Level Playing Field im internationalen Wettbewerb

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Level Playing Field im internationalen Wettbewerb – Handlungsfähigkeit der EU erhöhen Von Wettbewerbsrecht bis Handelsrecht – Für effektivere Instrumente

Mai 2021 Kernforderungen ▪ Für die Europäische Union (EU) sind internationaler Handel und internationale Investitionen zu fairen Rahmenbedingungen Voraussetzung für die Sicherung von Wachstum, Nachhaltigkeit und Arbeitsplätzen. Die EU braucht hierzu einen effektiven und ausgewogenen Instrumentenkasten, der im Sinne europäischer Export- und Importinteressen ein Level Playing Field im globalen Wettbewerb sicherstellen kann und den sich ändernden Rahmenbedingungen im internationalen Handel entspricht. ▪ Internationale Handelsregeln und Wirtschaftspartnerschaftsabkommen der EU mit Drittstaaten müssen stärker durchgesetzt und der Binnenmarkt vor unfairem Wettbewerb durch Dritte geschützt werden. Bei der Ausgestaltung darf die EU dabei dem internationalen Trend zu Protektionismus keinen Vorschub leisten, sondern muss sich diesem strategisch entgegenstellen. Die EU sollte auf internationale Kooperationen, regelbasierten und freien Handel und Investitionen mit ihren Wirtschaftspartnern setzen. ▪ Für eine robuste und durchsetzungsstarke EU-Handelspolitik unter dem Leitgedanken der offenen strategischen Autonomie sollte dies bedeuten: – Offen: Ein multilateral geregelter Welthandel muss der Königsweg europäischer Handelspolitik bleiben. Eine Reform, Stärkung und Weiterentwicklung der Welthandelsorganisation (WTO) ist erforderlich. Gerade in der Folge der Covid-19-Pandemie muss die EU mit gutem Beispiel vorangehen und sich gegen zunehmenden Protektionismus und für Offenheit der Märkte einsetzen. Konkret bedeutet dies zum Beispiel, weitere europäische Handelsabkommen zu verhandeln, die Drittmärkte öffnen. Investitionskontrollen dürfen nicht industriepolitisch motiviert sein. Die EU sollte für Investitionen aus Drittmärkten geöffnet bleiben. – Strategisch und autonom: Die EU muss ihre globale Führungsrolle durch strategische Bündnisse mit zentralen Partnern weiter stärken und ausbauen. Auch geoökonomische Ziele sind dabei zu berücksichtigen. Zudem muss die Handelspolitik der EU durchsetzungsstark sein, um ein internationales Level Playing Field für europäische Wirtschaftsbeteiligte sicherzustellen. Hierzu bedarf es effektiver und ausgewogener Instrumente, die europäische Unternehmen zum Beispiel Matthias Krämer | Außenwirtschaftspolitik | T: +49 30 2028 1562 | m.kraemer@bdi.eu | www.bdi.eu Anna Kantrup | Außenwirtschaftspolitik | T: +49 30 2028 1526 | a.kantrup@bdi.eu | www.bdi.eu Eckart von Unger | Außenwirtschaftspolitik | T: +32 2 792 1020 | e.vonunger@bdi.eu | www.bdi.eu


vor unfairem Marktverhalten schützen und es ermöglichen, in Abkommen getroffene Vereinbarungen und internationale Regeln durchzusetzen. Konkret bedeutet dies zum Beispiel, dass sich ein europäisches Instrument zum Schutz vor extraterritorialen Wirtschaftszwängen (Anti-Coercion Instrument) im Rahmen multilateraler Prinzipien bewegen muss. Zudem gilt es, zügig ein International Procurement Instrument zu schaffen, das Drittmärkte öffnet, ohne auf dem Binnenmarkt zu mehr Bürokratie und ungerechtfertigter Diskriminierung zu führen. Autonomie darf dabei keinesfalls mit Autarkie verwechselt werden. Europa muss angemessen selbstbestimmt handeln können, ohne aber die etablierte, effiziente und wohlstandsschaffende Arbeitsteilung in der Weltwirtschaft insgesamt zu gefährden.


Inhaltsverzeichnis Offene Strategische Autonomie – der Kontext ................................................................................ 1 Instrumente für ein strategisch autonomes, offenes Europa ......................................................... 2 Öffentliche Ausschreibungen und Vergabeverfahren: Das International Procurement Instrument ...... 3 Wettbewerbsverzerrungen durch Drittstaatssubventionen ................................................................... 7 Anti-Coercion Instrument..................................................................................................................... 12 EU-Durchsetzungsverordnung (Enforcement Regulation) .................................................................. 15 Exportkontrolle .................................................................................................................................... 17 Antidumpingverfahren im Güterhandel ............................................................................................... 20 Antisubventionsverfahren im Güterhandel .......................................................................................... 23 Das Safeguardinstrument .................................................................................................................... 27 Investment Screening .......................................................................................................................... 31 Annex: Die Europäische Union in der Welt .................................................................................... 34 Impressum ......................................................................................................................................... 38


Offene Strategische Autonomie – der Kontext Seit dem Frühjahr 2020 wird in Europa intensiv über das Konzept einer „offenen strategischen Autonomie (Open Strategic Autonomy)“ der Europäischen Union diskutiert; oft im Zusammenhang mit dem globalen Systemwettbewerb zwischen offenen Marktwirtschaften und staatsgetriebenen Modellen. Weitere Themen sind in diesem Zusammenhang die Krise der Welthandelsorganisation (WTO), die vermehrte Nutzung von unilateralen Maßnahmen, zum Beispiel durch die Vereinigten Staaten, sowie die zunehmende Rückkehr zu wirtschaftlichem Nationalismus. Die Folgen der Coronapandemie nehmen ebenfalls eine besondere Rolle in der Debatte ein. Im Fokus dieser Debatten steht der Wettbewerb auf Augenhöhe, das sogenannte Level Playing Field, für europäische Wirtschaftsbeteiligte. Um die Implementierung und Durchsetzung der Handelsregeln der EU gegenüber Handelspartnern sicherzustellen, welche den Wettbewerb auf Augenhöhe garantieren sollen, wurde das Amt des Chief Trade Enforcement Officer (CTEO) geschaffen. Der CTEO ist gleichzeitig stellvertretender Generaldirektor der Generaldirektion Handel der Europäischen Kommission. Zu den Aufgaben des CTEO gehören unter anderem die Stärkung der Umsetzung der multilateralen, regionalen und bilateralen Handelsabkommen der EU, die Überwachung der handelspolitischen Schutzmaßnahmen der EU sowie die Koordinierung von Streitbeilegungsverfahren zwischen der EU und Drittstaaten (unter Regeln der WTO und europäischen Handelsabkommen). Das Amt hat seit Sommer 2020 Denis Redonnet inne.1 Die tatsächliche Wirksamkeit dieses Amtes muss sich jedoch erst zeigen. Die EU-Handelspolitik soll demnach künftig im Zeichen der europäischen offenen strategischen Autonomie stehen. So verdeutlichte der im Oktober 2020 benannte europäische Handelskommissar, der auch Vizepräsident der Europäischen Kommission ist, Valdis Dombrovskis, dass dies das Leitprinzip sei und zeige, dass die EU ihre globalen Führungsambitionen in einer Reihe von Bereichen stärken und Bündnisse und strategische Partnerschaften aufbauen wolle. Laut Kommissar Dombrovskis bedeute das Konzept der offenen strategischen Autonomie, das europäische „Bekenntnis zu freiem und fairem Handel zu bekräftigen und einen härteren, durchsetzungsstärkeren Ansatz zum Schutz unserer Unternehmen und Verbraucher zu verfolgen, insbesondere durch stärkere Schutzmaßnahmen und Durchsetzung“.2 Auch in dem im November 2020 veröffentlichten strategische Plan der Generaldirektion Handel (DG Trade) für die Jahre 2020 bis 2024 nimmt das Konzept der offenen strategischen Autonomie eine zentrale Rolle ein.3 In der im Februar 2021 abgeschlossenen Überprüfung der EU-Handelspolitik (Trade Policy Review) definiert die Europäische Kommission den Ansatz der offenen strategischen Autonomie als „die Fähigkeit der EU, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und die Welt um sie herum durch Führungsstärke und Engagement zu gestalten, wobei ihre strategischen Interessen und Werte zum Ausdruck kommen“. Die internationale Zusammenarbeit soll weiterhin das bevorzugte Mittel darstellen. Hierfür ist die Offenheit der Europäischen Union zentral, denn sie „bringt Wohlstand, Wettbewerbsfähigkeit

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Europäische Kommission, Chief Trade Enforcement Officer, <https://ec.europa.eu/trade/trade-policy-and-you/contacts/chieftrade-enforcement-officer/> (eingesehen am 27.11.2020). 2 Europäische Kommission, European Parliament: Speech by EVP Dombrovskis at Trade Policy Day “A Renewed Trade Policy after the Covid-19 Pandemic”, 12. Oktober 2020, <https://ec.europa.eu/commission/commissioners/2019-2024/dombrovskis/announcements/european-parliament-speech-evp-dombrovskis-trade-policy-day-renewed-trade-policy-after-covid-19_en>. 3 Europäische Kommission, Strategic Plan 2020-2024, Directorate-General for Trade, <https://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2020/november/tradoc_159104.pdf> (eingesehen am 30.11.2020).

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und Dynamik”. Die Handelsstrategie legt jedoch zugleich fest, dass dieser Ansatz es der EU ermöglichen soll, „ihre Interessen selbstbewusst zu verteidigen“ und „die EU-Wirtschaft vor unfairen Handelspraktiken zu schützen“. Auch die Schaffung eines Level Playing Field für Europäische Wirtschaftsbeteiligte wird von der Europäischen Kommission thematisiert. Hier plant die Kommission eine Kombination aus bestehenden und neuen Instrumenten, die genutzt werden sollen, um europäische Unternehmen vor unfairen Handelspraktiken zu schützen. 4 Angesichts der globalen Herausforderungen für offene Märkte und fairen internationalen Wettbewerb befürwortet der BDI im Grundsatz das Konzept der offenen strategischen Autonomie der Europäischen Kommission. Insbesondere der Systemwettbewerb mit staatsgetriebenen Hybridwirtschaften, der auch im EU-Binnenmarkt und auf Drittmärkten zunehmend zu Wettbewerbsverzerrungen führt, erfordert eine umfassende Evaluierung und – wo nötig – Anpassung der wirtschaftspolitischen Defensivinstrumente der EU.

Instrumente für ein strategisch autonomes, offenes Europa Um Wettbewerb auf Augenhöhe zu gewährleisten, sind die deutsche und europäische Industrie auf effektive und ausgewogene Instrumente angewiesen. Über multilaterale, plurilaterale und bilaterale Handelsübereinkünfte sowie unilaterale Maßnahmen der EU muss auf Strukturen hingewirkt werden, die einen Wettbewerb auf Augenhöhe ermöglichen. Die Handelspolitik kann dabei nur ein Teil der Toolbox sein. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass sich insbesondere unilaterale Maßnahmen der EU, wie zum Beispiel die Schaffung internationaler Instrumente gegen illegale Subventionen oder wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen, an den Interessen einer offenen Marktwirtschaft orientieren. Handels- und industriepolitische Instrumente der EU müssen ein internationales Level Playing Field schaffen, ohne dem internationalen Trend des zunehmenden Protektionismus Vorschub zu leisten. Ein regelbasierter Welthandel muss das Fundament europäischer Handelspolitik bleiben. Die EU darf die Regeln des multilateralen Systems nicht untergraben, sondern muss auf ihre Weiterentwicklung und Stärkung hinwirken. Internationaler Handel und globaler Wettbewerb haben seit Jahrzehnten Innovationen, neue Technologien und das Wohlergehen von Europas Gesellschaften gefördert. Die Gründungsidee der EU, wie wir sie heute kennen, war die Schaffung von Abhängigkeiten zwischen Volkswirtschaften im Interesse von Frieden und Wohlstand und zur Vermeidung von Konflikten und Nationalismus. In einer Zeit, in der die Weltwirtschaft unter geopolitischen und geoökonomischen Druck gerät, muss die EU grundsätzlich für eine offene, kooperative und multilaterale Weltwirtschaft stehen – und gleichzeitig ihre eigenen strategischen Interessen verfolgen. Europa braucht eine strategische und zukunftsorientierte Handels- und Industriepolitik: Eine Politik, die den zukünftigen Wohlstand und die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit des Kontinents sichert und gleichzeitig auf die Erreichung der strategischen Ziele der EU ausgerichtet ist. Das Agieren aus der eigenen Stärke heraus ist der beste Weg zum Erreichen eines Level Playing Field. Zugleich gilt: Europäische Unternehmen sind auf internationalen Handel angewiesen, sehen sich aber weiterhin einem harten und manchmal unfairen Wettbewerb außerhalb der EU-Grenzen ausgesetzt. Für die deutsche Industrie gilt es, globale Chancen zu nutzen, sich Herausforderungen zu stellen und Risiken zu minimieren. Dies erfordert wieder mehr globale

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Europäische Kommission, Trade Policy Review - An Open, Sustainable and Assertive Trade Policy, 18.02.2021, <https://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2021/february/tradoc_159438.pdf>.

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Zusammenarbeit, um die aktuellen Hindernisse zu überwinden. Es bedarf aber auch eines wirksamen Instrumentenkastens, um selbstbestimmt agieren zu können. Zur Gewährleistung der Einhaltung internationaler Handelsregeln und der Durchsetzung europäischer Handelsabkommen braucht die Europäische Union einen ausgewogenen Instrumentenkasten, der den sich ändernden Rahmenbedingungen im internationalen Handel, wie beispielsweise international steigendem Protektionismus oder der Schwächung internationaler Organisationen, entspricht und ein Level Playing Field sicherstellen kann. Hierzu hat die Kommission bestehende Instrumente (beispielsweise die EU-Durchsetzungsverordnung) an die sich ändernden Rahmenbedingungen angepasst und zudem angekündigt, neue Instrumente zu schaffen (zum Beispiel ein sogenanntes Anti-Coercion Instrument). Ziel ist es, die europäischen Handelsinteressen zu schützen. Defensivinstrumente können jedoch nur ein zusätzlicher Weg zur Sicherstellung des Wettbewerbs auf Augenhöhe darstellen. Das wirtschaftspolitische Primat der EU muss auf der Stärkung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit liegen. Nur eine dynamische und innovative europäische Wirtschaft kann langfristig global erfolgreich sein und als Vorbild agieren. Dies setzt marktorientierte, industriefreundliche und technologieoffene Rahmenbedingungen voraus. Einen besonderen Schwerpunkt müssen zudem weiterhin offensive Maßnahmen der EU zur Öffnung von Drittmärkten und zur Förderung des gegenseitigen Handels bilden. Dazu gehören der Abschluss und die Inkraftsetzung weiterer Freihandels- und Investitionsabkommen mit wichtigen Wirtschaftspartnern. Darüber hinaus sollte die EU gemeinsam mit anderen interessierten Staaten plurilaterale Wege einschlagen, um marktwirtschaftlich ausgerichtete Länder besser vor den wettbewerbsverzerrenden Auswirkungen von staatswirtschaftlichen Systemen schützen zu können. Schließlich sollten die EU-Kommission und die Regierungen der Mitgliedstaaten den Dialog mit staatswirtschaftlichen Drittstaaten nutzen, um zu Wirtschaftsreformen hin zu mehr Marktwirtschaft zu ermutigen und anzumahnen. Im Folgenden betrachten wir verschiedene handels-, investitions- und wettbewerbspolitische Instrumente der EU und analysieren, inwiefern diese Instrumente bereits ausreichen, um ein internationales Level Playing Field sicherzustellen und wo nachjustiert werden sollte. Nach Implementierung dieser Instrumente sollten sie bei Erfüllung der jeweiligen Voraussetzungen konsequent angewendet werden.

Öffentliche Ausschreibungen und Vergabeverfahren: Das International Procurement Instrument Die Vergabe öffentlicher Aufträge stellt national, europäisch und international einen außerordentlich bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar. Das Gesamtvolumen öffentlicher Aufträge beläuft sich sowohl bei nationaler als auch europäischer Betrachtung in der Regel auf einen Anteil von zehn bis 20 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts. Insofern sind öffentliche Aufträge zugleich auch von erheblicher Relevanz für wirtschaftliches Wohlergehen, Wachstum, Innovation und Arbeitsplätze. Essenziell ist insoweit ein auf Transparenz und Gleichbehandlung aller Bieter beruhender Zugang zu öffentlichen Aufträgen. Ferner ist ein effektiver Vergaberechtsschutz für den Fall von Verletzungen der genannten Prinzipien beziehungsweise dazu geschaffener Vergaberechtsregelungen erforderlich. Wichtig ist für die anbietende Wirtschaft somit nicht nur der Zugang zu öffentlichen Aufträgen auf ihrem Heimatmarkt, sondern auch zu Vergabemärkten anderer Staaten. Das gilt insbesondere für die stark exportorientierte deutsche Wirtschaft.

