Credo Nr. 1 April 2023. Raphael Golta: "Wir brauchen die Stimme der Kirchen"

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die Stimme der Kirchen»

April 2023 1 Das Magazin für Mitarbeitende der Katholischen Kirche im Kanton Zürich
Kirchen in der Nacht
4 Einsatz in Asylzentren
12 Feiert ein Volksfest!
«Wir brauchen
Interview mit Stadtrat Raphael Golta zum Engagement der Kirchen im Asylwesen. Ab Seite 6

Fremden wie Freunden begegnen

Das irische Sprichwort «Ein Fremder ist ein Freund, den man noch nicht kennt» klingt einfach und ist gleichzeitig eine Herausforderung. Die aktuelle Situation im Asyl- und Flüchtlingswesen wird in den Medien zu einem Dauerthema – und mit Begriffen wie «Welle» oder «Asylnotstand» werden die weltweit über 100 Millionen Menschen, die vor Krieg, Verfolgung oder Menschenrechtsverletzungen auf der Flucht sind, als Bedrohung dargestellt.

Die Kirchen, die Freiwilligen, die Gastfamilien und die Hilfswerke kämpfen dagegen und machen das, was sie schon immer gemacht haben: Fremden wie Freunden begegnen. Pfarreien engagieren sich seit langem mit Aktivitäten für Geflüchtete und in den letzten Wochen kamen weitere Angebote in den zum Teil unterirdischen Asylunterkünften hinzu.

Die Fachstelle Flüchtlinge von Caritas Zürich begleitet im Auftrag der Katholischen Kirche im Kanton Zürich Pfarreien bei der Umsetzung von Aktivitäten vor Ort, fördert die Vernetzung mit ökumenischen Netzwerktreffen oder Impulsveranstaltungen. Im Kontakt mit den Pfarreien oder als Co-Projektleiterin des Tandemprogramms «zäme da» erfahre ich, wie herausfordernd es ist, den verschiedenen Nationalitäten und ihren unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. Als Fachstellenleiterin setze ich mich für eine Gleichbehandlung aller Geflüchteten ein.

Ein grosses Danke an alle Beteiligten, die sich täglich dafür engagieren, dass Fremde zu Freunden werden.

4 Aktuell Lange

5 Aktuell Uraufführung mit Laienorchester

6-11 Fokus Wie sich die Kirche im Asylwesen engagiert

12 Engagiert Sport und Spiel für Flüchtlinge

14 Perspektiven Neue Kirchenordnung

15 Seelen-Nahrung Neue alte Heimat

16 Ausläuten Mittefasten

Impressum credo credo erscheint vierteljährlich und Behördenmitglieder und Freiwillige der Katholischen Kirche im Kanton Zürich.

www.zhkath.ch/credo credo@zhkath.ch

Layout

Editorial
Momentum
auf Munitionskisten
3
Ikonen
Nacht
der Kirchen
Herausgeberin und Redaktion Katholische Kirche im Kanton Zürich Kommunikationsstelle Hirschengraben 66 8001 Zürich Druck und Papier Zürich aus 100% Recyclingfasern und mit dem Umweltlabel «Blauer Andrea Müller, Leiterin Fachstelle Flüchtlinge Caritas Zürich

Oleksandr Klymenko

Anfangs Jahr fand im jenseits IM VIADUKT die Ikonenaustellung «Leben auf den Tod malen» des ukrainischen Künstlerpaares Oleksandr Klymenko und Sonia Atlantov statt. Im April macht die Ausstellung noch in der christkatholischen Kirche St. Peter und Paul in Bern halt.

April 2023 3
«Eine Ikone kann auf wundersame Weise nicht nur die Ereignisse von vor zweitausend Jahren wiedergeben, sondern auch die tragischen Ereignisse des modernen Krieges.»
Momentum

Zahlen

2

In diesem Jahr findet die «Lange Nacht der Kirchen» zum zweiten Mal im Kanton Zürich statt. Die kantonale Premiere der internationalen Veranstaltungsreihe ging im Jahr 2021 über die Bühne. 3

Kirchen – reformiert, katholisch und christkatholisch – sind im ökumenischen OK vertreten, das sich auf kantonaler Ebene um die übergeordnete Organisation und die Kommunikation des Events kümmert.

Über 44

Pfarreien und Institutionen nehmen im Kanton Zürich an der «Langen Nacht der Kirchen» teil. Davon sind 21 katholisch und 23 reformiert. Darüber hinaus beteiligt sich auch die Christkatholische Kirche.

Zirka 6436

Franken wurden bisher von katholischen Gemeinden für Werbemittel wie Zündholzschachteln, Ballone oder Beach Flags ausgegeben.

Kirchen öffnen sich für eine lange Nacht

Kirche und Kirchenräume auf vielfältige und niederschwellige Weise erlebbar machen: Das ist die Intention der «Langen Nacht der Kirchen». Der Event, der zeitgleich in Deutschland, Österreich und der Schweiz durchgeführt wird, findet am Freitag, 2. Juni, zum zweiten Mal im Kanton Zürich statt.

Text: Saskia Richter

Die LNDK2023, wie das Kürzel der Veranstaltung lautet, möchte ein breites Publikum dazu einladen, Kirche ganz neu zu entdecken. Das Konzept lehnt sich an bekannte und bewährte Events wie die Lange Nacht der Museen an. In zahlreichen Gemeinden wird die Veranstaltung ökumenisch durchgeführt. Das fördert die Kooperation und bietet die Gelegenheit, sich als eine Kirchenregion zu präsentieren.

