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Profil Das unabhängige Nachrichtenmagazin Österreichs Wien, am 06.07.2020, Nr: 28, 51x/Jahr, Seite: 23 Druckauflage: 49 072, Größe: 100%, easyAPQ: _ Auftr.: 8420, Clip: 12991554, SB: Ischgl
Kein Killervirus
Studien beweisen, dass viel mehr Menschen mit Corona infiziert waren, als die Statistik zeigt. Das ist eine gute Nachricht.
E
twas über 18.000 CoronaFälle weist das Dashboard des Sozialministeriums derzeit aus. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit: Wie viele Menschen tatsächlich schon mit dem Virus in Kontakt gekommen sind, weiß niemand. Die Dunkelziffer dürfte erheblich höher sein, als die Statistiken zeigen. Das suggerieren jedenfalls die Antikörpertests, die jüngst in einigen Gemeinden gemacht wurden. Spitzenreiter ist der Tiroler Hotspot Ischgl, wo 42,4 Prozent der getesteten Einheimischen serologisch positiv sind, also Antikörper gegen Sars-CoV-2 im Blut haben. International ist das ein Rekord: So hohe Werte wurden bisher nirgendwo festgestellt. Überraschend waren auch jene zwölf Prozent, die bei einer Untersuchung in der Wachauer Gemeinde Weißenkirchen herauskamen. Ebenfalls über den Erwartungen: Reichenau an der Rax (6,5 Prozent) und Oberwart im Burgenland (5 Prozent). Die besonders aufwendige Ischgl-Studie wurde von der MedUni Innsbruck durchgeführt. Peter Willeit ist dort als Epidemiologe tätig und würde nun gerne eine bundesweite Antikörperstudie starten. Gemeinsam mit Wissenschaftskollegen hat er ein Modell erarbeitet, das bei 5000 bis 10.000 sorgfältig ausgewählten Teilnehmern ein realistisches Bild auf die Gesamtsituation erlauben würde, wie er sagt. Eine Durchseuchungsrate wie in Ischgl wäre natürlich nicht zu erwarten – aber die Relation zwischen der Zahl an registrierten Fällen und der Dunkelziffer könnte ähnlich sein, meint Willeit. „In Ischgl lag dieses Verhältnis bei eins zu sechs.
Ein ähnlicher Schlüssel ist wohl auch in anderen Regionen wahrscheinlich.“ Für die geplante Studie suchen Willeit und Kollegen derzeit noch Finanziers und Unterstützer. Antikörperstudien sind kein Selbstzweck. Sie sind wichtig, um die Komplexität des Virus und die Entwicklung der Epidemie zu verstehen. In Ischgl liegt der Schluss nahe, dass SarsCoV-2 schon Wochen vor den ersten bekannt gewordenen Fällen grassierte. Obwohl die meisten Infizierten keine schweren Symptome zeigten, gab es Hinweise: „Viele Leute erzählten, dass sie im Februar einen Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns erlebt haben“, sagt Studienleiterin Dorothee von Laer, Virologin an der Innsbrucker MedUni. Nicht zuletzt nehmen mehr Fakten dem Coronavirus auch viel von seinem Schrecken: In Ischgl starben zwei Menschen an Covid-19. Die sogenannte Infection Fatality Rate (IFR) – der Anteil der Todesfälle an den Infizierten – liegt damit bei nur 0,26 Prozent. „Studien in anderen Ländern kamen zu ähnlichen Ergebnissen“, sagt Dorothee von Laer. „Das ist etwa die IFR, mit der man in der westlichen Welt rechnen kann.“ Von einem Killervirus ist Corona also weit entfernt. Auch in Weißenkirchen wurde die Bilanz erheblich besser: Bisher bekannt waren 17 Fälle; neun Patienten mussten im Spital behandelt werden, ein 83-Jähriger starb. „Jetzt wissen wir, dass mindestens 102 Leute infiziert waren“, sagt Bürgermeister Christian Geppner. „Nur jeder Zehnte war ernsthaft krank.“
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