celluloid 5/2020

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INTERVIEW

DAS KIND IN MIR

BEREITS GESTARTET

„Ein bisschen bleiben wir noch“: Regisseur Arash T. Riahi über seinen neuen Kinofilm.

Z

wei Kinder vor der Abschiebung: Die tschetschenischen Flüchtlingskinder Oskar (Leopold Pallua) und Lilli (Rosa Zant) können nur deshalb in Österreich bleiben, weil ihre Mutter (Ines Miro) einen Selbstmordversuch begangen hat und in diesem Fall eine Abschiebung unmöglich ist. Stattdessen werden die Kinder getrennt zu Pflegefamilien gegeben. Eine Realität, wie sie in Österreich immer wieder vorkommt und wie sie Arash T. Riahi, österreichischer Filmemacher mit iranischen Wurzeln, in seinem neuen, fesselnden und emotionalen Drama „Ein bisschen bleiben wir noch“ (derzeit im Kino) schildert. Für Riahi, der im Alter von acht Jahren mit seinen Eltern nach Österreich floh, ist Integration ein Lebensthema, das er bereits in einigen seiner Filme, darunter „Ein Augenblick Freiheit“, verarbeitet hat. „Dieses Thema ist wie eine Pflanze durch mein Werk gewachsen“, sagt Riahi im Gespräch. „Ich will mit meinen Filmen immer Einblick geben in eine Welt, die man so nicht kennt, und dieser Einblick soll die Klischees, die darüber bestehen, und die Erwartungshaltungen so ehrlich wie möglich brechen.“ Im Fall von „Ein bisschen bleiben wir noch“, der auf dem Buch „Oskar und Lilli“ von Monika Helfer basiert, gelingt Riahi das durch die Wahl der Draufsicht auf das Thema: Der Film ist stets auf Augenhöhe mit den Kindern, schildert ihre Sicht der Situation und nimmt ihre Perspektive ein. „Es sollte eine kindliche Sicht werden, aber ohne Naivität, und es sollte auch kein Betroffenheitskino oder ein Film über Opfer sein. Die Sicht der 36

Kinder ist auch ein bisschen meine Sicht, denn ich habe für mich schon vor langer Zeit beschlossen, das Kind in mir so lange ich lebe, am Leben zu erhalten“, sagt der 48-jährige Regisseur. Es geht Arash T. Riahi dabei aber nicht nur um kindliche Unbeschwertheit, sondern auch um jenes Kind, das er einmal war, als er nach Österreich kam. „Als Kind von politischen Flüchtlingen und als Kind eines Vaters, der fünf Jahre im Gefängnis saß, sind meine ersten Erinnerungen an ihn Gefängnisbesuche. Er hat nichts verbrochen, er war Lehrer und behandelte ungewünschte Bücher im Unterricht. Einige meiner Verwandten wurden hingerichtet, nur weil sie anderer Meinung waren“, sagt Riahi. PRÄGENDE KINDHEIT Diese frühkindlichen Erlebnisse haben in dem Filmemacher den Wunsch gestärkt, für eine offene, demokratische Gesellschaft zu kämpfen, in der Selbstbestimmtheit und Freiheit dominieren. „Ich habe oft das Gefühl, dass ich manche Themen deshalb finde, weil ich sie unbedingt verfilmen muss, mit meiner speziellen Perspektive. Ich habe die Angst, dass es sonst keiner tun würde.“ Von der Buchvorlage „Oskar und Lilli“, die prinzipiell nichts mit Flüchtlingen zu tun hatte, musste sich Arash T. Riahi erst emanzipieren. „Der Schreibprozess dauerte sehr lange, überhaupt arbeite ich seit zwölf Jahren an dem Film. Autorin Monika Helfer gab mir eine große Freiheit, ihren Stoff politisch zu machen“, so Riahi. Nach der Premiere des Films hat sie ihm zu der Adaption gratuliert. „Da ist mir ein Stein vom Herzen gefallen“. CELLULOID FILMMAGAZIN

Foto: Filmladen

SOLL LEBEN! Dass der Film politisch ist, liegt am brisanten Thema. „Wir streiten in Österreich darum, ob wir 100 Kinder aus Moria aufnehmen sollen oder nicht, das ist eine Katastrophe“, sagt Riahi, der sich für eine humanitäre Hilfsaktion starkmacht. Wichtig wäre, dass die schweigende Masse nicht so viel schweigt. „Die Mehrheit der Menschen will das Gute, davon bin ich überzeugt, oft ist es aber gemütlicher, nichts zu sagen. Und da springen die Lautstarken ein, das sind die, die allen Angst machen.“ MENSCHLICHKEIT SIEGT Auch dafür ist „Ein bisschen bleiben wir noch“ ein Porträt: Für ein Europa, in dem die Menschlichkeit siegt. „Europa ist der schönste Platz der Welt, wenn es um Menschenrechte geht. Deshalb will ja jeder hierher kommen. Wenn sie dann herkommen und in Zeltlagern in Griechenland liegen, ist das menschenunwürdig“, so Riahi, der statt Einwanderungsgesetzen lieber die Menschenrechte gestärkt sehen will. „Wir in Europa behaupten, eine Wertegemeinschaft zu sein, auf Basis der Menschenrechte. Wenn das so ist, kann man damit jegliche Probleme lösen, dazu braucht man keine Gesetze. Nur die Menschenrechte. Die, die sich nicht daran halten, sind dann eben nicht Teil dieser Wertegemeinschaft“. Das Thema jedoch ist: „Komplex. Es gibt keine einfache Antwort in der Flüchtlingsproblematik“, sagt Riahi. „Man muss den Menschen Zeit geben, die Zusammenhänge zu verstehen“. Arash T. Riahis Filme leisten dazu einen wertvollen Beitrag. MATTHIAS GREULING


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