Der Event wird gemeinsam von den Reformierten, Katholischen und Christkatholischen Kirchen im Kanton Zürich getragen. Die Landeskirchen sind verantwortlich für die Koordination und das Marketing der «Langen Nacht der Kirchen». Organisiert und durchgeführt werden die einzelnen Veranstaltungen durch die lokalen Pfarreien vor Ort. Neben der öffentlichen Aufmerksamkeit, die

für einen ganzen Abend auf die Kirche gerichtet wird, trägt der Event damit auch zur verstärkten Identifikation der Gemeindemitglieder mit «ihrer» Kirche bei.

Im Kanton Zürich nehmen neben den lokalen Pfarreien und Kirchgemeinden auch Institutionen wie das aki, die Katholische Hochschulgemeinde Zürich, die Paulusakademie oder das jenseits IM VIADUKT am Event teil. Das Programm reicht vom Hip Hop Konzert bis hin zum Themenabend «Feuer und Flamme» mit viel Musik und einer Feuershow.

Veranstaltungs-Website Alle Veranstaltungsorte und das vollständige Programm können auf der Veranstaltungs-Website eingesehen werden.

langenachtderkirchen.ch

Aktuell

Richterswil/Samstagern

Heilige Familie

Wir begrüssen

Ingeborg Prigl als Religionspädagogin in der Pfarrei wechselt aus dem Bistum Basel nach Zürich.

Seit 1. Januar trägt Martin Conradkariat die Verantwortung für die ökumenische Seelsorge.

Matthias Renggli kehrt aus seinem Einsatz in Abu Dhabi zurück und wird Vikar in St. Franziskus in Wetzikon.

Alle machen Musik

In Richterswil spielt die Musik! Flurina Ruoss, ausgebildete Chorleiterin und Gesangspädagogin, ist von der katholischen und der reformierten Kirche gemeinsam für verschiedene Musikgruppierungen in den Kirchen zuständig. Jetzt soll es auch noch ein Projektorchester sein, das zur «Langen Nacht der Kirchen» eine Welturaufführung gemeinsam mit den Kirchenchören zum Besten gibt. Der letztjährige Erfolg eines Projektorchesters hatte sich herumgesprochen. Für dieses Jahr waren wiederum all diejenigen aufgerufen mitzumachen, die ein stimmbares Instrument spielen, egal auf welchem Niveau. Der Komponist Bruno Leuschner schreibt extra auf das Niveau der neunzehn Instrumentalisten abgestimmte Stücke, die am 2. Juni, bei der «Langen Nacht der Kirchen» uraufgeführt werden. Wie Flurina Ruoss erzählt, hat sogar jemand, der seit vielen Jahren sein ursprünglich erlerntes Instrument nicht mehr gespielt hat, extra eine Trompete gemietet und wieder angefangen zu spielen, um mitwirken zu können.

Chorleiterin Ruoss stellte 25 Gedichte zusammen, aus denen der Komponist drei für seine Vertonungen auswählte. Erich Kästners «Juni», Wilhelm Buschs «Die Selbstkritik» und vom Richterswiler Dichter Ernst Eschmann «Guet Nacht».

«Es ist unglaublich schön, dass so viele Menschen jetzt mitmachen und ich bin extrem gespannt, wie es im Juni wird. Es ist einzigartig, dass ein solches Projekt gemeinsam von beiden Kirchen getragen wird.»

Projektorchester-Link

https://kath-richterswil.ch/angebot/kirchenmusik/ projektorchester/

Albert Asaf wird Vikar in Wädenswil und kommt aus dem Libanon in den Kanton Zürich.

Die Jugendseelsorge Zürich erhält Verstärkung durch Mario Stankovic, Melissa Hof, Leah Talary und Michael Zürcher

OFM ist neuer Missionar der kroaim Kanton Zürich.

Wir gratulieren

Andreas Bolkart (St. BurMichael Kolditz (Christkönig in Kloten) und Matthias Merdan (Seelsorgeraumkon) zur Weihe zum Ständigen Diakon.

Wir verabschieden

Arnold Landtwing wechselt

verschiedenen Aufgaben

zehn Jahre davon als Informationsbeauftragter des

Fachstelle Kommunikation der Vereinigung der Katholischen Kirchgemeinden des Kantons Zug zu übernehmen.

Jazo Zorka lang als Katechetin und Kirchenmusikerin der Kroatenseelsorge.

Wir nehmen auch Abschied

Sanierungsarbeiten schliesst der Sommerpause unter einer neuen Leitung. Wir danken auch dem Leiter Toni Feola der seine Stelle gekündigt hat.

Wir trauern

-

starb am 14. Februar im Alter von nur 42 Jahren. Wir kondolieren ihrem Mann David und den

Mit Alfred Suter am 29. Januar im Alter von Leo Kümin verstorben am 7. Februar -

men wir von zwei Priesternlang (40 und 37 Jahre) in verschiedenen Pfarreien im Kanton Zürich als Priester gewirkt haben.

Aktuell
Personelles

«Ein riesiger Hosenlupf!»

Einst arbeitete Raphael Golta selbst als Betreuer im Flüchtlingsheim, heute ist er als Sozialvorsteher der Stadt

Zürich oberster Verantwortlicher für das Flüchtlingswesen. Was ihn in der Politik antreibt, warum es die Kirchen braucht und was ihm Mani Matter bedeutet, erklärt er im Gespräch.

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Interview: Simon Spengler, Fotos: Arnold Landtwing Stadtrat Raphael Golta (47) engagiert sich seit seiner Jugend im Flüchtlingsbereich. Für den Sozialdemokraten Golta sind Kirchen hier eine wichtige Stimme.

Simon Spengler: 1998/99 haben Sie selbst als Betreuer in einem Asylheim in Schlieren gearbeitet. Was war Ihre Aufgabe?

Raphael Golta: Es war eine kleinere kommunale Unterkunft mit einigen Wohneinheiten. Übers Wochenende war ich als Student dort im Einsatz, damit die Bewohnerinnen und Bewohner am Abend und über die Nacht nicht allein im Haus waren.

