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Falter Stadtzeitung Wien/Steiermark. Mit Programm Wien, am 24.02.2021, Nr: 8, 50x/Jahr, Seite: 12-17 Druckauflage: 48 000, Größe: 81,1%, easyAPQ: _ Auftr.: 8420, Clip: 13403594, SB: Ischgl

„Wir alle haben es satt“ * Lockdowns, Massentests, Gesichtsmasken und eine vage Hoffnung auf die Impfung. Seit einem Jahr begleitet uns das Coronavirus. Wie die Covid-19-Krise Österreich in dieser Zeit verändert hat *Bundeskanzler Sebastian Kurz am 10. Dezember 2020 zu den Lockdown-Maßnahmen

m 25. Februar 2020 hatten die Österreicher es amtlich: Das Coronavirus hatte seinen Weg ins Land gefunden. Bei einer MitA arbeiterin des Hotels Europa in Innsbruck und ihrem Partner schlug

der Test an. Ihnen sollten in den nächsten zwölf Monaten mehr als 440.000 weitere Fälle folgen. Der Sars-Cov-2-Erreger, im Grunde ein geist- und lebloser Haufen an Genmaterial, nur darauf aus, sich zu verbreiten, bestimmt seither den Alltag in Österreich. Nicht nur hier. 200 Billiarden Sars-Cov-2-Viren gibt es auf der Welt, ungefähr so viele wie Sandkörner. Weil sie so winzig sind, würden sie trotzdem alle in eine einzige Cola-Dose passen. 111 Millionen Menschen auf allen Kontinenten haben sich damit infiziert, mindestens 2,4 Millionen sind daran gestorben. Das Hotel Europa in Innsbruck hat die Pandemie nicht überstanden, in den ersten Februarwochen ließen die Eigentümer das Inventar versteigern. Was aber hat die Covid-19-Krise mit Österreich gemacht? Wie hat sie das Land verändert? Der Falter wagt eine Bestandsaufnahme.

Nur noch ein Drittel findet die Maßnahmen „angemessen“ In der Krise schlägt die Stunde der Füh-

rer. Die Verunsicherung treibt die Menschen zu den Mächtigen. Zu Beginn der Covid-19-Pandemie geriet schon Kritik an der Regierung in die Nähe von Verrat. Wenn aber die Bedrohung sich verfestigt, reicht den Menschen die Insignie allein zur Gefolgschaft nicht mehr aus. Die Politikwissenschaftlerin Barbara Prainsack und der Soziologe Bernhard Kittel, beide Professoren an der Universität Wien, fühlen in mehreren Studien seit März einer repräsentativen Gruppe von Österreichern den Puls. Nach zwölf Monaten Ausnahmezustand zeigt die Bevölkerung Abnutzungserscheinungen: im Vertrauen in die Regierung, im Glauben an die Demokratie, im Umgang miteinander. So fanden während des gesamten ersten Lockdowns mehr als 70 Prozent der Befragten die Maßnahmen „angemessen“, darunter auch viele, die weder Türkis noch Grün gewählt hatten. Im Jänner hat sich dieser Wert halbiert. Jeder fünfte hält das alles mittlerweile für „zu extrem“. 40 Prozent befanden zuletzt, dass die Regierungsentscheidungen nicht nachvollziehbar seien. Zu inkonsistent, zu wenig begründet sind die Verlautbarungen von oben. Nur noch 60 Prozent der Befragten sind mit der Demokratie insgesamt zufrieden. Ende März fanden noch zwei Drittel diese Regierungsform gut. „Wir beobachten einen Mangel an demokratischer Kultur in der politischen Eli-

te, und das führt dazu, dass die Bürger sich abwenden“, sagt Bernhard Kittel. Das politische Gebälk mag morschen, aber haben die Österreicher nicht bewiesen, dass sie unten das Gemäuer zusammenhalten? War da nicht vor allem im März ein Moment des Zusammenhalts? Ja, aber anhaltend war er nicht. Weil generell die Richtung stark zum Individualismus weise – Corona hin, Corona her. Und weil die vielen Ausnahmen (Stichwort Skifahren) den Solidaritätsanspruch konterkarierten. Das Coronavirus hat offengelegt, was zuvor niemand sehen wollte: Jene mit schwachem sozioökonomischem Hintergrund trifft es doppelt, dreifach. 20 Prozent von ihnen sagen, sie könnten sich gar keine Quarantäne leisten. Alleinerziehende mussten Homeoffice, Kinderbetreuung und Verdienstentgang schultern. „Die Diskussion konzentriert sich auf die unmittelbaren Auswirkungen, aber wir dürfen die Ursachen nicht aus den Augen verlieren“, sagt Barbara Prainsack. Und die möglichen Folgen: Im Jänner hatte sich fast jeder zweite Befragte einsam gefühlt. So sehr hatte das Pendel zuletzt Ende April ausgeschlagen. Eine gute Nachricht haben die Forscher auch parat: Die Impfbereitschaft steigt deutlich. E VA KONZE T T

