Leseprobe, mehr zum Werk unter ESV.info/978-3-503-20686-5
KSG § 1
Allgemeine Vorschriften
Restbudgets folgt, wenn sich daraus die mögliche Überschreitung der verfassungsrechtlich maßgeblichen Temperaturschwelle ergibt.76 Daran kann die Vereinbarkeit des KSG im Hinblick auf die zugelassenen Emissionsmengen „dem Grunde nach gemessen“ werden,77 auch wenn die (bisherigen) Unsicherheiten in der Berechnung „derzeit“ noch keine Heranziehung als zahlengenaues Maß für die verfassungsgerichtliche Kontrolle erlauben, wie das BVerfG für das vom Sachverständigenrat für Umweltfragen ermittelte CO2Restbudget Deutschlands entschied, welches auf den Schätzungen des IPCC zur Wahrung einer 1,75 Grad Celsius-Temperaturschwelle beruht.78 e) Dynamische Betrachtung auf der Basis des aktuellen IPCC-Berichts 54
Angelegt ist damit aber eine Prüfung des KSG darauf hin, ob die Zahlengrundlagen des Sachverständigenrates für Umweltfragen auf der Basis der IPCC-Schätzungen gewahrt sind. Letztere sind damit im Ergebnis höhergestellt als das KSG, jedenfalls wenn die noch vorhandenen Unsicherheiten verschwunden sind. Das KSG muss damit zumindest in der Zukunft den Standards und Berechnungen entsprechen, welche der IPCC heranzieht und die nunmehr auch schon faktisch zugrunde gelegt werden. Das legt einen dynamischen Prozess nahe.
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Die Berechnungen des IPCC von 2018, die auf der Kattowitz-Konferenz nur in ihrer zeitlichen Fertigstellung begrüßt wurden, sind zwar vom BVerfG zugrunde gelegt, wurden aber durch den neuen IPCC-Bericht vom 09. 08. 2021 abgelöst, der wesentlich dramatischere Berechnungen enthält. In der Konsequenz sind daher diese zugrunde zu legen. Auf sie bezogen ist nunmehr zu prüfen, ob die Unsicherheiten und Wertungen immer noch so stark sind, dass eine Heranziehung für die juristische Prüfung ausscheidet.
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Daran zeigt sich zugleich die Unsicherheit über den juristischen Prüfungsmaßstab: Ist dieser nun unter strikter Beachtung der Berechnungen von IPCC und Sachverständigenrat für Umweltfragen zu wählen oder können diese nur berücksichtigt werden, sodass der Gesetzgeber ihnen nur Rechnung getragen haben muss? Insoweit braucht auch der Gesetzgeber Verlässlichkeit, muss er doch sonst bei jeder Verfassungsklage erst einmal abwarten, ob das BVerfG IPCC-Schätzungen und Berechnungen des Sachverständigenrats für Umweltfragen als verbindlich oder lediglich als zu berücksichtigenden Posten heranzieht. Oder aber greifen mit der Regulierung im Zuge des EU-Klimapakets nur noch die europäischen Festlegungen und auch Grundrechte, die kein Klimaschutzgebot enthalten (näher o. Frenz, Klimaschutz und Grundrechte, Einf. E Rn. 102 f.)?
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BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 229. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 216 a. E. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 236.
Frenz
Aus: Prof. Dr. jur. Walter Frenz (Hrsg.), Klimaschutzrecht. EU-Klimagesetz, KSG Bund und NRW, BEHG, Steuerrecht, Querschnittsthemen. Gesamtkommentar © Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2022