Amnesty Journal Juli/August 2021

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Ein langer Weg

Zeichnung: André Gottschalk

Manasi Pradhan musste kämpfen, um als Mädchen im ländlichen Indien eine höhere Schulbildung zu erhalten. Heute hilft sie anderen dabei – und engagiert sich auch gegen sexualisierte Gewalt. Von Lea De Gregorio

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ünfzehn Kilometer musste Manasi Pradhan als Mädchen gehen, um zur nächsten weiterführenden Schule zu gelangen. Es war ein gefährlicher Weg. »Ich musste mehrere Flüsse überqueren«, sagt sie. Pradhan hatte keine Schuhe und lief barfuß durch den Wald. Die 58-Jährige wuchs in einem Dorf bei Banapur im Bundesstaat Odisha auf, in dem die Infrastruktur schlecht war und es kaum ausgebaute Straßen gab. Doch Pradhan ließ sich davon nicht abhalten. »Ich war das einzige Mädchen aus meinem Dorf, das auf eine weiterführende Schule ging«, berichtet sie. Auf ihre Bildung ist sie stolz. Doch nicht alle im Dorf unterstützten sie. »In unserer Region gehört es nicht zur Tradition, dass Mädchen zur Schule gehen.« Ihre Mutter ermutigte Pradhan, obgleich sie selbst keine Bildung genossen hatte und Hausfrau war. Ihr Vater arbeitete als Bauer.

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»In den ländlichen Gegenden sind viele Frauen ungebildet und arbeiten als Hausfrauen«, sagt Pradhan. Für viele von ihnen endet die Ausbildung nach der 5. Klasse oder früher. Pradhan beschloss, auch andere Mädchen zu ermutigen, auf weiterführende Schulen zu gehen und zu studieren. »Bildung ist wichtig, um die eigenen Rechte zu kennen und auf eigenen Füßen zu stehen«, sagt sie. 1987 gründete sie die Organisation OYSS Women, die Aufklärungsarbeit leistet und Frauen auf ihrem Bildungsweg bestärkt. Pradhan studierte Literatur, Ökonomie und Jura. Sie gründete ein Literaturmagazin und veröffentlichte Gedichte. Eine Zeit lang arbeitete sie in einer Bank. Ihr Vater war damals schon sehr alt, und ihre Mutter litt an einer Krebserkrankung. »Ich hatte die Pflicht, für meine Familie da zu sein.« Dank ihrer Ausbildung konnte sie alle ernähren. Doch Bildung ist nicht das einzige Ziel, für das sich Pradhan stark macht. »Ich möchte für eine Gesellschaft kämpfen, die Frauen mit Respekt begegnet.« Mit ihrer Organisation setzt sie sich auch gegen sexualisierte Gewalt ein. In unterschiedlichen Einrichtungen finden Betroffene Schutz. Häufig würden sie von ihren Familien verstoßen: Viele geben den Frauen die Schuld an den Verbrechen, die sie erleben. In ihrem Engagement bestärkt wurde Pradhan von den Demonstrationen nach einer über die Grenzen Indiens hinweg bekannt gewordenen Massenvergewaltigung in Neu-Delhi vor neun Jahren. Pradhan gründete 2014 Nirbhaya Vahini, einen Zusammenschluss aus 10.000 Ehrenamtlichen, die sich dafür einsetzen, Gewalt an Frauen zu beenden. 2009 hatte sie bereits eine landesweite Bewegung gestartet, aus der Nirbhaya Vahini hervorging. Für ihr Engagement wurde die Feministin mehrfach ausgezeichnet. Ihre Organisation OYSS Women mit Sitz in Neu-Delhi hat Außenstellen in unterschiedlichen Regionen Indiens. Besonders wichtig ist Pradhan nach wie vor das Engagement für Frauen auf dem Land. Während Frauen in den Städten es leichter haben, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, sieht es in ländlichen Regionen bis heute anders aus. Doch auch dort hat sich etwas getan: »Inzwischen haben zwei weitere Frauen aus meinem Dorf einen Universitätsabschluss«, erzählt Pradhan. »Das macht mich sehr glücklich.« Es seien aber immer noch zu wenige. Pradhan spricht von einem langen Weg. Doch ihr eigener Werdegang zeigt, was möglich ist. »Man kann alles schaffen«, sagt sie mit lauter Stimme. Wichtig sei, die Hoffnung nicht zu verlieren und stark zu bleiben. Dies gelte nicht nur für Frauen in Indien, sondern auf der ganzen Welt.

AMNESTY JOURNAL | 04/2021


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