www.observer.at
Falter Stadtzeitung Wien/Steiermark. Mit Programm Wien, am 08.07.2020, Nr: 131, 50x/Jahr, Seite: 11-13 Druckauflage: 40 000, Größe: 80,73%, easyAPQ: _ Auftr.: 8420, Clip: 12996077, SB: Ischgl
Ein Stadtservice-Mitarbeiter in voller Montur. Er informiert Infizierte und kontrolliert die Quarantäne
W
elle ist das falsche Wort. Das Coronavirus verschwindet nicht, um stärker zurückzuschwappen. Vielleicht ist der Waldbrand die bessere Metapher: Er lässt sich kontrollieren, aber so lange er nicht ganz gelöscht ist, tauchen immer wieder kleine Glutnester auf. Bleiben sie unentdeckt, fliegen schon bald wieder verheerende Funken. Österreich fürchtet sich vor einer „zweiten Welle“ des Coronavirus. Vergangenen Dienstag haben die Behörden zum ersten Mal seit Mitte April mehr als 100 neue Corona-Fälle entdeckt. Am Montag gab es 1012 erkannte Kranke, also mehr als Mitte März, zu Beginn des Shutdown. Nach dem geradezu hemmungslosen Juni sind Umarmungen nun wieder verpönt und werden Maskenverweigerer wieder gescholten. Auf der Gratiszeitung Österreich steht, 3,6 Zentimeter hoch und 17,3 Zentimeter breit, „CORONA-ALARM“. „Der Virus war nie weg, er war immer da“, sagt der grüne Gesundheitsminister Rudolf Anschober. Waren wir alle zu sorglos? Das Herunterfahren der Gesellschaft im Frühjahr war effektiv, aber nicht unbedingt effizient. Die Schulen, Geschäfte und Restaurants haben längst wieder geöffnet, ein zweiter Shutdown wäre zu teuer. Die Frage der zweiten Jahreshälfte muss also lauten: Haben Mediziner und Behörden genug über das Virus gelernt, um neue Ausbrüche ohne großflächigen Freiheitsentzug zu meistern? Lässt sich die Epidemie auch mit intelligenten Werkzeugen im Bedarfsfall statt mit Verzicht für alle bekämpfen? „Hier spricht Smretschnig vom Contact Tracing der Stadt Wien. Spreche ich mit Frau ... ?“ 13 Menschen sitzen in drei Besprechungszimmern neben dem Wiener Rathaus. Jeder hat zwei Monitore, viele telefonieren, es könnte auch die Taxizentrale sein.
FOTO: HER IBERT CORN
Kommt hier die zweite Welle?
Normalerweise sichtet Elisabeth Smretschnig beim Stadtservice als schief gemeldete Laternenmasten, jetzt kämpft sie gegen eine Pandemie. „Wie viele Menschen wohnen bei Ihnen?“ „Waren Sie kürzlich auf Urlaub?“, fragt sie. Das Kontaktpersonenmanagement der Kranken und das Zusammenfassen zu Ansteckungsclustern macht die österreichische Corona-Strategie aus. Am Anfang stehen oft Anrufe bei einer anderen Hotline, der Gesundheitsnummer 1450. Am Sonntag läutete es auf der Wiener Leitung ungefähr 1000 Mal, 880 Mal wegen Corona – 280 Menschen bekamen danach Besuch von Rot-Kreuz-Mitarbeitern in Ganzkörperanzügen, die Abstriche an ihren Rachen vornahmen. Im Juni testeten die Ärzte, Krankenhäuser und Labore jeden Tag etwa 21 Menschen in Wien positiv. Die bekommen dann Anrufe von Contact-Tracerinnen wie Elisabeth Smretschnig. Sie sagt den Infizierten, dass sie die nächsten 14 Tage daheim verbringen müssen, und bittet sie um Namen und Telefonnummern ihrer Kontakte der vergangenen Tagen. Wer 15 Minuten lang weniger als zwei Meter Abstand zum Infizierten hielt, bekommt ebenfalls einen Quarantänebescheid und ein Wattestäbchen in die Nase. So kommen zu ungefähr 280 Tests pro Tag über die Gesundheitshotline in Wien noch einmal 1500 bis 2000 Tests aus dem Umfeld der Positiven oder gezielt gescreenten Heimen, Schulen und Betrieben.
Die aktuellen Corona-Cluster sind keine Horror-, sondern Erfolgsmeldungen. Gute Epidemiologen und smarte Krisenmanager können das Land über den Herbst bringen BERICHT: LUKAS MATZINGER, BARBARA TÓTH
Corona-Infektionen in Österreich 1.200 1.000 800 600 400 200 0 20 .20 02
20 .20 .03 6 2
20 .20 .04 5 2
20 .20 05 . 5 1
20 .20 06 . 4 1
.0 04
0 7.2
Zahl der entdeckten Corona-Fälle pro Tag in Österreich. Mitte April fiel sie unter hundert, zuletzt lag sie wieder darüber. Das alleine macht noch keine „Welle“
Zum eigenen Gebrauch nach §42a UrhG. Digitale Nutzung gem PDN-Vertrag des VÖZ voez.at. Anfragen zum Inhalt und zu Nutzungsrechten bitte an den Verlag (Tel: 01/53660*961). Pressespiegel Seite 53 von 84
20
Die großzügige Teststrategie hat Wien bisher vor Schlimmerem bewahrt: Trotz der Enge einer Millionenstadt gab es weniger positive Fälle pro Einwohner als in Tirol, Vorarlberg und Salzburg. Würde nicht gerade ein Wahlkampf beginnen, könnte die Kanzlerpartei ÖVP glatt weitum mit der KrisenFortsetzung nächste Seite
Seite: 1/3