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Die Presse Unabhängige Tageszeitung für Österreich Wien, am 03.07.2020, 312x/Jahr, Seite: 7 Druckauflage: 67 988, Größe: 60,76%, easyAPQ: _ Auftr.: 8420, Clip: 12985146, SB: Ischgl
Erntehelfer gehören zu jenen Zielgruppen, die in den kommenden Monaten verstärkt auf das Coronavirus getestet werden sollen.
[ AFP ]
„Testen, testen, testen“ reloaded Neue Strategie. Die Zahl der Tests ohne Verdacht wird massiv ausgeweitet – insbesondere auf Menschen in Arbeits- und Wohnverhältnissen, die Ansteckungen begünstigen. VON KÖKSAL BALTACI
Wien. Es ist die Rückkehr einer Strategie, die
früh vom unerwarteten Erfolg der weitreichenden Maßnahmen zur Kontaktreduktion überholt und daher unterbrochen wurde: „Testen, testen, testen“. Mit Anfang kommender Woche wird sie wiederaufgenommen und auf Basis der Erfahrungen aus den vergangenen Monaten an die aktuellen Herausforderungen angepasst – getestet wird zwar ohne konkreten Verdacht auf eine Infektion, aber selbstverständlich nicht nach dem Zufallsprinzip, sondern in besonders gefährdeten Zielgruppen Budgetiert ist das am Donnerstag von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) präsentierte Screening-Programm für das restliche Jahr mit rund 240 Millionen Euro – 160 Millionen Euro werden voraussichtlich die Laborkosten verschlingen, weitere 80 Millionen die Organisation.
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Was genau ändert sich ab kommender Woche an der Teststrategie Österreichs?
Nach dem starken Rückgang der Neuinfektionen ab Anfang April hat die Regierung ihre Strategie, so viele Tests wie möglich durchzuführen, geändert und das Hauptaugenmerk seither auf Verdachtsfälle gerichtet. Auf Menschen also, die eindeutige Symptome wie Fieber, Atemnot und Verlust des Geschmacks- bzw. Geruchsinns aufweisen oder engen Kontakt zu Infizierten hatten. Daher wurden auch die Testkapazitäten – möglich gewesen wären rund 15.000 Tests am Tag – bei Weitem nicht ausgeschöpft, was dem Krisenstab immer wieder scharfe Kritik von verschiedenen Seiten einbrachte. Das ändert sich ab kommender Woche. In Kooperation mit den Ländern sollen sich künftig (voraussichtlich bis Ende des Jahres) 25.000 bis 30.000 Menschen pro Woche – zusätzlich zu jenen, die wegen Symptomen getestet werden – einem Test unterziehen. Darunter beispielsweise Erntehelfer und Mitarbeiter von Fleischfabriken sowie größeren Logistikzentren – Personen also, die in jüngerer Vergangenheit wegen ihrer Arbeitsverhältnisse für regionale Ausbrüche sorgten. Vermehrt getestet werden sollen aber auch Rückkehrer aus dem Ausland, Obdachlose, Asylwerber in Heimen sowie Menschen, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation in beengten Räumen leben und bei denen davon ausgegangen werden kann, dass sie aus Angst vor einem Jobverlust auch mit Krankheitssymptomen zur Arbeit gehen. Diese, wie Anschober sie nennt, Zielgruppen werden laufend erweitert.
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Warum kommt diese geänderte Teststrategie erst ab kommender Woche zum Einsatz?
Auch ohne Verdacht auf eine Infektion häufiger zu testen, um unbemerkte Ansteckungen früher zu entdecken und die Betroffenen zu isolieren, wurde von Medizinern schon in den vergangenen Wochen wiederholt gefordert. Dass damit erst mit kommender Woche begonnen wird, erklärt Gesund-
heitsminister Anschober mit dem organisatorischen Aufwand für die Vorbereitung des Programms, der Bereitstellung von ausreichend Testkapazitäten sowie einer notwendigen Änderung im Epidemiegesetz. Früher sei es schlichtweg nicht möglich gewesen, diese Strategie auf Schiene zu bringen. Verpflichtend sind die geplanten Tests nicht, sie dürfen also ohne Angabe von Gründen verweigert werden. Lediglich Kontaktpersonen von nachweislich Infizierten müssen sich einem Test unterziehen. Allerdings zeigten bisherige Erfahrungen aus Pilotprojekten in Alters- und Pflegeheimen sowie Logistikzentren, dass praktisch alle kontaktierten Personen einem Test zustimmen. Das wichtigste Ziel der neuen Strategie ist im Übrigen der Schutz von sogenannten Risikogruppen – also älteren Menschen und jene mit relevanten Vorerkrankungen wie etwa COPD, Bluthochdruck und Diabetes.
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nal gestiegenen Fallzahlen sind aber Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zufolge keine österreichweiten Verschärfungen der Maßnahmen geplant. Die Ausbrüche seien sehr gut zuordenbar gewesen: „Das Wichtigste ist, dass es ein regionaler Ausbruch bleibt.“ Insgesamt stieg die Zahl der positiv Getesteten seit Beginn der Epidemie auf 17.941. Mit oder an dem Coronavirus sind 705 Menschen gestorben. 16.514 haben sich von einer Ansteckung wieder erholt. 69 Patienten befanden sich am Donnerstag in stationärer Behandlung, sieben von ihnen wurden auf einer Intensivstation betreut.
Gelten für Tests von Verdachtsfällen immer noch dieselben Kriterien wie bisher?
Nein, sie wurden gelockert, um noch mehr Menschen dazu zu bringen, bei der Gesundheitsnummer 1450 oder ihrem Hausarzt anzurufen und ihre Symptome zu schildern. So gilt beispielsweise Fieber nicht wie bisher als Bedingung für einen Test. Leichte Erkältungssymptome wie Halskratzen, Husten und ein allgemeines Unwohlsein genügen. Grundsätzlich kann und soll sich laut Anschober jeder melden, der unsicher ist und die Sorge hat, sich irgendwo angesteckt zu haben. Die Kapazitäten seien vorhanden. Nachzulesen sind die neuen Kriterien auf der Website des Gesundheitsministeriums.
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Wird es künftig auch flächendeckende Antikörpertests in ganz Österreich geben?
Nach den teilweise überraschenden und aufschlussreichen Ergebnissen der Antikörperstudie aus Ischgl, an der sich knapp 80 Prozent der Bevölkerung beteiligt haben, laufen derzeit Vorbereitungen für einen österreichweiten Antikörpertest. Dazu werden kleinere Projekte aus den Bundesländern bewertet, um herauszufinden, welches Schema österreichweit am sinnvollsten wäre. Eine Entscheidung darüber dürfte Anschober zufolge im Herbst fallen. Unter den Projekten befindet sich beispielsweise ein Konzept für eine Studie von Peter Willeit von der Med-Uni Innsbruck und Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien, an der – noch vor dem Herbst – 5000 bis 10.000 Menschen teilnehmen sollten.
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Wie sieht die aktuelle Situation in Österreich hinsichtlich bestätigter Fälle aus?
Nach dem starken Anstieg von Dienstag auf Mittwoch mit 107 positiven Tests wurden in den 24 Stunden danach 68 Neuinfektionen verzeichnet – 42 von ihnen gehen auf einen Cluster rund um eine Religionsgemeinschaft in Oberösterreich zurück. In Wien gab es 23 neue Fälle, im Burgenland, in Kärnten, Salzburg und Tirol jeweils einen. Trotz der regio-
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