KLIPP September/Oktober 2020

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BEGRÄBNIS ERSTER KLASSE

KULTUR/MEDIEN

AddENDum

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ÖSTERREICHISCHE POST AG — MZ 18Z041574 M QUO VADIS VERITAS REDAKTIONS GMBH., HALLEINER LANDESSTRASSE 24, 5061 ELSBETHEN

Abschied von der eigenen Meinung

Zitat

NICHT RETOURNIEREN

Einer Versuchsperson wurde gesagt, auch alle ande- Neue Perspektiven und gute Begründungen ren seien freiwillige Teilnehmer des Experiments. In Florack ist überzeugt, dass langfristige und tragWirklichkeit waren sie Eingeweihte. Die Gruppe sollte fähige Meinungsänderungen am Ende aber nur durch nun beurteilen, welche von drei gezeichneten Linien bewusstes Nachdenken und eine tiefgründige Vergenauso lang wie eine Referenzlinie war. Dabei einig- arbeitung gelingen können. „Eine Meinung, die Sie einten sich die Eingeweihten geplant und absichtlich auf fach von einer Mehrheit übernehmen, die wechseln Sie N Rver . 16 , € 4,20 D I EdieZjeweilige E I T U Nauch G mal schnell wieder, weil sie sie nicht eine falsche Angabe. Trotzdem stimmte innerlicht Versuchsperson bei einem Drittel der Durchgänge haben.“ Was den Prozess unterstützen kann, ist ein damit überein. Perspektivenwechsel: Was würde ich denken, wie würde ich handeln, wenn ich mich selbst von außen betrachten würde? Oder wenn ich die Person mit der Moral als Religionsersatz? Aktuelle Diskurs-Phänomene wie die sogenannte anderen Meinung wäre? Cancel Culture, also das Bestreben, Personen oder Organisationen konsequent zu boykottieren, wenn sie aus subjektiver Sicht mancher Leute durch beleidigende oder diskriminierende Aussagen aufgefallen sind, führt Autor Grau („Hypermoral – die neue Lust an der Empörung“) auf eine wachsende Bedeutung von Moral zurück. Moralische Überzeugungen seien ein entscheidender Teil unserer Persönlichkeit, weil sie uns Halt und Orientierung geben. „Ich würde sagen, sie sind noch wichtiger geworden, seit für viele Menschen Religion nicht mehr eine ganz so zentrale Rolle spielt“, so die Analyse des Münchners. „Und das trägt Einer Meinungsänderung steht allerdings auch undazu bei, dass viele Fragen heutzutage ganz schnell auf ser Bedürfnis nach Konsistenz entgegen, also dass aus eine moralisierende Art und Weise behandelt werden.“ dem eigenen Verhalten keine Widersprüche abzuleiten Der Druck, uns aus verschiedenen Gründen der sind. „Man möchte ja nicht als blödsinnig dastehen“, Mehrheitsmeinung einer Gruppe anzuschließen, ist das stellt Florack fest. „Wenn man aber eine gute Begrüneine. Unter anderem macht er uns zu sozialen Wesen, dung dafür hat, warum man früher eine andere Meidie gemeinsam stärker sind. Dagegen stünden jedoch nung hatte, dann hilft das enorm, diese loszulassen.“ ebenso starke Bedürfnisse wie jene nach Freiheit, Ich war jung, unerfahren oder schlecht informiert Autonomie und Selbstbestimmung. „Wir sind sozia- wäre so eine klassische Begründung, die zumindest le Wesen mit einem großen Drang zum Individuellen. Jahrzehnte später gut funktioniert. Ich gebe zu, ich Das versuchen wir permanent in Einklang zu bringen“, habe mich getäuscht oder war ein bisschen verblenerklärt Grau. „Aus lauter Individualismus schließe ich det wäre manchmal die ehrliche Variante. Ich habe mich dann einer kleinen Subkultur an. Die unterliegt nie was anderes gesagt, wäre nach einem Meinungszwar auch wieder der Logik des Kollektiven, aber ich umschwung die Reaktion, mit der man in Zeiten wie kann mir zumindest als Individualist vorkommen.“ diesen rechnen sollte. Die Folge dieser sich widersprechenden GrundFazit: Der Abschied von der eigenen Meinung kann bedürfnisse sei ein permanentes Lavieren zwischen gelingen. Frei nach dem Motto: Wer nie seine Meinung Anpassung und Autonomie. ändert, ändert überhaupt nie irgendwas.