Was haben Sie dort gelernt?

Vor allem, dass die unterschiedlichen Fluchtgründe und die Persönlichkeiten der Geflüchteten nicht schaurig viel miteinander zu tun haben. Es gibt im Fluchtbereich alles, wie auch sonst in der Welt: Sympathische und Unsympathische, Faule und Engagierte. Es ist also eine sehr heterogene Gruppe von Menschen.

Heute ist der Student von damals Sozialdirektor der Stadt Zürich und damit oberster Verantwortliche für das Flüchtlingswesen. Was hat sich unterdessen verändert?

Die Flüchtlingspolitik hat sich in vielen Bereichen doch positiv entwickelt. Ich denke an die beschleunigten Asylverfahren oder an die Integrationsagenda. Integration war damals noch viel weniger entwickelt. Es gab Sprachkurse, aber nicht viel mehr. Da hat sich einiges getan. Die Menschen wurden während der langen Zeit des Wartens auf einen Entscheid in den Unterkünften belassen und lebten dort teils über Jahre in einer ungewissen Zwischenwelt: Sollen sie sich hier integrieren, oder müssen sie bald schon wieder fort? Damit umzugehen, war für viele extrem schwierig.

Für Sie gab es also einen Fortschritt in eine positive Richtung?

Ich weiss, dass es auch Kritik gibt und genügend Verbesserungsmöglichkeiten, aber grundsätzlich ist es für die Betroffenen sehr wichtig, schnell zu wissen, wie es für sie weitergeht. Ausserdem haben wir auf Bundesebene die Integrationsagenda. Die Stadt Zürich war damals Vorreiterin, mittlerweile wird die Integration auch vom Bund finanziell unterstützt. Bis dieses Anliegen auf Bundesebene angekommen war, dauerte es allerdings sehr lange.

Also alles bestens in der Asylpolitik?

Das Asylwesen ist eines der umstrittensten Politikfelder. So schwingt das Pendel immer hin und her. Es gab natürlich auch Verschärfungen und neue Schwierigkeiten.

aus der Ukraine, aber für alle anderen «ja nicht zu attraktiv» sein zu wollen. Dies aus Angst vor den asyl-kritischen politischen Kräften. Ukrainische Flüchtlinge wurden mit offenen Armen empfangen und privat untergebracht, die Flüchtlinge aus allen anderen Weltregionen wurden als «irreguläre Migranten» abgestempelt, obwohl man weiss, dass im Moment rund 60 Prozent von ihnen ein Aufenthaltsrecht erhalten. So wurden einem schwierigen Narrativ Tür und Tor geöffnet.

In welche Richtung?

In Richtung von mehr Abschottung und weniger Integration; lieber nicht zu viel investieren, damit nicht zu viele bleiben. Wir laufen gerade Gefahr, dass das Pendel sehr stark in diese Richtung schlägt.

Wo zum Beispiel?

Gerade im letzten Jahr hat auf der Ebene des Bunds die Planung nicht gut funktioniert, bezüglich der Unterbringung hat er auch zu passiv und zu langsam reagiert, vielleicht auch aus einer bestimmten politischen Haltung heraus.

Wie meinen Sie das?

Ich spreche von der Haltung, zwar sehr offen zu sein für Flüchtlinge

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«Das Asylwesen ist eines der umstrittensten Politikfelder.»
Raphael Golta
Simon Spengler im Gespräch mit Stadtrat Raphael Golta.

Wie wollen Sie das verhindern?

Indem wir transparent aufzeigen, wie die Situation ist, dass wir vor gigantischen Herausforderungen stehen. Wir haben es mit der grössten Flüchtlingskrise seit dem 2. Weltkrieg zu tun. Ein riesiger Hosenlupf!

Dann hat die SVP also recht, wenn sie von «Asylnotstand» spricht?

Nein, gar nicht! Unsere zweite Botschaft muss viel mehr sein, dass wir diese Situation bewältigen können, wenn alle ihre Aufgaben erfüllen und ihren Job machen. Wir müssen nur wollen.

Geld wäre in Zürich ja genug da, oder?

Geld ist aktuell tatsächlich nicht das prioritäre Problem. Es mangelt mehr am klaren politischen Willen. Und wir haben eher Ressourcenprobleme zum Beispiel bei den Unterbrin-

gungsmöglichkeiten oder sehr stark auch bei der Rekrutierung von ausgebildetem Betreuungspersonal. Aber Geld steht nicht im Fokus. Nochmals: Bei uns sind ganz viele Menschen aus Afghanistan, Syrien oder aus der Türkei, die einen anerkannten Grund haben, zu flüchten. Wir müssen ihnen jetzt eine Perspektive bieten.

Wie nehmen Sie das Engagement der Kirchen im Flüchtlingsbereich wahr? Kirche ist für mich vor allem eine wichtige gesellschaftliche Stimme, die immer wieder anmahnt, dass wir es stets mit Menschen zu tun haben –und nicht mit «irregulären Migranten», «Wirtschaftsflüchtlingen» oder anderen Umschreibungen. Wir pflegen den Austausch mit den Kirchen.

Was könnten die Kirchen noch mehr tun?

Im Moment können wir Hilfe in allen Bereichen gebrauchen. Alle Initiativen, die den Menschen Strukturen und Austausch ermöglichen, sind sehr willkommen.

Die Kirchen leisten auch Seelsorge, in den Bundesasylzentren, neustens auch muslimische Imame. Wie wichtig ist die Seelsorge im Flüchtlingsbereich?

Je nach Herkunft und Kultur sind die Bedürfnisse natürlich unterschiedlich, aber ich bin sehr dankbar, dass die Religionsgemeinschaften diesen Dienst anbieten. Auch darüber, dass muslimische Seelsorge nun in den Bundeszentren etabliert werden konnte.