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Soweit nationale Sicherheitsinteressen im Sinne von Art. 346 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) eine Abweichung von diesem Grundsatz gebieten, sind hierfür nach Möglichkeit international bzw. zumindest EU-weit harmonisierte Anwendungsgrundsätze anzustreben. Insbesondere einseitige Ausgleichs- oder Kompensationsverlangen als Nebenbedingung öffentlicher Aufträge sind aus Sicht des BDI abzulehnen oder – falls nicht vermeidbar – im Sinne eines Level Playing Field ausgewogen auszugestalten. Bereits bestehende Ungleichgewichte der Marktöffnung im Verhältnis zwischen der vergleichsweise eher marktoffenen EU einerseits und oft noch verschlossenen Drittstaaten andererseits haben sich in den letzten Jahren verstärkt. Das ist einer der Faktoren, die sich negativ auf die angestrebte strategische Autonomie Europas auswirken können. Den gewachsenen Ungleichgewichten hinsichtlich der Marktöffnung will die Kommission mit der Schaffung des International Procurement Instrument (IPI) entgegenwirken. Dieses Instrument zielt auf die Öffnung noch verschlossener Beschaffungsmärkte von Drittstaaten ab. Dazu wird ein Verfahren der EU zur Beanstandung und Verfolgung unakzeptabler Marktabschottungen beziehungsweise unfairer Verhaltensweisen von Drittstaaten vorgeschlagen, das gegebenenfalls zur Sanktionierung von Angeboten mit Herkunft aus diesen Drittstaaten führen kann und damit den Druck auf derartige Drittstaaten erhöht, ihre Märkte zu öffnen. Status quo Der Zugang zu nationalen und europäischen Vergabemärkten ist durch das nationale Vergaberecht und – für große Vergaben ab bestimmten Schwellenwerten – durch die EU-Richtlinien für öffentliche Aufträge sichergestellt, die Transparenz und Gleichbehandlung der Bieter vorschreiben. Dagegen ist der Zugang europäischer Unternehmen zu Vergaben in Drittstaaten jenseits der EU vielfach noch verschlossen oder zumindest stark erschwert. Das plurilaterale WTO-Abkommen für Regierungsaufträge (Government Procurement Agreement, GPA), dem die EU mit ihren Mitgliedstaaten angehört, führt zu einer Marktöffnung hinsichtlich großer öffentlicher Aufträge bei einigen, aber bei weitem nicht allen Mitgliedstaaten der WTO: Neben den EUMitgliedstaaten gehören dem GPA bisher im Wesentlichen weitere klassische Industrienationen wie zum Beispiel die Vereinigten Staaten, Kanada, Japan und die Schweiz an. Die meisten Entwicklungsund Schwellenländer sind dem GPA bis jetzt nicht beigetreten, da sie eine verbindlich geregelte Öffnung ihrer Vergabemärkte für ausländische Bieter bislang ablehnen. Dies gilt auch für wirtschaftlich besonders bedeutende, aufstrebende Drittstaaten, wie vor allem China, aber auch für weitere wichtige Staaten wie Russland, Indien und die Türkei. China hat einen bereits vor vielen Jahren in Aussicht gestellten Beitritt zum GPA bis dato wiederholt durch nicht hinreichende und daher für die Mitglieder des GPA nicht akzeptable Beitrittsangebote verzögert. Über die Marktöffnung im Rahmen des GPA hinaus hat die EU sich in den vergangenen Jahren auch dafür eingesetzt, eine weitere Öffnung der Vergabemärkte in Drittstaaten mittels bilateraler Handelsabkommen zu erreichen, die weiter gehen als das GPA. Auf diese Weise wurden etliche Verbesserungen gegenüber einigen wichtigen Handelspartnern wie Kanada und Japan erreicht. Dies ändert allerdings nichts daran, dass viele wichtige Staaten bisher keinerlei Öffnung eigener Vergabemärkte gegenüber der EU akzeptiert haben. Insgesamt ist in den letzten Jahren zunehmend ein Missverhältnis der Marktöffnung im Verhältnis zwischen der EU einerseits und wirtschaftlich bedeutenden Drittstaaten mit noch verschlossenen Märkten andererseits entstanden. Dies gilt zumindest in faktischer Hinsicht. Zwar besteht nach den EU-Richtlinien für öffentliche Aufträge kein Rechtsanspruch eines Unternehmens aus einem Drittstaat auf

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Zugang zu öffentlichen Aufträgen in der EU, wenn der Heimatstaat des Unternehmens kein entsprechendes Öffnungsabkommen mit der EU abgeschlossen hat. Dementsprechend können Bieter aus solchen Drittstaaten in der EU von der Beteiligung an öffentlichen Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Ein solcher Ausschluss ist aber nicht zwingend vorgesehen. Etliche EU-Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, haben ihre Vergabemärkte weit geöffnet und schließen Bieter aus Drittstaaten nicht generell aus. In einigen EU-Mitgliedstaaten ist in den letzten Jahren wiederholt Angeboten aus China mit extrem niedrigen, teils sogar dumpingverdächtigen Preisen zum Nachteil europäischer Wettbewerber der Zuschlag erteilt worden, obwohl China weiterhin keinerlei diesbezügliche Marktöffnung gegenüber der EU akzeptiert hat und eigene Märkte weiter in verschiedener Weise gegen ausländische Bieter abschottet. Beispiele dafür finden sich etwa bei öffentlichen Auftragsvergaben in den Bereichen Bau- und Infrastrukturaufträge, Eisenbahn- und Straßenbahnbau in verschiedenen osteuropäischen, aber auch in westeuropäischen Mitgliedstaaten der EU. Hinzu kommt, dass in etlichen Fällen, in denen Bieter aus abgeschotteten Drittstaaten den Zuschlag erhalten, dies durch Mittel aus EU-Fonds ermöglicht wird und somit vom EU-Steuerzahler aufgebrachte Gelder letztlich Unternehmen aus Drittstaaten mit problematischen Offerten zum Nachteil von Unternehmen aus der EU zugutekommen. Das gilt insbesondere, wenn ausländische Staatsunternehmen als Bieter mit dumpingverdächtigen Niedrigpreisen in der EU auftreten. Die Vorschläge der Kommission zum IPI und die weitere Diskussion Zur Überwindung der entstandenen Ungleichgewichte hat die Kommission bereits 2012 einen ersten Vorschlag für ein International Procurement Instrument vorgelegt. Ziel ist es dabei, eine Regelung für den Zugang von Angeboten aus Drittstaaten zu Beschaffungsmärkten in der EU zu schaffen und damit zugleich auf die Öffnung noch verschlossener Märkte in Drittstaaten hinzuwirken. Vereinfacht ausgedrückt, sieht das IPI ein Verfahren zur Prüfung und Beanstandung problematischen vergabe- beziehungsweise handelspolitischen Verhaltens von Drittstaaten vor. Für den Fall, dass die Beanstandung nicht zur Ausräumung der Probleme führt, sieht das IPI Sanktionen gegen Angebote vor, die zumindest zu 50 Prozent aus Drittstaaten stammen, die als abschottend beziehungsweise unlauter agierend eingestuft werden. Während die genannten Ziele des IPI allgemein begrüßt worden sind, stieß der Vorschlag aus dem Jahr 2012 wegen befürchteter negativer Nebenwirkungen auf vielfache Kritik, auch seitens Deutschlands und der deutschen Wirtschaft. Daraufhin hat die Kommission 2016 einen geänderten Vorschlag präsentiert, der teilweise geänderte Sanktionen (Preisaufschläge von bis zu 20 %) für Angebote aus abgeschotteten Drittstaaten vorsieht. Im Rat der EU begrüßten die IPI-Befürworter den neuen Vorstoß, andere Mitgliedstaaten lehnten ihn vor allem wegen weiterhin befürchteter Probleme bezüglich komplizierter Herkunftslandermittlungen und damit verbundener Rechtsunsicherheiten ab. Dies führte im Rat erneut zu einem Patt. Während sich Probleme ungleichen Marktzugangs in der Folge weiter verstärkten, hat sich im Jahr 2019 die Überzeugung durchgesetzt, die Beratungen zum IPI im Rat wiederzubeleben und Möglichkeiten einer Überarbeitung des geänderten Vorschlags zu prüfen. Eine wichtige Rolle spielte dabei – auch für den BDI – die Tatsache, dass lange Zeit erhoffte Veränderungen im Verhalten von Staaten wie China nicht eingetreten sind. Vielmehr ist der Eindruck entstanden, dass diese Staaten zunehmend als „systemische Wettbewerber” agieren, die einerseits immer stärker auf EU-Märkte vordringen, andererseits aber nicht gewillt sind, eigene Märkte zu öffnen und insoweit Handlungsbedarf besteht.

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Unter der aktuellen, portugiesischen Ratspräsidentschaft ist inzwischen neuer Schwung in die IPIDiskussionen im Rat der EU gekommen. Eine prinzipielle Einigung im Rat wird nun bis Sommer 2021 angestrebt. Empfehlungen Der BDI plädiert dafür, die im Jahr 2019 wieder aufgenommenen Verhandlungen im Rat der EU nunmehr entschlossen voranzubringen. Dabei gilt es, die noch vorhandenen Defizite des geänderten Kommissionsvorschlags aus dem Jahr 2016 zu überwinden. Bei der Überarbeitung des IPI muss sichergestellt werden, dass kontraproduktive Wirkungen, Mehraufwand und Rechtsunsicherheiten für EU-Unternehmen und Vergabestellen in der EU vermieden werden. Bei der Überarbeitung bzw. endgültigen Ausgestaltung des IPI sind insbesondere folgende Zielsetzungen wesentlich: Praktikabilität des IPI sicherstellen: Gegenüber dem geänderten Kommissionsvorschlag von 2016 unbedingt überarbeitungsbedürftig sind die bisherigen Regelungen zu Sanktionen. Vor allem müssen insoweit die bisher komplizierten Regelungen bezüglich der Anknüpfung der Sanktionen an die – gegebenenfalls nur anteilige – Herkunft von Angeboten aus Drittstaaten geändert werden, um übermäßigen Aufwand und Rechtsunsicherheiten zu vermeiden. Wie nun richtigerweise von der portugiesischen Ratspräsidentschaft angestrebt, ist es insoweit vorzuziehen, auf die Herkunft der Bieter statt auf die zollrechtliche Herkunft der Güter, die für das Angebot verwendet werden, abzustellen. Dies ist sowohl für Bieter als auch für öffentliche Beschaffer in der Praxis deutlich einfacher als die bisherige Konzeption nach dem geänderten Kommissionsvorschlag von 2016. Sinnvoll erscheint auch der Vorschlag für ein sogenanntes Safety net, um zu verhindern, dass die Regelungen des IPI dadurch umgangen werden, dass ein Angebot zwar von einem Bieter aus der EU stammt, jedoch einen überwiegenden Anteil von Waren aus abgeschotteten Drittstaaten umfasst. Nach dem Safety net soll nur der erfolgreiche Bieter vertraglich erklären, dass sein Angebot zu weniger als 50 Prozent seines Wertes aus Waren oder Dienstleistungen aus einem von der Kommission als abgeschottet beziehungsweise unlauter agierend eingestuften Drittstaat stammt. Eine solche Erklärung mag auch für den erfolgreichen Bieter im Einzelfall eventuell nicht ganz einfach sein, erscheint aber deutlich weniger belastend als die bisher für ein jedes Angebot vorgesehene entsprechende Untersuchung der Herkunft des Angebots. Hilfreich erschienen praktische Erläuterungen der Kommission bezüglich einer möglichst praktikablen Ermittlung der Angaben für die Erklärung des erfolgreichen Bieters. Nationalen Spielraum für Maßnahmen unter dem EU-Beschaffungsrechtsrahmen aufrecht halten: Das IPI kann ein zentrales Instrument für einen ausgewogeneren Marktzugang im öffentlichen Beschaffungswesen mit einer starken Rolle der Kommission werden. Dabei stellt das IPI gewissermaßen eine Basis für gemeinsame Maßnahmen auf EU-Ebene dar. Es darf jedoch Mitgliedstaaten nicht daran hindern, über das IPI hinausgehende, notwendige Maßnahmen zu erlassen, solang diese mit dem beschaffungsrechtlichen Rahmen der EU vereinbar sind. Daher fordert der BDI: ▪

Streichung einer bisher für das IPI vorgesehenen Vorschrift, die den Mitgliedstaaten verbieten würde, weitergehende Maßnahmen zu erlassen (Art. 1 Abs. 5 des geänderten Vorschlags der Kommission von 2016) sowie

Streichung einer bisher beabsichtigten Vorschrift, die zur Abschaffung einer bestehenden Regelung der EU-Sektorenrichtinie führen würde, die vorsieht, dass Vergabestellen

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beziehungsweise Mitgliedstaaten Angebote ausschließen können, bei denen mehr als 50 Prozent des Wertes aus einem abgeschotteten Drittstaat stammen (Art. 17 des geänderten Kommissionsvorschlags von 2016). Ein ambitioniertes und wirksames Instrument: Für ein effektives IPI muss unbedingt sichergestellt sein, dass das Instrument nicht durch zu weitgehende Ausnahmeregeln ausgehebelt werden kann. Ein zentraler Punkt sind insoweit vor allem die Ausnahmeregeln. Diese müssen strikt auf eng gefasste Ausnahmen begrenzt werden, wie etwa eine Ausnahme für den Fall, dass bei einer Ausschreibung nur ein einziger Bieter vorhanden ist. Nachdrücklichst abzulehnen ist dagegen der bisher vorgesehene, zu weit reichende Ausnahmetatbestand für den Fall einer starken Erhöhung der Kosten oder Preise für den öffentlichen Auftraggeber im Falle der Anwendung des IPI. Dieser Ausnahmetatbestand könnte sehr leicht zu einer völligen Aushebelung des IPI führen und muss daher ersatzlos gestrichen werden. Sicherstellung effektiver und ausreichender Sanktionen: Ebenfalls von großer Bedeutung ist die Sicherstellung effektiver, ausreichender Sanktionen. Die bisher vorgesehene Begrenzung der Sanktionen auf einen Preisaufschlag von bis zu 20 Prozent ist erheblich zu eng. Selbst Sanktionen mit einer festen Deckelung eines Preisaufschlags bei maximal 40 Prozent können unter Umständen nicht hinreichend sein. Insofern könnte es sich empfehlen, Flexibilität für den oberen Deckel der Sanktionen vorzusehen, sodass unter Umständen zum Beispiel auch ein Preisaufschlag von 50 Prozent möglich sein sollte. Für besonders schwerwiegende Fälle sollte auch die Möglichkeit des vollständigen Ausschlusses eines Angebots vorgesehen werden. Außer Preisaufschlägen sollten auch vollständige Ausschüsse möglich sein. Diese sollten insbesondere auch dann verstärkt in den Blick genommen werden, wenn es sich bei dem betreffenden Bieter nachweislich um ein Staatsunternehmen aus einem als abgeschottet beziehungsweise unlauter identifizierten Drittstaat handelt. Für vollständige Ausschlüsse in diesen Fällen spricht, dass sich das zunehmende Auftreten solcher Unternehmen mit oft dumpingverdächtigen Preisen auf EU-Märkten zuletzt in vielen Fällen als besonders problematisch erwiesen hat.

Wettbewerbsverzerrungen durch Drittstaatssubventionen Im Juni 2020 hat die Europäische Kommission in ihrem Weißbuch „Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen bei Subventionen aus Drittstaaten“ (COM(2020) 253 final) Vorschläge für neue Kontrollinstrumente („Teilinstrumente“) vorgelegt, um Drittstaatssubventionen, die den Wettbewerb im Binnenmarkt verzerren, anzugehen.5 Der BDI begrüßt das mit dem Weißbuch verfolgte Ziel, sieht aber Anpassungsbedarf in der Ausgestaltung der Teilinstrumente. Sie müssen insbesondere zum bestehenden EU-Recht kohärent sein.

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Zwischenzeitlich hat die Europäische Kommission am 5. Mai 2021 einen auf das Weißbuch folgenden Legislativvorschlag veröffentlicht: https://ec.europa.eu/competition/international/overview/proposal_for_regulation.pdf. Aus Sicht des BDI ist es sehr positiv, dass die Europäische Kommission nun ein Maßnahmenpaket vorlegt, dass Wettbewerbsverzerrungen durch massiv subventionierte Unternehmen aus Drittstaaten Einhalt bieten soll. Insbesondere bei Übernahmen und öffentlichen Auftragsvergaben benötigen die Unternehmen faire Chancen und ein Level Playing Field. Dabei muss die richtige Balance zwischen effektiver Drittstaatssubventionskontrolle und dem Erhalt der Investitionsoffenheit der EU gewährleistet werden (dieser Ersteinschätzung wird eine ausführliche Bewertung durch den BDI folgen). Die Bewertung des BDI in diesem Positionspapier bezieht sich im Folgenden nur auf das vorangegangene Weißbuch.

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Level Playing Field im internationalen Wettbewerb – Handlungsfähigkeit der EU erhöhen

Status quo Im EU-Binnenmarkt sind auch immer mehr drittstaatliche Akteure tätig. Drittstaatssubventionen, die diese Akteure begünstigen, können daher auch im Binnenmarkt wirken und gegebenenfalls dort den Wettbewerb verzerren. Aufgrund solcher Drittstaatssubventionen kann es zum Beispiel im Rahmen öffentlicher Auftragsvergaben in der EU zu außerordentlich niedrigen Angeboten kommen. Das heißt, drittstaatssubventionierte Bieter können andere Bieter durch besonders niedrige Gebote unterbieten und so Aufträge erhalten. Solche Tiefstpreisangebote wären dabei ohne die Drittstaatssubventionen nicht wirtschaftlich nachhaltig, sodass der Wettbewerb um den Auftrag zulasten von anderen Bietern verzerrt wird, die keine Drittstaatssubventionen erhalten. Drittstaatssubventionen können aber auch beim Erwerb von Anteilen, Stimmrechten oder „sonstiger Kontrolle“ an EU-Unternehmen wettbewerbsverzerrend wirken. Der Wettbewerb zwischen potenziellen Erwerbern an EU-Unternehmen kann dadurch verzerrt werden, dass es erst eine Drittstaatssubvention (Stärkung der Finanzkraft) ermöglicht, ein Erwerbsangebot zu unterbreiten, das Angeboten anderer potenzieller Erwerber vorgezogen wird; zugleich werden hierdurch auch die Investitionsmöglichkeiten in EU-Unternehmen beeinträchtigt. Während das EU-Beihilfenrecht eine effektive Kontrolle für mitgliedstaatliche Beihilfen vorsieht, fehlt es an einer vergleichbaren Kontrolle und Überwachung für Drittstaatssubventionen. Zum Schutz des Wettbewerbs im Binnenmarkt vor Verzerrungen durch Drittstaatssubventionen und zur Gewährleistung eines Level Playing Field in der EU bedarf es auch effektiver Kontrollmechanismen für Drittstaatssubventionen. Das Weißbuch der Europäischen Kommission ist der erste Schritt zur Einführung einer Kontrolle für Drittstaatssubventionen. Im Weißbuch werden drei Teilinstrumente vorgeschlagen sowie etwaige Regelungen im Hinblick auf die EU-Finanzmittelverwaltung. Konkrete Legislativvorschläge, wahrscheinlich in Form einer EU-Verordnung, werden für das zweite Quartal 2021 erwartet. Durch das erste Teilinstrument sollen mögliche Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt, die durch Drittstaatssubventionen verursacht werden, überprüft werden. Hierzu sollen Verhaltensweisen von Unternehmen im Binnenmarkt, die drittstaatlich subventioniert sind, einer Nachkontrolle unterworfen werden. Insofern besteht eine gewisse Vergleichbarkeit zur Missbrauchskontrolle des EU-Wettbewerbsrechts. Letztere ermöglicht es der Europäischen Kommission, die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung von Unternehmen im Binnenmarkt zu sanktionieren. Mit dem zweiten Teilinstrument schlägt das Weißbuch eine Präventivkontrolle des Erwerbs von Anteilen, Stimmrechten oder „sonstiger Kontrolle“ an EU-Unternehmen durch Unternehmen, die drittstaatliche Zuwendungen erhalten, vor. Eine vergleichbare Präventivkontrolle besteht bereits zum Schutz des zukünftigen Wettbewerbs in dem von solchen Erwerbsvorgängen betroffenen Markt durch die EU-Fusionskontrolle. Die EU-Fusionskontrolle dient allerdings nur der Prüfung der Auswirkungen der beabsichtigten Fusion auf den Wettbewerb. Mittels des zweiten Teilinstruments soll hingegen geprüft werden können, ob wettbewerbsverzerrende Auswirkungen von Drittstaatssubventionen, die einen Erwerber begünstigen, bestehen. Für Kontrollen nach dem ersten und zweiten Teilinstrument schlägt die Europäische Kommission im Übrigen vor, dass wettbewerbsverzerrende Drittstaatssubventionen geduldet werden können, wenn sie politischen Zielen der EU dienen, wie der Erreichung von Klimaneutralität, Umweltschutz oder Schaffung von Arbeitsplätzen. Mit dem dritten Teilinstrument des Weißbuches wird eine spezielle Präventivkontrolle von drittstaatlichen Zuwendungen vorgeschlagen, die Bieter im Rahmen von öffentlichen Auftragsvergaben begünstigen. Die Regelungen der EU-Vergaberichtlinien ermöglichen bisher nur eine allenfalls sehr begrenzte

