René auf Reisen R E N É VA N Z E E
FOTO//R enè van Zee
Es war immer mein großer Wunsch bei Olympischen Spielen dabei sein zu können. Als Journalist habe ich es geschafft: erstmals 1988 in Seoul, danach 1992 in Barcelona, 2004 in Athen, 2008 in Peking, 2012 in London und 2016 in Rio. TEXT_René van Zee
Drama und Leid setzen sich in Olympischen Erinnerungen mindestens so prominent fest wie Triumph und Heldengeschichten.
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RunUp //Frühling_2020
Meine ältesten Erinnerungen an Olympische Marathonläufe
Drama und Leid setzen sich in den
reichen genau sechs Jahrzehnte zurück und beinhalten ein sport-
Olympischen
historisches Legendenstück. Der bis damals unbekannte Äthi-
tens so prominent fest wie Triumph und
opier Abebe Bikila lief in den Straßen Roms zur Goldmedaille
Heldengeschichten. 1984 sah ich vor
in einer neuen Weltbestzeit von 2:15:16,2 Stunden – offiziellen
dem Fernseher den ersten Olympischen
Weltrekord gab es damals noch nicht. Vier Jahre später wieder-
Marathon der Frauen bei fast unmensch-
holte Bikila seinen Triumph bei den ersten Olympischen Spielen
lichen Bedingungen in Los Angeles. Die
von Tokio. Dieses Mal in Schuhen, aber wieder in einer Weltbest-
39-jährige Schweizerin Gabriela Ander-
zeit (2:12:11,2 Stunden). Unmittelbar hinter der Ziellinie führte
sen-Schiess lag gut im Rennen, verpasste
der Äthiopier demonstrativ Lockerungs- und Dehnungsübungen
bei 35°C. Lufttemperatur die letzte Ver-
vor und erklärte, dass er durchaus zwei Minuten schneller lau-
pflegungsstelle und das Drama nahm sei-
fen hätte können. Ein Ermüdungsbruch verhinderte in Mexiko
nen Lauf. Völlig dehydriert produzierte
City 1968 den Hattrick des Vorreiters sämtlicher afrikanischer
sie minutenlang entsetzliche Bilder und
Marathonhelden von heute – und Idol für die meisten.
brach im Ziel völlig erschöpft zusam-
Erinnerungen
mindes-
men. Taumelnd hatte sie für die letzten Als 20 Jahre später die Olympischen Spiele in Seoul stattfanden,
500 Meter im Stadion sieben Minuten
hatte ich erstmals die Gelegenheit, live dabei zu sein und damit
benötigt, fünfeinhalb mehr als Siegerin
die Faszination des größten Sportfestes der Welt hautnah mit-
Joan Benoit. Ärztliche Hilfe hatte sie ent-
zuerleben. Sechs Wochen lang war ich bei einer koreanischen
schieden abgewiesen, um einer Disquali-
Familie einquartiert. Ich tauchte ein in eine für mich völlig
fikation zu entgehen. Diese sorgenvollen
fremde Welt, bewegte mich frei durch die Metropole – von Sport-
Momente überschatteten beinahe den für
stätte zu Sportstätte. Damals reisten kaum europäische Fans ins
die Frauen-Laufbewegung bahnbrechen-
ferne Südkorea, für die Olympia-Atmosphäre sorgten hauptsäch-
den Triumph der Amerikanerin über die
lich Sportbegeisterte aus Ostasien und besonders Japan.
Norwegerin Grete Waitz.