Sie haben mal Wahlwerbung gemacht mit dem Slogan: «Ich bin davon überzeugt, dass wir alle gewinnen, wenn die Schwächsten unserer Stadt bessergestellt werden!» Das tönt ja fast wie in der Bibel.

Ich denke dabei eher an Mani Matters Lied «Dene wos guet geit, giengs besser, giengs dene besser, wos weniger guet geit.» Aber ja, das ist der Ursprung meines ganzen politischen Engagements und meine tiefste Überzeugung. Deshalb empfinde ich es auch als Privilleg, dass ich im Sozialdepartement für die Menschen tätig sein darf, denen es nicht so gut geht.

«Wir haben es mit der grössten Flüchtlingskrise seit dem 2. Weltkrieg zu tun.»
Raphael Golta
Aus seinem Büro geniesst Raphael Golta eine fantastische Aussicht über «seine» Stadt.

«Die Stadt Zürich ist natürlich keine Insel, sondern Teil eines viel grösseren Geflechts.»

Sind Sie dieser Maxime schon näher gekommen?

Die Stadt Zürich ist natürlich keine Insel, sondern Teil eines viel grösseren Geflechts. Aber in einigen Bereichen haben wir doch etwas erreicht: Gerade konnten wir in Sachen Mindestlohn etwas tun für die Geringstverdienenden; wir haben im Bereich Ausbildung neue Qualifikationsmöglichkeiten geschaffen, damit Menschen mehr Chancen im Arbeitsmarkt haben; Zwangsmassnahmen im Sozialbereich wurden zurückgefahren zugunsten der Stärkung von Eigenmotivation; während Corona waren wir sehr aktiv; wir hatten die wirtschaftliche Basishilfe, die wir leider im Moment nicht fortführen können, und noch vieles mehr.

Andererseits finden viele Familien kaum mehr Wohnraum in Ihrer Stadt. Ja, ein grosses Problem, bei dem unsere Einflussmöglichkeit leider sehr begrenzt ist. Wir tun auch hier, was wir können. Kürzlich haben wir dem Parlament eine Vorlage zu den Energiekosten unterbreitet. Aber klar, wir führen hier einen Abwehrkampf.

Caritas Zürich ist im Sozialbereich auch sehr aktiv. Stehen Sie in Kontakt mit diesem kirchlich getragenen Hilfswerk? Kann der Caritas-Direktor unbürokratisch beim Departementsvorsteher anklopfen und eine Idee einbringen oder auf ein Problem aufmerksam machen?

Selbstverständlich kann er das, jeder Zeit! Ich habe erst kürzlich Björn Callensten (Direktor der Caritas Schweiz, Anmerkung der Redaktion) getroffen und diverse Anliegen besprochen. Gerade bei Corona und der wirtschaftlichen Basishilfe haben wir sogar sehr eng mit der Caritas zusammengearbeitet.

Was sagt Ihnen eigentlich ihr Name Raphael, der ja vom biblischen Erzengel kommt?

Es ist mein Namensvetter. Eine tiefere Bedeutung hat der Name für mich nicht.

In der jüdischen Tradition ist Raphael der Engel, der die Menschen begleitet, sie heilt und ihnen die Augen öffnet.

Ein sehr schönes Bild! Aber spätestens wenn es ums Heilen geht, sind die Mittel des Zürcher Sozialvorstehers dann doch begrenzt.

Danke für das Gespräch!

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Mani Matters musikalisches Engagement für Kleine und Benachteiligte haben Goltas politische Überzeugung geprägt.

Das Leben feiern, das möglich ist

Die Flüchtlingsströme aus Afrika, dem Nahen Osten sowie Syrien nach Europa und in die Schweiz reissen nicht ab.

Dazu kommen noch die Menschen aus der Ukraine.

Edith Weisshar, katholische Seelsorgerin, erzählt von ihren Begegnungen in den Bundesasylzentren, wo sie seit drei Jahren arbeitet.

Text und Fotos: Sibylle Ratz

Wenn sie sich auf den Weg ins Bundesasylzentrum (BAZ) nach Embrach macht, hat Edith Weisshar keinen bestimmten Plan. «Als Seelsorgende sind wir hier immer willkommen. Meine Arbeit ist eigentlich unspektakulär. Ich bin offen und vertraue auf das, was kommt. Aber ja, man muss schon viel aushalten», erzählt sie. Sie ist eine von mehreren Personen des interreligiös zusammengesetzten Seelsorgeteams, das im BAZ präsent ist. Im Team sind zwei christliche und zwei muslimische Seelsorgende vertreten.

Trauerarbeit leisten

Die Menschen sollen schnell und unkompliziert zuallererst einmal ein Bett, ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen haben. Das sei grundsätzlich auch richtig und wichtig, sagt Edith Weisshar. Viele Aspekte würden dabei aber untergehen. In der Hektik, in der Masse, sehe man den Einzel-

Erwartungen und ist einfach da.

nen gar nicht mehr. Auch die Mitarbeitenden vor Ort kämen zeitweise an ihre Grenzen. «In dieser Hektik Ruhe zu finden ist anspruchsvoll.» Bei den Flüchtlingen sei auch viel Trauerarbeit zu leisten. «Sie haben ihr Zuhause verlassen, Freunde und Familie zurücklassen müssen, auf der Flucht Schlimmes erlebt.» Sie sei immer wieder einmal an einem Punkt, an dem sie jemanden einfach am liebsten mit nach Hause nehmen würde, gesteht sie.

Bei abgelehnten Fällen habe sie auch Mühe. «Es kommt schon vor, dass ich abends weine, weil mir Geschichten und die Erlebnisse der Menschen nahe gehen.»