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Kontrolle von Angeboten, die von Drittstaaten subventioniert sind; die EU-Vergaberichtlinien enthalten Regelungen zu „ungewöhnlich niedrigen Angeboten“, die aber dem Auftraggeber ein weites Ermessen bei der Beurteilung einräumen und daher im Ergebnis oft wenig effektiv sind. Anknüpfend an die Vorschläge des Weißbuches hatte die Europäische Kommission Anfang Oktober 2020 mittels einer „Folgenabschätzung in der Anfangsphase“ eine Konsultation zu verschiedenen möglichen Handlungsoptionen – zum Schutz des Wettbewerbs im Binnenmarkt vor verzerrenden Drittstaatssubventionen – eingeleitet. Diese Handlungsoptionen betreffen die Implementierung (legislativ, administrativ etc.) von neuen Kontrollmechanismen für Drittstaatssubventionen. Empfehlungen Die Gewährleistung eines Level Playing Field im Binnenmarkt erfordert einen effektiven Schutz des Binnenmarkts vor Wettbewerbsverzerrungen durch mitgliedstaatliche wie auch drittstaatliche Subventionen. Es ist Zeit, den Wettbewerbsschutz durch das EU-Beihilfenrecht um einen entsprechenden Schutzmechanismus für Verzerrungen durch Drittstaatssubventionen zu ergänzen. Wettbewerbsverzerrende Drittstaatssubventionen sollten nicht aufgrund allgemeiner politischer Ziele der EU geduldet werden können. Sie sollten nicht mittels eines Unionsinteressentests gerechtfertigt werden können; ein Level Playing Field in der EU würde so nicht geschaffen werden. Ein „Unionsinteressentest“ würde vielmehr der Politisierung von Rechtsentscheidungen Tür und Tor öffnen. Neue Schutzinstrumente müssen die bereits identifizierten Wettbewerbsverzerrungen durch Drittstaatssubventionen beheben und zugleich zukünftige Wettbewerbsverzerrungen adressieren. Hierzu sind Nach- und Präventivkontrollen notwendig, auch um Anfälligkeiten bestimmter Beschaffungsmärkte für Verzerrungen durch Drittstaatssubventionen adäquat anzugehen. Die Einführung entsprechender Kontrollmechanismen muss kohärent erfolgen, um zusätzliche bürokratische Lasten für Unternehmen möglichst gering zu halten und widersprüchliche Entscheidungen durch verschiedene Kontrollen zu vermeiden. Dies gilt sowohl für das Verhältnis neuer Kontrollen zueinander sowie zum bestehenden EU-Wettbewerbsrecht, den EU-Regelungen für öffentliche Aufträge (einschließlich der anstehenden Überarbeitung des Entwurfs des International Procurement Instrument, IPI) und der Verordnung zur Prüfung ausländischer Direktinvestitionen (FDI-Screening-Verordnung). Auch die grundsätzliche Investitionsoffenheit der EU darf nicht gefährdet werden. Im Sinne einer kohärenten Entscheidungspraxis sollte die Europäische Kommission ausschließlich für alle im Weißbuch vorgeschlagenen Teilinstrumente zuständig sein. Dies ist auch aufgrund ihrer Expertise und Erfahrung in der EU-Beihilfenkontrolle zur Prüfung von mitgliedstaatlichen Beihilfen sinnvoll. Die Mitgliedstaaten und ihre Expertise zu regionaleren Märkten sollten dabei aber in die Entscheidungsfindung der Europäischen Kommission einbezogen werden. Die Verfahren müssen möglichst unbürokratisch ausgestaltet werden, auch um ökonomische Vorteile rechtmäßigen Verhaltens nicht zu konterkarieren. Hierzu gehören rechtsklare Beurteilungskriterien, die eine Vorhersehbarkeit von Entscheidungen ermöglichen. Im Falle von Parallelprüfungen desselben Verhaltens nach verschiedenen Kontrollregimen sollten die Verfahren nach Möglichkeit miteinander verbunden werden, um einheitlich über die Zulässigkeit des Verhaltens zu entscheiden; dies gilt insbesondere für Kontrollen des zweiten Teilinstruments und Kontrollen nach der EU-Fusionskontrolle und der FDI-Screening-Verordnung. Grundsätzlich sollten die Teilinstrumente an angemessene Schwellenwerte geknüpft werden, damit sie sich auf die Sachverhalte beschränken, denen das Risiko einer erheblichen Wettbewerbsverzerrung anhaftet. Die vorgeschlagene allgemeine de minimis-Grenze für prüfungsrelevante drittstaatliche 9


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Zuwendungen in Höhe von 200.000 Euro erscheint hierfür zu niedrig angesetzt. Sie lässt, speziell im Hinblick auf die vorgeschlagenen Präventivkontrollen, befürchten, dass eine Flut von zu prüfenden Sachverhalten personelle und fachliche Ressourcen der Europäischen Kommission von den Fällen mit erheblichem Verzerrungsrisiko für den Wettbewerb abzieht. Um Transparenzdefiziten hinsichtlich der Finanzierung drittstaatlich kontrollierter Unternehmen (stateowned enterprises, SOE) zu begegnen, sollte vermutet werden, dass diese Unternehmen Drittstaatssubventionen erhalten, wenn an ihnen ein Drittstaat oberhalb eines bestimmten Schwellenwertes, zum Beispiel 20 Prozent, beteiligt ist. Auch die Monopolkommission spricht sich in ihrem XXIII. Hauptgutachten für eine solche Vermutung aus. Erstes Teilinstrument – Allgemeine Nachkontrolle Die sachlich unbeschränkte Nachkontrolle des ersten Teilinstruments darf nicht dazu führen, dass Entscheidungen oder Schwellenwerte der Präventivkontrollen der anderen vorgeschlagenen Teilinstrumente ausgehebelt werden. Sachverhalte, die den im Weißbuch vorgeschlagenen Präventivkontrollen unterliegen, dürfen dementsprechend nicht im Hinblick auf dieselben Bedenken einer erneuten Nachkontrolle durch das erste Teilinstrument unterliegen. Andernfalls würden Rechtssicherheit und legitimes Vertrauen in die Bestandskraft von Entscheidungen untergraben. Im Rahmen der Nachkontrolle des ersten Teilinstruments sollten auch Privilegierungen (Maßnahmen, die besonderen oder ausschließlichen Rechten gleichkommen) des subventionierten Unternehmens in drittstaatlichen, unter anderem heimatlichen Märkten, berücksichtigt werden, wenn sie einen künstlichen Wettbewerbsvorteil im Binnenmarkt erzeugen. Weiterhin müssen die von der Europäischen Kommission ergriffenen Maßnahmen zum Ausgleich der Subventionierung (Abhilfemaßnahmen) verhältnismäßig ausgestaltet und angewendet werden. Grundsätzlich sollte eine Drittstaatssubvention, wie im EU-Beihilfenrecht, verzinst zurückgezahlt werden. Es kommt aber auch eine entsprechende Ausgleichszahlung durch das subventionierte Unternehmen an den EU-Haushalt in Betracht. Entflechtungen und andere in die Unternehmensstruktur eingreifende Maßnahmen müssen klar als Ultima Ratio-Maßnahmen definiert sein. Das erste Teilinstrument sollte zudem auch Möglichkeiten zum Erlass von Leitlinien und Empfehlungen enthalten. Zweites Teilinstrument – Präventivkontrolle für Erwerbe von Anteilen, Stimmrechten oder „sonstiger Kontrolle“ an EU-Unternehmen Die Präventivkontrolle des Erwerbs von Anteilen, Stimmrechten oder „sonstiger Kontrolle“ an EU-Unternehmen durch Unternehmen, die drittstaatliche Zuwendungen erhalten, sollte konform zu den bestehenden (Präventiv-)Kontrollen der EU-Fusionskontrolle und solchen nach der FDI-Screening-Verordnung ausgestaltet werden. Die für das zweite Teilinstrument vorzusehenden Fristen sollten denen der EU-Fusionskontrolle entsprechen. Im Übrigen sollten im Falle von parallelen Prüfungen nach diesen Präventivkontrollen auch die Verfahren von Beginn an – mit der verfahrenseinleitenden Notifizierung – miteinander verbunden werden. Hierdurch würden Belastungen der beteiligten Unternehmen und Gefahren widersprüchlicher Entscheidungen reduziert. Abhilfe im Rahmen des zweiten Teilinstruments sollte vorrangig durch Verpflichtungsangebote der potenziellen Erwerber gesucht werden, Untersagungsentscheidungen sollten nur als Ultima Ratio-Maßnahmen in Betracht kommen. Drittes Teilinstrument – Präventivkontrolle für Gebote im Rahmen öffentlicher Auftragsvergaben Der BDI begrüßt grundsätzlich, dass mit dem vorgeschlagenen Instrument auch eine ungerechtfertigte Subventionierung seitens Drittstaaten bei Angeboten im Rahmen von öffentlichen Auftragsvergaben 10


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bekämpft werden soll. Allerdings erscheint bezüglich des dritten Teilinstruments eine nennenswerte Überarbeitung des bisherigen Vorschlags des Weißbuchs notwendig. Während der bisherige Vorschlag im Hinblick auf einzelne Vergaben einen sehr hohen und teilweise unvertretbaren bürokratischem Aufwand verursachen würde, sollte die generelle Ausrichtung des Instruments eher weniger am einzelnen Vergabeverfahren orientiert und mehr im Hinblick auf eine systemische Bewertung auf Sektor-Ebene ausgerichtet werden. Die im Weißbuch vorgeschlagene Notifizierungspflicht erscheint, insbesondere unter Berücksichtigung der Sanktionen bei Nichterfüllung (Geldbußen bis zu 10 % des Konzernumsatzes), unverhältnismäßig und teils zu weitgehend. Nach dem Weißbuch sollen Bieter beziehungsweise Unternehmen bei Angebotsabgabe nicht nur drittstaatliche Zuwendungen an sich selbst, sondern auch drittstaatliche Zuwendungen an alle Mitglieder ihres Konsortiums, alle ihre Unterauftragnehmer und alle ihre Lieferanten (im Folgenden: Dritte) notifizieren. Erstens haben Unternehmen gegenüber Dritten nicht die gleichen Informations- und Ermittlungsbefugnisse wie staatliche Stellen, weshalb sie auf die Vollständigkeit und Richtigkeit der von den Dritten erhaltenen Angaben vertrauen müssen. Eine Sanktion der Bieter im Falle von fehlerhaften oder unvollständigen Angaben dieser Dritten wäre daher unsachgemäß. Zweitens erscheint der Umfang der Notifizierung für alle drittstaatlichen Zuwendungen an Dritte bei allen Arten von öffentlichen Auftragsvergaben unverhältnismäßig angesichts des damit verbundenen Aufwands der Unternehmen. Das dritte Teilinstrument des Weißbuches sollte daher beim Umfang der Notifizierungspflicht von Bietern zwischen öffentlichen Auftragsvergaben, die mit EU-Finanzmitteln gefördert werden und solchen ohne Förderung mit EU-Finanzmitteln, differenzieren. Bei öffentlichen Auftragsvergaben, die nicht durch EU-Finanzmittel gefördert werden, sollte erwogen werden, die Notifizierungspflicht bei drittstaatlichen Zuwendungen an Mitglieder eines Konsortiums auf die Mitglieder des Konsortiums sowie wesentliche Unterauftragnehmer und Lieferanten wie unmittelbare Unterauftragnehmer und Lieferanten zu begrenzen. Bei öffentlichen Auftragsvergaben, die durch EU-Finanzmittel gefördert werden, besteht hingegen ein größeres Potential für Wettbewerbsverzerrungen. Hier würde nicht nur der Wettbewerb zwischen den Bietern bei der Auftragsvergabe beeinträchtigt, sondern auch der Wettbewerb um den Erhalt der begrenzten EU-Fördermittel für Projekte (im Rahmen der Auftragsdurchführung). Deshalb wäre für solche Drittstaatssubventionen eine umfassendere Notifizierungspflicht geeignet. Die Zuständigkeit für das dritte Teilinstrument sollte nicht den mitgliedstaatlichen Behörden obliegen, da hierdurch eine inkohärente Entscheidungspraxis entstehen könnte. Der durch die Haushaltspolitiken der Mitgliedstaaten ausgelöste Druck zu sparen, könnte sich zudem negativ auf die Beurteilung von Drittstaatssubventionen in öffentlichen Auftragsvergaben auswirken. Die Europäische Kommission sollte für die Bewertung und Entscheidungsfindung ausschließlich zuständig sein. Dies würde die Kohärenz der Entscheidungen gewährleisten und zudem Synergieeffekte durch die Expertise der Europäischen Kommission im Beihilfenrecht ermöglichen. Zusätzlich zu der vorgeschlagenen Präventivkontrolle – also der Vorabkontrolle einzelner, konkreter öffentlicher Auftragsvergaben – sollte es auch möglich sein, im Nachhinein die allgemeinen Wettbewerbsbedingungen in Beschaffungsmärkten im Hinblick auf ihre Beeinflussung durch Drittstaatssubventionen zu betrachten. Hierfür sollten auch spezielle Maßnahmen, wie der Erlass von Leitlinien oder Empfehlungen, vorgesehen werden. Ergibt eine nachgelagerte Betrachtung, dass ein konkretes, drittstaatlich subventioniertes Unternehmen wiederholt den Wettbewerb der Bieter negativ beeinflusst hat, sollte es zudem möglich sein, dieses Unternehmen von zukünftigen öffentlichen Auftragsvergaben auszuschließen. Im Übrigen schlagen wir eine spezielle Vermutung im Anwendungsbereich des dritten 11


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Teilinstruments vor: Für Unternehmen aus Staaten, die weder das WTO Agreement on Government Procurement noch Freihandelsabkommen mit der EU, die Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe enthalten, unterzeichnet haben, sollte im Falle der Beteiligung an öffentlichen Auftragsvergaben in der EU vermutet werden, dass sie wettbewerbsverzerrende Drittstaatssubventionen erhalten.

Anti-Coercion Instrument Im September 2020 übermittelte die Präsidentin der Europäischen Kommission an den Präsidenten des Europäischen Parlamentes und an die deutsche Ratspräsidentschaft eine Absichtserklärung, in der sie die Arbeitsplanung der Kommission für 2021 skizzierte. Im Zusammenhang mit einer neu gestärkten Wirtschaft wurde hierin ein „Instrument to deter and counteract coercive actions by third countries“ genannt.6 Die Konsultationsphase für ein Anti-Coercion Instrument (ACI) läuft und endet am 15. Juni 2021. Extraterritoriale Sanktionen, aber auch Maßnahmen gegen europäische Unternehmen im Ausland oder zollpraktische Hemmnisse gegen Importe aus der EU, sind heute mehr und mehr wirtschaftliche Symptome in Folge der wirtschaftlichen Austragung geopolitischer Auseinandersetzungen. Die deutsche Industrie begrüßt das Vorhaben, diesem Trend durch die Schaffung eines reaktiven Instruments zur Abschreckung und Erwiderung geoökonomischer Maßnahmen entgegenzuwirken. Geoökonomie wird dabei verstanden als die Verfolgung geopolitischer Ziele mit wirtschaftlichen Mitteln. 7 Status quo Diese Verschränkung von politischen mit wirtschaftlichen Beziehungen ist zwar nicht neu, jedoch häufen sich die Vorkommnisse. Noch vor wenigen Jahren wurde selbstverständlich vorausgesetzt, dass sich die wirtschaftlichen Interessen der EU-Mitgliedsstaaten und deren außenpolitische Ziele klar voneinander trennen lassen. Dementsprechend sind bislang die Möglichkeiten der Europäischen Union, Wirtschaftszwang abzuschrecken und mit eigenen Maßnahmen zu erwidern, sehr begrenzt. Bislang existiert lediglich eine Anti-Boykott-Verordnung, auch bekannt als Blockadestatut, als Verfahren, um die extraterritoriale Einflussnahme von Drittstaaten auf europäische Unternehmen abzuwehren. Die Verordnung (EG) 2271/96 wurde erlassen als Reaktion auf den 1996 Cuban Liberty and Democratic Solidarity Act (Helms-Burton). Unter Abschnitt III ermöglicht dieses US-Gesetz Bürgern mit US-amerikanischer Staatsbürgerschaft, ausländische Firmen vor US-Gerichten wegen der Nutzung nach der Revolution enteigneten Eigentums zu verklagen. Helms-Burton sieht folglich keine Sanktionsschritte im eigentlichen Sinne vor. Durch das Blockadestatut wollte die EU sicherstellen, dass derartige Gerichtsurteile aus Drittstaaten in Europa weder anerkannt noch vollstreckt werden. 8 Es war

