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FOTO: JOANA HADJITHOMAS, KHALIL JOREIGE, COURTESY OF THE ARTISTS

Die Kreisläufe des Krieges Kino Mit einer Retrospektive würdigt die 10. Ausgabe des Bildrausch Filmfest Basel

das Werk des libanesischen Künstlerduos Joana Hadjithomas und Khalil Joreige. TEXT MONIKA BETTSCHEN

Catherine Deneuve quasi als Stellvertreterin für uns selbst: «Jeu veux voir», «Ich will es sehen», sagt sie im gleichnamigen Film zum ihrem Schauspielerkollegen Rabih Mroué – und wird von ihm an die Schauplätze und in die Geschichte des Libanonkriegs 2006 geführt.

Geprägt vom libanesischen Bürgerkrieg, der ihre Jugend überschattete, bündeln Joana Hadjithomas und Khalil Joreige, beide Jahrgang 1969, seit Jahrzehnten gemeinsam ihre kreative Energie, um in Film, Fotografie oder Installationen die Erinnerungen an die nationalen Traumata ihrer Heimat wachzuhalten. Mit grossem Erfolg: Viele ihrer Werke wurden an internationalen Festivals gezeigt und ausgezeichnet. So auch das Roadmovie «Je veux voir», einer von vier Filmen, die am diesjährigen Bildrausch Filmfest Basel in einer Retrospektive gezeigt werden. «Je veux voir», ich will es sehen, insistiert die französische Filmikone Catherine Deneuve zu Beginn dieses Films aus dem Jahr 2008, der mutig die Grenzen zwischen Drama, Dokumentation, Roadmovie und Kriegsfilm auslotet: Filmhandlung und Realität überlappen sich immer wieder. Deneuve spielt sich selbst, und der Film gibt nie ganz preis, was Doku ist und was Fiktion. Auch nicht, als sie sich während Dreharbeiten vor Ort von ihrem libanesischen Schauspielkollegen Rabih Mroué den vom Krieg gezeichneten Süden zeigen lassen will. Für Mroué ist das eine äusserst schmerzhafte Erfahrung. Zudem droht Gefahr wegen Landminen auf Nebenstrassen. Deneuves Bekanntheitsgrad verkompliziert die Sache zusätzlich, bei der Crew liegen die Nerven blank. Surprise 501/21

Im Zentrum von Beirut hat man die sichtbaren Spuren des Krieges bereits weitgehend getilgt. Und in den Vororten werden zerbombte Häuser abgetragen, um sie wieder neu aufzubauen. Einer Ebene entlang säumen Plakate von Märtyrern die Strasse. Passanten äugen durch die Autoscheiben hinein, sie erkennen den französischen Filmstar. Die Fahrt geht vorbei an der israelischen Grenze und an dem Dorf, in dem Mroué aufgewachsen ist, wo kein Stein mehr auf dem anderen steht und er das Haus seiner Grossmutter nicht mehr findet. Deneuves Bodyguard wird nervös, wann immer sie das Auto verlässt und vorsichtig über Schutthaufen balanciert. Durch Deneuves Augen Im Grunde reist Deneuve stellvertretend für uns durch das zerbombte Gebiet – ihre Perspektive ist die von Menschen, die dem Krieg aus sicherer Distanz via Newskanal zugeschaut haben. Um Haltung bemüht nimmt sie die verstörenden Eindrücke in sich auf. Und je länger die Fahrt dauert, desto mehr verschwindet ihre Distanz – bis sie es am Ende selbst sieht: das tiefsitzende Trauma, den Hunger nach Neubeginn und die Widerstandsfähigkeit der Menschen im Libanon. Die in Beirut und in den zerstörten Dörfern abgetragenen Kriegstrümmer werden ununterbrochen von Lastwagen

weiter südlich am Strand abgeladen. Gegen Ende ihres Tagesausfluges, der sich wie eine Expedition durch die jüngere Geschichte Libanons anfühlt, schauen Deneuve und Mroué stumm zu, wie das, was einst Tausenden Menschen ein Zuhause bot, zerstückelt dem Meer übergeben wird. Joana Hadjithomas und Khalil Joreige machen in ihrem Werk immer wieder Umwälzungen und Kreisläufe sichtbar, die Krieg und Bürgerkrieg in Gang setzen. So auch im Dokumentarfilm «Khiam» aus dem Jahr 2008. Der Film gibt sechs ehemaligen Insass*innen eines Gefängnisses im Südlibanon das Wort, in einem Abstand von je acht Jahren. Sie berichten von unmenschlichen Haftbedingungen, von Einzelhaft in schmutzigen, dunklen Löchern. Und davon, wie die erlebte Gewalt ihr Leben auch nach ihrer Befreiung im Jahr 2000 vergiftet hat. Das Haftzentrum Khiam, in dem Folter an der Tagesordnung war, wurde während des Kriegs 2006 zerstört. Hadjithomas und Joreige erinnern mit ihrem Film daran, dass das, was sich hinter diesen Mauern ereignet hat, zu einem Teil der Geschichte geworden ist. Und darum nicht in Vergessenheit geraten darf.

«10. Bildrausch Filmfest Basel», Mi, 16. bis So, 20. Juni. www.bildrausch-basel.ch

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