„Setzen Sie sich immer mit denen auseinander, von denen Sie mutmaßen, dass sie Ihnen auf die Nerven gehen.“

Zum Abschied Wie man seine Meinung ändert Immerhin ermöglicht es diese Gesamtgemengelage durchaus, dass wir unsere Meinung an neue Gegebenheiten anpassen. Menschen mit dem eher ungewöhnlichen Anliegen, diese Fähigkeit trainieren und mehr Offenheit für eine Meinungsänderung zeigen zu wollen, rät Philosoph Grau zur Konfrontation: „Setzen Sie sich immer mit denen auseinander, von denen Sie mutmaßen, dass sie Ihnen auf die Nerven gehen.“ Solch absichtlich vollzogene Lockerungsübungen sind vielleicht das Pendant zur unwillkürlich ablaufenden Eingliederung in ein neues soziales Umfeld mit neuen Ansichten. Beides setzt an der emotionalen Hürde an. Sozialpsychologe Arnd Florack sagt dazu: „Erst wenn ich diese Hürde überwunden habe und mich frage ‚Ist es vielleicht doch anders, als ich bisher gedacht habe?‘, bin ich möglicherweise bereit, Sachverhalte auf der rationalen Ebene noch einmal neu zu durch© Shutterstock denken.“ Raum für persönliche Notizen

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Zum Abschied

Jeder Mensch hat ein Brett vor dem Kopf – es kommt nur auf die Entfernung an.

Alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.

Johann Wolfgang von Goethe, Faust

Marie von Ebner-Eschenbach

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Ausgabe 16 | 35

D

ie 16. Ausgabe der Addendum-Zeitung ist zugleich die letzte, weil die Rechercheplattform Addendum, in deren Rahmen dieses Printprodukt in den vergangenen eineinhalb Jahren erschienen ist, eingestellt wird. Das ist traurig für mich und meine mehr als 50 Kolleginnen und Kollegen, die wir mit sehr viel Herzblut bei der Sache waren. Und wir hoffen, dass es auch für Sie ein bisschen traurig ist, denn das hieße, dass Ihnen etwas fehlt. Dass das Schwerpunkt-Thema dieser letzten Ausgabe „Abschied“ lautet, wird sie weder überraschen noch ist es sonderlich originell, aber eben doch folgerichtig. Wie immer haben wir versucht, uns dem Thema aus unterschiedlichen Perspektiven zu nähern, und es war unsere Absicht, den Anlass, nämlich unseren eigenen Abschied von der medialen Bühne, weder zu verheimlichen noch überzubetonen. Wir – das heißt, wie bei allen vorangegangenen Ausgaben, vor allem: Lucia Marjanović und Edith Heigl –, haben deshalb eine Art Schwerpunkt im Schwerpunkt geschaffen. Jede Mit arbeiterin und jeder Mitarbeiter war eingeladen, ein kleines Abschiedsgeschenk an Sie und zugleich eine Erinnerung an uns selbst in Form von Text oder Bild oder Leere zu hinterlassen. Im „Abschied“-Schwerpunkt selbst geht es praktisch gar nicht um uns, aber um den Abschied in all seinen Facetten. Meine Lieblingsstücke darin wurden von Frauen geschrieben. Jane Hardy erinnert sich an einen ganz besonderen Dreh für das Servus-TV-Reportageformat „Im Kontext“: Hochschwanger begleitete sie gemeinsam mit meinem Kollegen Andreas Wetz ein deutsches Paar zum assistierten Suizid in die Schweiz. Falls Sie einen Eindruck davon bekommen wollen, was in einer werdenden Mutter vorgeht, die Menschen beim Sterben zusieht: bitte lesen. Lucia Marjanović, die gute Seele dieser Zeitung, hat einen Mann getroffen, der sich gerne von der Erde verabschieden und auf dem Mars sterben möchte. Es ist sehr faszinierend zu sehen, welche Pläne Menschen mitunter für sich fassen, und dass das Wissen darum, dass sie zu Lebzeiten eher nicht erfüllbar sein werden, an der Ernsthaftigkeit dieser Pläne rein gar nichts ändert. Valentina Dirmaier hat Menschen besucht, die einen ganz besonderen Abschied vollziehen: den Abschied vom Geburtsgeschlecht. Es gilt unserer so auf- und abgeklärten Gesellschaft noch immer als nicht ganz ernstzunehmende Kuriosität, dass Menschen ernsthafte Probleme mit ihrer geschlechtlichen Identität haben, diese werden als Überspanntheit und Modeerscheinung abgetan. Kaum jemand mag sich ernsthaft vorstellen, wie das ist und was das bedeutet. Valentina wollte, und jetzt können wir auch etwas darüber erfahren.

