lie:zeit Ausgabe 103

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03/2022

Die Strategie muss stimmen Anlageresearch ist Teamarbeit, sagt Thomas Wille, Chief Investment Officer, und verrät, wann er mit seiner Arbeit wirklich zufrieden ist. Interview: Sidi Staub · Foto: Raphael Zubler

Herr Wille, «Geld soll arbeiten», haben Sie kürzlich an einer Veranstaltung gesagt. Was genau meinen Sie damit? Thomas Wille: Geld oder Kapital ist ein Produktionsfaktortor, genau wie Arbeit, Wissen oder wirtschaftlich genutzter Boden. Das Ziel ist, mit Geld Mehrwert zu schaffen. Wer mittels Aktien oder Anleihen einem Unternehmen oder dem Staat Geld zur Verfügung stellt, mit anderen Worten Kapital investiert, erwartet deshalb zu Recht eine Rendite beziehungsweise einen positiven Effekt auf sein Vermögen. Und welche Aufgaben hat Ihre Abteilung in diesem Zusammenhang? Unsere wichtigste Aufgabe: Wir erstellen eine Anlagestrategie sowie Analysen, Empfehlungen und Anlageideen, die unsere Kunden darin unterstützen, fundierte Anlageentscheide zu fällen und eine attraktive, risikoadjustierte Anlagerendite zu erzielen. Eine weitere Aufgabe, die zunehmend wichtiger wird: Wir zeigen unseren Kunden transparent auf, wie nachhaltig ihre Anlagen sind. Insbesondere enthält jede unserer Aktienempfehlungen eine fundierte Nachhaltigkeitsbeurteilung. Und die dritte Aufgabe: Wir müssen unseren Kunden Anhaltspunkte geben, welche Renditen für die von ihnen eingegangenen Risiken realistisch sind. Was verstehen Sie unter attraktiven, risikoadjustierten Renditen? Anleger vergessen manchmal, dass Rendite und Risiko eng zusammenhängen: Hohe Renditen lassen sich nur mit entsprechend höheren Risiken erzielen. Aus Sicht des Anlegers ist eine Rendite dann attraktiv, wenn er für das eingegangene Risiko

adäquat entschädigt wird. Welcher absoluten Renditehöhe dies entspricht, ist natürlich stark vom jeweiligen Anlageumfeld abhängig. Zur Jahrtausendwende war es noch realistisch, auch mit geringem Risiko eine Anlagerendite von fünf bis sechs Prozent zu erzielen. Im aktuellen Umfeld mit Tief- oder sogar Negativzinsen müssen Anleger ihre Erwartungen massiv nach unten anpassen, weil der Renditebeitrag von der Zinsseite fehlt. Zur Illustration: Damals konnte man mit zehnjährigen US-Staatsanleihen noch Renditen von über sechs Prozent erwirtschaften. Heute liegt diese Rendite bei zwei Prozent. In der Eurozone, bzw. in Deutschland, und in der Schweiz ist dieser Beitrag sogar nahe null. Was bedeutet das konkret? Oder anders gefragt: Wie viel Rendite ist heutzutage realistisch? Bei einem wenig risikofreudigen Anleger mit einer konservativen Anlagestrategie aus Aktien, Anleihen und vielleicht einem kleinen Anteil alternativer Anlagen sollte mittel- bis langfristig über einen Wirtschaftszyklus der reale Kapitalerhalt das Minimalziel sein. Das heisst: Bei dem angestrebten Inflationsziel der Notenbanken von zwei Prozent sollte die absolute, erzielbare Rendite mindestens ebenfalls zwei Prozent betragen. Im Idealfall, insbesondere wenn die Aktienmärkte und alternative Anlageklassen mitspielen, sollte diese natürlich auch höher ausfallen. Sie geben Kunden Empfehlungen, wie diese ihr Vermögen investieren sollen. Wie gehen Sie dabei vor? Die Grundlage unserer Anlagestrategie ist die Analyse des globalen gesamtwirtschaftlichen

Umfelds. Wir schauen beispielsweise Grössen wie Wachstum oder Inflation an und erarbeiten Szenarien, wie sich diese in einzelnen Ländern oder Wirtschaftsregionen entwickeln könnten. Hierzu müssen wir auch Faktoren und Akteure untersuchen, die diese Grössen beeinflussen, etwa die Politik der Zentralbanken, die Fiskalpolitik der wichtigsten Regierungen, die Unternehmensinvestitionen oder die Konsumentenstimmung. Und was nützt diese Analyse dem Anleger? Die gesamtwirtschaftliche Analyse ermöglicht uns, Erwartungen über die Renditeaussichten und Risiken der verschiedenen Anlagekategorien in einzelnen Ländern, Regionen und Sektoren abzuschätzen. Diese wiederum sind die Basis für die Definition der Anlagestrategie, also der optimalen Aufteilung des Vermögens auf einzelne Anlageklassen, Länder und Währungen. Viele Anleger glauben fälschlicherweise, dass ihre Rendite von den vielzitierten «heissen Aktientipps» abhängt. Verschiedene Studien zeigen hingegen, dass es die Anlagestrategie ist, welche für rund 70 bis 80 Prozent

der langfristigen Anlageredite verantwortlich ist. Mit anderen Worten: Wenn die Anlagestrategie stimmt, hat ein Anleger schon viel für eine gute Performance getan. Spielt die Auswahl einzelner Titel demnach keine Rolle? Doch, natürlich. Ein Portfolio besteht ja nicht aus einer Anlagestrategie, sondern letztlich aus einzelnen Titeln oder Anlagefonds. Wir sind überzeugt von dem Mehrwert einer aktiven Anlagestrategie. Deshalb ist auch die Titelselektion wichtig. Sie kann den Ausschlag dafür geben, ob mit der richtigen Strategie lediglich eine durchschnittliche oder eine überdurchschnittliche Rendite erzielt wird. Wir legen deshalb grossen Wert darauf, dass unsere Finanzanalysten attraktive Anlageideen zu einzelnen Titeln oder Fonds entwickeln, mit denen unsere Kunden einen Mehrwert erzielen können. Welche Skills muss denn ein guter Finanzanalyst mitbringen? Natürlich muss er zunächst über die typischen Analysefähigkeiten verfügen, also mathematisches Flair sowie vertiefte

Wenn die Strategie stimmt, hat ein Anleger schon viel für die Performance getan.

Thomas Wille, Chief Investment Officer


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