Kampf gegen Gleichschaltung Pressefreiheit Beim Online-Magazin Mada Masr in Kairo setzen junge
Journalisten und Journalistinnen täglich ihre Freiheit aufs Spiel. Aus Idealismus und weil ihnen wenig anderes bleibt, was Hoffnung macht.
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TEXT JÖRG ARMBRUSTER
Mada Masr: Die Zeitung erreicht ihr Publikum vor allem über Social Media.
Dass Journalisten mitten im Interview verhaftet werden, gehört in Ägypten zum Berufsrisiko, besonders dann, wenn sie dafür bekannt sind, die Regierung zu kritisieren. Das wusste auch Lina Attalah, als sie sich vor dem für Folter berüchtigten Tora-Gefängnis mit der Mutter des dort inhaftierten Menschenrechtsaktivisten Alaa Abd el-Fattah traf. Das war am 18. Mai dieses Jahres. Während des Gesprächs tauchten plötzlich Beamte der ägyptischen Staatssicherheit auf, nahmen Attalah das Mobiltelefon ab und zwangen sie, mit auf die nächste Polizeiwache zu kommen, ohne dass sie ihren Anwalt benachrichtigen durfte. Lina Attalah ist die vielleicht bekannteste unter den wenigen unabhängigen Journalistinnen des Landes. Aber auch die am meisten gehasste, zumindest von ägyptischen Politikern, Polizisten und Offizieren, weil sie als Chefredaktorin des Online-Magazins Mada Masr immer wieder handfeste Skandale bei Polizei, Armee und in der Politik aufdeckt. Mada Masr gehört zum Feinsten und Tapfersten, was an Medien gegenwärtig in Ägypten publiziert wird. Der Name der Zeitung heisst «Leuchtturm» auf Deutsch: ein Licht in der dunklen Zeit, durch die das Land im Augenblick geht. Allerdings im Augenblick auch ein Licht, das die Sicherheitsbehörden des Landes auszutreten versuchen. Ich lerne Lina Attalah im Oktober 2019 kennen. Es ist einfach, sie 18
und ihr Redaktionsteam zu finden. Mada Masr ist kein heimlich im Keller eines Hochhauses produziertes Untergrundmedium, das sich vor dem Staat und seiner Polizei versteckt. Per Textnachricht hat sie mir die Adresse geschickt, im sechsten Stock eines Wohnhauses im Kairoer Stadtteil Dokki. Neben der Eingangstür ist ein grosses Schild mit der Aufschrift «Mada Masr» angeschraubt. Klingeln. Ein junger Mann öffnet: «Bist du Jörg? Willkommen! Komm rein!» Lina käme ein bisschen später, ich solle mich schon mal umschauen. Einen Kaffee bekomme ich auch. Drei grosse Räume in der einst herrschaftlichen Wohnung sind belegt. In einem arbeitet eine Gruppe von Redaktoren vor ihren Bildschirmen an der nächsten Ausgabe. Die Tagesschicht. Überall Willkür Wie kann es sein, dass eine solche Zeitung im Ägypten von Abd el-Fatah as-Sisi erscheint, produziert von jungen, fröhlichen Menschen, die gelassen und offensichtlich ohne Furcht über all das berichten, was Militär und Polizei zu unterdrücken versuchen? Die Antwort kommt stürmisch durch die Eingangstür gestürzt: «Entschuldige die Verspätung, Jörg. Gib mir eine Minute!» Es ist eben jene Lina Attalah, die Chefredaktorin, die sich da entschuldigt. Dann setzt sie sich zu mir. «Was kann ich für dich tun?» Na, Surprise 477/20