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Frontex als Symptom Grenzschutz Am 25. Mai stimmen wir über das Frontex-­

Referendum ab. Soll die Schweiz den Ausbau der ­europäischen Grenzschutzagentur unterstützen?

Menschenrechtler*innen finden die Situation alarmierend. Denn neben Männern sind auch immer mehr Frauen und Kinder unterwegs.

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Seit ihrer ersten Volksinitiative 1992 diktiert die SVP, worüber die Schweiz spricht, wenn sie über Migration spricht: Ausschaffungsinitiative, Masseneinwanderungsinitiative, Durchsetzungsinitiative. Die grundlegende Frage lautet stets: Was müssen Ausländer*innen der Schweiz bieten können? Das Frontex-Referendum hält dem entgegen: Lasst uns darüber sprechen, welche Bringschuld wir gegenüber Migrant*innen haben. Diese nicht an den EU-Aussengrenzen ertrinken zu lassen, zum Beispiel. Frontex ist dabei nur ein Aufhänger, ein Symptom. Die Schweiz gehört nicht zur EU, und doch beteiligt sie sich seit 2011 an Frontex, der europäischen Agentur für die Grenzund Küstenwache. Die EU baut Frontex aus. Nun soll sich, wenn es nach Bundesrat und Parlament geht, auch die Schweiz an diesem Ausbau beteiligen. Es liege, so das Argument, im Interesse der Schweiz, bei den Kontrollen der Aussengrenzen und der Bewältigung der Migrationsbewegungen mitzuwirken. Nur so könne die Reisefreiheit im Schengenraum gewährleistet werden. Mehr Sicherheit also, ein besserer Schutz der Grundrechte sogar. In Zahlen hiesse das: Die heute gut sechs Vollzeitstellen der Schweiz würden bis 2027 auf 40 aufgestockt. Insgesamt arbeiten für Frontex über 1500 Leute aus den EU-Mitgliedstaaten. 2021 zahlte die Schweiz 24 Millionen Franken an Frontex, im Jahr 2027 wären es schätzungsweise 61 Millionen Franken. Insgesamt betrug das Budget der Frontex 2021 543 Millionen Euro. 2005, im Jahr nach der Gründung, waren es 6 Millionen Euro. Für das Referendumskomitee rund um das Migrant Solidarity Network in Bern ist Frontex das Symbol der «abschottenden, gewaltvollen europäischen Migrationspolitik», die Migration kriminalisiert, Grenzen militarisiert und an Menschenrechtsverletzungen beteiligt ist. Treffen die Umfrageergebnisse zu, wird das Referendum scheitern. Trotzdem: Das Referendum, so scheint es, will dem Diktat der SVP etwas entgegenstellen und den Diskursraum erweitern. Europa rüstet seine Grenzen auf – griechische Inseln wurden zum Synonym für Elendslager, im Osten prangt Stacheldraht auf Stahlzäunen und die europäischen Exklaven in Afrika werden mit Hightech-Zäunen abgeschirmt. Europa unterstützt die Küstenwache eines von Milizen unterwanderten Bürgerkriegslandes mit Millionen und sorgt dafür, dass afrikanische Staaten ihren Bürger*innen verbieten, Migrant*innen in Richtung Norden zu transportieren. Migrationsmanagement heisst das. Menschenrechte werden, neben der Effizienz, zu einem Thema unter vielen. In diesem Kontext hat die Schweiz unter Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) sogar ihre Entwicklungszusammenarbeit dem Migrationsmanagement untergeordnet. Das Geld fliesst nicht mehr dorthin, wo es die Menschen am nötigsten brauchen. Es fliesst dorthin, von wo keine Menschen in die Schweiz kommen sollen. Die Innenpolitik diktiert die Aussenpolitik. Eine Tendenz, die sich quer durch Europas Entwicklungspolitik zieht. Immerhin: Deutschland kündigte kürzlich an, künftig auf die Ausbildung der libyschen Küstenwache zu verzichten. Wegen Bedenken beim Thema «Menschenrechte». SEBASTIAN SELE 13


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