Surprise 501/21

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Verkäufer*innenkolumne

Überlebenstrieb Ich bin viel allein, was für mich Ruhe und Erholung bedeutet. Ich bin gern allein. Das liegt auch daran, dass mir nie langweilig ist. Dieses Gefühl kenne ich nur aus meiner Pubertät, als wir drei, meine beiden Schwestern und ich, unsere Ferien immer mit Segeln verbringen mussten. Heute sage ich: «mit Segeln verbringen durften», denn es gibt eigentlich nichts Schöneres, als auf dem Wasser zu sein und den Wind zu erleben. Nur bei Sturm gibt es gar nichts Schönes mehr. Da ist dann nur noch das Erleben der Naturgewalten und die Erfahrung, wie klein wir Menschen sind. Es bleibt einem nur die Hoffnung, dass man nach dem Sturm noch am Leben ist.

Auch mit Corona sind wir im Überlebensmodus angekommen. Wir Menschen zeigen dabei unsere angeborenen Verhaltensmuster. Erstens den Überlebenstrieb, zweitens den Arterhaltungstrieb und drittens den Herdentrieb. Nun wird unser Verhalten wegen Covid-19 schon seit längerer Zeit von anderen Personen bestimmt, und nicht immer bin ich einverstanden. Aber wir alle machen mit, was sicher auch gut ist so. Die Pandemie ist real. Und doch haben wir gute Überlebenschancen.

K ARIN PACOZZI, 54, verkauft Surprise in Zug. Auch heute noch zieht es sie ans Wasser. Der Zürichsee und die Flüsse helfen ihr, auch lange Zeit ohne Meer zu sein. Doch wer einmal auf dem Meer gesegelt ist, dem bleibt die Sehnsucht danach. Die Fortbewegung per Schiff ist im Menschen stark verankert, sagt sie, das war schon zu Zeiten der Wikinger oder von Christoph Kolumbus so. Ob backbord oder steuerbord, ob rot oder grün: Wer segelt, vergisst nichts mehr davon.

Die Texte für diese Kolumne werden in Workshops unter der Leitung von Surprise und Stephan Pörtner erarbeitet. Die Illustration zur Kolumne entsteht in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern – Design & Kunst, Studienrichtung Illustration.

ILLUSTRATION: DINAH WERNLI

Ich erinnere mich an eine Segelreise von der Camargue nach Korsika. Die Hinfahrt war ganz einfach, ruhiges Meer, über uns blau, um uns blau. Danach umsegelten wir in zehn Tagen Korsika, mit einem Abstecher nach Menorca, weil es dort, in Spanien, den guten Safran gab, den meine Mutter brauchte, um eine Paella zu machen. Als es Zeit wurde, in die Camargue zurückzukehren, hatten wir noch Diskussionen, ob wir lossegeln oder besser warten sollten. Wir sind dann los und voll in einen Sturm hineingeraten. Im Nachhinein erfuhren wir, dass es der schlimmste Sturm seit zehn Jahren war. Windgeschwindigkeiten bis über 100 km/h, die sprichwörtliche Windstärke 10. Wir Kinder lagen in der Kabine in unseren Kojen. Wir spürten, wie wir steil hinauffuhren, wie auf einer Achterbahn, sodass wir fast aufrecht waren im Bett, dann ein Augenblick des Stillstands, und schon stürzten wir im freien Fall hinunter, flogen eineinhalb Meter aus den Betten, das Schiff klatschte aufs Wasser. Alles fiel herunter, eine Flasche Grenadinesirup zerschellte.

Als wir im Hafen ankamen, wurden wir angeschaut, als wären wir Gespenster, weil die Leute nicht glauben konnten, dass wir den Sturm überlebt hatten. Zwei Polizisten auf schweren Motorrädern kamen an den Hafen, stiegen ab, und schon wurden ihre Töff von einer starken Böe erfasst und in den Hafen gerissen. Als unser Boot endlich sicher vertäut war, schliefen wir alle fünf bis sechs Stunden wie betäubt, nicht einmal die Wespen, die der Sirup angezogen hatte, störten uns noch. In dem Moment wurde mir klar, was für ein Geschenk, wie wertvoll das Leben ist. Sonst hätte man nicht solche Todesangst.

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