hörbar 03 | 2018/19

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WIE EIN SCHIFF AUF DEM MEER

Ihre Ahnväter hießen Yves Nat, Samson François und Alfred Cortot. Die französische Pianisten-Elite hat inzwischen wieder ihren festen Platz im internationalen Musikgeschäft erobert. Heute begegnet man Protagonisten wie Bertrand Chamayou, Éric Le Sage oder ihm: Klangzauberer Alexandre Tharaud. Er ist der Pianist ohne Instrument. Zuhause, bei ihm in Paris, gibt es kein Klavier. Schon seit rund zwei Jahrzehnten nicht. Alexandre Tharaud hat mit dieser ungewöhnlichen Maßnahme beste Erfahrungen gesammelt: »Eine gewisse Distanz tut mir gut.« Manchmal, wenn er heimkehrt, möchte er Klavier spielen – doch es gibt keines. »Dann bin ich frustriert. Doch genau dieser Frust steigert meine Motivation. Umso mehr freue ich mich aufs Üben.« Natürlich muss ein so akribischer Musiker wie Tharaud auch üben. Freunde haben ihm daher ihre Wohnungsschlüssel überlassen. Dort kann er sich an die unterschiedlichsten Instrumente setzen: »Diese Vielfalt ist mir sehr willkommen, denn kein Klavier ist gleich, und auch bei den Konzertreisen bin ich auf wechselnde Instrumente angewiesen.« Außerdem steigert die Aushäusigkeit beim Üben die Konzentration. »Ich liebe die Ausschließlichkeit des ›Jetzt im Moment‹.« Tharaud plant vieles minutiös. Erst vor kurzem hat er sich erstmals mit einem Beethoven-Album zu Gehör gemeldet: erstmals Beethoven, erstmals dessen Sonaten – und zwar ausgerechnet die letzten drei. »Die Gruppe dieser drei Sonaten bildet den Königsweg, um in Beethovens Universum zu gelangen und dort zu hören und zu empfinden, was das menschliche Leben ausmacht.« In den späten Sonaten arbeitet Beethoven – typisch für sein Spätwerk – oft mit langen Trillerketten. Sie dienen nicht als nette Verzierungen, sondern als dramatische Stilmittel. Hier kommt Tharauds Grundausrichtung,

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die ganz auf Clarté bedacht ist, wunderbar zur Geltung. Er dosiert den Pedaleinsatz, um die Musik so transparent wie möglich klingen zu lassen. Tharaud deutet die Triller nicht im Sinne von Aufladung und Dramatik, sondern als etwas Ahnungsvolles, fast Jenseitiges. Tharaud, Jahrgang 1968, stammt aus Paris. Dort wurde er geboren, dort hat er studiert, dort lebt er. »Ich hatte nicht vor, Pianist zu werden«, gesteht er. »Als Kind wollte ich Zauberer werden. Die vielen Tricks, die ein Magier beherrscht, wenn er Münzen oder Karten durch seine Hände gleiten lässt, haben mich fasziniert.« Doch ist seine heutige Tätigkeit so viel anders? »Nicht wirklich. Man arbeitet mit den Fingern, wendet Kunstgriffe an, spielt mit dem Publikum, da eine ständige Wechselwirkung besteht. Man präsentiert etwas und bringt die Menschen zum Träumen.« Als Student dachte Tharaud gutgläubig, wenn er einmal ausgebildeter Konzertpianist sei, müsse er nicht mehr arbeiten. Heute weiß er, dass eher das Gegenteil zutrifft. »Es


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