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StaRUG, und nun? (Prof. Dr. Heribert Hirte MdB)

von Prof. Dr. Heribert Hirte MdB (Vorsitzender Unterausschuss Europarecht und stellv. Vorsitzender Ausschuss Recht und Verbraucherschutz)

„Gut Ding will Weile haben“ – dies lernen Abgeordnete im Deutschen Bundestag rasch, um nach einer Legislaturperiode zu wissen: „Gut Ding wird zuletzt Eile haben“. Ende 2020 konnte sich die Große Koalition auf ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren als Teil der Umsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie einigen. Zur Erinnerung: Bereits im Frühjahr 2020 plädierten Unionsfraktion und Wirtschaftsrat für die Umsetzung, die vom Justizministerium als „zu verfrüht“ abgetan wurde.

Das im Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz enthaltene Gesetz über den Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) traf uns nicht unvorbereitet. Über den Unterausschuss Europarecht haben wir uns als Union bereits in den Prozess der Richtlinienschaffung auf EU-Ebene eingebracht. In vielen EU-Ländern wird das Restrukturierungsrecht neu gestaltet. Das ist ein großer Erfolg, denn eine frühzeitige Sanierung kann Unternehmen retten, die in Not geraten sind, aber eine wirtschaftliche Perspektive haben. So verringern wir Ausfallrisiken in der Kapitalmarktunion, stärken die Wirtschaftskraft sowie die Widerstandsfähigkeit Europas – und den Euro, denn Unternehmensinsolvenzen schlagen über die Banken unmittelbar auf Staatshaushalte durch.

Was bewirkt das neue Instrument? Es schließt die Lücke zwischen der freien Sanierung, die auf den Konsens aller Beteiligten angewiesenen ist, und der Sanierung im Insolvenzverfahren, die auch mit der Liquidation enden kann. Unternehmen sollen zudem krisenfester gemacht werden. So technisch dieses Gesetz erscheinen mag, es ist ein großer Sprung im Insolvenzrecht: Im Mittelpunkt steht die für Mittelständler unbürokratische, kostengünstige Ausgestaltung der Sanierung. Die Änderungen, die wir im parlamentarischen Verfahren noch vorgenommen haben, sind beträchtlich: Die Regelungen zur einseitigen Vertragsbeendigung in §§ 51 ff. StaRUG-RegE wurden gestrichen. Damit wird eine dauerhafte vorinsolvenzliche Eingriffsmöglichkeit in abgeschlossene Verträge verhindert, die auch nicht von der Richtlinie geboten gewesen wäre. Die Geschäftsleiterhaftung in der Zeit vor der Insolvenz wurde entschärft und spezifische Beteiligungsrechte für Arbeitnehmer gesichert.

Durch die Corona-Pandemie hatte die Umsetzung der EU-Richtlinie zum Insolvenzrecht an Brisanz gewonnen. Schon im Frühjahr sind viele Unternehmen in Schieflage geraten. Über die Einschätzung des Ausmaßes streiten sich die Wirtschaftsinstitute: Die abgerufenen Wirtschaftshilfen und die bislang eher geringe Zahl an Insolvenzen machen Hoffnung, die Finanzierungssituation und die Rückmeldungen der Steuerbehörden erfüllen hingegen mit Sorge. Nichtsdestotrotz muss die Politik über die Frage nachdenken, wie sie Unternehmen mit einem über die Krise hinausführenden Geschäftsmodell retten kann, wenn sie pandemiebedingt in die Krise geraten sind. Allein das StaRUG wird hier nicht ausreichen.

Als eine der ersten Reaktionen auf die Corona-Pandemie setzte der Gesetzgeber die Insolvenzantragspflicht zunächst bis Ende September 2020 für pandemiebedingt in Schwierigkeiten geratene Betriebe komplett aus. Als Unionsfraktion haben wir uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Die ordnungspolitische Kraft der insolvenzrechtlichen Vorschriften ist der Schutzschild schlechthin gegen „Ansteckungsgefahren“ zwischen Unternehmen. Seit Oktober 2020 aktivierten wir die Insolvenzantragspflicht wieder schrittweise, um wieder zum insolvenzrechtlichen Normal statut zurückzukehren, Unternehmen müssen also notfalls aus dem Markt ausscheiden. Gegenüber dem Koalitionspartner war dies eine provokante Aussage.

Trotz aller ordnungspolitischen Überlegungen: Es war richtig, die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht eng an die Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung und die Auszahlung der Wirtschaftshilfen zu koppeln. Seit Jahresbeginn ist die Insolvenzantragspflicht daher nur noch für Unternehmen ausgesetzt, die einen Antrag auf finanzielle Unterstützung aus staatlichen Hilfsprogrammen gestellt haben.

Genauso wie das StaRUG nicht ausreicht, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzumildern, ist die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht kein Allheilmittel. Wie in vielen Krisen, hören wir die Forderung nach einem staatlichen Schutzschirm. Ein vorinsolvenzlicher Schutzschirm für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) könnte durch minimale Anpassungen im StaRUG geschaffen werden. Wenn die KMU den Entwurf eines Restrukturierungsplans und eines Finanzierungskonzepts erst nach drei Monaten vorlegen müssten, würden sie in dieser Zeit vom Vollstreckungsschutz des StaRUG profitieren und Zeit zur Vorbereitung der Sanierung gewinnen. So würde auch in der Pandemie die Überbrückung grundsätzlich funktionierender Geschäftsmodelle erleichtert. Missbrauch ließe sich verhindern, wenn KMU diese Möglichkeit nur einmal in einem bestimmten Zeitraum in Anspruch nehmen könnten.

Die wirtschaftliche Erholung von der Corona-Pandemie wird vermutlich Jahre in Anspruch nehmen. Es ist gut möglich, dass Unternehmen mehrfach Sanierungsschritte einleiten müssen. Dies ist allerdings bislang nach der schematischen Regelung in § 33 Abs. 2 S. 3 StaRUG nicht möglich, die in einem Zeitraum von drei Jahren für „Wiederholer“ „im Zweifel“ vorinsolvenzliche Schritte ausschließt. Angesichts der Absichten des StaRUG, gepaart mit den Folgen der Corona-Ausfälle, würde ich auch hier dafür plädieren, das Recht der Unternehmen auf einen Zugang zum Sanierungsverfahren, vielleicht auch nur befristet, weiter zu verfestigen.

An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal das „Winterschlafverfahren“ in Erinnerung rufen. Kurz erklärt: In der derzeit gestörten Wirtschaftssituation könnte ein Sonderinsolvenzrecht – das sogenannte Winterschlafverfahren – kodifiziert werden, so dass bei minimaler Mitwirkung des zuständigen Gerichts den Unternehmen bereits Rechts- und Vollstreckungsschutz geboten wird und funktionierende Geschäftsmodelle in die Zeit nach der Pandemie überführt werden.

In diesem Gesetzgebungsprozess konnten wir viele praxisnahe Punkte in zahlreiche Diskussionen sowohl auf Bundesebene wie auch mit dem Wirtschaftsrat in Nordrhein-Westfalen ansprechen. Diese Art des kritischkonstruktiven Miteinanders macht es möglich, einem ggf. durch andere po litischen Farben besetzten Ministerium rasch mit klugen Ratschlägen zu umsetzungsfähigen Lösungen zu verhelfen – wenn auch aus meiner Perspektive „gut Ding mit weniger Eile“ sicherlich weniger fehleranfällig wäre.

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