Ruheinseln schaffen

Die Seelsorgenden haben sowohl für die Flüchtlinge wie auch für die Mitarbeitenden ein offenes Ohr. Es sei wichtig, Inseln der Ruhe zu schaffen. Das gelinge in der Regel nur schon durch die eigene Präsenz als jemand, der von aussen komme und keinerlei Ansprüche habe. Auf die Motivation für ihr spezielles Engagement angesprochen, meint Edith Weisshar: «Ich arbeite hier, weil es nötig ist, weil ich das gerne mache und ich dafür ausgebildet bin.» Für eine gelingende Seelsorge müsse man zuverlässig, offen und präsent sein sowie Zeit haben. «Ich gebe den Menschen einen eigenen, neuen Raum, in dem auch Stille möglich ist.»

Sie habe sich angewöhnt, nicht zu viel zu fragen. «Ich begegne den geflüchteten Personen als Mensch und will wissen, wie es ihnen geht.» Sie brauche keine Fakten. Es gehe darum, möglichst feinfühlig und wertschätzend da zu sein und die Botschaft zu vermitteln: «Du gehörst dazu.» Und in all dem Traurigem, Schwerem und in der Ungerechtigkeit zu sehen, was positiv sei, was trotz allem möglich ist.

Im Gebet verbunden

Montags bis freitags ist jemand vom Seelsorgeteam im BAZ vor Ort. Das Personal kann die Seelsorgenden auch ausserhalb dieser Zeiten erreichen. Jeder Tag ist anders und von Woche zu Woche gibt es Neuankömmlinge. Edith Weisshar schildert, wie schwierig es sei, immer wieder loszulassen. Von den einen könne sie sich verabschieden, wenn ein Wechsel bevorstehe, von anderen nicht. «Mir hilft das Gebet. Ich habe viele Menschen, die für mich beten. Und ich bete für sie. Ich bleib ihnen im Gebet verbunden.»

Der Kontakt zur Zivilgesellschaft und zur örtlichen Pfarrei sei ihr in der Arbeit auch eine enorme Stütze. So konnte beispielsweise auf unkomplizierte Weise einer Person das Klavierspielen im Kirchgemeindehaus ermöglicht werden. Das Miteinander helfe, Entscheide auszuhalten. Vor Weihnachten erfuhr Edith Weisshar, dass es keine Geschenke gibt, so wie in anderen Jahren. «Mit viel Unterstützung konnte ich kurzfristig über 500 Schals in allen Farben für das Fest organisieren. Es war eine kleine Geste, aber sie hatte eine enorme Wirkung, und die Schals haben nicht nur um den Hals Wärme gegeben, sondern auch in den Herzen. Trotz all den Sorgen werde ich bei meinen Einsätzen im BAZ reich beschenkt und gestärkt.»

Humanitäre Korridore

Papst Franziskus hat im März in einer Audienz eine Delegation von Flüchtlingen und Vertriebenen empfangen, die dank «humanitärer Korridore» nach Italien und Europa gekommen sind. Seit 2016 wurden in Italien und dann auch in Frankreich, Belgien und Andorra diese Korridore eingerichtet. Es ist ein Programm der Gemeinschaft Sant’Egidio in Zusammenarbeit mit der Italienischen Bischofskonferenz, Caritas und mit den protestantischen Kirchen Italiens. Über dieses Programm wird Flüchtlingen aus Syrien und Gegenden der Subsahara in Afrika in vulnerablen Umständen ein humanitäres Visum ausgestellt, damit sie auf Kosten der Trägerorganisation in Strukturen oder Häuser aufgenommen und bei der Integration begleitet werden. In der Zeit von 2006 bis heute konnten so rund 6‘000 besonders gefährdete Personen sicher nach Europa gelangen. Die meist vertretenen Herkunftsländer der Geflüchteten sind Syrien (70 Prozent) und Eritrea (15 Prozent), gefolgt von Afghanistan, Somalia, Südsudan, Irak und Jemen.

Beim Namen nennen

Seit 1993 sind mindestens rund 50‘000 Menschen beim Versuch, nach Europa zu flüchten, gestorben. Viele sind im Mittelmeer ertrunken. Für die meisten Flüchtlinge ist Europa eine Festung. An den europäischen Aussengrenzen leben aktuell hunderttausende Menschen in erbärmlichen Verhältnissen und Lagern. Die Aktion «Beim Namen nennen» fühlt sich diesen Menschen verpflichtet. Im Vorfeld des internationalen Flüchtlingstages werden hunderte Namen von auf der Flucht verstorbenen Menschen auf Zettel geschrieben. Diese Zettel werden an verschiedenen Orten installiert. Im deutschsprachigen Raum werden diese Aktionen in zahlreichen Städten durchgeführt. Aktionswochenende 2023 ist am Samstag, 17. Juni, und Sonntag, 18. Juni.

Begegnungen im BAZ

Die ersten Wochen und Monate verbringen Asylsuchende in der Schweiz in Bundesasylzentren. Der Alltag in diesen anonymen Unterkünften ist geprägt von Unsicherheit, fehlender Privatsphäre, Langeweile und Isolation. Verschiedene Organisationen engagieren sich im Rahmen von Projekten und mit Freiwilligen zur Verbesserung der Lebensbedingungen von geflüchteten Menschen im Kanton Zürich. Die Begegnungen zwischen den Menschen stehen im Zentrum.

So gibt es beispielsweise Angebote von Young Caritas (siehe Seite 12)

Eine weitere Organisation ist der Verein Solinetz. Er setzt sich für die Würde und Rechte jener Menschen, die aus politischer oder existentieller Not in der Schweiz Zuflucht suchen. Der gemeinnützige Verein wird durch das Engagement zahlreicher Freiwilliger getragen.

www.beimnamennennen.ch

www.youngcaritas.ch

www.solinetz-zh.ch

Schauen Sie sich um, wenn Sie auch einen Beitrag leisten möchten.

