B IO R A M A BU S I N E S S 1
Ö F F E N TL ICH ER R AU M
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DER STRASSENKAMPF IST ABGESAGT. Die Mobilitätsberaterin Martha Wanat im Gespräch über den Anspruch auf öffentlichen Raum.
Martha Marisa Wanat ist Mobilitätsberaterin und Sängerin und geschäftsführende Gesellschafterin des Berliner Unternehmens Bicicli und der Mobilitätsberatung Mond – Mobility New Designs. Sie versteht sich als politische Unternehmerin.
BIORAMA: Sie haben ein Buch mit dem Titel »Bewegt euch. Selber!« geschrieben. Ist das ein emanzipatorischer Aufruf an uns alle? MARTHA WANAT: Ja, das ist ein Imperativ, der genau so gemeint ist. Wir entwickeln im Buch ein Modell — es nennt sich »Glücksrad der urbanen Mobilität«, um zu zeigen, was unser individuelles Mobilitätsverhalten beeinflusst. Es sind in den Städten viele AkteurInnen, einerseits natürlich die Stadt und der Staat, aber andererseits auch Unternehmen, und diese auch in ihrer Funktion als Arbeitgeber. Aber auch der Freizeitbereich, der Handel, die Logistik, Kultur, nicht zu vergessen die Bildungseinrichtungen und im Speziellen die Immobilienwirtschaft oder die Digitalwirtschaft, die stark beeinflussen, wie wir uns bewegen. Wie sie sich ausrichten, ist entscheidend. Wir wollen zeigen, dass es sich um ein komplexes System handelt, in dem aber durch Beteiligung vieler auf unterschiedlichen Wegen Innovation zu erreichen ist. Damit diese vielen in Bewegung kommen, braucht es die Entwicklung neuer Innovationstypen – nicht nur technologische, sondern auch soziale. Ein Beispiel wäre, die Werkswohnung neu zu beleben. Als ArbeitgeberIn kann man sich fragen: Ist es für mich möglich, MitarbeiterInnen auch Wohnraum zu ermöglichen oder die Entstehung dieses zumindest zu fördern. Das passiert schon an einigen Orten, aber es ist noch viel zu wenig.
»Bewegt euch« suggeriert, dass die oder der Einzelne sich selbst mobilisieren soll. Die Werkswohnung ist nicht gerade die Entscheidung der DurchschnittsbürgerInnen. Sind diese denn dann überhaupt
dazu in der Lage, Ihrem Aufruf zu folgen? Wir möchten eine Veränderung vom Bewegtwerden zum Bewegen anregen. Vom passiven Individualverkehr, damit ist vor allem das Automobil gemeint, zum aktiven, das ist zuallererst der Fuß- und Radverkehr. Aktive Mobilität ist auch einfach entscheidend gesünder und eine dementsprechend gestaltete Stadt ist gesünder für ihre BewohnerInnen. Es ist übrigens auch die einzige Möglichkeit, wie wir Städte und öffentlichen Raum auch so gestalten können, dass sie für uns im Alter noch attraktiv nutzbar sind, und wir werden nun mal als Gesellschaft immer älter. Die und der Einzelne kann durch Wahl des Wohnortes oder durch Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten, den Arbeitsort zu erreichen, schon etwas ändern. Aber in erster Linie richten wir unseren Aufruf an Unternehmen und die Institutionen auf unterschiedlichen Ebenen, auch in den lokalen Strukturen. Es braucht mehr intersektorale Diskussion – Formate, wo sich Zivilgesellschaft, Unternehmen und Politik austauschen. Liegt das, was in den meisten Städten nach wie vor nicht getan wurde, aber zuerst zu tun ist, auf der Hand? Wenn man die jüngsten »Moves« von Städten auf der ganzen Welt beobachtet; ja. Die Multizentrierung mit dem Modell der Stadt der kurzen Wege oder der 15-Minuten-Stadt hat das Ziel, Verkehre zu vermeiden, indem Wohnen, Arbeiten und Versorgung nah aneinanderrücken. Mit der Umwidmung von Autostellplätzen in Begegnungszonen, der Begrünung des öffentlichen Raums und der Förderung des Rad- und Fußverkehrs kann keine Stadt etwas falsch
BILD BICICLI , ISTOCK.CO M/TE RROA
INTERVIEW Irina Zelewitz