Reisemagazin Bregenzerwald - Winter 2021-22

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Der Philosoph Peter Natter nimmt sich im Bregenzerwald ein Buch vor und liest es mit Blick auf seine unmittelbare Umgebung. Diesmal Gedichte von Ingeborg Bachmann Von Grund auf weiß ich jetzt, und ich bin unverloren.“ So steht es in Ingeborg Bachmanns Gedicht „Böhmen liegt am Meer“. Der Bregenzerwald liegt nicht am Meer, muss er auch nicht. Das Von-Grund-auf-Wissen und das Unverlorensein sind dennoch zwei Eigenschaften, die dem Tal und seinen Bewohnern eigen sind, denke ich. Darin kommt für mich eine ganz eigene Art des Beheimatetseins zum Ausdruck: keine euphorische, keine großtuerische, mehr eine zurückgenommene, eine stille. So weit, so gut. Es schneit, es schneit richtig, schöne, nicht zu große, nicht zu kleine Flocken fallen ruhig und regelmäßig vom Himmel. Sie fallen auf eine schon recht ansehnliche Schneedecke, wie es sich gehört für Ende Jänner, hier, in dieser Gegend. Schnee, der auf Schnee fällt, ist, wie der große Dirigent Claudio Abbado einmal gesagt hat, die schönste Musik, die es gibt. Sie kommt der Ruhe ganz nahe, jener Ruhe, zu der man gelangt, wenn der Lärm der Welt verstummt. Eine solche Ruhe finde ich hier, in meinem Siebaner Hüsle: eine innere Ruhe, begünstigt von der Stille, die ringsum waltet, wenn einmal keine Traktoren und vor allem keine Motorsensen oder -gebläse – bzw. die sie Bedienenden – Krawall machen. Auch für die große Stille ist der Winter eine gute Zeit. Viel, und wahrscheinlich manchmal sogar zu viel oder eher: die falsche Ruhe war um die Dichterin, die mich diesmal wieder in mein Refugium begleitet: Ingeborg Bachmann (1926–1973), in Klagenfurt geboren, in Rom gestorben. Ihr kurzes, von der Erfahrung von Nazitum und Krieg, von Krankheit, Sucht und Liebesdesaster (als existenzielle Katastrophe, nicht als romantisches Herzeleid) gezeichnetes Leben hat sich meistens in Zwischenräumen abgespielt, zwischen Wien

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Der Bregenzerwald liegt nicht am Meer

und Rom, Zürich und München – auch zwischen Sprachen, zwischen Menschen, zwischen allen Stühlen ... Fast ihr gesamtes Leben lang focht sie einen Kampf mit der Sprache aus, genauer: focht um eine Sprache, mit der etwas anzufangen wäre, mit der den Geschehnissen, den Ereignissen des Lebens – der Liebe nicht zuletzt, oder dem Verhältnis der Geschlechter zu- und untereinander – gerecht zu werden wäre. Diesen Kampf fechten auch viele ihrer literarischen Figuren. „Das dreißigste Jahr“, so ist der erste Prosaband der zuvor als Lyrikerin schnell berühmt gewordenen Bachmann benannt (Salzburger Bachmann Edition. Suhrkamp Piper 2020). Es sind sieben Geschichten unterschiedlicher Thematik: Von einer Kindheit und Jugend in K. (K. wie Klagenfurt)

zwischen Krieg und falschem Frieden, in dem die Täter bald wieder Karriere machen; von Mördern und Irren: Männer im Weinkeller (im doppelten Sinn des Wortes); von einem in einem Schrei verstummenden, wahrheitssuchenden Landesgerichtsrat; von zwei Frauen und der (Un-)Möglichkeit, der Herrschaft zu entkommen; von einem Vater und der gescheiterten Beziehung zu seinem kleinen Sohn, den er vergeblich vor der alten, abgenutzten Sprache und Welt schützen möchte. Scheinbar ziemlich unterschiedliche Themen. Allen gemeinsam ist aber eines: die Suche nach einer „unverbrauchten Wahrheit“, jener der Literatur. Für dieses Suchen bewundere ich die Bachmann. Und genau dieses unbeirrbare, kompromisslose Suchen und Finden ist es, wofür ich meinerseits


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