TEXT: NICOLE ALBIEZ
§ 175 Ein Leben im Freiheitsentzug, das Verbrechen: Gefühle. Sebastian Meise begeistert mit „Große Freiheit“.
GROSSE FREIHEIT KINOSTART 19.11., D/A 2021, REGIE Sebastian Meise, MIT Franz Rogowski, Georg Friedrich, Anton von Lucke, Thomas Prenn, FILMLÄNGE 116 Min., © Filmladen
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ie große Freiheit, von der Sebastian Meise erzählt, ist vor allem eine innere: sich nicht kleinkriegen zu lassen, auch wenn das System hart daran arbeitet; der zu bleiben, der man ist. Sebastian Meise (Stillleben) stellt Hans Hoffmann, der – direkt aus dem KZ befreit – ins Gefängnis überstellt wird, in den Mittelpunkt seines Films. Sein „Vergehen“: dass er Männer liebt. Seine Liebe ist per Gesetz verboten: Im Nachkriegsdeutschland ist lange noch Paragraph 175 in Kraft (insgesamt kriminalisierte er 123 Jahre lang die nicht heterosexuelle Liebe), und so landet Hans immer und immer wieder hinter Gittern. Immer und immer wieder wird er so auch auf Viktor treffen, der hier wegen Mordes einsitzt. Aus der Ablehnung – Viktor will sich seine Zelle nicht mit einem „Perversen“ teilen – wächst über die Jahre Solidarität; die kleine, ungleiche Schick-
salsgemeinschaft beginnt sich umeinander zu kümmern. An einem tristen, kalten Ort und in dunklen Tönen findet Sebastian Meise zarte Zuneigung und die Liebe. Sein Hans ist eine aufrechte, stolze Figur, die sich auch von der Willkür der Wärter nicht einschüchtern lässt; Hans’ Weg ist mitreißend. – Auch in den Augen von Viktor, der beeindruckt davon ist, wie „der 175er“ sich am Gefängnishof behauptet. Hans hat gelernt, sich in einem kalten System zurechtzufinden, Möglichkeiten und Schlupfwinkel zu erkennen – und so kleine Orte der Freiheit zu schaffen. Er ist stark genug, hier zu überleben; sich zu arrangieren. Andere nicht … „Es ist kaum zu glauben, mit welcher Akribie, welchem Einfallsreichtum und abstrusem Aufwand der Staat zahllosen, völlig harmlosen Männern hinterherjagte“, so der Regisseur. „Erst das Stöbern in Archiven
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