HEUREKA 5/21

Page 9

N AC H R IC H TE N   :   H EU R EKA  5/21   FALTER 39/21  9

:  A N G E WA N DT E M AT H E M AT I K

Big Data gegen Covid & Co. Künstliche Intelligenz erkennt im Blutbild großer Bevölkerungsgruppen ein Muster. Ändert es sich, könnte das auf eine Pandemie hinweisen USCHI SORZ

„Anwendungen, die im Dialog zwischen Mathematik und Medizin entstehen, haben ein riesiges Potenzial“, sagt Carola-Bibiane Schönlieb. „Unser Pandemie-Frühwarnsystem ,BloodCounts!‘ ist dafür das beste Beispiel.“ Die in Salzburg aufgewachsene Wienerin ist Professorin für angewandte Mathematik in Cambridge (UK) und dort Direktorin des Cantab Capital Institute for the Mathematics of Information und Ko-Direktorin des EPSRC Centre for Mathematical and Statistical Analysis of Multimodal Clinical Imaging. In dem von ihr geleiteten interdisziplinären Projekt BloudCounts! werden Algorithmen auf Basis von künstlicher Intelligenz (KI) darauf trainiert, pandemierelevante Muster in der Bevölkerung in Routineblutbildern aufzuspüren. Eine Pilotstudie mit Daten der Universitätskliniken in Cambridge hat sich als vielversprechend erwiesen. Im Juni wurde das Forscher*innenteam dafür mit dem zweiten Preis der Trinity Challenge ausgezeichnet.

Es war der erste Durchgang des Wettbewerbs, den Englands ehemalige Chief Medical Officer Sally ­Davies eingerichtet hat, um datenbasierte Lösungen zur Pandemiebekämpfung und -vorsorge voranzutreiben. 42 fördernde Organisationen stehen dahinter. Neben finanzi llen Mitteln zur Umsetzung ihres Projekts dient die Trinity Challenge den Teilnehmer*innen auch als Plattform zur Vernetzung mit öffentlichen, privaten, philanthropischen und akademischen Akteuren. BloodCounts! ist eines von acht Projekten, die von einer internationalen Jury ausgewählt wurden. „Ein Blutbild ist der häufig te medizinische Test überhaupt“, sagt Schönlieb. „Weltweit wird etwa 3,6  Milliarden Mal pro Jahr eines gemacht.“ Am Department für Hämatologie in Cambridge habe man beobachtet, dass nur ein Teil der Informationen aus den Messungen der Blutanalysemaschinen verwendet wird. „Viele der dabei anfallenden Daten werden weggeschmissen. Auf KI basierende

mathematische Methoden eröffne die Möglichkeit, sie nutzbringend einzusetzen.“ So kann ihre Arbeitsgruppe damit den Zustand des Blutes großer Bevölkerungsgruppen abbilden. „Man kann sich das vorstellen wie einen Fingerabdruck von einer ganzen Stadt oder Region“, erklärt Schönlieb. „Da wir vor Corona Studien dazu gemacht haben, konnten wir für BloodCounts! einen solchen Fingerabdruck der Stadt Cambridge von 2019 als Ausgangspunkt nehmen.“ Der Mi­krobiologe Nicholas Gleadall und der Mathematiker Michael Roberts hatten die Idee, diesen in Bezug auf Covid-19 zu untersuchen. Dabei zeigte sich, dass sich der Normalzustand des Blutes, also der Vor-Corona-

Carola-Bibiane Schönlieb, Universität Cambridge

Finger­abdruck, durch die Pandemie signifikant geändert hatte. „In großem Maßstab eignen sich Blutdaten gut als Frühwarnsystem für neuartige Krankheitsausbrüche. Die Abweichung gibt den Hinweis, dass etwas nicht stimmt. Das Gesundheitswesen kann dann sehr früh die Ursache suchen und handeln. Die Methode schlägt schon an, bevor ein Problem sichtbar wird.“ Da Blut­ daten überall vorhanden sind, biete das auch Entwicklungsländern eine Perspektive, um Pandemien in den Griff zu bekommen. In den nächsten drei Jahren wird Schönliebs Team Modelle entwickeln, um herauszufinden, wie groß die Aussagekraft der Abweichungen vom definierten Normalzustand in diversen Regionen und mit unterschiedlichen Bevölkerungen ist. „Dabei sind unsere Kooperationen mit Blutanalyse­ geräte-Unternehmen essenziell“, so die Mathematikerin. „Durch die Trinity Challenge können wir mehr internationale Partner ins Boot holen.“ Etwa das US-amerikanische Rote Kreuz, eine große Blutspendeorganisation.

