KOLUMNE
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FR AGENDE ZEICHEN
VON EGL E A
Wenn ein Bestsellerautor sich auf Teneriffa ein Haus kauft, denkt jeder an eine Villa mit Meerblick. Das Haus, in dem ich Janosch 1 vor ungefähr fünfundzwanzig Jahren besuchte, lag weitab der Küste, hatte Strassenblick, sah von aussen aus wie eine umgebaute Doppelgarage und von innen wie eine karg möblierte. Ihm war das noch immer zu viel. «Wenn ich sterbe, sollen von mir nur noch das Bett, ein Tisch, ein Stuhl, das Hemd und die Hose übrig sein, die ich zuletzt anhatte.» Da war er noch nicht einmal im Pensionsalter, in bester Verfassung und Laune. So hatte ich mir ein Alterswerk vorgestellt, dass jemand alles Überflüssige abwirft, leicht und einfach wird. Nur so leicht und einfach ist das offenbar nicht. Wenn ein schaffender Mensch weder alt noch todkrank ist, weiss er beim Werken noch gar nicht, dass daraus sein Spätwerk werden könnte; Mozart schrieb drei Jahre, bevor er starb, fern jeder Todesahnung, drei Sinfonien; seine vorletzte, die grosse g-Moll-Sinfonie, ist dunkel verschattet, seine letzte aber, die sogenannte Jupitersinfonie, fast schattenlos leuchtend. Sogar diejenigen, die sich mit achtzig, neunzig ausrechnen konnten, dass die nächsten Werke Spät- und Alterswerke zugleich wurden, offenbarten nicht selten eine Lust am Üppigen, am Überschwang, am Griff in die Vielfalt des Lebens. Dass
sich Verdi mit Falstaff und Thomas Mann mit Felix Krull verabschiedeten, den einzigen Komödien beider Meister, hatte zwar mit Einfacher-Werden nichts zu tun, kühner und komplexer war Verdi nie gewesen. Doch vielleicht verbarg sich dahinter die Sehnsucht, lächelnd und leicht zu sterben oder wenigstens postum so in Erinnerung zu bleiben. Picasso kannte diese Sehnsucht wohl kaum; am 30. Juni 1972 zeichnete er mit schwarzen und farbigen Kreiden seinen kahlen Kopf. Aus schreckgeweiteten Augen, die Lippen nur ein Strich, starrt Picasso aus diesem Selbstporträt den Betrachter an. Schreckte ihn der Tod oder der Blick nach innen, wo neben der schaffenden Energie eine zerstörerische brannte, nicht nur, was die Frauen in seinem Leben betraf? Picasso starb 1973 mit zweiundneunzig, Schostakowitsch war ein Jahr zuvor mit achtundsechzig gestorben, nach einem Leben voll der Todesangst, Schuldgefühle und Krankheiten. Seine 14. Sinfonie hatte er 1969 während eines Krankenhaus aufenthalts komponiert, elf Sätze nach elf Gedichten, das vierte nach Apollinaires Selbstmörder. «Der Tod erwartet jeden von uns, ich kann nichts Gutes daran finden, dass das Leben so endet. Das wollte ich mitteilen», war alles, was Schostakowitsch dazu sagte. Beethoven hatte sich 1802, mit Anfang dreissig, bereits dem Tod nah gefühlt,