Ursula von der Leyen, Maroš Šefčovič, State of the Union – Letter of Intent to President David Maria Sassoli and to Chancellor Merkel, 16 September 2020, <https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/state_of_the_union_2020_letter_of_intent_en.pdf> (eingesehen am 2.12.2020). 7 Geopolitik und Geoökonomie werden zunehmend als Begriffe verwendet. Oft fehlt eine analytische Trennung der Konzepte, die verständlich beschreibt, in welchem Verhältnis die Konzepte zueinanderstehen. Ohne diese Trennung bleibt jedoch unklar, wie die Verschränkung von internationaler Politik und globaler Wirtschaft negative Externalität für die Wirtschaftsbeteiligten schafft. Eine gängige Definition von Geoökonomie, die klar von Geopolitik unterscheidbar ist, stammt von Robert D. Blackwill, Jenniver M. Harris, „War by Other Means, Geoeconomics and Statecraft“, Cambridge, London: The Belknap Press of Havard University Press, S. 20: „The use of economic instruments to promote and defend national interests, and to produce beneficial geopolitical results; and the effects of other nations’ economic actions on a country’s geopolitical goals.” 8 Um ihrer Ablehnung extraterritorialer Gesetze Nachdruck zu verleihen, formulierten die europäischen Gesetzgeber auch die Möglichkeit eines Clawbacks unter Artikel 6 der EU-Anti-Boykott-Verordnung. Dieser Artikel ermöglicht es betroffenen 6

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Absicht der EU, die USA durch die Blockadeverordnung vom Gebrauch von Abschnitt III Helms-Burton abzubringen und diesen stattdessen durch präsidentiellen Erlass auszusetzen. 9 Tatsächlich haben sich bis ins Frühjahr 2019 alle US-Präsidenten hierzu bereit gezeigt. Die EU aktivierte das Blockadestatut unabhängig vom Helms-Burton Act, als die USA im Mai 2018 aus dem Joint Comprehensive Plan of Action (JCPoA) mit dem Iran ausstiegen. 10 Die EU nahm die USamerikanischen Iransanktionen in den Anhang der Blockadeverordnung auf. Diese US-Sanktionen unterscheiden sich in ihrer Extraterritorialität jedoch signifikant von den Bestimmungen aus Abschnitt III des Helms-Burton Act. Heute ist es aufgrund erlassener Sekundärsanktionen natürlichen und juristischen US-Personen nicht mehr gestattet, beispielsweise Geschäfte mit Banken zu betreiben, die ihrerseits wiederum in Geschäftskontakt mit sanktionierten Individuen oder Entitäten stehen. Da sich jedoch jede seriöse Finanzinstitution in US-Dollar refinanzieren muss, kommen solche Sanktionen einem Ausschluss vom Wirtschaftsleben gleich. Ursprünglich als Mittel gegen US-Gerichtsurteile gedacht, ist die europäische Anti-Boykott-Verordnung nicht dazu konzipiert worden, gegen umfassende Finanzsanktionen wirksam vorgehen zu können. In der Öffentlichkeit wurde die Verordnung damals wie heute weitgehend als symbolischer Akt eingestuft.11 Es besteht daher Handlungsbedarf. Empfehlungen Wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen sind für die deutsche Industrie grundsätzlich nicht hinnehmbar. Es ist daher zu begrüßen, dass die Europäische Kommission sich dem Thema der Extraterritorialität annimmt und Instrumente entwickeln will, damit Europa zukünftig effektiv, robust und angemessen auf geoökonomischen Zwang reagieren kann. Dabei sind einige Punkte zu beachten: ▪ Die EU sollte bei ihren Diskussionen zu Maßnahmen, mittels derer sie ihre Interessen schützen möchte, ihre wirtschaftspolitischen Ziele nicht aus dem Blick verlieren: ein offenes Europa, das über einen regelbasierten Welthandel mit Partnern in aller Welt verbunden bleibt. Hier sollte eine Abwägung im Geiste des Unionsinteresses Teil des Auslöseimpulses sein. Nur dann wird ein derartiges Instrument spürbar und nachhaltig Vorteile für Unternehmen generieren. ▪ Da schon die Verabschiedung eines Anti-Coercion Instruments zu Reaktionen in Drittstaaten führen wird, sollte dieses in eine einheitliche EU-Außenpolitik eingebettet werden. Dies ist umso wichtiger,

Europäern, durch Klagen vor US-Gerichten entstandene Schäden auszugleichen. Hierzu sollen Vermögenswerte der Kläger in Europa beschlagnahmt und veräußert werden. Siehe auch: Vaughan Lowe, “Helms-Burton and EC Regulation 2271/96“, in: The Cambridge Law Journal 56 (2), July 1997, S. 250. 9 Jeffrey Lewis, “The Institutional Problem-Solving Capacities of the Council: The Committee of Permanent Representatives and the Methods of Community”, in: Max-Planck Institut für Gesellschaftsforschung (MPIfG) Discussion Paper 98/1, February 1998, S. 32. 10 Damit verbunden war ein zügiges Wiedereinsetzen extraterritorialer US-Sanktionen gegen Teheran, die ursprünglich im Verbund mit den europäischen Partnern den Abschluss des Atomabkommens erwirkt hatten. Im Zentrum dieser Sanktionen stand und steht die Absicht, Unternehmen die Geschäftstätigkeit bis zur Unmöglichkeit zu erschweren, indem finanzierenden Banken der Ausschluss vom US-Dollarraum angedroht wurde. Siehe auch: BDI, Iran Sanctions: U.S. Withdrawal from the JCPoA - BDI Position on the Reintroduction of U.S. Economic and Financial Sanctions against Iran, July 2018, <https://english.bdi.eu/publication/news/iran-sanctions-u-s-withdrawal-from-the-jcpoa/>. 11 Mathias Brüggmann, „EU-Schutzmechanismus gegen Trumps Iran-Sanktionen wird zum Fehlschlag“, in: Handelsblatt, 28.1.2019, <https://www.handelsblatt.com/politik/international/blocking-statut-eu-schutzmechanismus-gegen-trumps-iran-sanktionen-wird-zum-fehlschlag/23917690.html?ticket=ST-2751322-UGIpb5urHspyDWYkPpTI-ap5> (eingesehen am 9.2.2021); Deutsche Welle, „Interview Anahita Thoms – EU-Blockade gegen US-Sanktionen, wie wirksam?“, in: Deutsche Welle, 18.5.2018, <https://www.dw.com/de/eu-blockade-gegen-us-sanktionen-wie-wirksam/a-43844483> (eingesehen am 8.2.2021); Niklas Dummer, „Interview Laura von Daniels SWP – Die Nachteile der US-Sanktionen überwiegen heute die Vorteile des USGeschäfts“, in: Wirtschaftswoche, 19.5.2018, <https://www.wiwo.de/politik/europa/us-wirtschafts-expertin-die-nachteile-der-ussanktionen-ueberwiegen-heute-die-vorteile-des-iran-geschaefts/22583752.html> (eingesehen 7.2.2021); Vaughan Lowe, “Helms-Burton and EC Regulation 2271/96“, in: The Cambridge Law Journal 56 (2), July 1997, S. 250. 13


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sollte sich, wie derzeit von der Kommission überlegt, das Instrument auf Artikel 207 AEUV stützen. Ein Konsens der EU-Mitgliedsstaaten, beispielsweise nach Abschluss eines Durchführungsaktes, sollte dazu beitragen, dass auch im Anwendungsfall die Union mit einer Stimme spricht. ▪ Ein Anti-Coercion Instrument erscheint besonders dann zweckdienlich, wenn es sich kohärent in die Gestaltung außereuropäischer Beziehungen einfügen lässt. Idealerweise sollte die Prävention von geoökonomischen Konflikten für die EU im Vordergrund stehen. Bei potenziellen Konfliktbereichen sollte die EU mit internationalen Partnern gezielte und strategische Dialogprozesse vorantreiben. Nur die Designation des Anti-Coercion Instruments als Mittel zur Reaktion schafft die notwendige Stabilität und Erwartbarkeit in Konfliktsituationen. ▪ Es ist wichtig, dass die EU eine Strategie entwickelt, die über reaktive Maßnahmen hinausgeht. Das heißt, die EU sollte gezielt eine Politik der strategischen Interdependenz betreiben, die sich auf drei Grundsätze stützt: Anreize stärken, Abschreckung ermöglichen, Wirtschaftsbeteiligte schützen. – Um Anreize zu schaffen, sollte die EU ihren Binnenmarkt ausbauen. Hier sind insbesondere die Kapitalmarkt- und die Bankenunion zu nennen. Eine Digitalisierung des Euro, wie sie die EZB bereits angeschoben hat, sollte fortgeführt werden. Diese Maßnahme wird mittelbaren Einfluss auf die Attraktivität der europäischen Währung haben – ein entscheidender Faktor, da bislang der Euro als internationales Zahlungsmittel weit hinter dem US-Dollar zurücksteht. Auch sollte die EU eine Fakturierung in Euro unterstützen. Bei manchen Geschäften, wie beispielsweise im Energiesektor, besteht oft keine faktische Notwendigkeit, andere Währungen zu verwenden. Die industrielle Basis und technologische Kompetenz muss über die Industriestrategie gestärkt werden. Investitionen für Infrastruktur und netzbasiertes Wachstum (Energie, Digitalisierung, Mobilität) sollten die Attraktivität Europas als Standort stärken und könnten sinnvollerweise in Europas Konnektivitätsstrategie integriert werden. – Abschreckung sollte nicht nur Gegendruck erzeugen, sondern sich an multilateralen Prinzipien orientieren. Gegenmaßnahmen sollten einerseits kurzfristig und konkret der Durchsetzung unmittelbarer Interessen dienen. Zugleich müssen sie in eine legitime und internationale Ordnung eingebettet sein. So ist es wichtig, dass Gegenmaßnahmen im Einklang mit den Prinzipien des Völkerrechts stehen und WTO-konform sind. – Ein Schutz der Wirtschaftsbeteiligten darf sich nicht nur auf Abwehrmaßnahmen beschränken. Mit der Verrechnungsstelle INSTEX hat die EU hierzu einen ersten, wenn auch erfolglosen, Versuch unternommen. Weitere Optionen sollten in Erwägung gezogen und zu einer kohärenten Strategie ausgearbeitet werden, die geeignet ist, praxisnahe Unterstützungsleistungen konkret und kurzfristig bereitzustellen. Folgende Fragen sind daher im weiteren Prozess zu prüfen: ▪

Können Zahlungskanäle und Finanznachrichtendienste durch internationale Vereinbarungen resilienter gemacht werden?

Sollte ein europäischer Souveränitätsfonds eingerichtet werden, um beispielsweise das System der Exportkreditfinanzierungen zu europäisieren? Oder sollte ein solcher Fonds besonders solche Projekte stützen, die dem strategischen Unionsinteresse dienen?

Könnte ein solcher Fonds vielleicht auch Finanzhilfen leisten, um Unternehmen zu unterstützen, die unverschuldet – also ohne zuvor absehbares Sanktionsrisiko (Beispiel: JCPoA) – extraterritorialen Sanktionen zum Opfer fallen?

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Die Verfügbarkeit von Informationen ist zur Gestaltung und Inbetriebnahme eines reaktiven Anti-Coercion Instrumentes zentral. Hier ist Anonymität notwendige Voraussetzung, damit Wirtschaftsbeteiligte sensible Informationen teilen. Vor diesem Hintergrund sollte überlegt werden, wie diese Vertraulichkeit rechtssicher gestaltet werden kann. Eine Trennung von den Anforderungen der Blockadeverordnung ist in diesem Zusammenhang sicherlich eine der hinreichenden Bedingungen. Es stellt sich daher die Frage, ob eine zentrale europäische Stelle – ein EU Resilience Office – Informationen zur Betroffenheit von extraterritorialen Sanktionen sammeln und Daten zum Schutz der Wirtschaftsbeteiligten für europäische Maßnahmen aufbereiten sollte?

Maßnahmen zum Schutz vor extraterritorialen Wirtschaftszwängen und zur Durchsetzung geoökonomischer Interessen sind größtenteils Neuland für Europa. Binnenmarkt und Außenhandel florieren auf der Grundlage von Offenheit und Handel. Ordnungspolitische Selbstdisziplin ist einer der Grundpfeiler für unseren gesellschaftlichen Wohlstand und sollte nicht dem Trend geopolitischer Auseinandersetzungen geopfert werden. Umso wichtiger ist es, dass die EU eine sinnvolle Balance aus Anreiz, Hebel, Abschreckung und Unternehmensschutz für eine strategische Interdependenz Europas mit der Welt findet.

EU-Durchsetzungsverordnung (Enforcement Regulation) Die EU-Durchsetzungsverordnung (Enforcement Regulation) besteht in ihrer bisherigen Form seit Mai 2014. Diese erlaubt es der Europäischen Union unter bestimmten Bedingungen, in internationalen Handelsabkommen gemachte Zugeständnisse zurückzuziehen oder auszusetzen oder auch neue Restriktionen (beispielsweise Zölle oder Quoten) einzuführen, um die Handelsinteressen der Union zu schützen. Voraussetzung für solche Maßnahmen war ursprünglich unter anderem ein abgeschlossenes WTO-Streitschlichtungsverfahren: Ohne eine finale WTO-Entscheidung durften keine Maßnahmen ergriffen werden.12 Status quo Aufgrund der Blockade des WTO-Berufungsgremiums13 hat die Europäische Kommission am 12. Dezember 2019 eine Änderung der EU-Durchsetzungsverordnung vorgelegt, die den EU-Rechtsrahmen dafür schaffen soll, EU-Rechte unter dem WTO-Übereinkommen auch dann durchzusetzen, wenn der Interim-Revisionsmechanismus14 (Multi-party interim appeal arbitration arrangement, MPIA) nicht zur Verfügung steht und die blockierte Revisionsinstanz den Abschluss der WTO-Streitschlichtung verhindert. So soll vermieden werden, dass Handelspartner der EU die Lähmung des Berufungsgremiums nutzen, um das internationale, regelbasierte Handelssystem zu unterlaufen. Darüber hinaus sollen

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European Parliamentary Research Service, Review of EU Enforcement Regulation for Trade Disputes, 20. Juli 2020, <https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2020/652021/EPRS_BRI(2020)652021_EN.pdf>. 13 Seit dem 11. Dezember 2019 ist die Berufungsinstanz des Streitschlichtungsmechanismus der Welthandelsorganisation (Appellate Body, AB) nicht mehr handlungsfähig, da die USA die notwendige Nachbesetzung von AB-Mitgliedern verhindern. WTOStreitschlichtungsfälle können damit nicht abschließend zu Ende geführt werden. Auch mit der Wahl Joe Bidens zum neuen USPräsidenten ist nicht abzusehen, ob und wann die USA diese Blockade aufgeben werden. 14 Der MPIA ist ein auf WTO-Recht basierendes, unabhängiges, zweistufiges System zur Streitbeilegung, das im Zuge der Blockade des WTO-Berufungsgremiums geschaffen wurde. Neben der EU sind mehr als 20 weitere WTO-Mitglieder beigetreten. Der MPIA soll so lange zur Verfügung stehen, bis das WTO-Berufungsgremium wieder funktionsfähig ist. 15


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auch vergleichbare Probleme unter bilateralen und regionalen Handelsabkommen angegangen werden. Die aktualisierte Durchsetzungsverordnung ist Mitte Februar 2021 in Kraft getreten. Gegenmaßnahmen werden damit möglich, wenn das Streitschlichtungspanel der WTO oder eines bilateralen oder auch regionalen Freihandelsabkommens der EU Recht zugesprochen hat, aber die andere Partei den weiteren Schlichtungsprozess blockiert. Mit dieser Einigung wird der Anwendungsbereich der Verordnung auch auf den Dienstleistungshandel und bestimmte Handelsaspekte des Geistigen Eigentums (Handelsmarken, Design, geographische Herkunftsbezeichnungen) erweitert und ermöglicht so den Einsatz handelspolitischer Maßnahmen in diesen Bereichen. Die Verordnung sieht auch vor, dass die Kommission Vertragsverstößen im Bereich der nachhaltigen Entwicklung genauso nachgeht wie Verstößen bezüglich des Marktzugangs und gegebenenfalls Durchsetzungsmaßnahmen ergreift, wenn die grundlegenden Handelsabkommen dies zulassen. 15 Empfehlungen Für die deutsche Industrie hat der offene und regelbasierte Welthandel oberste Priorität. Der bevorzugte Rahmen dafür ist und bleibt die Welthandelsorganisation. Wir begrüßen es daher, dass sich die Europäische Kommission mit Nachdruck für eine Reform der WTO sowie eine unabhängige und verbindliche Streitschlichtung einsetzt. Nur wenn internationale Regeln auch durchgesetzt werden, können wir das Recht des Stärkeren verhindern. Nur wenn es für die Regeldurchsetzung geordnete Verfahren gibt, können eskalierende Handelskonflikte vermieden werden. Wenn Handelspartner vereinbarte Regeln und unabhängige Schlichtungsverfahren blockieren, muss die EU im Sinne multilateraler Regeln und Prinzipien reagieren können. Dabei muss das Unionsinteresse ausgewogen berücksichtigt werden und zum Ziel haben, Protektionismus zuhause und in der Welt zu verhindern. Vor diesem Hintergrund unterstützt der BDI grundsätzlich die Anpassung der EU-Durchsetzungsverordnung. ▪ Die Änderungen stellen in den EU-internen Regelungen und im Einklang mit internationalem Recht sicher, dass die EU trotz der Blockade der WTO-Streitschlichtung und möglicher Blockaden der Streitschlichtung in anderen Handelsabkommen effektive Maßnahmen gegen den Rechtsbruch von Drittstaaten ergreifen kann. ▪ Die EU muss in der Lage sein, schnell und verhältnismäßig zu reagieren, wenn europäische Unternehmen von eindeutigen Verstößen gegen internationale Abkommen durch ein Drittland betroffen sind. ▪ Mit dem auf Dienstleistungen und geistige Eigentumsrechte ausgeweiteten Anwendungsbereich der Durchsetzungsverordnung schließt die EU eigene Rechtslücken und erhöht die Fähigkeit, auf Regelverstöße Dritter angemessen zu reagieren. Dabei muss darauf geachtet werden, dass die Maßnahmen im Unionsinteresse stehen, keine unnötige Bürokratie verursachen und gerade im Bereich des geistigen Eigentums zur Stärkung des internationalen Rechts beitragen. ▪ Vereinbarungen im Bereich der nachhaltigen Entwicklung in Handelsabkommen sollten, wo möglich, verbindlich sein und durchgesetzt werden. Der BDI unterstützt den bisherigen Ansatz der EU, der bei der Durchsetzung auf Anreize (inklusive Konsultationsverfahren, Transparenz, Beteiligung

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Europäisches Parlament, Stronger EU powers in trade disputes, 11. November 2020, <https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20201105IPR90923/stronger-eu-powers-in-trade-disputes-trade-meps-back-rule-revision> (eingesehen am 25.11.2020). 16


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der Zivilgesellschaft bei der Überwachung, „naming and shaming“ etc.) und Unterstützung für den Partner setzt. Die Durchsetzung von Nachhaltigkeitskapiteln von Freihandelsabkommen sieht der BDI weiterhin kritisch. Auch der CTEO sollte auf Basis der Durchsetzungsverordnung nicht über das in Freihandelsabkommen festgelegte Regelwerk hinaus aktiv werden können. ▪ Um das Unionsinteresse vollständig zu erfassen, sollten die betroffenen Wirtschaftsbeteiligten frühzeitig und angemessen in Einzelverfahren eingebunden werden. ▪ Die EU sollte bei der Anwendung der Durchsetzungsverordnung darauf achten, dass sie das WTORecht nicht untergräbt.