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Wo die Kirche auch noch ist -
ten.

Einsatz in den Asylzentren

« youngCaritas Zürich ist der Jugendbereich der Caritas Zürich.

Nebst dem Bildungsbereich, in dem die Sensibilisierung zum Thema «Armut in der Schweiz» im Vordergrund steht, engagieren sich über 70 Freiwillige zwischen 16 und 30 Jahren in fünf verschiedenen Projekten. Drei der fünf Projekte finden mit Menschen statt, die aktuell in Bundesasylzentren (BAZ) im Kanton Zürich wohnhaft sind.

Die Kochtage «Taste the World» finden einmal im Monat statt. Essen selbst zuzubereiten und das zu essen, was man auch wirklich gerne hat, ist für die meisten von uns etwas Alltägliches. Doch für die Bewohnenden des BAZ Duttweiler ist das eine grosse Seltenheit. Ziel des Projekts ist es, den Menschen einen Tag der Selbstbestimmung im sonst sehr fremdbestimmten Asylkontext zu ermöglichen. Es wird gemeinsam eingekauft und in der Grossküche der reformierten Kirchgemeinde Oberstrass gekocht und gegessen. Am Abend entsteht jeweils ein grosses Buffet mit ganz unterschiedlichen Gerichten. Die Nachfrage ist extrem gross. Wir können

maximal 80 Personen mitnehmen, hatten aber auch schon 300 Personen, die gerne mitgekommen wären. Organisiert werden die Kochtage von sieben bis zwölf Freiwilligen von youngCaritas Zürich. Das Projekt «Spiel mit!» organisiert Spielnachmittage mit den Kindern und Jugendlichen aus dem BAZ Dübendorf und findet drei Mal im Monat statt. Es wird gebastelt, es werden Brett- und Outdoor-Spiele gespielt, dazwischen gibt es einen feinen Zvieri.

Die Stärke unserer Projekte sehe ich einerseits in der offenen Struktur, die sehr viel Raum für spontane Ideen bietet, und andererseits in der Grundidee, einen Ort für Zusammensein und Austausch zu schaffen.

Die Projekte fördern die gesellschaftliche Teilhabe durch gemeinsames Zusammensein, sei es durch Kochen, Essen, Spielen, Basteln oder Sport Aktivitäten. Durch die Projekte werden unterschiedlichste Menschen miteinander vernetzt. Die individuellen Ressourcen aller werden durch das Zusammensein an einem Ort, wo man sich wohlfühlt und sich in einem geschützten Rahmen aufhalten kann, gestärkt.»

Das neuste Projekt ist der «Sporttreff». Dieser richtet sich an unbegleitete Minderjährige (Mineurs non accompagnés; MNA) aus dem BAZ Embrach. Jeden zweiten Mittwochabend finden verschiedene Sportaktivitäten statt. Nach gemeinsamen Aufwärm- und Kraftübungen wird in Kleingruppen getanzt, Volleyball, Fussball, Hockey oder Frisbee gespielt.

Ziel ist es, das Empowerment sowohl auf der Seite der Freiwilligen wie auch auf der Seite der Teilnehmenden zu stärken. Interessierte Freiwillige können sich gerne bei uns melden. Wir freuen uns auf neue Ideen, kreative Köpfe und tatkräftige Unterstützung.

www.youngcaritas.ch/ aktiv-werden/

Engagiert
Junge Menschen wollen sich bei sinnvollen und sozialen Projekten engagieren. youngCaritas bietet dazu gute Möglichkeiten. Rosa-Lynn Rihs, Projektleiterin youngCaritas Zürich

Veranstaltungstipp Klostermarkt Zürich

Am 5. und 6. Mai findet im Zürcher Hauptbahnhof ein grosser Klostermarkt statt. Freitag und Samstag von jeweils 11 bis 19 Uhr versammeln sich Mitglieder von rund zwanzig Klöstern und Ordensgemeinschaften aus der Schweiz sowie dem weiteren deutschsprachigen Raum in der grossen Halle des Hauptbahnhofs Zürich und bieten ihre Produkte zum Verkauf an. Daneben gibt es spannende kulturelle und handwerkliche Begleitveranstaltungen sowie eine kleine Gastronomie zum Verweilen sowie für einen Schwatz mit Ordensleuten.

Freitag, 5. Mai und Samstag, 6. Mai 2023 jeweils 11 bis 19 Uhr. www.klostermarkt.org

Mein Hobby

Keiner stapelt schneller als Lukas Frank, Lagerleiter in Hausen am Albis.

«Eine Pyramide aus drei Bechern aufbauen, dann eine aus sechs Bechern und nochmals eine aus drei Bechern, anschliessend alles wieder abbauen. Ich brauche dafür rund 2,5 Sekunden. Denn seit mehr als zehn Jahren trainiere ich schon Sport Stacking – oder auf Deutsch Becherstapeln. Nach der Jugi suchte ich eine neue sportliche Herausforderung und fand in meiner Nähe eine passende Trainingsgruppe. Da hat mich das Becher-Virus voll gepackt.

Filmtipp

Unser Vater

Toni war Priester. Nachdem er an verschiedenen Orten mehrere Frauen geschwängert hat, entzieht ihm der Bischof das Priesteramt. Er wird Beizer und ist weit herum bekannt. Nach der Beerdigung Tonis bricht das Schweigen. Sechs Priester-Kinder lernen sich kennen und treffen sich mit Bischof Joseph Maria Bonnemain. Miklós Gimes dokumentiert vaterlose Biografien, tapfere Mütter und fatales Schweigen.

