celluloid 1/2021

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FILMBUCH

FILMPROGRAMME:

KINOLUST AUF VIER SEITEN Herbert Wilfingers monumentales, 2-bändiges Buchprojekt „Kino zum Mitnehmen“ (Verlag Filmarchiv Austria) feiert das Filmprogramm, ein legendäres Kinomedium.

N

och gibt es sie, die hartgesottenen Filmfans. Die, die sie alle haben: Die Filmprogramme, dereinst kleine, papierene Beigaben zum Kinoticket, die man sammeln konnte. Stolze Sammler brachten und bringen es auf mehrere Tausend Exemplare. Zu fast jedem Kinofilm ist eines erschienen, damals in der großen Zeit des Kinos, in den 50er und 60er Jahren. Herbert Wilfinger ist auch so ein Sammler. Der Wiener Filmjournalist und Begründer des Filmpreises „Der papierene Gustl“ hat nicht weniger als 23000 Filmprogramme gesammelt, „das sind gut 98 Prozent aller je erschienenen Filmprogramme der Tonfilmzeit“, sagt Wilfinger. „Ich habe sie in meinem Büro und eigenen Räumen untergebracht, ich bin nun mal ein alter Sammler“. Und das nicht nur, weil er Filme liebt. Wilfinger ist jener Mann, der bis heute regelmäßig Filmprogramme gestaltet, die dann über eine Druckerei in Klosterneuburg produziert werden. Aber er gibt unumwunden zu: „Der Markt ist sehr klein geworden“. 30

Früher, da konnte man die gedruckten, reich bebilderten Filmprogramme an jeder Kinokassa kaufen, inzwischen haben sich ab 2018 sämtliche Kinos davon verabschiedet: „Nur das Wiener Burgkino verkauft noch ein Filmprogramm: Es ist jenes zum Klassiker ‚Der dritte Mann‘“, sagt Wilfinger mit traurigem Unterton. Aber dennoch arbeitet er ohne Unterlass daran, Woche für Woche neue Filme zu besprechen. „Derzeit mache ich gut 20 Programme in der Reihe Filmindex im ‚Neuen Filmprogramm‘ pro Monat“, so Wilfinger, der auf eine treue Abo-Gemeinde verweisen kann. Rund 250 Abonnenten erhalten regelmäßig die neuesten Filmprogramme. „Die meisten Sammler sind über 60“, sagt Wilfinger. Es ist eine analoge Generation, die Sammeln zu einer Zeit gelernt hat, die weniger flüchtig und digital war als heute. ZWEI OPULENTE BÄNDE Jetzt hat Herbert Wilfinger seine eigene Sammlung, seinen Erfahrungsschatz und sein historisches Filmwissen zu einer publizistischen Großtat vereint: Im Verlag Filmarchiv Austria ist unter dem Titel CELLULOID FILMMAGAZIN

„Kino zum Mitnehmen“ in zwei Bänden mit insgesamt über 1200 Seiten Umfang und 2120 Abbildungen ein monumentales Buchprojekt zustande gekommen, in dem Wilfinger die Geschichte der heimischen Filmprogramme nachzeichnet. Von den Anfängen um 1911 über die Hoch-Zeit des Mediums bis zu seinem Niedergang und zu neueren Heften, die sich ausführlicher mit den besprochenen Filmen befassen. Weil man anhand des Filmprogramms auch gut ablesen kann, wann welche Art von Filmen herausgekommen sind, wie sie rezipiert wurden und - im Rückblick wie sie die Filmgeschichte fortgeschrieben haben, liest sich dieses überaus reich bebilderte Buch-Duo auch wie ein Who-is-Who der Filmgeschichte. Es birgt einen wissenschaftlichen Ansatz, bei dem die Filmpublizistik in all ihren Facetten beleuchtet wird, darunter die akribische Leistung und Illustration der Stummfilm-Titel, der Tonfilmprogramme ab 1930, der verschiedenen Reihen und Verlage, die sich um die Veröffentlichung kümmerten. Zugleich ist Wilfingers Werk aber auch gespickt mit Bonmots und Anekdoten zum Film, die


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