Exportkontrolle Status quo Wegen sich zunehmend ausdifferenzierenden Genehmigungsanforderungen sind faire Rahmenbedingungen für die deutsche Industrie auch in der Exportkontrolle wichtig. Hier herrscht konkreter Handlungsbedarf in zwei Bereichen. Die Verschärfungen in der US-Exportkontrolle zur Bekämpfung der zivil-militärischen Integration in China setzen auch die global vernetzte deutsche Industrie unter Druck. Die US-amerikanische Reaktion auf Pekings Verhalten drohte in den letzten Jahren auf das Entstehen exklusiver Wirtschaftshemisphären hinzuwirken. Der Wunsch, sich vor Technologiepiraterie zu schützen, birgt die plausible Gefahr, die Innovationskraft von Unternehmen zu hemmen und damit deren Wettbewerbsfähigkeit zu schädigen. Aufgrund der extraterritorialen Anwendung des US-Exportkontrollrechts besteht hier das Potential, dass Lieferketten dauerhaft umgestaltet werden müssen. Ein sozusagen ausfuhrkontrollrechtlich halbsanktionierter Raum hätte jedoch negative Auswirkungen auf effiziente Wertschöpfungsketten und würde zu Wohlstandsverlusten führen. Darüber hinaus ist die Ausfuhrkontrollpraxis im europäischen Binnenmarkt auch nach der politischen Einigung zwischen den europäischen Kogesetzgebern zur Verordnungsreform über die Ausfuhr von doppelverwendungsfähigen Gütern immer noch nicht einheitlich. Zudem wurde verpasst, die europäische Ausfuhrkontrolle zukunftsfest zu machen. Besonders bei der Ausfuhrkontrolle von Zukunfts- und Basistechnologien besteht Nachbesserungsbedarf, damit die EU die rechtlichen Mittel zur Hand hat, um bei plurilateralen Kontrollinitiativen ihre Interessen und die Interessen ihrer Wirtschaftsbeteiligten effektiv zu vertreten. 1. Verschärfungen in der US-Exportkontrolle Die USA haben unter der letzten Administration den ausfuhrkontrollrechtlichen Trend der ObamaJahre fortgesetzt und einige Verschärfungen eingeführt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch unter der Biden-Administration Kontrollen weiter ausgebaut werden. Der treibende Faktor für die Verschärfung der US-Exportkontrolle ist Chinas zivil-militärische Integration („civil military fusion“) – also die aufgehobene Trennung zwischen einer zivilen Sphäre einerseits und einer militärischen Endverwendung andererseits. Wenn Wirtschaftsbeteiligte nicht mehr zwischen ziviler und militärischer Endverwendung bei ihren Kunden unterscheiden können, sind verschärfte Kontrollen dringend geboten. Zwei auf dem Verordnungswege verabschiedete Verschärfungen sind hier besonders erwähnenswert. Verschärfungen gegen China, Russland und Venezuela Im Sommer 2020 veröffentlichte das Bureau of Industry and Security (BIS) Verschärfungen, die nun bei bestimmten Verbringungen mit Bezug zu China, Russland oder Venezuela greifen (Expansion of Export, Reexport, and Transfer (in-Country) Controls for Military End Use or Military End Users in the 17


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People’s Republic of China, Russia, or Venezuela16). Diese Regulierung erweitert signifikant den Anwendungsrahmen der US-Exportkontrolle in Bezug auf den Endverbleib, erweitert den Anwendungsrahmen für die Evaluierungskategorie „regional stability“ und verschärft die Offenlegungspflichten für Exporte nach China, Russland und Venezuela. Grundsätzlich untersagt das BIS in der Neufassung von § 744.2117 der Export Administration Regulations (EAR) die Ausfuhr, den Reexport und den nicht grenzüberschreitenden Transfer von Gütern für den Fall, dass Ausführende nach US-Recht Kenntnis haben sollten, dass diese Güter einem kontrollierten militärischen Endverwender oder Endverbleib zugeführt werden könnten. Zusätzlich zu Gütern, die in der Commerce Control List (CCL) aufgeführt sind, wird in §744 EAR (Control Policy) für die genannten Staaten eine sogenannte „Ergänzung Nummer 2“ vorgenommen, die weitere neun gesonderte Güterkategorien aus dem Bereich der Zukunftsund Basistechnologien umfasst – beispielsweise Sensorik – und Lasertechnologie oder Antriebstechnologie. Kontrolle von Zukunfts- und Basistechnologien Die Exportkontrolle dient außerhalb der Nicht-Verbreitung von Massenvernichtungswaffen in allen Staaten auch einem weiteren Aspekt der nationalen Sicherheit. Besonders die US-amerikanische Exportkontrolle ist darauf ausgerichtet, Dritten den Zugang zu sicherheitsrelevanten Technologien der jüngsten Generation so lang wie möglich zu verwehren. Ziel ist nicht die technologische Abschottung, sondern die Sicherstellung eines technologischen Vorsprungs. Vor diesem Hintergrund ist auch die Diskussion zur Kontrolle von Zukunfts- und Basistechnologien zu bewerten. Mit dem 2018 John S. McCain National Defence Authorization Act wurde die Kontrolle dieser Technologien erstmalig im USAusfuhrkontrollrecht integriert. Anfänglich waren die Befürchtungen enorm, dass die extraterritorialen Erfahrungen mit der damaligen US-Administration auch auf die Exportkontrolle übertragbar sein könnten. Doch obwohl die Instrumente zur unilateralen und extraterritorialen Anwendung der Exportkontrolle vorliegen, ist dieses Extremszenario nicht eingetreten. Im Gegenteil: Im Dezember 2019 konnten sich die 42 Mitgliedsstaaten des Wassenaar-Arrangements zur Kontrolle konventioneller Waffen und doppelverwendungsfähiger Güter auf sechs neue Eintragungen auf der gemeinsamen Kontrollliste einigen, die in den Bereich der Zukunftstechnologien fallen. Dies sind auch im US-amerikanischen Fall die bisher einzigen Listungen in diesem Bereich. Dieser multilaterale Ansatz ist ermutigend, es besteht jedoch weiterhin ein realistisches Szenario, bei dem Verzögerungen im Wassenaar-Prozess schlimmstenfalls zu unilateralen Maßnahmen Washingtons führen könnten. Wahrscheinlich ist dabei die Möglichkeit plurilateraler Initiativen außerhalb des Wassenaars im Rahmen einer Koalition der Willigen. 2. Reform der EU-Verordnung zur Ausfuhrkontrolle doppelverwendungsfähiger Güter Ende 2020 haben sich die europäischen Kogesetzgeber nach mehr als fünf Jahren auf eine Reform der EU-Dual-Use-Verordnung geeinigt. Ziel der Reform war ein stärkerer Beitrag der Ausfuhrkontrolle zum Schutz von Menschenrechten. Tatsächlich musste die Exportkontrolle nach dem arabischen Frühling an ein verändertes technologisches und sicherheitspolitisches Umfeld angepasst werden. Behörden in den betroffenen Staaten nutzten telekommunikationstechnische Überwachungsgüter (TKÜ), um soziale Netzwerke auszuspähen und verübten gezielt Menschenrechtsverletzungen (Identifikation von Protestierenden, Verschleppung, Folter, gezielte Tötungen etc.) zur Einschüchterung und Unterdrückung der Protestierenden.

16

BIS: 15 CFR Parts 732, 734, 738, 742, 744, 758, and 774, Federal Register 85 (82), 28. April 2020, Rules and Regulations, S. 23459-23470. 17 Dieser Paragraph trägt den folgenden Titel: “Restrictions on Certain ‘Military End Use’ or ‘Military End User’ in the People’s Republic of China, Russia, or Venezuela”. 18


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Als Beitrag zum Reformprozess hatte die deutsche Industrie eine EU-autonome Liste vorgeschlagen. Diese hätte Klarheit für die Wirtschaftsbeteiligten geschafften und wäre darüber hinaus ein effektives Instrument in einer strategisch ausgerichteten europäischen Außenpolitik gewesen. Eine solche Liste hätte einen unilateralen Eingriff außerhalb des Wassenaar-Prozesses dargestellt, wäre jedoch in Deutschland und Europa rechtlich keine Seltenheit. Damit eine europäische Verordnung den multilateralen Nicht-Verbreitungsregimen keinen Schaden zufügt, setzte sich der BDI für eine Selbstverpflichtung der im Wassenaar-Arrangement vertretenen EU-Mitgliedsstaaten ein. Diese sollten mit einer Stimme eine multilaterale Listung vorantreiben. So wäre ein befristeter Mechanismus sichergestellt, durch den die europäische Exportkontrolle an multilaterale Prozesse gekoppelt bliebe. Die europäischen Gesetzgeber haben sich jedoch mit dem Konzept einer listenbasierten Catch-All rechtspraktisch auf eine eklektische Einmallösung geeinigt. Von diesem Instrument abgedeckte Güterkategorien können durch Konsens der Mitgliedsstaaten erweitert werden. Mehr als in die Zukunft verweist diese Einigung auf den beschwerlichen Verhandlungsprozess der letzten Jahre. Es existiert somit kein Mechanismus, mittels dessen die EU ein Instrument zur Interessensdurchsetzung bei plurilateralen Kontrollinitiativen hätte. Zudem wurde der ungleichen Ausfuhrkontrollpraxis im Binnenmarkt kein Ende gesetzt. Zwar sollen Transparenzregeln und Maßnahmen zu einer verbesserten Kooperation zwischen den Behörden der Mitgliedsstaaten den Weg für eine europäisierte Exportkontrolle ebnen. Von gemeinsamen Kontrollstandards ihrer Mitgliedsstaaten ist die EU jedoch noch weit entfernt. Empfehlungen ▪ Weil bei chinesischen Endverwendern kaum noch zwischen zivilen und militärischen Endverwendern unterschieden werden kann, stellt Pekings Verhalten eine Herausforderung für internationale Ausfuhrkontrollen dar. Chinas Verhalten erzwingt eine internationale Reaktion. Dabei sollten multilaterale Lösungsansätze im Vordergrund stehen. Diese sind effektiv und ermöglichen Wirtschaftsbeteiligten eine rasche Operationalisierung. ▪ Die transatlantischen Partner sollten gemeinsame Interessen in der Sicherheitspolitik auch gemeinsam verfolgen. Die deutsche Industrie erkennt an, dass sich die Staaten des liberal-demokratischen Westens an die veränderte sicherheitspolitische Sachlage durch den Systemwettbewerb mit der Volksrepublik China anpassen müssen. Die transatlantischen Partner sollten sich bei Güterkontrollen auf eine enge Zusammenarbeit in der Zukunft einigen. Eine koordinierte Ausfuhrkontrollpraxis könnte zudem wichtige Impulse in der multilateralen Ausfuhrkontrolle setzen. ▪ Um Einfluss zu behalten und um Gestaltungskraft im Sinne der europäischen Wirtschaftsbeteiligten auszubauen, sollte die europäische Exportkontrolle dringend an die veränderte geopolitische Wetterlage angepasst werden. Konkret fordert die deutsche Industrie daher eine Qualifizierung EU-autonomer Kontrollen äquivalent zur 0Y521-ECCN Series in den USA. So wäre ein befristeter Mechanismus sichergestellt, durch den die europäische Exportkontrolle an die Prozesse im WassenaarArrangement gekoppelt bliebe. ▪ Qualifizierte EU-autonome Kontrollen wären kein rechtliches Neuland. Wie in den USA, sollten europäische Sondereingriffe eine Selbstverpflichtung zur Einbringung derart gelisteter Güter in den Wassenaar-Prozess umfassen. Auf diesem Weg könnten in Zukunft politische Konflikte um die europäische Exportkontrolle vermieden werden. Zudem würde hierdurch ein Ausufern unilateraler Kontrollen eingehegt.

19


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Antidumpingverfahren im Güterhandel18 In den vergangenen Jahren waren sowohl in der EU als auch weltweit steigende Zahlen der Antidumpingfälle zu beobachten. Zwischen Oktober 2008 und Oktober 2020 leitete die EU 146 Antidumpinguntersuchungen gegen 29 Länder ein, durchschnittlich zwölf Untersuchungen pro Jahr. Innerhalb der G20 ist sie der sechsgrößte Nutzer von Antidumpinguntersuchungen, unter anderem hinter Indien (544 Untersuchungen) und den USA (383). Die meisten Untersuchungen (59 beziehungsweise 40 %) leitete die EU gegen China ein. Untersuchungen wurden außerdem gegen Indien (11), Russland (9), die Türkei (7) und Indonesien (6) initiiert sowie jeweils fünf Untersuchungen gegen die USA, Südkorea und Taiwan und jeweils vier Untersuchungen gegen Thailand und die Ukraine. In 75 Fällen, also 51 Prozent, wurden auf Grundlage der von der EU eingeleiteten Untersuchungen endgültige Antidumpingmaßnahmen ergriffen. Innerhalb der G20 wurden in 60 Prozent der Fälle Maßnahmen ergriffen. 19

Anzahl der neu eingeleitete Antidumpinguntersuchungen Diagrammtitel (Oktober 2008 - Oktober 2020) 300 EU

244

238

250

227 208

200 137

150

100

215

176

166

160

G20

168

181

130

77

50 4

16

15

17

13

2009

2010

2011

2012

4

14

12

14

9

8

11

9

2014

2015

2016

2017

2018

2019

2020

0 2008

2013

Quelle: WTO, G20-Handelsüberwachungsberichte, <https://www.wto.org/english/news_e/news20_e/g20_annex_bis_okt20_e.xls>, BDI-Analyse. .

18

Der BDI hat eine ausführliche Position zum Antidumpingmechanismus der Europäischen Union veröffentlicht. Das Papier ist unter folgendem Link abrufbar: https://bdi.eu/publikation/news/antidumpingmassnahmen-der-europaeischen-union. 19 Methodik: Jede Untersuchung gegen N-Länder ist gezählt als N Untersuchungen. Russische Untersuchungen umfassen alle Untersuchungen der Euroasiatischen Wirtschaftsunion (EEU), südafrikanische Untersuchungen die der Südafrikanischen Zollunion (SECU) und saudi-arabische Untersuchungen die des Golfkooperationsrats (GCC). Gezählt wurden – mit Ausnahme 2018 – nur endgültige Maßnahmen. 20


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Anzahl der neu eingeleiteten Antidumpingmaßnahmen Diagrammtitel (Oktober 2008 - Oktober 2020*) 200

EU 168

180

G20 175

153

160 131

140

135

129

119

115

120

95

100

78

80 60

47

42

40 20

0

7

10

8

7

2

2009

2010

2011

2012

2013

10

7

11

2014

2015

2016

2

3

8

2017

2018

2019

0 2008

Quelle: WTO, G20-Handelsüberwachungsberichte, <https://www.wto.org/english/news_e/news20_e/g20_annex_b is_okt20_e.xls>, BDI-Analyse.

*Da nur endgültige Antidumping-Maßnahmen gezählt wurden und in 2020 keine endgültigen Maßnahmen ergriffen wurden, gibt es keine Spalte für 2020.

