«Ich schaue ganz zufrieden auf dieses Jahr zurück» Lebensgeschichten Viele Surprise-Verkäufer*innen sind sich Höhen und Tiefen gewohnt. Wir haben
sie danach gefragt, was ihnen 2021 Gutes gebracht hat. Und bekamen Antworten.
Wiedersehen mit der Schwester Ich habe dieses Jahr etwas sehr Erfreuliches erlebt: Ich habe meine Schwester Karin nach 23 Jahren wiedergesehen. Unser Vater verliess früh die Familie, unsere Mutter starb, als ich vierzehn und Karin neun war, ich kam ins Kinderheim, sie in eine Pflegefamilie. Später lebte und arbeitete ich an zig verschiedenen Orten im Kanton Thurgau, in Zürich, im Bündnerland, durchlebte auch schwierige Zeiten, und irgendwann verloren wir uns aus den Augen. Als mich Karin dann vor ein paar Monaten in einem Surprise-Magazin sah, meldete sie sich bei Surprise und hinterlegte ihre Telefonnummer. Ich war überrascht, aber auch sehr erfreut, dass Karin mit mir Kontakt aufnehmen wollte, und rief gleich an. Seither ist sie schon zweimal aus der Ostschweiz gekommen und hat mich bei mir zuhause in Winznau besucht. Sie hat gesagt, sie komme dann vor Weihnachten nochmals, was mich sehr freut. Etwas anderes, das mich aufstellt, ist die Aussicht auf eine neue Wohnung: Ich werde im März zusammen mit meinem Kater «Turbo» nach Oensingen ziehen. Obwohl es mir in Winznau gut gefällt, brauche ich jetzt nach mehr als zwanzig Jahren am gleichen Ort mal eine Veränderung. In Oensingen kenne ich auch schon viele Leute, weil ich dort regelmässig in der Tagesstätte «Mittelpunkt» Zmittag esse. Nichts ändern will ich hingegen am Surprise-Verkauf. Mein Verkaufsort am Bahnhof Olten ist mir wichtig, weil ich mir dort in den letzten vier Jahren eine treue Stammkundschaft aufgebaut habe und der Verdienst für mich ein willkommener Zustupf zur IV-Rente ist. Was Ende Monat übrig bleibt, spare ich fürs Reisen – mein Traum ist und bleibt eine Reise in den Südpazifik, nach Bora Bora. DIETER PLÜSS, 55, hat Surprise zwei Jahre lang beim Sälipark Olten verkauft und steht nun nach einer Pause seit vier Jahren am Bahnhof Olten.
Baisse mit Highlights Das Jahr 2021 war ein bisschen mühsam für mich, weil die Stadtführungen wegen Corona für eine Weile runtergefahren wurden, und als es wieder losging, ging es so richtig los. Viele Leute wollten natürlich ihre abgesagte Führung nachholen. Dazu kam es bei uns im Team zu Ausfällen, so dass meine Tour 2 zum Thema Armut und meine Tour 4 zum Thema Sucht öfter als üblich gebucht wurden. Die rund vier Stadtrundgänge pro Woche empfinde ich aber nicht als Belastung, eher als kleine Highlights. So gesehen hatte ich 2021 also tatsächlich mehr davon. Weniger aufregend und abwechslungsreich sind meine vier Touren pro Woche, auf denen ich in Bern und Thun Zeitungen und Werbung vertrage, und der Surprise-Verkauf im Berner Hauptbahnhof. Wobei ich um beide Tätigkeiten in diesem Jahr enorm froh war, weil sie ohne Unterbruch weiterliefen, trotz Teil-Lockdown. Klar habe ich gemerkt, dass ich weniger Hefte verkaufe. Ich denke, viele Leute hatten weniger Geld zur Verfügung oder wollten es auch aus Vorsicht lieber nicht ausgeben. Aber eben, ich hatte dafür mehr Stadtführungen. Von daher schaue ich ganz zufrieden auf dieses Jahr zurück. Freuen tut mich auch, dass ich infolge der Stadtrundgänge mehr und mehr angefragt werde, um zum Beispiel an Schulen über meine Erfahrungen mit Alkoholsucht und Burnout zu sprechen. Diese präventive Arbeit finde ich wichtig. Neben meinen verschiedenen Jobs und Engagements schaue ich, dass ich genügend Erholung habe, und die finde ich unter anderem bei einer Zugfahrt. Meistens am Sonntag fahre ich irgendwo hin in der Schweiz, in eine Stadt oder wie kürzlich ins Wallis. Ich steige dann an meinem Ziel aus, gehe einen Kaffee trinken, lese den Sonntagsblick und fahre entspannt wieder heim. ÄNDU HEBEISEN, 52, verkauft Surprise seit sechs Jahren am Hauptbahnhof Bern und ist seit drei Jahren Surprise-Stadtführer.
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Surprise 514/21