z.B. Nr. 6/2020

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FRAUEN

Chancengleichheit junger Frauen!? Warum ist Engagement für Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit im Jahr 2020 noch so wichtig?

Wir haben in unserer Gesellschaft in Bezug auf Demokratie und Teilhabe und damit auch in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit so einige emanzipatorische Veränderungen errungen, wie zum Beispiel das italienische Frauenwahlrecht 1946. Viele Menschen und auch einige junge Frauen geben an, dass sie das Gefühl haben in ihrem Alltag im Vergleich mit den männlichen Altersgenossen identische Möglichkeiten und Chancen zu haben. Studien jedoch zeigen auf, dass Frauen noch nicht in allen Bereichen des Lebens Chancengleichheit erfahren. In Südtirol erreichen laut ASTAT lediglich 1,4% der Frauen eine Führungsposition. Eine von der MaLisa-Stiftung verantwortete Studienreihe verweist auf die starke Präsenz traditioneller Geschlechterrollen in digitalen Medien (am Beispiel von youtube-Videos, Instagram und Musikvideos), die v.a. von Jugendlichen genutzt werden. So sind Frauen in diesen Medien deutlich unterrepräsentiert und sowohl in den Musikvideos als auch bei den von Influencerinnen vermittelten Inhalten sind die von ihnen dargestellten Themen überwiegend auf traditionelle Rollen und Bilder begrenzt (vgl. MaLisaStiftung 2019). Zudem sind laut ASTAT Frauen nach wie vor stark von häuslicher Gewalt und Sexismus betroffen. Solche Beispiele passen nicht zu den Vorstellungen einer modernen Gesellschaft, in der alle Menschen gleiche

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zum Beispiel Nr. 6/2020

Chancen haben und in der unabhängig von Geschlecht vielfältige Lebensentwürfe möglich sein sollten. Die Kontroverse von individueller Wahrnehmung bzw. gefühlter Nicht-Betroffenheit in Bezug auf geschlechtsspezifische Chancenungerechtigkeit hängt von vielfältigen Faktoren ab. Sie ist z. B. abhängig vom sozialen Status, der Hautfarbe, dem Gesundheitszustand, Körper, dem Geschlecht, dem Betroffene zugehören oder zugewiesen werden und von denen gesellschaftliche Privilegien abhängen. Und sie hat auch einen Bezug zu Alter und bestimmten Lebensphasen (Intersektionalität). Besonders eindrückliche Phasen können z. B. sein, wenn es um Berufsorientierung, Fragen von Vereinbarkeit von Familie und Beruf, partnerschaftliche Aufteilung von Erziehungs-, Pflege und Betreuungsaufgaben, um Aufstiegschancen oder um Entlohnung von Arbeit und schlussendlich um die Rente usw. geht (Stichwort „gender pay gap“). Einer der Hauptgründe dafür ist nach wie vor die Geschlechtersegregation am Arbeitsmarkt und ungleiche Entlohnung von Frauen und Männern (horizontale und vertikale Segregation des Arbeitsmarktes). Zuhause bleibt dann oft, wer weniger verdient und das sind überwiegend Frauen (zur Situation in Tirol und Südtirol siehe z. B. Europaregion TirolSüdtirol-Trentino, 2019).

Junge Frauen möchten sich in Ausbildung/Studium und Beruf verwirklichen und dennoch den Wunsch nach Familiengründung umsetzen. Die Quote gut ausgebildeter Frauen mit hohen Bildungsabschlüssen steigt zunehmend. Mit der Geburt von Kindern befürchten und erleben junge Frauen jedoch gerade hier einen Rückfall in traditionelle Geschlechterrollen (vgl. dazu Wippmann 2016). Dann merken junge Frauen und Eltern oft erst, dass traditionelle Vorstellungen von Rollenverteilung sich in der Arbeits- und Erwachsenengesellschaft stärker halten, als sie dies zuvor wahrgenommen haben (vgl. z. B. Ipsos 2019) oder sie dies für sich und ihre Lebensentwürfe wünschen. Es wird daher deutlich, dass Chancengerechtigkeit nicht allein eine Frage der individuellen Entscheidung, Einstellung zum Leben o.ä. ist, sondern immer ein Zusammenspiel mit gesellschaftlichen, historischen und sozialen Realitäten darstellt. Daher sollten wir Chancengerechtigkeit nicht auf Ebene


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