Status quo Die Antidumping-Grundverordnung (AD-GVO) der EU ist seit 1995 in Kraft und wurde in den folgenden Jahren immer wieder nachgebessert. Nachbesserungen sind notwendig, um die Schutzinstrumente an die sich verändernden handelspolitischen Rahmenbedingungen anzupassen. Um einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten, sind die deutsche und europäische Industrie auf effektive und ausgewogene handelspolitische Schutzinstrumente angewiesen. Im Jahr 2016 wurde die AD-GVO mit ihren zahlreichen Änderungen in einem vertikalen Kodifikationsprozess zusammengezogen – auch um Übersichtlichkeit bei den anstehenden Reformen zu gewährleisten. Die eigentliche Erneuerung der handelspolitischen Schutzinstrumente wurde dann, nach Vorschlägen der Kommission, vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union in einem Methodenabschnitt (Ermittlung des Normalpreises als Grundlage von Antidumpingverfahren) und einem Modernisierungsabschnitt (Durchführung von Antidumpingverfahren) getrennt angegangen. Die EU schloss am 7. Juli 2018 die Reform ihrer handelspolitischen Schutzinstrumente ab. Damit wurde auch das Antidumpingverfahren weiterentwickelt. Grund für die Reform war, dass Mitte Dezember 2016 ein entscheidender Vertragsartikel in Chinas WTO-Beitrittsprotokoll auslief. Demnach mussten chinesische Produzenten nachweisen, dass die Preise ihrer Produkte unter marktwirtschaftlichen Bedingungen zustande kamen. Ohne diesen Nachweis durften die Importländer die Feststellung des Dumpings nicht auf Basis der Heimatmarktpreise treffen, sondern auf Basis von Kostenstrukturen, welche für das betreffende Produkt in Ländern mit Marktwirtschaft existierten. Um dem Vorwurf, China pauschal als Land ohne marktwirtschaftliche Strukturen zu behandeln, zu entgehen, verständigten sich die EU-Mitglieder auf eine differenziertere Methodik zur Ermittlung des tatsächlichen Preises in China. Zudem wurde eine Reihe weiterer Anpassungen vorgenommen. Eine wichtige Neuerung in der Antidumping-Grundverordnung der EU ist demnach, dass die EU keine Unterscheidung zwischen einer Marktwirtschaft und einem Staatshandelsland mehr vornimmt. Vielmehr werden systematisch die Bestandteile der Vollkosten danach untersucht, ob sie vollständig und der Höhe nach angemessen sind. Für etwaige Kläger stellt die Kommission Marktberichte zur 21


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Verfügung, welche die Substantiierung der Antidumpingklage erleichtern und somit der Einleitung einer Antidumpinguntersuchung dienen. Empfehlungen ▪ Die Antidumpingmaßnahmen der EU sind ein wichtiges Instrument, um europäische Produzenten vor unfairem Wettbewerb aus dem Ausland zu schützen. Es muss sichergestellt werden, dass ihre Anwendung den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) entspricht und das Unionsinteresse in der EU widerspiegelt. ▪ Grundsätzlich ist das AD-Instrumentarium effektiv. Die deutsche Industrie begrüßt die letzte Reform. Einzelne Sektoren melden allerdings, dass bestehende Antidumpingzölle durch verschiedene Maßnahmen (Channeling durch Nutzung begünstigter TARIC-Codes, Transshipment, falsche Klassifizierungen etc.) umgangen werden. Dies unterminiert die Wirkung der Zölle und trägt dazu bei, dass kein Level Playing Field geschaffen wird. Es sind daher zusätzliche Maßnahmen notwendig, um Umgehungsmöglichkeiten zu begrenzen. Grundsätzlich gilt immer, dass auch die Anliegen einführender Wirtschaftsbeteiligter angemessen berücksichtigt werden müssen. ▪ Vor einer zukünftigen Reform des AD-Instrumentariums sollte eine genaue Analyse seiner Effektivität vorgenommen werden, die Konsultationen mit der produzierenden, verarbeitenden, exportierenden und importierenden Wirtschaft einschließt. Sollte eine weitere Reform in Erwägung gezogen werden, sollte beachtet werden, dass ▪

Änderungen im AD-Recht nicht einseitig zu Lasten einer der involvierten Parteien (Antragsteller/Antragsgegner) ausfallen;

eine weitreichende Verschärfung des Antidumping-/Antisubventionsrechts in der EU zu Retorsionsmaßnahmen in Drittstaaten führen kann, beispielsweise durch die Verschärfung des nationalen AD-Rechts oder die Einleitung von AD-Verfahren gegen in der EU ansässige Unternehmen.

▪ Die Einführung der Berichtspflicht durch die Europäische Kommission im Fall Chinas war richtig und wichtig. Dennoch bleibt der Nachweisaufwand in Einzelfällen sehr hoch. Die EU sollte weitere Berichte über Marktverzerrungen veröffentlichen. ▪ Die Parallelität von Antidumping- und Antisubventionsverfahren ist zu begrüßen. Grundsätzlich bleibt es allerdings schwierig, die nötigen Beweise für Subventionen bereitzustellen. Ein wesentliches Ziel sollte es daher zukünftig sein, mehr Transparenz über Subventionen in Drittstaaten zu schaffen. – Da die Parallelität die Verfahren insgesamt deutlich teurer und komplexer macht als Einzelverfahren, sollten diese nur dann stattfinden, wenn eine nennenswerte Erhöhung des Schutzzolls zu erwarten ist. Dennoch senden gerade Antisubventionsverfahren ein wichtiges politisches Signal. – Parallele Verfahren dürfen nicht dazu führen, dass es zu Doppelzählungen und überhöhten Zöllen kommt.

22


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▪ Die Verkürzung der Verfahren ist für die meisten Wirtschaftsbeteiligten positiv. Da gerade viele kleine Unternehmen nach wie vor aufgrund des hohen administrativen Aufwands vor AD-Verfahren zurückschrecken – trotz SME Helpdesk20 –, wäre eine weitere Entschlackung und eine zeitliche Straffung der Verfahren begrüßenswert. Die Kommission muss dabei sicherstellen, dass Antragstellern und interessierten Parteien auch in Zukunft gleichermaßen ausreichend Zeit zur Verfügung gestellt wird, um ihre Interessenlage einzubringen und sich auf etwaige Zölle einstellen zu können. ▪ Handelsschutzmaßnahmen sollten vor ihrem Auslaufen auf Antrag eines Unionsherstellers oder wenn nötig von Amts wegen, das heißt ohne Mitwirkungspflicht für Unternehmen, überprüft werden und, soweit wegen Fortbestands der weltweiten Marktverzerrungen erforderlich, verlängert werden können. ▪ Eine Ausweitung des Antidumpinginstrumentariums auf Dienstleistungen sollte ergebnisoffen geprüft werden. ▪ Wünschenswert wäre es zu untersuchen, ob Umwelt- und Sozialkosten auch bei der Ermittlung des Normalwerts berücksichtigt werden können, auch in Hinblick auf WTO-Rechtskonformität. Wenn die EU-Kommission zukünftig Kosten, insbesondere aus dem Emissionshandel und den anstehenden CO2-Vermeidungskosten, anerkennt, dürfte die Schädigungspanne größer ausfallen. ▪ Die Anwendung der Lesser Duty Rule einzuschränken, wenn Wettbewerbsverzerrungen aufgrund niedrig gehaltener Energie- und Rohstoffpreise bestehen, wird überwiegend als sinnvoll und als Beitrag gesehen, fairere Wettbewerbsbedingungen herzustellen. Dabei muss das Unionsinteresse berücksichtigt werden. ▪ Wünschenswert wäre eine weitere Standardisierung der einzelnen Etappen im Verfahren, beispielsweise bei der Vorbereitung einer AD-Klage im Sinne der Bereitstellung von Checklisten, Fragebögen und Entscheidungshilfen mit Erläuterungen auf den Internetseiten der Generaldirektion Handel oder der Mitgliedstaaten. Entsprechende Unterstützung wäre im gleichen Umfang für alle Wirtschaftsbeteiligten vorzusehen. ▪ Grundsätzliches Ziel sollte es sein, den Unternehmen ausreichende Informationen zur Verfügung zu stellen, um etwaiger Planungsunsicherheit konstruktiv entgegenzuwirken.

Antisubventionsverfahren im Güterhandel 21 Industriesubventionen sind nichts Neues, haben sich aber in den letzten Jahren zu einer zunehmenden Bedrohung für den fairen Wettbewerb auf den globalen Märkten entwickelt. Ähnlich wie bei der Anzahl der Antidumpingfälle, steigt auch die Anzahl der Antisubventionsverfahren stetig. Nach Angaben der WTO haben neue Ausgleichsuntersuchungen unter den Mitgliedsstaaten in den letzten Jahren zugenommen. So wurden im Jahr 2018 55 neue Untersuchungen eingeleitet. Im Jahr 2010 waren es zum

20

Ein Helpdesk stellt Unterstützung für kleine und mittelständische Betriebe zur Verfügung und wurde mit der Reform der ADGVO ausgebaut. 21 Der BDI hat eine ausführliche Position zur Reform des WTO-Übereinkommens über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen veröffentlicht. Das Papier ist unter folgendem Link abrufbar (in englischer Sprache): https://english.bdi.eu/publication/news/reform-of-the-wto-agreement-on-subsidies-and-countervailing-measures/. 23


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Vergleich nur neun neue Untersuchungen. 22 Seit der Gründung der WTO im Jahr 1995 haben die WTO-Mitglieder 604 gegenseitige Ausgleichsuntersuchungen eingeleitet. In 337 Fällen (56 %) wurden Maßnahmen eingeleitet und Ausgleichszölle erhoben (Stand Ende Juni 2020).23 Gesamtzahl der unter WTO-Mitgliedern eingeleiteten Antisubventionsuntersuchungen (1995-2020)

Diagrammtitel

700 600

541

604

486

500

*Daten bis Ende Juni 2020 380

400 300 200 99 117 100

577

33 10 17

217 190 201 168 176 182 144 153

245 254

279

302

411

445

335

58

0

Quelle: Welthandelsorganisation, Countervailing Initiations: By Reporting Member 01/01/1995 - 30/06/2020, <https://www.wto.org/english/tratop_e/scm_e/CV_InitiationsByRepMem.pdf> (eingesehen am 8. Februar 2021).

Status quo Das Regelwerk der WTO enthält zwar Regeln für Subventionen. Es fehlt jedoch an kohärenten und umfassenden Regeln, um wirksam gegen marktverzerrende Praktiken vorzugehen, insbesondere im Bereich der Subventionen (über Exportsubventionen hinaus) und besonders im Hinblick auf Subventionen in der Industrie, die Rolle von Staatsunternehmen und erzwungene Technologietransfers. Das WTO-Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen (Agreement on Subsidies and Countervailing Measures, SCM-Übereinkommen) definiert Subventionen nur vage. Zudem deckt es nur Exportsubventionen und Subventionen ab, die dazu bestimmt sind, das inländische Angebot zu erhöhen oder Importe zu ersetzen. Darüber hinaus sind die Hürden für die Einführung von Ausgleichszölle hoch: Der Antragsteller trägt die Beweislast für den Nachweis des erlittenen Schadens und muss einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Schädigung und den subventionierten Einfuhren nachweisen. Die undurchsichtige staatliche Finanzierung in einigen Ländern macht dies sehr schwierig. Zudem notifizieren die Mitglieder ihre Subventionen häufig nicht. Die WTO hat wenig Spielraum, um die Länder zu sanktionieren, die ihren Notifikationspflichten nicht nachkommen. Um diese Regulierungslücke zu schließen, gab die Trilaterale Initiative, bestehend aus der Europäischen Union, den Vereinigten Staaten und Japan, nach einem Treffen in Washington, DC, im Januar

22

Die WTO-Daten stehen nur bis Ende Juni 2019 zur Verfügung; um volle Jahre vergleichen zu können, haben wir hier die Daten für 2018 verwendet. 23 Welthandelsorganisation, Countervailing Initiations: By Reporting Member 01/01/1995 30/06/2020, <https://www.wto.org/english/tratop_e/scm_e/CV_InitiationsByRepMem.pdf> und Countervailing Measures: By Reporting Member 01/01/1995 - 30/06/2020, <https://www.wto.org/english/tratop_e/scm_e/CV_MeasuresByRepMem.pdf> (eingesehen am 8. Februar 2021). 24


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2020 eine gemeinsame Erklärung ab.24 Diese Erklärung umfasste unter anderem Vorschläge einer umfassenden Reform des SCM-Übereinkommens der Welthandelsorganisation, um die staatliche Subventionierung von Industriegütern und deren Exporte genauer zu regeln. Das SCM-Übereinkommen sieht multilaterale Übereinkünfte vor, die die Gewährung von Subventionen regeln. Es regelt auch den Einsatz von Maßnahmen zum Ausgleich der durch subventionierte Einfuhren verursachten Schäden. Die trilateralen Partner waren sich einig, dass das SCM-Übereinkommen in seiner gegenwärtigen Form „nicht ausreicht, um die markt- und handelsverzerrende Subventionierung“ von Industriegütern in „bestimmten Jurisdiktionen“ zu bekämpfen. Sie stellten Mängel in mehreren Bereichen fest, für die sie politische Empfehlungen abgeben: Definition und Arten von Subventionen, Benchmarking, Notifizierung und Bedingungen für Ausgleichsmaßnahmen. Schließlich bekräftigen die Partner ihr Vorhaben, die Arbeit an folgenden Punkten fortzusetzen: ▪

Ermittlung des Umfangs der verbotenen Subventionen sowie weiterer Kategorien „bedingungslos verbotener“ Subventionen;

Ermittlung des Umfangs schädlicher Bestimmungen sowie zusätzlicher Fälle schädlicher Subventionierung;

die Bestimmung, die die Gefahr eines „ernsthaften Schadens“ definiert;

die Definition für öffentliche Körperschaften, da die Partner argumentieren, dass die Auslegung dieses Begriffs für subventionierende Körperschaften durch das WTO-Berufungsgremium unangemessen war und „die Wirksamkeit der WTO-Subventionsregeln untergräbt“.

Empfehlungen ▪

Das Regelwerk der WTO enthält zwar Regeln für Subventionen. Es fehlt aber an kohärenten und umfassenden Regeln, um marktverzerrende Praktiken über den Bereich der Exportsubventionen hinaus wirksam zu bekämpfen. Diese Regulierungslücke muss schnell und zufriedenstellend geschlossen werden.

Der Rahmen für Ausgleichsmaßnahmen (countervailing measures, CVM) sollte gestärkt und seine Anwendung erleichtert werden. Künftig sollten CVM so gestaltet werden, dass sie den marktverzerrenden Auswirkungen ausländischer staatlicher Unternehmen und von Industriesubventionen besser Rechnung tragen. Dies kann dazu beitragen, Wettbewerbsneutralität zu gewährleisten. 25

24

Joint Statement of the Trilateral Meeting of the Trade Ministers of Japan, the United States and the European Union, 14. Januar 2020, <https://ustr.gov/about-us/policy-offices/press-office/press-releases/2020/january/joint-statement-trilateral-meeting-trade-ministers-japan-united-states-and-european-union>. 25 Der BDI schlägt wie BusinessEurope ein SOE-Prinzip vor, das beinhaltet, dass die EU-Politik so gestaltet wird, dass die Auswirkungen von staatlich induzierten Marktverzerrungen durch KMU abgemildert werden: BusinessEurope, The EU and China. Addressing Systemic Challenge, Brussels 2020 <https://www.businesseurope.eu/sites/buseur/files/media/reports_and_stud-ies/the_eu_and_china_full_february_2020_version_for_screen.pdf>. 25


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Die EU sollte multilaterale, plurilaterale (im besten Fall im Rahmen der WTO) und bilaterale Anstrengungen (zum Beispiel in Freihandelsabkommen) unternehmen, um neue Regeln für Industriesubventionen und staatseigene Unternehmen zu entwickeln.

Die deutsche Industrie begrüßt die Vorschläge der Trilateralen Initiative (EU, Japan, Vereinigte Staaten) zu geeigneten Regeln. Sie sind wichtige Schritte zur Wiederherstellung eines fairen Wettbewerbs.

Die EU sollte ihre Ausgleichsmaßnahmen reformieren. Der Rahmen für CVM sollte gestärkt und seine Anwendung erleichtert werden. Künftig sollten sie so gestaltet werden, dass sie den marktverzerrenden Auswirkungen ausländischer staatlicher Unternehmen und Industriesubventionen besser Rechnung tragen.

Wenn das WTO-Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen nicht multilateral modernisiert werden kann, könnte ein plurilaterales Abkommen ein gangbarer Zwischenschritt sein.

Der BDI begrüßt parallele Untersuchungen zu Dumping und Subventionen, die die Realität der handelsverzerrenden Wirkung von Industriesubventionen widerspiegeln.

Um Ausgleichsmaßnahmen richtig zu steuern, muss die Überwachung und Notifizierung über Industriesubventionen sektorübergreifend deutlich verbessert werden. Die deutsche Industrie befürwortet strengere Regeln für die Notifizierung von Subventionen bei der WTO und einen wirksameren Durchsetzungsmechanismus.

Die deutsche Industrie unterstützt die Einführung neuer bedingungslos verbotener Subventionsarten, wie sie in dem Reformentwurf der Trilateralen Initiative vorgeschlagen werden.

Die deutsche Industrie erkennt die wachsende Bedeutung und den Wert des Handels mit Dienstleistungen an und unterstützt alle Bemühungen innerhalb der WTO, den Verhandlungsprozess über Dienstleistungen voranzubringen.

Abschließend ist anzumerken, dass selbst umfassende Reformen des SCM-Übereinkommens und der CVM-Mechanismen der EU hauptsächlich die Handelsseite betreffen würden. Das Problem der staatlich induzierten Marktverzerrungen im inländischen Wettbewerb, im Wettbewerb auf Drittmärkten, bei Investitionen (einschließlich Fusionen und Übernahmen) oder auch im öffentlichen Beschaffungswesen sollte von der EU nach Möglichkeit ebenfalls parallel angegangen werden. Schließlich wird die EU ihre staatlichen Beihilfeinstrumente neu bewerten und reformieren müssen, um die Industrie bei ihrem Übergang zur CO2-Neutralität und Rohstoffnachhaltigkeit zu unterstützen. Daher sollten neue multilaterale oder plurilaterale Regeln einen spezifischen Rahmen für diese Zwecke bieten. Gemeinsame internationale Antworten auf diese Herausforderung sind besser als nationale Alleingänge.

26


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Das Safeguardinstrument26 Seit 2008 ist die Zahl der eingeleiteten Safeguarduntersuchungen innerhalb der G20 stetig gestiegen. Bei der Anzahl der verhängten Maßnahmen ist ein ähnlicher Trend zu beobachten. 27 In den vergangenen Jahren und Monaten ist die Diskussion um Safeguards auch in der breiteren Öffentlichkeit in der Europäischen Union angekommen. So wird im Rahmen des Trade Policy Review und in der Diskussion um europäische Open Strategic Autonomy vermehrt über die Nutzung von Safeguards im Handelsschutz gesprochen. Somit rückt dieses bisweilen kaum bekannte und vergleichsweise wenig genutzte Instrument vermehrt in den Fokus der handelspolitischen Schutzdebatte. Die G20-Länder leiteten zwischen Oktober 2008 und Mitte Oktober 2020 insgesamt 123 Safeguarduntersuchungen ein. In 63 dieser Fälle (51 %) wurden endgültige Maßnahmen eingeführt. Indien leitete mit 39 Untersuchungen die meisten Untersuchungen ein, gefolgt von Indonesien (33), der Türkei (15) und Russland (10). Argentinien, Japan und Südkorea initiierten in der erfassten Zeit keine Safeguarduntersuchungen, und Brasilien, Kanada, China und Mexiko leiteten jeweils eine Untersuchung ein.

Gesamtzahl der unter G20-Ländern eingeleiteten Safeguarduntersuchungen Investigations Oktober 2008 - Mitte Oktober 2020 140 123 116

120 104 96

100

89 79

80

83

66 59

60 42 40

33 21

20 3 0 2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

2015

2016

2017

2018

2019

2020

Quelle: WTO, G20-Handelsüberwachungsberichte, <https://www.wto.org/english/news_e/news20_e/g20_annex_bis_okt20_e.xls>, BDI-Analyse. .

