ZUM W ER K
DMITR I SCHOSTA KOW ITSCH Sinfonie Nr. 15 A-Dur
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SCHOSTA KOW ITSCHS KÖFFERCHEN
VON MICH A IL SCHISCHK I N
Er wartete auf die Verhaftung. Ein Freund nach dem anderen wurde abgeholt. Leute verschwanden nachts, und über Verschwun dene wurde nicht gesprochen. Auch Familienmitglieder waren schon verhaftet worden: ein Onkel, die Schwiegermutter, der Schwager. Menschen, die ihm teuer und nah waren. Seine Schwester hatte sich von ihrem Mann lossagen müssen, um sich und ihre Angehörigen zu retten. Er hatte ein kleines Kind, seine Frau war schwanger. Im Flur stand immer ein gepacktes Handköfferchen – das Zeichen, dass er bereit war für den Tod oder ein neues Leben im Unbekannten. Schliesslich kam die Vorladung in das Grosse Haus am Litejnyj-Prospekt: das Gebäude des NKWD (politischer Geheimdienst). Beim Verhör forderte man von ihm ein aufrichtiges Geständnis und eine Liste mit Beteiligten an einer Verschwörung gegen Stalin. Dann liess man ihn nach Hause – es war Samstag – und legte ihm nahe, «bis Montag zu überlegen». Am Montag erfuhr er, dass der zuständige Ermittler verhaftet worden war. Jahrzehnte später, als Dmitri Schostakowitsch die 15. Sinfonie komponiert hatte, nannte er sie das autobiografischste seiner Werke. Diese Musik handelt von seinem Leben, vom Wichtigsten: dem Sieg über die
Angst vor dem Tod. Es gibt bei Schostakowitsch keine nicht-autobiografische Musik. Liebe und Leidenschaft, die vertraute Wärme des Kindes, die Freude an Gottes Welt, die Ohnmacht gegenüber dem menschlichen Bösen, aufgesetzte Hingabe gegenüber der Obrigkeit, heimlicher Hass, unterdrückter Ekel, Überleben in der Lüge. Sein ganzes Leben in einer Handvoll flüchtiger Klänge. Diese Sinfonie ist eine besondere. Die letzte. Sie ist seine Beichte. Seine Busse. Er wusste genau, was um ihn herum vorging und schrieb doch Musik, die der verlogenen Propaganda diente. Er hasste die Partei und war in sie eingetreten. Er verachtete die Lakaien der Sowjetmacht und hielt untertänige Reden. Als man ihn anwies, einen Stein auf einen Gerechten zu werfen, tat er es: Er unterschrieb zornige Erklärungen der ‹sowjetischen Intelligenz› gegen das Akademiemitglied Andrei Sacharow. Er wusste, er wurde als menschliches Antlitz eines Sklavenimperiums benutzt. Aber er wusste auch: Seine Musik hilft den Sklaven zu überleben. Nicht allen, aber doch einigen. Und er wusste, am Ende steht die Rechtfertigung. Sein Werk würde ihn rechtfertigen. Den ersten Teil der Sinfonie schreibt Schostakowitsch im Juni 1971 in einem Provinzkrankenhaus – in Kurgan, einer