HEIMATMUSIK
2018 hatte Riccardo Chailly gleich doppelten Grund zu feiern: Er wurde 65 Jahre alt und gab vor genau 40 Jahren in seiner Heimatstadt Mailand sein Debüt an der Scala. Inzwischen ist er ihr Musikdirektor. Und auch als Chefdirigent der Filarmonica della Scala widmet Chailly sich einmal mehr – wie jetzt live im Konzerthaus – einem seiner absoluten Lieblingskomponisten: Gustav Mahler.
Die von Mahler so erschütternd und aufwühlend in Klang übersetzten Lebens- und Schicksalswelten, sie haben bei Riccardo Chailly ihre Spuren hinterlassen. Menschlich und vor allem künstlerisch. Denn der gebürtige Mailänder gilt längst als MahlerInstanz. Und überall, wo er als Chefdirigent über viele Jahre eine Ära prägte, bildete das Universum Mahler einen strahlend hellen Fixstern in den Saisonprogrammen. 1986, während seiner Amtszeit beim Berliner Radio-Sinfonieorchester, läutete er mit Mahlers 10. Sinfonie die Einspielung aller Sinfonien ein, die ab 1988 an schon fast heiliger Mahler-Stätte ihre Fortsetzung fand. Für die nächsten 16 Jahre war Chailly Chef des Amsterdamer Concertgebouw Orchestra und damit eines Klangkörpers mit Mahler- Gen. Immerhin war der Komponist hier Stammgast und dirigierte in Amsterdam, das er sein »Bayreuth« nannte, den Großteil seiner Werke. 2005 wechselte Chailly
14
FOTO: PAUL YATES · ACCENTUS MUSIC
Er ist das beste Beispiel dafür, dass man sein musikalisches Erweckungserlebnis nicht früh genug haben kann. Auf das Jahr genau kann Riccardo Chailly zwar auch nicht mehr sagen, wann er zum ersten Mal Musik hörte, die ihm sofort in Blutbahnen und Herzmuskel schoss. Es war auf jeden Fall Anfang der 1960er-Jahre. Dementsprechend war der kleine Riccardo gerade einmal acht oder neun Jahre alt, als ihn sein Vater kurzerhand in eine Orchesterprobe des RAI-Orchesters setzte. Als Direktor für klassische Musik bei der RAI in Rom durfte Luciano Chailly das nämlich. Und so saß der Sohnemann still und leise in der letzten Reihe und hörte, wie der junge Zubin Mehta die 1. Sinfonie von Mahler einstudierte. Wie sich Chailly heute noch allzu gut erinnern kann, wurden nicht nur seine Augen und Ohren bei diesen Klängen immer größer. »Ich war von dieser Musik derart überwältigt, dass ich nicht wusste, ob ich weinen oder schreien soll. Und wenn ich heute Mahlers Erste dirigiere, steigt wieder dieses merkwürdige Gefühl von damals in mir auf.«