26

Der BDI hat eine ausführliche Position zum Safeguardinstrument veröffentlicht. Das Papier ist unter folgendem Link abrufbar: https://bdi.eu/media/publikationen/#/publikation/news/das-safeguardinstrument/. 27 Welthandelsorganisation (2008-2020), G20-Trade Monitoring Berichte, <https://www.wto.org/english/news_e/news20_e/g20_annex_bis_jun20_e.xls> (eingesehen am 24. Juli 2020), BDI-Analyse. 27


Level Playing Field im internationalen Wettbewerb – Handlungsfähigkeit der EU erhöhen

Gesamtzahl der unter G20-Ländern ergriffenen endgültigen Safeguards Measures Oktober 2008 - Mitte Oktober 2020 70 63

63

2019

2020

57

60 51 50 40 40

42

45

34 30

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Quelle: WTO, G20-Handelsüberwachungsberichte, <https://www.wto.org/english/news_e/news20_e/g20_annex_bis_okt20_e.xls>, BDI-Analyse. .

Status quo Im Gegensatz zu den geläufigeren handelspolitischen Schutzinstrumenten – Antidumping- und Antisubventionsmaßnahmen – konzentrieren sich Safeguards nicht auf die „Fairness" des Handels, sondern werden angewandt, wenn europäische Wirtschaftsbeteiligte von einem „unvorhergesehenen, starken und plötzlichen" Anstieg der Einfuhren betroffen sind. Das Instrument zielt darauf ab, dem betroffenen Industriezweig eine „vorübergehende Atempause" zu verschaffen, um sich an eine erhebliche Zunahme von Einfuhren anzupassen. Safeguards gehen damit nicht auf ein „Fehlverhalten“ Dritter (wie Dumping oder unerlaubte Subventionen) zurück. Deshalb stehen den von Safeguards betroffen Drittstaaten auch äquivalente handelspolitische Kompensationsmaßnahmen (zum Beispiel Zollerleichterungen in anderen Bereichen) zu. Ein weiterer Unterschied zwischen Safeguards und den anderen beiden handelspolitischen Schutzinstrumenten besteht darin, dass sie nicht auf Einfuhren aus einem bestimmten Land oder bestimmten Ländern angewandt werden, sondern auf Einfuhren aus allen Ländern.28 Darüber hinaus ist die Untersuchung nicht nur auf gleichartige Waren beschränkt, sondern kann auch unmittelbar konkurrierende Waren erfassen. Obwohl die EU im Jahr 2018 eine Reform der Antidumping- und Antisubventionsinstrumente abgeschlossen hat, ist derzeit keine Reform der EU-Safeguards geplant. Der Rahmen für Safeguards der EU findet sich im WTO-Übereinkommen über Safeguards (Artikel XIX, GATT). Das Abkommen erlaubt es WTO-Mitgliedern, Safeguards zu ergreifen, um einen bestimmten inländischen Wirtschaftszweig vor einem unvorhergesehenen Anstieg von Einfuhren einer Ware zu schützen, die einen ernsthaften Schaden für diesen Wirtschaftszweig verursacht oder zu verursachen droht. Das Abkommen legt die Anforderungen für Safeguarduntersuchungen fest, einschließlich der öffentlichen Bekanntmachung von Anhörungen, der Möglichkeit für interessierte Parteien, Beweise vorzulegen und der Möglichkeit vorläufiger Maßnahmen, wenn eine ernsthafte Schädigung bereits festgestellt wurde. Die Kriterien für eine ernsthafte Schädigung und die Faktoren, die bei der Bestimmung der

28

Europäische Kommission, Safeguards, <https://ec.europa.eu/trade/policy/accessing-markets/trade-defence/actions-againstimports-into-the-eu/safeguards/> (eingesehen am 30.07.2020). 28


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Auswirkungen von Einfuhren berücksichtigt werden müssen, sind ebenfalls in dem Abkommen festgelegt. Maßnahmen sollten nur in dem Maße angewandt werden, wie dies zur Verhinderung und Behebung einer ernsthaften Schädigung und zur Erleichterung der Anpassung der heimischen Produktion erforderlich ist. Wird aufgrund einer Untersuchung eine Mengenbeschränkung auf Einfuhren verhängt, sollte diese Maßnahme die Einfuhrmenge nicht unter den Jahresdurchschnitt der letzten drei Jahre senken. Die Maßnahmen sollten nicht länger als vier Jahre gelten. In Sonderfällen können sie auf maximal acht Jahre verlängert werden. Ausgenommen von den Maßnahmen werden bestimmte Entwicklungsländer, falls zwei Kriterien gleichzeitig erfüllt sind und zwar, wenn 1. der Anteil der Einfuhren des Produkts aus einem Entwicklungsland an den Gesamteinfuhren des Produkts drei Prozent nicht übersteigt; 2. die Einfuhren des Produkts aus Entwicklungsländern mit einem Anteil von weniger als drei Prozent der Gesamteinfuhren zusammen weniger als neun Prozent der Gesamteinfuhren ausmachen. Entwicklungsländer können die Geltungsdauer von eigenen Safeguards um bis zu zwei Jahre über das normale Maximum hinaus auf bis zu zehn Jahre verlängern. Schließlich wurde mit dem Abkommen der Ausschuss für Safeguards (Safeguards Committee) eingerichtet, der die Anwendung überwachen soll.29 EU-Safeguarduntersuchungen Die Hürden der WTO für den Einsatz von Safeguards sind sehr hoch. So muss die Europäische Kommission nachweisen, dass der Anstieg der Importe dieser Produkte oder Produktgruppen signifikant war, auf unvorhergesehene Entwicklungen zurückzuführen ist und eine ernsthafte Schädigung auf dem EU-Markt verursacht oder zu verursachen droht. Somit ist ein höheres Schadensrisiko als bei Antidumping- oder Ausgleichszöllen erforderlich. Darüber hinaus muss die Kommission über die Verpflichtungen im Rahmen des WTO-Übereinkommens über Safeguards hinaus nachweisen, dass diese Maßnahmen (beispielsweise Zölle oder Einfuhrquoten) im Interesse der Europäischen Union liegen. Sowohl die EU-Produzenten als auch die Kommission selbst können Safeguarduntersuchungen einleiten. Von Seiten der Hersteller erfordert dies einen hinreichend begründeten Antrag bei den Behörden in einem oder mehreren EU-Mitgliedstaaten. Gelangt die Kommission nach Konsultation der nationalen Behörden zu der Auffassung, dass genügend Beweise vorliegen, eröffnet sie eine solche Untersuchung durch eine Bekanntmachung im Amtsblatt der EU. Bei den Untersuchungen werden Einfuhrtrends, die Bedingungen, unter denen sie stattfinden und die Gefahr beziehungsweise Ursache eines ernsthaften Schadens für EU-Produzenten untersucht. Sie müssen innerhalb von neun Monaten abgeschlossen werden. Safeguards können auf unterschiedliche Weise ergriffen werden, beispielsweise in Form erhöhter Zölle oder von Einfuhr- und Zollkontingenten. Werden Einfuhrkontingente verhängt, werden diese in der Regel mindestens auf der durchschnittlichen Höhe der Einfuhren der letzten drei repräsentativen Jahre festgesetzt. In der Vergangenheit hat die Kommission Zollkontingente eingeführt, das heißt, dass auf die Einfuhren, die das Kontingent überschreiten, zusätzliche Zölle erhoben werden. Unter besonderen

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Welthandelsorganisation, Agreement on Safeguards, <https://www.wto.org/english/docs_e/legal_e/ursum_e.htm#lAgreement> (eingesehen am 30.07.2020). 29


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Umständen, wie bei den im Jahr 2018 ergriffenen Stahlzöllen, können auch vorläufige Maßnahmen verhängt werden, wenn der Nachweis eines eindeutigen Schadens erbracht wurde. 30 Empfehlungen ▪ Um einen fairen internationalen Wettbewerb zu gewährleisten, ist die deutsche Industrie auf effektive und ausgewogene handelspolitische Schutzinstrumente angewiesen, die faire und weltweit gleiche Wettbewerbsbedingungen für die in der EU ansässigen Hersteller, Importeure und Verbraucher sicherstellen. ▪ Grundsätzlich hält die deutsche Industrie das WTO-Übereinkommen über Safeguards für angemessen. Grundsätzlich muss immer die Einhaltung der Vorgaben des Abkommens gewährleistet sein. – Dabei gilt immer, dass sowohl die Anliegen produzierender als auch einführender Wirtschaftsbeteiligter, also das Unionsinteresse, angemessen berücksichtigt werden müssen. – Kriterien, die die Anwendung von Safeguards ermöglichen, müssen möglichst differenziert und praxisgerecht definiert sein. ▪ Die (EU-)Safeguards sind ein (besonders scharfes) Instrument, das zur Abwendung massiver und plötzlicher externer Schocks gedacht ist und lediglich in handelspolitischen Notsituationen zum Einsatz kommt. Daher muss von der Europäischen Kommission vor Einführung der Safeguards sorgfältig geprüft werden, ob die hierfür erforderlichen Kriterien erfüllt sind: – Das Vorliegen der für Safeguards erforderlichen Kriterien sollte produktspezifisch geprüft werden. Begriffe wie „unvorhergesehener Importanstieg“ sollten genauer definiert werden. – Für die Einführung von Safeguards muss es zu einem unvorhergesehenen und starken Anstieg der Importe gekommen sein. Dieser und die nachweislich negativen wirtschaftlichen Auswirkungen sollten im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen. – Wechselwirkungen mit geltenden Antidumpingmaßnahmen der EU sollten vermieden werden, da diese die Sicherstellung der Versorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen in einem äußerst dynamischen Marktumfeld gefährden können. ▪ Innerhalb der Europäischen Union spielte das Safeguardinstrument im Handelsschutz bislang eine untergeordnete Rolle. Angesichts der wachsenden Herausforderungen im internationalen Handel für einige Branchen (zunehmender weltweiter Protektionismus, wachsende Überkapazitäten, Mengenumleitungen in den europäischen Markt) sollte die Europäische Kommission die Anwendung von Safeguards dahingehend sorgfältig überprüfen, wann ihre Anwendung helfen kann, ein Level Playing Field international zu sichern. – Wenn (zum Beispiel nach Antragstellung) die Voraussetzungen und Kriterien für den Einsatz des Instrumentes erfüllt sind, muss es nach genauer, ausgewogener Untersuchung konsequent angewendet werden.

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Europäische Kommission, Measures, <https://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2013/april/tradoc_151032.pdf> (eingesehen am 30.07.2020). 30


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– Es muss eine gewisse Flexibilität in der Überwachung der Safeguards gegeben sein, um auch kurzfristig auf sich ändernde Bedingungen zu reagieren. Hier wird von interessierter Seite zum Teil eine engere Überwachung der Entwicklungen auf der Importseite von der Europäischen Kommission vorgeschlagen. Gleichzeitung darf aber auch die notwendige Planungssicherheit für die Wirtschaftsbeteiligten nicht außer Acht gelassen werden. – Die Vorgaben in der EU-Schutzklausel-Grundverordnung, die beschreiben, in welchen Fällen Safeguards auf Einfuhren aus Entwicklungsländern anzuwenden sind, sollten konsequent durchgeführt werden. Allerdings sollte die EU sowohl das Unionsinteresse als auch entwicklungspolitische Erwägungen in die Entscheidungsfindung einfließen lassen. – Nicht immer werden Safeguards in Drittländern im Einklang mit den Regeln der WTO ergriffen. Einige Branchen melden, dass sie sich in Drittstaaten regelmäßig mit Untersuchungen oder Safeguards oder gar Retorsionsmaßnahmen konfrontiert sehen. Die EU sollte den Einsatz von Safeguards von Drittstaaten in Abstimmung mit der Wirtschaft aufmerksam beobachten und bei neuen Untersuchungen die betroffenen EU-Unternehmen dabei unterstützen, entschieden gegen offensichtlich rechtswidrige und unzulässige Maßnahmen vorzugehen (zum Beispiel Streitschlichtungsverfahren). – Die Notifizierung von Safeguards bei der WTO und die dadurch erzeugte Transparenz ist von hoher Bedeutung, um sich im Außenhandel auf die veränderte Situation einstellen und sich gegebenenfalls frühzeitig an Untersuchungsverfahren beteiligen zu können. Grundsätzlich wird die Notifizierung von Safeguards für angemessen gehalten. Es ist vielmehr ein Problem, dass nicht alle Länder ihrer Notifizierungspflicht nachkommen. Ein effektiverer Durchsetzungsmechanismus einschließlich stärkerer Anreize zur Notifizierung sollte seitens der WTO vorgenommen werden.

Investment Screening Status quo Die deutsche Wirtschaft ist über Direktinvestitionen im Ausland weltweit vernetzt. Über acht Millionen Arbeitnehmer sind im Ausland für Unternehmen beschäftigt, an denen deutsche Investoren maßgebliche Anteile halten. Andererseits ist der Standort Deutschland aber auch auf das Vertrauen von Investoren aus dem Ausland angewiesen. In Deutschland arbeiten 3,2 Millionen Arbeitnehmer für 16.817 Unternehmen, an denen ausländische Investoren beteiligt sind (2018). Investitionen und Übernahmen aus Drittstaaten in Deutschland haben hierzulande in den letzten Jahren allerdings auch zu kontroversen Diskussionen geführt. In Deutschland führten unter anderem die Übernahme des deutschen Roboterherstellers KUKA sowie der chinesische Einstieg bei Unternehmen der Automobilindustrie zu kontroversen Diskussionen. Die Bestände chinesischer Direktinvestitionen im Ausland haben sich in den letzten zehn Jahren (2009 bis 2019) laut UNCTAD etwa verzehnfacht. 31 Befürworter einer verschärften staatlichen Investitionskontrolle warnen vor einer Gefährdung von Sicherheit und öffentlicher Ordnung, die mit ausländischen Investitionen einhergehen können. Außerdem sehen sie die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts in Gefahr, wenn sich ausländische

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UNCTAD, <http://unctadstat.unctad.org> (eingesehen 01.09 2020). 31


Level Playing Field im internationalen Wettbewerb – Handlungsfähigkeit der EU erhöhen

Investoren durch Zukäufe Zukunftstechnologien aneignen. Auch wird überlegt, wie man durch Stärkung der eigenen Eingriffsrechte andere Staaten zur Einlenkung in politischen Fragen bewegen kann („Reziprozität“). Als Reaktion auf die Debatte hat die Bundesregierung 2017, 2018 und 2020 ihre Möglichkeiten zur Kontrolle und Untersagung ausländischer Investitionen trotz des starken Protests von Wirtschaftsvertretern ausgeweitet. Etwa wurde für Unternehmensübernahmen bei kritischen Infrastrukturen eine Meldepflicht eingeführt. Im Frühjahr 2020 wurden als Reaktion auf die Coronapandemie im Rahmen der 15. Novelle der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) Unternehmen der industriellen Gesundheitswirtschaft (iGW) mit aufgenommen. Auch wurde die Beteiligungsschwelle, oberhalb derer Investitionen aus Drittländern untersagt werden können, bei kritischen Infrastrukturen von 25 Prozent auf zehn Prozent abgesenkt. Für den restlichen Jahresverlauf sind im Rahmen einer 17. AWV-Novelle weitere Ausweitungen der staatlichen Eingriffsrechte auf bestimmte Technologiebranchen geplant. Auch die Europäische Union arbeitet an einer strikteren Kontrolle von Investitionen aus Drittstaaten. Im Oktober 2020 trat in den Mitgliedsstaaten der EU eine bereits 2019 beschlossene EU-Verordnung zum europaweiten Umgang mit Investitionskontrollen in Kraft. Damit hat die EU ein europäisches Rahmenwerk für Investitionskontrollen geschaffen. Die Verordnung legt die Grundlagen für einen systematischen Informationsaustauch zwischen den Mitgliedsstaaten untereinander und mit der Europäischen Kommission zu Übernahmen aus Drittländern. Dabei betont die Verordnung ausdrücklich, dass als Grund für Einschränkungen ausländischer Investitionen allein die Bedrohung der nationalen Sicherheit in Frage kommt und dass die letztliche Entscheidung über Einschränkungen spezifischer Investitionen immer in der Hand der Mitgliedstaaten liegt. Im Frühjahr 2020 forderte die Europäische Kommission die Mitgliedstaaten außerdem ausdrücklich auf, ihre rechtlichen Instrumente zur Investitionskontrolle zum Einsatz zu bringen, um strategisch relevante Übernahmen von Unternehmen im Gesundheitssektor aus Drittstaaten kritisch zu überprüfen. Die EU ist in den letzten Monaten erste Schritte in Richtung eines europäisch abgestimmten Umgangs mit Investitionen aus Drittstaaten gegangen. Es bleibt abzuwarten, wie weitere Schritte in Richtung einer größeren Geschlossenheit Europas im Umgang mit Investoren aussehen werden. Nachvollziehbare sicherheitspolitische Bedenken müssen allerdings gegenüber wirtschaftlichen Risiken abgewogen werden. Deutschland und Europa profitieren erheblich von offenen Märkten für Waren, Dienstleistungen und Investitionen.32 Staatliche Investitionskontrollen sind ein tiefer Eingriff in Eigentumsrechte und Vertragsfreiheit und Grundpfeiler unserer erfolgreichen sozialen Marktwirtschaft. Außerdem sind neue Restriktionen für Investitionen aus dem Ausland (Foreign Direct Investment, FDI) auch deshalb schmerzhaft, weil FDI ohnehin immer stärker von den Wachstumsmärkten in Asien angezogen werden. Hinzu kommt, dass die weltweite Welle des Protektionismus auch vor den Investitionen keinen Halt macht. Der letzte Bericht der UNCTAD zur internationalen Investitionspolitik zeigt, dass zuletzt ein Drittel (34 %) der weltweiten investitionspolitischen Maßnahmen Investitionen

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Die Auslandsumsätze, die deutsche Unternehmen über ihre Standorte im Ausland erzielen, übersteigen die Exporte Deutschlands um etwa das Doppelte. In ähnlicher Weise sind ausländische Unternehmen bei uns engagiert. Allein in Deutschland arbeiten 3,2 Millionen Arbeitnehmer für 16.817 Unternehmen, an denen ausländische Investoren beteiligt sind (2018). Das ausländische Engagement in Deutschland geht allerdings zurück. Im Jahr zuvor (2017) waren es noch 17.167 Unternehmen. Auch die Anzahl der Unternehmen in chinesischer Hand und die Zahl der dort Beschäftigten war zuletzt rückläufig. Quelle: Deutsche Bundesbank, Direktinvestitionsstatistiken, <https://www.bundesbank.de/resource/blob/804098/507b44231439ce3bf4402a9c5d1d084f/mL/ii-bestandsangaben-ueber-direktinvestitionen-data.pdf> (eingesehen am 07.12.2020). 32