Kinostart am 6. April. www.unservater.ch

Beim Sport Stacking geht es darum, vorgegebene Abfolgen mit speziell geformten Plastikbechern auf- und wieder abzubauen – und dies so schnell wie möglich. Erfunden wurde die Sportart in den 1980er-Jahren von einem amerikanischen Lehrer. Er erkannte, dass regelmässiges Stapeln die Verknüpfung der beiden Gehirnhälften fördert und sich die Auge-Hand-Koordination und die Reaktionsfähigkeit merklich verbessern.

Mittlerweile bin ich mehrfacher amtierender Schweizermeister im Sport Stacking und durfte auch schon an Weltmeisterschaften teilnehmen. Nach wie vor trainiere ich in der Trainingsgruppe des TSV Concordia Baar. Ich bin dort auch als Hilfsleiter tätig und gebe meine Tipps an den Nachwuchs weiter.

Das Arbeiten mit Kindern macht mir sehr viel Spass. Im Sommer habe ich die Ausbildung zum Primarlehrer begonnen und seit sechs Jahren bin ich als Leiter im Sommerlager der Pfarrei Herz-Jesu in Hausen dabei.

Sport Stacking als Sportart fasziniert mich, weil man neben flinken Fingern und Schnelligkeit auch Ruhe und Nervenstärke braucht. Schon durch kleinste Fehler und Unaufmerksamkeiten verliert man wichtige Hundertstel- oder gar Tausendstelsekunden.

April 2023 13 Unsere Kirche
Lukas Frank ist Schweizermeister im Sport Stacking.

Ihre Stimme für eine stimmige Kirche

Im Juni können die Mitglieder der Katholischen Kirche im Kanton Zürich über die neue Kirchenordnung (KO) abstimmen. Seit der letzten Teilrevision von 2009 gab es Änderungen im Kirchengesetz und bei Erlassen. Ausserdem hat der Kanton Zürich sein Kirchengesetz 2018 geändert. Da die «Verfassung der Körperschaft» bereits seit zwölf Jahren besteht, wurde sie zudem gemäss den heutigen Anforderungen überarbeitet.

In einem Parlament mit 100 Synodalen über ein stark juristisches Regelwerk zu debattieren, war sicherlich eine Herausforderung. Da war einmal die grosse Zahl von Artikeln oder Paragrafen, die zu behandeln war. Es ging dabei nicht nur um die KO, sondern auch um die Teilrevisionen des Kirchgemeindereglements und des Reglements über die Wahl der Pfarrer und Pfarreibeauftragten.

Sehr geschätzt habe ich, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Synodalrat und der Geschäftsleitung offen, transparent und zielgerichtet war. Die Behandlung im Rat lief engagiert und «gesittet». Eindrücklich war auch die praktisch einstimmige Zustimmung des Parlaments zu allen drei Vorlagen. Die KO ist die Basis für die Tätigkeit in den Kirchgemeinden.

Deshalb ist es wichtig, dass diese von den Mitgliedern der Kirche auch getragen wird und die Abstimmung eine Mehrheit bekommt. Sie bringt wichtige strukturelle Erneuerungen und Voraussetzungen für die Entfaltung des kirchlichen Lebens. Sie sorgt für mehr Gleichberechtigung, mehr Nachhaltigkeit, mehr Autonomie, Flexibilität und Gleichbehandlung bei den Kirchgemeinden und Synodalen.

Auch Frauen und nicht geweihte Männer können künftig aus dem pastoralen Seelsorgekapitel in den Synodalrat gewählt werden. Eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit, in der katholischen Kirche jedoch ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Ausserdem beschloss die Synode eine Anpassung, die eine echte Gleichberechtigung der Geschlechter fordert und zu einer Weiterentwicklung des kirchlichen Rechts mahnt. Die Synode will sich in wesentlichen Fragen mutiger in den gesellschaftspolitischen und sozialethischen Diskurs einbringen.

Die neue KO schafft Klarheit und Einheitlichkeit auf der staatskirchenrechtlichen Ebene. Sie justiert neu das Zusammenspiel im dualen System der katholischen Körperschaft, nimmt rele-

vante gesellschaftliche Entwicklungen frühzeitig auf und versucht, mit gesellschaftlichen Exponenten aktiv in einen Dialog zu treten.

Die Kirchenordnung bildet die verfassungsmässige Grundlage für das Wirken der katholischen Kirche im Kanton Zürich. Die Körperschaft schafft dabei die notwendigen Voraussetzungen für die Entfaltung des kirchlichen Lebens u.a. auf der Ebene der Kirchgemeinden sowie in der Unterstützung von sozialen, seelsorgerlichen und bildungsmässigen Aufgaben im In- und Ausland. Sie regelt die Zusammenarbeit zwischen der kirchlichen und der staatskirchenrechtlichen Seite und fördert die Ökumene und den interreligiösen Dialog.

Perspektiven
dazu auf, sich im Juni aktiv an der Abstimmung zur neuen Kirchenordnung zu beteiligen. Felix Caduff, Präsident der Katholischen Synode

Neue alte Heimat

Herr Zogg spielt auf seiner Mundharmonika «Es Buurebüebli» und «Oberschlesien, mein Heimatland». Frau Petrenko, die bei ihm auf dem Sofa sitzt, summt leise mit. Draussen bläst die Bise.

In einer Pause schweifen Herrn Zoggs Gedanken in die Ferne. Mit zitternder Stimme beschreibt er die Ereignisse: Seine Familie – Schweizer Auswanderer des 19. Jahrhunderts – waren 1945 unter Androhung von Gewalt mit vielen anderen vertrieben worden. Vorher hatte er erlebt, wie seine Schule an einem sonnigen Mittwochmorgen zerbombt worden war. Die Männer waren an der Front. Darum hatte er, der einen Traktor zu bedienen wusste, an jenem Morgen Baumaterial zum Bahnhof fahren müssen, statt in die Schule zu gehen.

