EL AVISO Mallorca Juni 20

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EL AVISO | 06/2020

HAUS & GARTEN

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Ich bin kein Massivholz-Papst Martin Winterhager hält nichts von orthodoxem Möbelbau. Seine Entwürfe sprühen vor Fantasie und loten die Möglichkeiten von Materialien aus, die auf den ersten Blick nicht zusammen zu passen scheinen. Aber plötzlich sind Eiche und Beton wie für einander geschaffen.

Detail Verbindung Kastanie massiv Foto: Tischlerei Winterhager

dass irgendwann die Entscheidung im Raum stand, einen Schritt weiter zu gehen. „Die Arbeit wurde für mich allein zu viel und die Aufträge so groß, dass sie nicht mehr in meiner Butze zu realisieren waren. Die Bibliothek für einen Scheich musste ich im Garten montieren und lackieren, weil die sechs Meter langen Borde nicht in die Werkstatt passten.“ Die Zeit für Veränderung war gekommen.

Martin Winterhager in seiner Werkstatt

Wenn Martin Winterhager ruhelos durch seine Werkstatt tigert, ist das ein gutes Zeichen. So nämlich werden bei ihm geniale Einfälle geboren. „Die besten Ideen kommen mir, wenn ich in Bewegung bin.“ Der kreative Möbeltischler experimentiert mit Holz und anderen Werkstoffen, wobei er ihnen ihre verborgene Schönheit in immer neuen Variationen entlockt. Der Tisch als Mittelpunkt des Lebens Inspiriert von der Umgebung, in der ein Möbelstück seinen künftigen Platz einnehmen wird, verfällt Martin auf die ungewöhnlichsten Gestaltungsvariationen: Ein gewaltiger Tisch aus alten Gerüstbalken für eine Bar, eine Einbauküche mit Messing und Altgold, Lederschlaufen als Griffe, mit Akustikstoff bespannte Schranktüren oder Tischbeine aus Eisen, die beim Abbrennen mit Leinöl ihren Korrosionsschutz erhalten. „So hat man früher auch die Geschützrohre von Kanonen behandelt“, erklärt Martin. Seine Suche nach ausgefallenen Methoden, Gebrauchsgegenständen einen unverwechselbaren Charakter mitzugeben, führt ihn auf die erstaunlichsten Spuren. Im Zusammenspiel mit den Ideen seiner Frau Tina entstehen Unikate, die zum Teil an Konzeptkunst erinnern. „Am liebsten baue ich Tische“, gesteht Martin Winterhager. „Ein Tisch ist der Mittelpunkt des Lebens in einem Haus, man berührt ihn täglich, man sitzt dort mit der Familie und mit Freunden, daran knüpfen sich schöne Erinnerungen an gutes Essen und lange Gespräche.“

Kastanie Starkfurnier sägerauh, Foto: Tischlerei Winterhager

Auswandern mit Nussbaumbohlen So ist ihm auch der Tisch aus seiner WG-Küche in Hamburg in Erinnerung, von wo aus er sich 2007 auf den Weg nach Mallorca machte. „Ausgewandert bin ich damals mit einem VW-Bus von der Feuerwehr, vollgepackt mit Bohlen aus fränkischem Nussbaumholz.“ In einer Werkstatt in Felanitx konnte der ausgebildete Möbeltischler beruflich auf der Insel Fuß fassen, bis er sich 2008 selbstständig machte. Martin und Tina bezogen ein Bauernhaus in Ses Salines, wo er die anliegende Garage als Werkstatt nutzte und im Hühner-

Kastanie massiv, Foto: Tischlerei Winterhager

stall den Lackierraum einrichtete. „Eine wunderbare Zeit“, schwärmt er. Für die beiden Kinder, den inzwischen 14-jährigen Sohn und seine 7-jährige Tochter, war der Papa immer gleich nebenan, so musste er Job und Familie nie trennen. Tina, die ausgebildete Sommelière, arbeitete zunächst als Geschäftsführerin in dem Laden von Flor de Sal in Santanyí, wo sie auch Weindegustationen veranstaltete. Ein kreatives Team, das durch die Nähe der Heim-Werkstatt auch beruflich zusammen rückte. Die außergewöhnlichen Stücke, die Martin produzierte, fanden so viel Anklang,

Woodworker-Boom im Internet Seit drei Jahren hat die Tischlerei Winterhager am Ortseingang von Calonge ihren Platz gefunden. Übernommen haben Martin und Tina sie von einem Tischler, der in den Ruhestand ging. Martin kann sich dank der zwei Mitarbeiter mehr auf Kreationen und Entwürfe konzentrieren, Tina kümmert sich als Geschäftsführerin um Kundenkommunikation und Buchführung. „Ich bin sozusagen das Öl im Getriebe.“ Sie sorgt dafür, dass Martins außergewöhnliches Interior Design auf Social Media Kanälen eine Bühne findet und bestärkt ihn, an Challenges der weltweiten Woodworker Community teilzunehmen. Das Interesse an handgefertigten Meisterstücken im Internet erlebt einen wahren Boom. Millionen von Usern schauen dabei zu, wie aus einfachen Werkstücken unter der Hand von Könnern erstaunliche Kreationen entstehen. Die Fertig-Kauf-Mentalität der vergangenen Jahrzehnte hat dazu geführt, dass der Produktionsprozess eines Gebrauchsgegenstandes großes Staunen hervorruft. Ich erfinde Oberflächen Bei so einer Challenge, deren Aufgabe darin bestand, einen dreibeinigen Hocker zu tischlern, verwendete Martin Nussbaumholz für die Beine und verleimte verschiedenfarbige Hölzer zu einer Platte, aus der er eine runde Sitzfläche fräste. Kleine Klötzchen dieser farbigen Holzschichten stehen zur Dekoration auf seinem Schreibtisch, griffbereit als Muster für Küchenarbeitsflächen. „Ich liebe unterschiedliche Materialien, ich bin kein Massivholz-Papst.“ Wenn er über Oberflächengestaltung spricht, dringt die Leidenschaft für seinen Beruf besonders stark hervor. „Das ist eigentlich unsere Spezialität. Ich erfinde Oberflächen.“ Der Verkaufsschlager


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