Grenzgängerinnen und Grenzgänger erbracht. Noch können liechtensteinische Arbeitgeber auf dem regionalen Arbeitsmarkt in vielen Branchen mit

entscheidenden Vorteilen punkten, so zum Beispiel mit attraktiven Löhnen und Sozialleistungen. Aber die Demografie schlägt auch im angrenzenden Ausland zu. Im Kanton St. Gallen und in Vorarlberg beträgt die oben beschriebene Lücke rund 14‘000 respektive 10‘000 Personen. Ein Teil der Differenz mag durch Migration reduziert werden, aber diese Ausdünnung des Arbeitskräfteangebots wird den Kampf auf dem Arbeitsmarkt deutlich verstärken. Für Liechtenstein bedeutet dies, vor-

Die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, wird für Arbeitnehmer zunehmend zu einem Faktor beim Stellenentscheid und damit auch für die Standortattraktivität. Hier bestehen für einen relevanten Anteil der Grenzgänger heute noch regulatorische Hürden, die liechtensteinische Unternehmen gegenüber ihrer ausländischen Konkurrenz benachteiligen. Auch verschlechtert sich die Arbeitsplatzerreichbarkeit durch zunehmende Staus in den Stosszeiten. Zwei Beispiele, die aufzeigen, dass Erhalt und Steigerung der Standortattraktivität eine Daueraufgabe von Politik und Wirtschaft darstellen. Allzugerne erachten viele sie als einfach gegeben.


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