Die Rettung erwies sich ohne schweres Gerät als unmöglich. Als Einziger sei er lebend davongekommen. In seinem Erzählen spiegeln sich Schock und Trauer, Dankbarkeit und Überlebensschuld. Schliesslich hatten roter Pass und Todesmut die Zoggs aus den endlosen Flüchtlingsströmen im Transportzug durch das Labyrinth des zerstörten Schienennetzes in die fremde Heimat Schweiz geführt. In einem Flüchtlingsheim seien sie interniert worden, erzählt Herr Zogg. Er schluckt und räuspert sich. Die Mundharmonika sei ihm geblieben –und die Musik.

Was uns Heimat gibt, besprechen wir bei Milchkaffee und Schoggicreme. Vom Loslassen, von den grossen Vertreibungen und von der kleinen, die der Weg ins Pflegeheim für manche bedeutet. Was bleibt? Was nimmst du mit? Was ist es, das die Katastrophen eines Menschenlebens überdauert?

Schweigend trinkt Frau Petrenko ihren Kaffee. Das Krankenhaus in Mariupol, wo ihr Hirntumor behandelt worden war, existiert nicht mehr. Unter dramatischen Umständen ist die Mutter von zwei Teenagern in die Schweiz gekommen. Tun kann man nichts mehr gegen den Tumor, sagten die Ärzte, aber ein wenig Frieden und Heimat geben könne man ihr noch… «Heimat?» Das Wort brennt in meinem Herzen.

Später sitzen wir allein da, Frau Petrenko und ich. Wir haben den gleichen Jahrgang. Ihre Sorge gilt den Kindern, die bald ohne Mutter sein werden, und dem Mann, von dem sie monatelang nichts gehört hat. «Vielleicht sterbe ich vor ihm, vielleicht auch nicht», versteht mein rostiges Russisch, «ich hoffe, Gott wird ihn beschützen!» Ich höre zu, und stimme ein in ihr Gebet: «Ja, Gott möge ihn beschützen!» Am liebsten möchte ich sie fragen, ob es etwas gibt, was ihr noch Heimat und Geborgenheit geben könnte. «Absurd», denke ich und schweige. Viel Kraft hat Frau Petrenko ja nicht zum Gespräch.

Herr Zoggs Mundharmonika erzählt von Bergen und vom Alpenglühen und es klingt wie ein Vermächtnis, als Frau Petrenko schliesslich sagt: «Meine Heimat ist hier». Sie legt beide Hände auf ihr Herz. «Hier drin ist die Liebe. Hier drin ist Gott.» Ob ihre Kinder diese Weisheit von ihr wüssten, frage ich bewegt. Frau Petrenko lächelt: «Sagen Sie es ihnen, wenn ich gestorben bin. Von Ihnen werden sie es vielleicht hören können.»

Seelen-Nahrung
Susanne Altoè ist Seelsorgerinzentrum Dielsdorf und im Palliativdes Spitals

Von «Laetare Jerusalem» zu Mittefasten in Unterengstringen

Der Schluss des Buches Jesaia eröffnet dem gedemütigten Volk Gottes vor der Rückkehr aus dem babylonischen Exil die Perspektive eines Neubeginnes in Jerusalem: Freu dich Jerusalem, und tanzt einen Freudentanz alle, die ihr diese Stadt liebt ... Die Kirche greift im Introitus des vierten Fastensonntages diese Worte auf; die Einleitung Laetare gibt dem Tag seinen Namen. Ähnliches gilt für den dritten Adventssonntag Gaudete. Nachdem jeweils die Hälfte der Buss- und Fastenzeit bewältigt ist, hellt sich der Horizont auf und die Augen richten sich auf das kommende Hochfest. Die Liturgie unterstreicht den Stimmungswandel indem an diesem Tag der Priester an der Stelle des düster-violetten Fastengewandes eine heller schimmernde Farbe trägt, wofür die Weberin in der Paramentenwerkstatt des Klosters Fahr

den violetten Schussfaden durch weisse Kettenfäden gezogen hat und sich so violett zu rosarot verwandelt.

An einigen Orten hat sich der ausgenommene Fasttag mit Frühlingsbrauchtum verbunden: Verbrennung einer Winterfigur, Vertreibung böser Naturgeister durch Lärm und Licht sowie die Verabschiedung künstlicher Lichtquellen, da inzwischen das Tageslicht für die Arbeit ausreichte. Mit der Aufhebung des Fastengebotes haben die Reformatoren allerdings auch dem Mittefasten die Grundlage entzogen ... In Unterengstringen, damals einem kleinen Aussenweiler der Gemeinde Weiningen, haben die Bauern trotz der Glaubensspaltung ein pragmatisches Einvernehmen mit dem benachbarten Kloster Fahr bewahrt. Gründe dafür mögen in der unerlässlichen Zusammenarbeit in Schmiede und Müh-

le, Trotte und Weinberg gelegen haben. Der Klosterbetrieb hielt den Zuchtstier und verfügte mit der Klostertaverne über den geeignetsten Raum für grössere Zusammenkünfte: die Mittefastenstube. So verbrannten die «Eischtriger» weiterhin am Wochenende von Laetare einen Böögg, dessen Bezeugung älter ist als in Zürich und der von der Dorfjugend jedes Jahr neu und anders entworfen wird. Es leuchtet und knallt; ein Lichterschiffchen wird auf der Limmat flussabwärts entlassen und zur Vorhersage des Sommerwetters beobachtet. Speis und Trank erfreuen jung und alt.

An der Textstelle Jesaia 66,10 in der griechisch geschriebenen Septuaginta lautet der Jubelruf «Panägyrísate», was aussagt: «Feiert ein Volksfest!» – Die Nachbarn des Klosters haben das seit eh und je kapiert.

Ausläuten
Rosafarbenes Messgewand für den Laetare-Sonntag.

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