EL AVISO Mallorca Mai 2021

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GESELLSCHAFT

EL AVISO | 05/2021

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„Selberlesen macht fett“ Vito von Eichborn (Jahrgang 1943) ist Verleger, Herausgeber, Autor, Journalist und Literaturagent. Er war unter anderem Verleger des Eichborn und Europa-Verlages und verlegte Hans Magnus Enzensberger („Die Andere Bibliothek“) und Walter Moers („Das kleine Arschloch“). Gebürtig in Magdeburg, lebt er heute am Dieksee in Timmdorf/Malente und leitet den ursprünglich auf Mallorca gegründeten Kleinverlag Vitolibro.

EL AVISO: Sie haben einige Zeit auf Mallorca verbracht und leben heute am Dieksee. Wo sind die Vorteile vom Dieksee zum Mittelmeer? Vito von Eichborn: Es gibt keine, bzw. Vor- und Nachteile heben sich auf. Hier bin ich nur – zwar auch, aber – weniger Fremdling als dort. EA: Ich erinnere mich an Ihre Lesungen des Don Quijote auf Mallorca. Sie hätten auch aus einigen Hundert selbst verlegten Büchern lesen können. Was fasziniert Sie an Don Quijote? VvE: Die Lesungen waren aus fünf deutschen Übersetzungen. Voss und Lange – die dazwischen können Sie eigentlich vergessen. Es ist halt ein Gewinn, die Worte zu vergleichen, quasi zu schmecken. Das Original, auch wenn ich nur begrenzt folgen kann, ist immer größer. Ihre Frage brachte mich drauf – auch im Englischen und Französischen trotz beschränkter Kenntnisse – las ich nach und verglich: Der Ur-Quijote ist halt der erste und bis heute großartigste Roman der westlichen Literatur. Das Absurde und Lächerliche, das Großartige und Vergebliche, das Liebevolle und Bewundernswerte an uns Menschen – voilà. EA: Sie haben ein, wie von Ihnen gewohnt, etwas anderes Buch über Mallorca verfasst: “Mein Mallorca”. „Die Zeit“ schrieb zu Ihrem Buch: „Mallorca ist eine Schatztruhe voller Geheimnisse…“. Welche drei Geheimnisse sind die größten? VvE: Naja, Geheimnisse – eigentlich sind es keine. Nr. 1: Kulturelle Toleranz. Dies ist für uns, das westeuropäische Publikum, multikulti auf engem Raum wie nirgendwo sonst. Zudem gibt es alles von der Gröl-Dumpfbacke bis zum blasierten Wichtigtuer. Und all wir Normalos mittendrin. Nr. 2: Keiner kümmert sich um mich, ich bin allen anderen egal. Welch Freiheit! Nr. 3: Last but not least

– mal eben um die Ecke, bezahlbar, bequem. Also, wie sagt Mr. Goethe: Zufrieden jauchzet groß und klein; Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein! EA: Wie würden Sie das Verhältnis von Deutschen und Spaniern bzw. Mallorquinern beschreiben? VvE: Erstaunlich reibungslos, wie die Mallorquiner uns aushalten. Ihnen wird gerne vorgeworfen, sie würden

waren anders, herausragend beim Eichborn-Verlag. Was war und ist Ihr (Erfolgs-)Rezept? VvE: Das stimmt so nicht – größtenteils habe ich mit demselben Wasser gekocht. Mein einziges „Rezept“ war, unverschämter die üblichen Regeln zu verletzen, nach dem Motto zu arbeiten: „Das tut man nicht.“ Das ist übrigens keine bequeme Rolle.

EA: Es gab eine Reihe von Neuanfängen, in Frankfurt, in Hamburg, sogar in der Dominikanischen Republik und auf Mallorca. Was waren Ihre größten Erfolge und Misserfolge, geschäftlich und literarisch? VvE: Erfolge? Na klar: Literarisch mit Enzensberger „Die Andere Bibliothek“ zu retten. Siebenstellig bezahlt. Und das mit Walter Moers und seinem großartigen „Das kleine Arschloch“ zu finanzieren. Beides war vielen anderen Verlagen angeboten, aber von allen abgelehnt worden. Das war denen – wie zunächst auch dem Buchhandel – inhaltlich wie ökonomisch zu extrem. Misserfolge? Owei, zahllos. Richtig teuer war der Versuch, die in geschmacklicher Literaturkreis der Kulturfinca Son Bauló Hinsicht pornografische „Schwarzwaldklinik“ durch den „Schwarzwaldpuff“ satirisch auszubeuten. Das ZDF gewann die ja an uns verdienen. Na und? Vermutlich verdienen Prozesse. Schlimmer empfand ich die Verluste mit laselbst auf der Insel die Deutschen mehr als die Einhei- teinamerikanischer Literatur, die hier niemand wollte. mischen. Wer mal in der Karibik war, im Maghreb oder Und die Flops mit tollen Autoren, die ich nicht über die auf einer griechischen Insel, weiß die mallorquinische Schwelle der Wahrnehmung heben konnte. Gelassenheit zu schätzen. EA: Beispielsweise Walter Kempowski war nach Ihrer EA: Sie haben einmal gesagt „Wer nicht laut ist, wird Aussage schwierig. Sind Autoren „andere“ Menschen? nicht gehört“. Gibt es weitere Regeln und funktioniert VvE: Nö. Der war halt ein eingebildeter Peinsack. Seidas Verlagsgeschäft international gleich? ne Leistung bestand ja auch aus Sammeln, nicht im VvE: Das bezieht sich nicht auf die Inhalte, sondern schöpferischen Schreiben. Literarisch ist er irrelevant. aufs Marketing. Wenn ein Text aus innerer Kraft zum Aber – um nicht von Lebenden zu sprechen – von Weiterlesen zwingt, gehorchen wir alle doch mit Lust. Konrad Hansen bis W. G. Sebald fand ich unter den Dummerweise schafft das kaum jeder hundertste. Autoren die großartigsten Menschen. Nebenbei sind Ganz besondere Bücher sind so selten wie ganz be- bis heute die literarisch wertvolleren selten die mit der sondere Menschen. Die brauchen kein Geschrei. großen Klappe. EA: Trotzdem muss man sich abheben. Ihre Bücher

EA: Wie arbeiten Sie selbst in den unterschiedlichen


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