Leseprobe PADUA

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Vorbilder in der Pflege: Eine monokulturelle Angelegenheit? Auf dem Weg zur beruflichen Sozialisierung spielen Vorbilder eine wichtige Rolle. Sie vermitteln Halt und Orientierung. In einem Workshop haben sich Lehrpersonen aus verschiedenen europäischen Ländern mit der Vorbildfunktion auseinandergesetzt. Vorbilder sind Menschen, mit denen wir uns identifizie­ ren. Sie haben Qualitäten, die wir auch vorweisen möch­ ten und sind in Positionen, die wir erstrebenswert finden (Paice, et al. 2002). Vorbilder beeinflussen das Verhal­ ten, indem sie zum Beispiel die im Pflegeberuf erwarte­ ten praktischen beruflichen oder persönlichen Merk­ male veranschaulichen. Diese Merkmale können dann von anderen übernommen werden (Felstead & ­Springett, 2016). Ein berufliches Vorbild zu haben gibt Halt und Orientierung. Für den wichtigen Prozess der Sozialisierung und den Aufbau der Berufsidentität in der Pflege ist die Rollen­ modellierung mit Begleitung von Vorbildern essentiell (­Webster et al., 2016). Wir lernen die Normen, Werte, Ver­ haltensweisen, Einstellungen und die Kultur der Profes­ sion kennen und bekommen diese durch bestimmte Vor­ bilder vorgelebt (Marañón & Pera, 2015). Allerdings ist es unmöglich, zu verordnen, wer ein Vor­ bild ist – wir wählen unsere Vorbilder stets selbst. Viele positive Attribute der Vorbilder repräsentieren Verhaltens­ weisen, die modifiziert werden können oder Fähigkeiten, die es zu erwerben gilt (Wright & Carrese, 2002). Nun stellt sich die Frage, welche Merkmale entscheidend sind, um im Hinblick auf die Rollenübernahme ein Vorbild zu sein. Und vor allem: Können diese Merkmale gelernt und geübt werden? Mit diesen und weiteren Fragen bezüglich des Phäno­ mens Vorbild hat sich eine Gruppe von Pflegefachperso­ nen im Rahmen der Veranstaltung „International Days“, die im Frühjahr 2017 am Berner Bildungszentrum Pflege (BZ Pflege) stattgefunden hat, auseinandergesetzt.

Vorgehen Im Rahmen eines internationalen Workshops haben sich Pflegefachpersonen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz mit dem Thema Vorbild beschäftigt. Ein Gross­ teil der Teilnehmenden arbeitet als Berufsschullehrer

oder -lehrerin an verschiedenen Pflegeschulen in den ­erwähnten Ländern. Zwei weitere Teilnehmende sind in der Pflegepraxis tätig. Ziel des Workshops war die Aus­ einandersetzung mit dem Thema Vorbild und dessen Bedeutung für die Pflege, allerdings wurde der Fokus bewusst erweitert. Es ging grundlegend um die Frage, was Vorbilder für Menschen im Kontext ihrer Biografie oder Migrationsgeschichte bedeuten. Nachdem sich die Workshop-Teilnehmenden anhand einer Selbstreflexion mit ihren eigenen Vorstellungen von Vorbildern beschäf­ tigt hatten, wurden die Erkenntnisse in Kleingruppen dis­ kutiert und mit der vorhandenen Literatur in Verbindung gebracht. Die Resultate dieser Diskussionen lieferten die Grund­ lage zur Entwicklung eines halbstrukturierten Fragebo­ gens (Tabelle 1), der für die nachfolgenden Fokus-Inter­ views genutzt werden konnte. Da der Campus des BZ Pflege in Bern von einer kulturellen Vielfalt umgeben ist – es gibt Restaurants, Geschäfte, Treffpunkte – wurde diese Umgebung genutzt, um Personen aus verschiedenen Kul­ turkreisen in den Workshop einzubeziehen. Sieben Perso­ nen aus den Ländern Libanon, Kosovo, Syrien, China und der Schweiz, erklärten sich bereit, ein Interview zum The­ ma Vorbild zu geben.

Auswertung der Interviews Die Interviews ergaben, dass der Begriff Vorbild meist positiv besetzt ist. Man stellt sich darunter Personen vor, die etwas widerspiegeln, das man auch sein möchte. Aus dem Genderaspekt lässt sich keine Bevorzugung ablei­ ten. Das heisst, bei manchen Befragten ist das Vorbild der grosse Bruder oder die Lehrerin, bei anderen ist es ein Sportler oder die Mutter. Durch die Beschreibung wird klar, dass die Vorbilder aufgrund der Art und Weise, wie sie Dinge vorleben, eine gewisse Macht ausüben. Auf die Frage, ob es Menschen in ihrem Leben gibt, die sie beeindrucken, nannten die Befragten meist Personen aus dem familiären, schulischen und sportlichen Um­ feld. Es gab aber auch generalistische Aussagen, wie zum Beispiel: „Vorbilder sind nicht bestimmte Personen, sondern Menschen, die auf eigenen Füssen stehen, authentisch sind, Engagement zeigen und eine Sache mit Herzblut machen.“ Nr. 1. Wirklich grosse Vorbilder weisen folgende Merkmale auf: Sie leben Werte vor, setzen auf verlässliche ­Beziehungen

©2019 Hogrefe PADUA (2019), 14 (1), 61–63 https://doi.org/10.1024/1861-6186/a000475

Wissen und Forschen

Claudia Schlegel, Martin Siefers, Marion Engels, Ingeborg Beatty und Sinisa Delic


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Informiert sein und Handeln Patientenedukation in der Pflege

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