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* „Zum Abschied“ ist eine Einfügung der KLIPP-Redaktion – passend zur Thematik in der letzten 96-seitigen Ausgabe.

„Addendum“, ein visionäres Projekt von Didi Mateschitz – bis er die Lust daran verlor

Z

„Es war ein ungeplanter Abschied“, drückt Michael Fleischhacker schockiert sein Entsetzen in der letzten Printausgabe von „Addendum“ unter dem Titel „Zum Abschied“ aus. Das Begräbnis erster Klasse der breit aufgestellten Rechercheplattform wurde von der breiteren Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. Nur in der Journalisten- und Politik-Blase gab es ein Aufhorchen. Die Rechercheplattform mit dem Unternehmensnamen „Quo Vadis Veritas“ (Wohin gehst du, Wahrheit?) war Österreichs innovativstes und demokratiepolitisch hoffnungsvollstes Medienprojekt. Es überlebte nur knapp drei Jahre, weil Investor und Milliardär Didi Mateschitz die Lust daran verloren hat. Aber, immerhin ist Mateschitz einer der ganz wenigen Kapitalisten in Österreich, der mit seinem Geld und Ideen die Welt auch ein Stück besser machen will. Das sieht man auch an seinen Projekten in der Obersteiermark, seiner ursprünglichen Heimat. Das ist eines seiner großen Motive.

gerade in Zeiten des Umbruchs gilt der Grundsatz: „Er is ana vo uns oder kana vo uns.“ Foto: Servus TV/Neumayr Leo

umindest nicht kleinlich: Das 60-köpfige Team mit seinem Chef kann seit dem Sommer bis zum Jahresende bei vollen Gehältern privatisieren. Das elegante „Addendum-Zuhause“ in der Siebensterngasse in Wien-Neubau – für eine lange Zeit eingerichtet mit neuestem Redaktionsequipment – mit seinem schönen Blick in den Innenhofgarten ist verwaist. Es gibt kein „Allstars-Meeting“ mehr – das war die wöchentliche Redaktionssitzung mit dem Chef Michael Fleischhacker. Er ist zum zweiten Mal gescheitert.

Investor Didi Mateschitz

Michael Fleischhacker: Scheiterte er an seiner Hybris?

Die Rechercheplattform „Addendum“ wollte den Journalismus machen, der dem Land fehlt – ohne tagesaktuelle Nachrichten oder Agenturmeldungen, konzentriert auf Informationen, die das Datenjournalismus-Team von „Addendum“ aus der Analyse und Aufbereitung großer Datenmengen generiert hatte. Das Investigativ-Team übernahm komplexe Recherchen zu Korruption oder Geldwäsche. Die Ergebnisse der einzelnen Teams – bestehend aus Journalisten, Datenexperten, Visual Storytellers, TV-Gestaltern und -Entwicklern – wurden dann auf den neuen digitalen Kanälen mit Videos, Podcasts, E-Books, bis hin zur Printzeitung „Addendum“ publiziert. Jeder Bürger konnte gratis zugreifen und die Ergebnisse konsumieren. Insider registrierten das mit Anerkennung. Doch „Addendum“ durchbrach nie die Wahrnehmungsschwelle, schaffte zu wenig Relevanz. „Das Publikum ist noch nicht ready dafür“, so ein Insider. Das Geld war nicht der Grund, warum Mateschitz bei der gemeinnützigen „Quo-Vadis-Veritas“-Stiftung den Stecker zog.

