KLIPP September/Oktober 2020

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Die Allmacht der Konkursrichter

Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz

Was für die einen in die Katastrophe, die Verzweiflung, in Einzelfällen sogar zum Selbstmord führt, wenn sie durch Gerichtsbeschluss ihr Unternehmen, ihren Besitz, ihr Hab und Gut verlieren, kann bei den anderen zu Wohlstand und Reichtum führen. Foto: APA picturedesk / Erwin Scheriau

in Graz – mit ihren rund 140 Beschäftigten, keine ganz große Sache. Dennoch wurde neben dem Grazer Masseverwalter auch noch eine erfahrene und bekannte Anwältin aus Wien bestellt. Die Abwicklung wird dadurch logischerweise teurer. Und warum, fragt man sich, muss jemand aus Wien geholt werden. Gibt es doch in Graz genügend fachliche Kompetenz dafür.

K

LIPP schlitterte vor knapp 20 Jahren in eine Insolvenz – sprich Konkurs. Es ist daher oft gut zu wissen, aus eigener Erfahrung, worüber man berichtet. Ein teurer, wahrscheinlich jahrelanger Prozess bei Gericht war bereits auf dem Wege. KLIPP zog mit einem Insolvenzantrag die Reißleine und überlebte. Der Konkursantrag war eingebracht. Schon wenige Tage später gab es in der KLIPP-Redaktion einen Anruf. „Ich bin Ihr Masseverwalter“, hieß es. Der Betrieb ging weiter, aber jeder Euro, der künftig – selbst für Kleinigkeiten, wie Getränke, Zeitungen für die Mitarbeiter, Kaffee, eine Dienstfahrt mit dem Auto oder sonstwas – ausgegeben wurde, benötigte die Erlaubnis des Masseverwalters. Jeder Konkursantrag muss im Amtsblatt veröffentlicht werden und der Masseverwalter muss jeden Gläubiger schriftlich darüber verständigen, sodass diese ihre Forderungen an das jeweilige Unternehmen bei Gericht einbringen können.

In der Steiermark wurden im letzten Jahr 387 Firmeninsolvenzen eröffnet. In weiteren 235 Fällen kam es zu einer Verfahrensabweisung mangels Masse. Das

Summa summarum entscheiden die Konkursrichter nicht nur über die Zukunft von Schuldnern, die Zufriedenheit von Gläubigern, sondern auch und vor allem über das Wohl und Wehe so mancher Anwaltskanzlei.

Bundesland liegt damit an dritter Stelle von Österreich. Wien führt mit 1.050 Insolvenzen die Tabelle an. Die zehn größten in der Steiermark waren SFL technologies und holding (Stallhofen), Card-Club Kartenspiele, Borckenstein, Charles Vögele Austria, ISOBASALT (Großwilfersdorf), Herbitschek (Ratten), MAG – Maschinen und Apparatebau (Deutschlandsberg), KAPO Möbelwerkstätten und S.O.L.I.D. (Graz). Doch wie werden Masseverwalter überhaupt vom Gericht bestellt? Darüber entscheiden an den Gerichten in Graz und Leoben die Richter in der Konkursabteilung. Die Rechtsanwälte können sich bei Gericht in Listen eintragen, womit sie ihre Bereitschaft bekunden, Konkurse und Insolvenzen zu übernehmen. Denn sie sind ein gutes und vor allem sicheres Geschäft. Nach dem Gesetz ist es so, dass, bevor ein Gläubiger auch nur einen Euro bekommt, das Geld für die Honorarnoten des Rechtsanwalts vorhanden sein muss. Über die Rechtmäßigkeit entscheidet der Konkursrichter auf der Grundlage einer Gebührenordnung – allerdings mit einem Ermessens-

bis blendend daran.

spielraum. Im Falle von Großinsolvenzen, aber nicht nur in solchen, verdienen Rechtsanwaltskanzleien über Jahre hinweg gut

Je nach Größe des Gerichts ist ein Richter für eine bestimmte Buchstabengruppe im Alphabet zuständig. Er wählt dann die entsprechende Kanzlei aus der Liste aus. So wie sich Richter ihre Stammbeisl aussuchen oder Stammbeisl haben – man vertraut auf gutes Service –, so läuft das auch mit Masseverwaltern ab. Es gibt Kanzleien, die sich auf Immobilien spezialisiert haben, andere wieder auf Arbeitnehmer und damit über eine entsprechende Erfahrung verfügen. Am gefragtesten sind jene, die Insolvenzen so abwickeln, dass sie dem Richter möglichst viel abnehmen. „Arbeitsentlastung“ ist das große Zauberwort dabei. Die Entscheidungen über die Auswahl der Masseverwalter unter den rund 300 Anwaltskanzleien in der Steiermark führen aber immer wieder für Diskussionen. Wie jüngst auch im Fall der Wirecard-Tochter

Zur Klarheit: Die Bestellungen erfolgen immer nach den Buchstaben des Gesetzes. So darf man annehmen. Im Laufe der Zeit und Jahre entstehen durch die Zusammenarbeit – nicht verwunderlich – oft Freundschaften zwischen Konkursrichtern und Masseverwaltern. Es entwickeln sich Netzwerke, die im Hintergrund die Arbeit begleiten und unauffällig davon profitieren. Um auf die sogenannten vom Masseverwalter beigezogenen Spezialisten zurückzukommen: Egal, ob es sich um Immobilien, Fuhrparke, Schmuck, Grundstücke, Maschinen, Kunstsammlungen oder was auch immer handelt – keiner ist einem Schnäppchen abgeneigt und ist aktuell stets auf der Suche nach Objekten. Die Abwicklung erfolgt dann in vielen Fällen eher lautlos und unauffällig. Ein Argument, das dabei gerne ins Treffen geführt wird: Nach dem Gesetz ist der Masseverwalter verpflichtet, möglichst rasch zu verwerten, den besten Preis für die Gläubiger zu erzielen. Dieser gesetzliche Auftrag gibt dem Masseverwalter aber dennoch einen großen Spielraum – so er sich mit dem Konkursrichter einig wird. Es gibt daher Verfahren, die zügig durchgezogen und abgewickelt werden, aber auch Konkursverfahren, die sich über Jahre hinziehen. Immer wieder sorgen spektakuläre Verfahren für Schlagzeilen. Konkursabteilungen sind ein einträgliches Biotop in der Justiz. Auf der einen Seite viele Verlierer, auf der anderen viele Profiteure.

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