#4 Gewalt

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engaged anthropologist 1975 beschreibt der US-amerikanische Konzeptkünstler Joseph Kosuth ein/e Künstler_in als „engaged anthropologist“1. Demnach bemühen sich Künstler_innen, genauso wie Anthropolog_innen, den Überblick über gesellschaftliche und menschliche Zusammenhänge zu erlangen. Aber, anders als Anthropolog_innen, beo

bachten Künstler_innen nicht nur: Sie verändern, was sie untersuchen. Wenn uns heute zwar die Überlegung konstruktivistischer und kybernetischer Theorie, dass ein_e Beobachtende_r stets beeinflusst, was sie/er beobachtet und darüber hinaus Teil des zu beobachtenden Systems ist, geläufig ist – so meint Kosuths „engaged anthropologist“ doch mehr als diese Unvermeidlichkeit. Laut Kosuth können Künstler_innen nicht nur nicht neutral sein, sie sind vielmehr bewusst am Eingriff interessiert. Künstlerische Praxis beobachtet wie Menschen sich selbst konstituieren und will gleichzeitig an dieser Konstitution aktiv teilnehmen. Das ist mit Sicherheit eine diskutable Ansicht, dennoch will ich diesem Gedankengang hier folgen: Der Wert von Kunst liegt in ihrer doppelten Rolle, sowohl Reflexion als auch Partizipation zu verlangen.

Anthropophagie und Barbarismus

Sabbern). Sie fordert von Kunst, organische Erfahrung zu generieren. Dies sollte durch Experimente mit sogenannten ‚Propositionen‘ erreicht werden, und aus der Konsequenz dieser Idee entwickelt Clark Performances, in denen Betrachtende durch die Ausführung der vorgeschlagenen Abläufe zu Partizipierenden werden. So auch in der Performance Baba antropofágica: Eine Person liegt auf dem Boden, während die anderen um sie kniend Fäden von Spulen aus ihrem Mund ziehen. Dieser stetige Akt, die mit Spucke behaftete Schnur auf den mittigen Körper herabfallen zu lassen, gibt, so Clark, den Partizipierenden nach und nach das subjektiv höchst intensive und zugleich kollektive Gefühl, sich die Eingeweide auf den Bauch zu ziehen. Die Performance ist ein fragmentierender Prozess: die Zerteilung in Stücke; sie ist Assemblage: das Sammeln der Stücke; und sie ist Rekonfiguration: die Verdichtung zu einem neuen Körperstück aus den einzelnen Stücken. Die Partizipierenden fragmentieren ihre Körper zu Spucke, Organen und Imaginationen und fügen die Fragmente zu einem kollektiven Körper zusammen. Dazu gehören auch die Gesprächsrunden nach den Performances, in denen sprachlich erfasst werden soll, was geschehen und imaginiert worden war.

1973 entwickelt die brasilianische Künstlerin Lygia Clark die Performance Baba antropofágica (anthropophagisches

Der Effekt sei die „suspension of psychophysical habits, the expansion of sensorial capacities, and the stimulation of perception as relation“ 2. Clark glaubt, dass Fantasien unsere Kräfte einschränken und dass kollektive

1 Kosuth, Joseph (1975): Artist as Anthropologist. In: http:// www.vizkult.org/propositions/alineinnature/pdfs/KosuthArtistAsAnthropologist-excerpts.pdf, Zugriff: 30.7.2016.

2 Fabiao, Eleonora (2014): The Making of a Body: Lygia Clark’s Anthropophagic Slobber. In: Lygia Clark. The Abandonment ofArt, 1948-1988. New York: The Museum of Modern Art, p.297.

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