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einschränkten.33 Im Zuge der Coronapandemie hat sich dieser Trend weiter verschärft, auch, weil viele Staaten die Kontrolle über die Produktion gesundheitsrelevanter Güter sicherstellen wollten. Die schärferen Gesetze spiegeln sich schon heute in der Praxis der Staaten im Umgang mit ausländischen Investitionen wider.34 Weltweit wurden laut UNCTAD im Jahr 2018 zum Schutz der nationalen Sicherheit dreimal so viele Übernahmen untersagt wie im Vorjahr. 35 Die überwiegend sicherheitspolitisch motivierten Restriktionen für Auslandsinvestitionen verstärken den weltweiten Trend rückläufiger FDIStröme, der sich im Zusammenhang mit der Coronapandemie im Jahresverlauf 2020 bereits beschleunigt hat. Die FDI-Ströme in die Industrieländer gingen beispielsweise im ersten Halbjahr um 75 Prozent zurück.36 Gleichzeitig müssen Berlin und Brüssel aber im Umgang mit ausländischen Investoren Sicherheit und öffentliche Ordnung gewährleisten. Die staatliche Kontrolle von Übernahmen sicherheitsrelevanter Unternehmen etwa von Kriegswaffen oder Infrastrukturen ist EU-rechtlich gleichermaßen zulässig wie ordnungspolitisch notwendig, muss aber jeweils Gegenstand einer nachvollziehbaren sicherheitspolitischen Güterabwägung sein. Zur präzisen Abgrenzung derartiger Sektoren ist allerdings ein kontinuierlicher Dialog zwischen Wirtschaft, Sicherheits- und Außenwirtschaftspolitik notwendig, da Technologien und Bedrohungsszenarien sich im Zeitverlauf ändern. Über den Schutz der öffentlichen Sicherheit hinausgehende, industriepolitisch motivierte Eingriffe in Privateigentum und die Vertragsfreiheit lehnt der BDI ab. Denn die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft der deutschen Industrie basieren auf dem Schutz von Privateigentum und Vertragsfreiheit, nicht auf dem staatlichen Schutz bestimmter Technologien. Deutschland darf sich deshalb nicht an der Beschleunigung einer Spirale des Investitionsprotektionismus beteiligen. Empfehlungen ▪ Ausländische Investitionen sind in Deutschland willkommen. Sie schaffen Wohlstand und Arbeitsplätze. In Deutschland arbeiten drei Millionen Arbeitnehmer für Unternehmen in ausländischer Hand. Deutschland profitiert in hohem Maße von offenen Grenzen. ▪ Die gegenwärtig im Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und in der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) verankerten Kontrollmechanismen zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sind vollkommen ausreichend. Darüber hinaus können auch die allgemeinen Gesetze zur Regulierung der Wirtschaft (zum Beispiel Wettbewerbsrecht) negative Auswirkungen der wirtschaftlichen Aktivitäten von Unternehmen verhindern. ▪ Der BDI ist gegen die Nutzung von Investitionskontrollen zur Erreichung industriepolitischer Ziele. Eine grundsätzliche Ausweitung des Eingriffskriteriums „Schutz der öffentlichen Ordnung und

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Das ist der höchste Stand seit vielen Jahren. Sowohl UNCTAD als auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stellen einen Trend in den G20-Staaten fest, den Rahmen für staatliche Investitionsprüfungen zu verbreitern. Quelle: UNCTAD, Investment Policy Monitor Issue 23, <https://unctad.org/system/files/official-document/diaepcbinf2020d1_en.pdf> (eingesehen am 07.12.2020). 34 OECD/UNCTAD, Twenty-fourth Report on G20 Investement Measures, <https://www.wto.org/english/news_e/news20_e/g20_oecd_unctad_report_nov20_e.pdf> (eingesehen am 07.12.2020). 35 UNCTAD, Investment Policy Monitor Issue 23, <https://unctad.org/system/files/official-document/diaepcbinf2020d1_en.pdf> (eingesehen am 07.12.2020). 36 Für das Jahr 2020 rechnet die UNCTAD mit einem Rückgang der weltweiten Investitionsströme von bis zu 40 Prozent. Quelle: UNCTAD, Investment Trends Monitor Issue 36, <https://unctad.org/webflyer/global-investment-trends-monitor-no-36> (eingesehen am 07.12.2020). 33


Level Playing Field im internationalen Wettbewerb – Handlungsfähigkeit der EU erhöhen

Sicherheit“ in AWG und AWV auf ökonomische Prüfkriterien kann einer protektionistischen Instrumentalisierung Tür und Tor öffnen. ▪ Die Transparenz und Verlässlichkeit des Prüfverfahrens sollten verbessert werden. Eine transparentere und präzisere Definition dessen, was unter „nationaler Sicherheit und Ordnung“ im Kontext ausländischer Direktinvestitionen zu verstehen ist, kann die Rechtsicherheit für Investoren erhöhen und dadurch für den Standort Deutschland förderlich sein. ▪ Der BDI begrüßt politische Initiativen zum Abbau von Investitionsbeschränkungen. Zur Öffnung von Auslandsmärkten für Investoren sind Investitionsschutz- und -förderverträge (IFV/BITs) sowie Freihandelsabkommen (FTA) die geeignetsten Instrumente. Auch muss der Dialog in der WTO und innerhalb der Formate der Global Governance wie G7 oder G20 für mehr Offenheit genutzt werden. Das Androhen der Einführung von Marktzugangsbeschränkungen für ausländische Investitionen („Reziprozität“) ist hingegen ungeeignet, Staaten zur Marktöffnung zu bewegen. Ein „Hase-und IgelRennen“ kann Deutschland nur verlieren. ▪ Eigentumsrechte und Vertragsfreiheit als Grundpfeiler der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland sind zu gewährleisten und zu stärken. Die Entscheidung von Eigentümern, an wen sie ihre Unternehmensanteile verkaufen, sollte nicht weiter als bisher eingeschränkt werden. ▪ Die europäische Verordnung zum Umgang mit Auslandsinvestitionen in der EU bringt die Bedürfnisse nach Offenheit und Sicherheit gut in Einklang. Die Verordnung unterstreicht, dass Eingriffe nur zum Schutz der nationalen Sicherheit erfolgen dürfen. Die Entscheidungshoheit über Untersagungen von Investitionen bleibt weiterhin in den Händen der Mitgliedsstaaten. Die Erfahrungen aus dem neu geschaffenen Kooperationsmechanismus der Mitgliedsstaaten können später dazu genutzt werden, um weitere Schritte auf dem Weg hin zu einer abgestimmteren Investitionspolitik der EU zu prüfen. Einseitige nationale Verschärfungen der Investitionskontrollen über das in der Verordnung vorgegebene Maß sollten nicht zu Wettbewerbsnachteilen am Standort Deutschland führen (Level Playing Field). Außerdem sollte die EU im Interesse von deutschen Investoren und Kapitalsuchenden stärker als globaler Gestalter der internationalen Investitionspolitik auftreten könnten.

Annex: Die Europäische Union in der Welt Die Europäische Union ist wie kein anderer Staatenverbund mit der Welt vernetzt. Der Anteil der EU am Welthandel ist in den letzten Jahren zwar leicht gesunken, liegt aber weiterhin auf einem hohen Niveau und stellt ein wichtiges Fundament für Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung der EU dar. Obwohl der Anteil der EU-Bevölkerung bei nur knapp sechs Prozent der Weltbevölkerung liegt 37, betrug 2020 der Anteil der Gesamtausfuhren (Waren) der EU an den weltweiten Exporten 31 Prozent (inklusive Intra-EU-Handel). 2020 belegte die Europäische Union damit den ersten Platz vor China (14,7 %) und vor den USA, deren Anteil 8,1 Prozent betrug. Die Gesamteinfuhren (Waren) der EU betrugen 2020 28,8 Prozent der weltweiten Importe (einschließlich Intra-EU-Handel). 2020 lag die Europäische Union also deutlich vor den USA mit 13,5 Prozent. China belegte mit einem Anteil von 11,5

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Weltbank, Population, total, <https://data.worldbank.org/indicator/SP.POP.TOTL> (eingesehen am 12.04.2021). 34


Level Playing Field im internationalen Wettbewerb – Handlungsfähigkeit der EU erhöhen

Prozent Platz 3.38 Die Ausfuhren der EU sicherten im Jahr 2017 36 Millionen Arbeitsplätze in Europa. Diese Zahl ist seit dem Jahr 2000 um zwei Drittel gestiegen. 39 Die Exportquote der 27 EU-Mitgliedstaaten – das Verhältnis von Exporten von Waren und Dienstleistungen zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) – lag 2020 bei 46,7 Prozent.40 Dies entspricht einem Minus von 2,7 Prozent zum Vorjahr. Doch auch Einfuhren sind wichtig für die EU-27: Die Importquote – das Verhältnis von Importen zum BIP – betrug 2020 42,7 Prozent – ein Minus von zwei Prozent zum Vorjahr.41 Diese Zahlen unterstreichen die Bedeutung des Handels für die EU. Ersten Schätzungen zufolge betrug die Extra-EU Warenausfuhr im Januar 2021 148,3 Milliarden Euro, ein Rückgang von 10,8 Prozent gegenüber Januar 2020. Die Einfuhren aus der restlichen Welt beliefen sich auf 139,9 Milliarden Euro, ein Rückgang von 16,9 Prozent gegenüber Januar 2020. Die EU registrierte im Januar 2021 einen Überschuss von 8,4 Milliarden Euro im Warenverkehr mit der restlichen Welt. Gegenüber Januar 2020 sank der Intra-EU-Handel im Januar 2021 mit 244,9 Mrd. Euro um - 5,4 Prozent.42 Bedingt durch die COVID-19-Pandemie haben die Einfuhren und Ausfuhren im Jahr 2020 im Vergleich zu 2019 abgenommen. Die reale BIP-Wachstumsrate verzeichnete aufgrund dessen ein Minus von 6,1 Prozent in 2020.43 Die EU-Ausfuhren haben ein Minus von 9,3 Prozent verzeichnet. Die EU-Einfuhren nahmen ebenfalls im Vergleich zum Vorjahr um - 7,1 Prozent ab.44 Im Jahr 2020 war China insgesamt der wichtigste Handelspartner der Europäischen Union mit einem Anteil von 16,1 Prozent des gesamten Außenhandels der EU. Die USA (15,2 %) und das Vereinigte Königreich (12,2 %) folgten auf dem zweiten und dritten Platz. Mit einem Anteil von 18,3 Prozent aller EU-Exporte, waren die USA im Jahr 2020 das wichtigste Zielland für europäische Warenausfuhren, gefolgt vom Vereinigten Königreich (14,4 %) und China (10,5 %). Führender Warenlieferant der EU war 2020 weiterhin China mit einem Anteil von 22,4 Prozent aller EU-Importe. Das Volumen der Warenimporte aus China war damit fast doppelt so hoch wie das der USA, die mit 11,8 Prozent als zweitwichtigster Lieferant folgen. Das Vereinigte Königreich (9,8 %) folgt auf Rang drei. 45

Welthandelsorganisation, Merchandise exports by product group – annual (Million U.S. Dollar) und Merchandise imports by product group – annual (Million U.S. Dollar), <https://data.wto.org/> (eingesehen am 15.04.2021). 39 Europäische Kommission, Studie: Internationaler Handel sichert über 36 Millionen Arbeitsplätze in der EU, <https://ec.europa.eu/germany/news/20181127-handel-36-millionen-jobs-der-eu_de> (eingesehen am 13.04.2021). 40 Eurostat, Exports of goods and services in % of GDP, <https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/tet00003/default/table?lang=en> (eingesehen am 13.04.2021). 41 Eurostat, Imports of goods and services in % of GDP, <https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/tet00004/default/table?lang=en> (eingesehen am 13.04.2021). 42 Eurostat, Überschuss des Euroraums im internationalen Warenverkehr in Höhe von 6,3 Mrd. Euro, Pressemitteilung 35/2021, <https://ec.europa.eu/eurostat/documents/2995521/11562995/6-18032021-BP-DE.pdf/cb022f21-7d8c-148f-65380e463c86a782?t=1616088646979 > (eingesehen am 13.04.2021). 43 Eurostat, Real GDP growth rate – volume, < https://ec.europa.eu/eurostat/web/products-datasets/-/tec00115&lang=en> (eingesehen am 21.04.2021). 44 Statistisches Bundesamt, Zusammenfassende Übersichten für den Außenhandel: Vorläufige Ergebnisse, Fachserie 7 Reihe 1, <https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Aussenhandel/Publikationen/Downloads-Aussenhandel/zusammenfassende-uebersichten-jahr-vorlaeufig-xlsx-2070100.html>, (eingesehen am 13.04.2021). 45 Europäische Kommission, Client and Supplier Countries of the EU27 in Merchandise Trade (value%), <https://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2006/september/tradoc_122530.pdf> (eingesehen am 22.04.2021). Alle Zahlen ohne Intra-EU-Handel. 38

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Haupthandelspartner der Europäischen Union 2020, Anteil am Extra-EU-Handel China 16%

andere 31%

USA 15%

Indien 2%

Südkorea 3% Vereinigtes Königreich 12%

Norwegen 2% Japan 3% Türkei 4%

Schweiz 7% Russland 5%

Quelle: Europäische Kommission, Client and Supplier Countries of the EU27 in Merchandise Trade (value%), <https://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2006/september/tradoc_122530.pdf> (eingesehen am 22.04.2021).

In den ersten elf Monaten des Jahres 2020 war China der Haupthandelspartner der EU. Dieses Ergebnis ist auf einen Anstieg der Importe (+ 4,3 %) und der Exporte (+ 1,1 %) zurückzuführen. Gleichzeitig verzeichnete der Handel mit den Vereinigten Staaten einen deutlichen Rückgang sowohl beim Import (- 13, 0 %) als auch beim Export (- 9,3 %).46 Die EU-Warenverkehrsbilanz weist seit 2012 einen kontinuierlichen Überschuss auf. Im Jahr 2019 verzeichnete die EU ein Plus von fast 200 Milliarden Euro. Aufgrund der COVID-19-Pandemie ist der internationale Warenhandel, einschließlich des Warenhandels der EU mit ihren wichtigsten Handelspartnern, insbesondere in der ersten Jahreshälfte 2020, zurückgegangen. Ausländische Unternehmen besaßen im Jahr 2018 34,2 Prozent des gesamten EU-Vermögens. Europäische Unternehmen besaßen 2018 45,4 Prozent ausländischer Direktinvestitionen. China hingegen erlaubte 2018 lediglich 6,5 Prozent Direktinvestitionen von ausländischen Unternehmen.47 Damit verfügt die EU über eines der offensten Investitionssysteme der Welt. Internationale Investitionen sind ein wichtiger Treiber für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze. Von den ausländischen Direktinvestitionen, die von Anlegern aus Drittländern gehalten werden (2017: 6,3 Billionen Euro), hängen direkt 16 Millionen Arbeitsplätze in der EU ab. Seit Jahren ist sowohl ein kontinuierlicher Anstieg

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Eurostat, Überschuss des Euroraums im internationalen Warenverkehr in Höhe von 25,8 Mrd. Euro, Pressemitteilung 10/2021, <https://ec.europa.eu/eurostat/documents/portlet_file_entry/2995521/6-15012021-AP-DE.pdf/c114d653-00f1-5c62-fb408c70195cad76> (eingesehen am 13.04.2021). 47 Europäisches Parlament, Die Europäische Union und ihre Handelspartner, <https://www.europarl.europa.eu/factsheets/de/sheet/160/die-europaische-union-und-ihre-handelspartner> (eingesehen am 13.04.2021). 36


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ausländischer Direktinvestitionen in europäische Schlüsselsektoren als auch ein Anstieg der Investitionen aus China zu verzeichnen. Zu den traditionellen und größten Investoren mit einem Anteil von 80 Prozent an allen ausländischen Vermögenswerten in allen Sektoren der EU-Wirtschaft gehören die USA (2,2 Bil. Euro), die Schweiz (800 Mrd. Euro), Kanada, Norwegen, Japan und Australien. Investitionen staatlicher Unternehmen aus China, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten sind besonders stark angestiegen. So tätigten sie 2017 dreimal mehr Unternehmenskäufe als 2007. 4849 Die COVID-19-Krise wirkt sich massiv auf den Handel und das Wirtschaftswachstum nicht nur in der Europäischen Union, sondern auf der ganzen Welt aus. Besonders in der frühen Phase der Pandemie im Jahr 2020 kam es zu Produktionsausfällen, die durch Erkrankungen von Angestellten und ein Herunterfahren der Produktion aus Infektionsschutzgründen bedingt waren. Im Verlauf des Jahres stellte sich zwar mehr und mehr eine neue Normalität im Umgang mit der Bedrohung durch die Coronapandemie ein, die wirtschaftliche Erholung auf das Vorkrisenniveau wird sich trotz erwarteten Wirtschaftswachstums allerdings noch hinziehen. Nachdem im Jahr 2020 das Bruttoinlandsprodukt der Europäischen Union um mehr als sechs Prozent gesunken war, erwartet die Europäische Kommission für die nächsten zwei Jahre wieder ein Wachstum der Europäischen Wirtschaft. Das Bruttoinlandsprodukt soll im Jahr 2021 um 3,7 Prozent und im Jahr 2022 um 3,9 Prozent wachsen. Aufgrund der unterschiedlichen Auswirkungen der Pandemie auf die EU-Mitgliedsstaaten, ist anzunehmen, dass auch die Geschwindigkeit der wirtschaftlichen Erholung innerhalb der EU unterschiedlich sein wird.50

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Europäische Kommission, Ausländische Direktinvestitionen: Kontinuierlicher Anstieg ausländischen Firmeneigentums in Schlüsselsektoren der EU, <https://ec.europa.eu/germany/news/direktinvestitionen20190313_de> (eingesehen am 13.04.2021). 49 Europäisches Parlament, Ausländische Direktinvestitionen: EU-Interessen schützen, <https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/economy/20180122STO92231/auslandische-direktinvestitionen-eu-interessen-schutzen> (eingesehen am 13.04.2021). 50 Europäische Kommission, European Economic Forecast, Winter 2021, Institutional Paper 144, February 2021, <https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/economy-finance/ip144_en_1.pdf> (eingesehen am 13.04.2021). 37


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