EL AVISO Mallorca Mai 2021

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EL AVISO | 05/2021

AUSGESPROCHEN GESELLSCHAFT

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Erst denken, dann reden!

“Denken ist Reden mit sich selbst” schrieb der Philosoph Immanuel Kant. Rund 50 deutsche und österreichische Schauspieler/innen, die größtenteils trotz Corona beschäftigt waren und arbeiten konnten, haben leider weder nachgedacht, noch nur mit sich selbst geredet, sondern unter dem Hashtag #allesdichtmachen in kurzen Videos eher gedankenlos Stimmung gemacht – ironisch, zynisch auf teils überhöhtkünstlerische Art Stimmung gemacht gegen die Maßnahmen der CoronaZeit. Ihre Aussage: Die Maßnahmen seien mehr als übertrieben und man würde vom Staat bevormundet. Sätze, wie man sie auch auf Querdenker-Demos hört. Damit haben sie sich keinen Gefallen getan und den Zuschauern ebenfalls nicht. Speziell die von Corona Betroffenen oder Angehörigen der zahllosen Verstorbenen und auch all jenen, die sich intensiv in der Kranken- und Pflegearbeit um Betroffene kümmern, kommen diese Videos wie Hohn vor. Oder wie Moderator und Reporter Tobias Schlegl, der auch als Notfallsanitäter arbeitet, twitterte: “Die Schauspieler/innen von #allesdichtmachen können sich ihre Ironie gerne mal tief ins Beatmungsgerät schieben“.

Menschen wie Alice Weidel von der AFD fanden diese Aktion “toll”. Spätestens dann sollte man merken, welch großen Fehler man gemacht hat und wie man nun von der rechten Szene instrumentalisiert wird. Kurz danach war man bemüht, sich sowohl von der Querdenker- und Corona-Leugnerszene als auch von AFD abzugrenzen. Ehrlich gesagt glaube ich auch, dass diese Schauspieler/ innen weder politisch rechts außen stehen noch total verwirrte Aluhutträger sind. Aber was sie auf künstlerische Art und Weise “wollten” und wie es herüber- beziehungsweise ankommt – das sind zwei paar Schuhe. Deren gewünschte “Kunst-Protest-Idee” ist jedenfalls gnadenlos gescheitert, das mit dem Nachdenken wurde vergessen... Sicher, die Kulturschaffenden samt Entourage von Bühnenbauer und Garderobiere bis hin zum Schauspiel- und Regiestar sind allesamt betroffen – vor allem all jene,

denen die Corona-Maßnahmen die Bretter, die die (Künstler-)Welt bedeuten, zugesperrt haben. Aber Kritik, Protest oder die Unzufriedenheit mit den Regierungsentscheidungen kann man auch anders formulieren. Oder zumindest konstruktive Ideen äußern oder zum Impfen auffordern. Einfach nur meckern und das in dieser eher überheblich-eitlen Art ist im freundlichsten Fall kindisch zu nennen! Tatort-Star Jan-Josef Liefers, einer der Hauptakteure dieser Aktion, meinte zu seiner Verteidigung: “Es gibt nicht nur auf der Seite der Erkrankten Trauer und Leid, sondern auch auf der Seite derer, die unter diesen Maßnahmen inzwischen nun wirklich anfangen zu leiden, die sehe ich nicht so richtig vertreten.“ Die letzten Worte gebühren der Schauspielerin Nora Tschirner (Keinohrhasen, Zweiohrküken, Tatort), die es auf den Punkt bringt: “Echt ja, Leude? Was‘ los da? ‘Make cynicism great again“? Oder wie? Wird’s schon boring im Loft und im Brandenburger Landhaus? Jetzt doch mal raus wagen und ‘n büschn kokeln, weil man sich sonst um die eigene Gefühlsverwaltung kümmern müsste? Joah, kann man machen. Kann halt sein, dass man sich ein büschn schämen wird in ‘nen paar Jahren (Wochen). Unfuckingfassbar“.  Martina Zender


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