„Wir erleben einen Staat, der sich schwertut“ Vor der Covid-19-Pandemie begegnete den Österreichern der „Staat“ als Steuereintreiber und manchmal als Polizei. Dann setzte der Staat coronabedingt die Grundrechte aus. Was hat das mit den Bürgern gemacht? Der Falter hat bei Elisabeth Holzleithner, Vorständin des Instituts für Rechtsphilosophie an der Uni Wien, nachgefragt.

Frau Holzleithner, wie haben die Österreicherinnen und Österreicher im vergangenen Jahr den Staat kennengelernt? Elisabeth Holzleithner: Als einen Staat, der sich schwertut. Es sind ja auch gewaltige Herausforderungen. Nach einer gewissen Schockstarre und nach massiven Fehlern – Ischgl – hat er recht beherzt agiert. Massive Einschränkungen unserer Grundrechte wurden verfügt und recht selektiv medial „aufbereitet“. Jetzt arbeitet er nach dem Prinzip von Trial and Error. Je länger die Pandemie dauert, desto weniger Verständnis gibt es dafür in der Bevölkerung – trotz aller Bemühungen, zumindest die ökonomischen Folgen der Maßnahmen abzufedern. Stufenweise Lockerungen, die Ungleichbehandlungen verschiedener Bevölkerungs- und Berufsgruppen verfügen, führen zu großem Unmut. Sehen Sie die Gefahr eines autoritären Kurses? Holzleithner: In Österreich war man sehr bemüht, die Ausnahmesituation der Pandemie mit den etablierten Mitteln des demokratischen Rechtsstaats zu bewältigen: Es wurde kein Ausnahmezustand oder der Notstand ausgerufen. Es wurde ein Gesetz erlassen, dann die darauf beruhenden Verordnungen. Die Eingriffe waren zudem auf die Bekämpfung der Pandemie

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beschränkt und zeitlich befristet. Ja, sie waren bisweilen problematisch, und etliche hat der Verfassungsgerichtshof teilweise aufgehoben. In Ungarn aber hat Premier Viktor Orbán nach Ausrufung des Ausnahmezustands per Dekret regiert, transsexuellen Personen wurde die Möglichkeit zum Personenstandswechsel entzogen – was hat das mit der Pandemie zu tun? Das heißt nicht, dass es bei uns keine autoritären Tendenzen gäbe. Denken wir daran, wie die Staatsspitze die Justiz massiv kritisiert, zudem offenbar zu wenig Sensibilität für Gewaltenteilung und auch für Unvereinbarkeiten hat. Corona-Skeptiker,Verschwörungstheoretiker, Rechte gehen für die „Freiheit“ auf die Straße. Haben sie recht? Holzleithner: Ich mag die Formulierung „Haben sie recht?“. Ja, sie haben ein Recht darauf, solange sie sich an die Vorgaben halten und solange sie nicht verhetzen. Die Grundrechte der Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit sind nicht nur für die da, die wir für klug oder gut informiert halten. Die andere Frage ist, ob sie mit Blick auf die Freiheit recht haben. Das möchte ich vehement verneinen. Wir sehen einen stark reduzierten Freiheitsbegriff, eine bloße Willkürfreiheit, die sich um andere nicht schert. Die Freiheit, die sich hier das Wort nimmt, sieht die Maßnahmen, die wir in der Pandemie selbst setzen können, um uns und andere zu schützen, wie Mund-Nasen-Schutz oder jetzt FFP2-Masken, ausschließlich als Einschränkung. Dabei gilt es wahrzunehmen, dass genau darin unsere Handlungsmacht in einer Pandemie liegt. E VA KONZE T T

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