Michael Fleischhacker, vormals auch Chefredakteur der Tageszeitung „Die Presse“, mit dem Österreichprojekt der „Neuen Züricher Zeitung“ gescheitert, konnte Didi Mateschitz für das „Addendum“Projekt begeistern. Er, katholisch erzogen in seiner Schulzeit, mit einem starken Hang zum Besserwisser, aber bürgerlich liberal, also in keinem Fall ein Linker, passte, so schien es, gut ins Weltbild von Didi Mateschitz. Doch schon nach der Startphase verdichteten sich die Gerüchte, dass die Persönlichkeit des launischen Gönners und die seines eigenwilligen Protegés einander im Weg gestanden sind. Etwas zu beginnen und eine gute Startphase zu entwickeln ist das Eine. Aber auf längere Sicht, das Ding in der Luft zu halten und das auf gutem Niveau – Michael Fleischhacker ist kein begnadeter Team-Coach. Er ist ein Opfer seiner Hybris. „Wo viele das Gleiche denken, wird nicht viel gedacht“ – das war nur eine der Botschaften von Michael Fleischhacker in Richtung unserer trägen, braven, politischen Medienlandschaft. Damit erwies er „Addendum“ keinen guten Dienst. Fleischhackers Kollegen fühlten sich in ihrer Arbeit beleidigt. Und

So ist die „Addendum“-Pleite auch darauf zurückzuführen, dass es der Redaktion gelungen ist, die Erwartungen von Mateschitz zu enttäuschen. In einer Presseaussendung zum Ende von „Addendum“ heißt es, Mateschitz wolle zukünftig seine Energie in „lösungsorientierte Projekte jenseits der politischen Alltagsauseinandersetzungen“ stecken. Die Zielsetzungen der Stiftung seien trotz erheblichen Mitteleinsatzes und einer Reihe erfolgreicher und relevanter Rechercheprojekte insgesamt nicht erreicht worden. Wohl ziselierte Sätze, die viel Raum für Interpretation und Spekulation lassen. Was soll die Formulierung „zu wenig lösungsorientiert“ heißen? War „Addendum“ dem Eigentümer doch zu kritisch, zu „links“, zu wenig konstruktiv? Keiner der Akteure will darüber hinaus etwas sagen. Der Name „Addendum“, lateinisch für „das Hinzuzufügende“, klang sperrig, elitär und wirkte etwas arrogant. Auf der Website des Mediums wurde es als „das, was fehlt“ wiedergegeben. „Die Dose hat’s gegeben, die Dose hat’s genommen“, bringt es ein ehemaliger Mitarbeiter auf den Punkt. Gemeint ist die silberblaue Getränkedose von Red Bull. Künftig soll es wieder mehr um die Dose gehen. Häme wäre jetzt unangebracht. Bedauern besser. September/Oktober 2020 29

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Ich war und bin Addendum-Team, Nachricht, dass e nicht die Energie ihren Projekten ge Eines der beso hinteren Teil diese Lehermayr hat den te, wer im Februar des slowakischen gegeben hat. Kurz schlossen hat, spra den schillernden M klage frei, was in d Bürger in die Justi massiv gelitten ha te. Zugleich ersche dessen Schuld all wird, wenn die Bew als Zeichen für das Christoph hat seine auch in einem E-Bo bei Thalia oder Am Mir bleibt an d verabschieden. Die weil die vielen posi rigen 15 Ausgaben men habe, mir de nicht nur mir als a Ihnen etwas fehlen mehr gibt.

Leben Sie wohl, pas sich Ihre Wünsche

Michael Fleischh Herausgeber


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