:  P SYC H O LO G I E

Ganz entscheidend im Studium: Hingehen Wem das bei einer Abschlussarbeit oder großen Prüfung schwerfällt, findet bei der Psychologischen Studierendenberatung Hilfe

FOTOS: CAMBRIDGE UNIVERSITY, PRIVAT

MARGRET SCHOPF

Vom Hörsaal ins eigene Zimmer: Das hat vielen Studierenden einen Dämpfer verpasst. Wer beim Studium schon unter „normalen“ Umständen Schwierigkeiten hat, sich zum Lernen aufzuraffen, spürt dies seit Ausbruch der Corona-Pandemie umso mehr: In der eigenen Wohnung oder in der WG am Schreibtisch ist Selbstmotivation eine Kunst, die nur wenigen liegt. Die Zunahme an persönlichen Problemen beschäftigt die Psychologische Studierendenberatung (PSB), bei der die Anfragen deutlich zugenommen haben. Zahlen für das aktuelle Studienjahr 2020/21 liegen noch nicht vor. Im Wissenschaftsmini terium rechnet man mit einem Anstieg an Anfragen für Einzelberatungen um bis zu zwanzig Prozent. Das ist die gegenteilige Entwicklung zu jener im ersten Coronajahr 2019/20. Damals hatte die PSB einen deutlichen Rückgang der Beratungskontakte von 46.500 auf 36.000 verzeichnet. Im Ministerium hat man auf die steigende Nachfrage reagiert und die

PSB finanziell und personell massiv

ausgebaut. Eine Million Euro wird ab 2021 zusätzlich pro Jahr in die PSB investiert und damit um vierzig Prozent mehr Personal beschäftigt. Insgesamt sind 66 Klinische und Gesundheitspsycholog*innen für Studierende im Einsatz. Dazu kommen zehn Sekretariatskräfte. Die sechs PSB-Beratungsstellen in Wien, Graz, Linz, Innsbruck, Salzburg und Klagenfurt erhalten knapp 6,4 Millionen Euro vom Ministerium. Die PSB besteht seit 51 Jahren und bietet ein niederschwelliges Angebot in Einzel- oder Gruppenberatungen. Es geht um kostenlose Hilfestellung bei der Bewältigung persönlicher Probleme, auf Wunsch auch ano­nym. Auch bei Fragen rund um die Studienwahl und das Studium steht die PSB mit ihrer Expertise zur Verfügung, etwa in Form des vom Ministerium finanzierten Programms „18plus“, das Schüler*innen bei der Berufs- und Studienwahl unterstützt. Neben vereinbarten Terminen gibt es für Akut-

situationen einen Bereitschaftsdienst. Seit 2014 kann man von der PSB per Chat beraten werden. Gerade Letztere haben sich in der Coronapandemie besonders bewährt, ebenso wie die Unterstützung via EMail und per Telefon, da persönliche Beratungen während der Lockdowns nicht oder nur eingeschränkt wahrgenommen werden konnten. So kam die neue Form der digitalen Einzelberatung via Videotelefonie dazu. Sie soll auch in Zukunft beibehalten werden. „Diese Kanäle verstärken die Niederschwelligkeit des bestehenden Angebots und erlauben es, dass Beratungen zeitlich und örtlich unabhängig stattfinde “, heißt es dazu aus dem Ministerium.

Franz ­Oberlehner, Psychologische Studierenden­ beratung Wien

„An die PSB wenden sich mehr als zwei Drittel Frauen“, sagt der Leiter der Wiener PSB, Franz Ober­lehner. Der Großteil der Ratsuchenden, nämlich achtzig Prozent, ist zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt. Studienbeginn und Studienabschluss sind die „heißen Phasen“ in der Beratung. Vor allem Prokrastination, also das Aufschieben, sei ein großes Thema, sagt Oberlehner: etwa bei Studien­ fächern wie Architektur, wo ein Abschlussprojekt auszuarbeiten ist, aber auch bei Fächern, bei denen in größeren Abständen größere Prüfungen absolviert werden müssen. Was rät er? „Pragmatisch angehen! Wir haben ein Gruppenformat, wo ein realistischer Rahmen ausgearbeitet wird, was in welchem Zeitraum zu schaffen ist – durch motivationsunabhängige Routinen.“ Also indem man etwa regelmäßig auf die ­Bibliothek geht, so wie in die Arbeit. „Da überlege ich ja auch nicht in der Früh, ob es mich heute freut oder nicht, sondern ich stehe auf und gehe hin.“


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.
HEUREKA 5/21 by Falter Verlagsgesellschaft m.b.H. - Issuu