MENSCHEN IM PORTRÄT
REINER KAUSCHKE
„Klettern ist eine feine Sache“ Das Leben von Reiner Kauschke lässt sich in seinem gemütlichen Wohnzimmer in Toblach auch an Gegenständen lesen. Da sind zum einen die filigranen Figuren aus Porzellan, die der gebürtige Sachse in der weltberühmten Porzellanmanufaktur Meissen gefertigt hat. Und dann die Auszeichnungen, die an der Wand hängen und den heute 83-Jährigen unter anderem zum Ehrenbürger der Gemeinde ernennen und die vielen Bergfotos überall. Vor 59 Jahren wagte der begeisterte Kletterer mit zwei Freunden eine Tour, die zum damaligen Zeitpunkt getrost als kühn bezeichnet werden durfte: In 17 Tagen arbeiteten sich die „drei Sachsen” in direkter Falllinie die Nordwand der Großen Zinne hinauf. Schlechte Ausrüstung, Temperaturen um minus 30 Grad, kein leichtes Unterfangen. Im Gespräch mit der PZ erinnert sich Kauschke nach 59 Jahren noch einmal zurück. „Aufgeben kam einfach nicht in Frage”, sagt er. PZ: Die Nordwand der Großen Zinne ist unweigerlich mit dem Namen Reiner Kauschke verbunden. Kommt mit Januar auch bei Ihnen selbst die Erinnerung zurück? Reiner Kauschke: Diese Tour hat sich so ergeben. Ich vergleiche das mit der Suche nach Kartoffeln auf dem Feld. Wenn du nach der Ernte nachlesen musst, wirst du immer noch was finden. Manchmal auch etwas Großes. So war das bei uns mit der Zinne. Der Berg war da. Viele Touren sind bereits gemacht worden. Und wir haben gesucht, und etwas Großes gefunden. Und das bleibt mit einem selbst verbunden. Sie wurden in Schlesien geboren und flüchteten noch als Kind nach Sachsen. Wie kommt man im dortigen Flachland überhaupt mit Klettern in Berührung? Ich wollte eigentlich Geologie oder Mineralogie studieren, weil ich mich sehr für Mineralien interessiert habe. Wo ich gelebt habe, gibt es das größte Vorkommen an Pechstein auf dem Erdball, und ich habe sehr oft in der Freizeit danach gesucht. Und dabei habe ich dann Stellen weiter oben am Berg gesehen, die grün waren und daneben rot, und beschlossen, mir das anzuschauen. Straße führte keine zur Stelle hin, also musste ich halt klettern. So kam ich nach und nach immer mehr mit den Felsen in Kontakt. Eines Tages landete ich wieder in so einer Ecke und stieg auf der Suche immer weiter nach oben. Dort fand ich eine Blechbüchse, in der ein Gipfelbuch lag. Ich hatte keine Ahnung, was das ist und blätterte hinein. Da stand drin, wo man sonst noch in der Gegend klettern konnte. Dieses Gipfelbuch ließ mir keine Ruhe...
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PZ 1 | 13. J Ä N N E R 2022
Reiner Kauschke, Jahrgang 1938, wächst in Langenöls (heute Olszyna) in Schlesien im heutigen Polen auf, von wo er als kleiner Bub mit seinen Schwestern flüchtet. Er verbringt seine Kindheit und Jugend in der Nähe von Meissen. In der weltberühmten Porzellanmanufaktur Meissen erlernt er das Handwerk des Modellierens. Schon damals ein fester Bestandteil seines Lebens: das Klettern. Besonders das Elbsandsteingebirge hat es ihm angetan. 1958 setzt er sich mit einem Freund aus der DDR nach Westdeutschland ab. Er fängt bei einem Bauunternehmen an und investiert jede freie Minuten ins Klettern. 1962 gelingt ihm die Erstbe-
Sie beschlossen, noch mehr Berge zu erkunden. Wo haben Sie das Klettern dann richtig gelernt? Meine Kletterfreunde und ich waren am Anfang sehr gefährlich unterwegs. Wir hatten
steigung der Matterhorn-Nordwand im Winter. Im Januar 1963 wagt er zusammen mit seinen Freunden Peter Siegert und Gerd Uhner die Superdiretissima auf die Große Zinne. 17 Tage verbringen die drei Sachsen in der 550 Meter hohen Wand, bis sie schlussendlich oben stehen. Der sogenannte Sachsenweg ist nach ihnen benannt. Das Interesse an der kühnen Geschichte der drei Männer bringt Kauschke auch privates Glück und macht ihn zum Wahl-Toblacher: Bei einer Veranstaltung lernt er seine spätere Frau Milva kennen. Seither lebt er in Toblach und ist damit dem Berg seines Lebens auch geo// grafisch ganz nah.
keine gescheite Ausrüstung und haben uns mit einer Wäscheleine gesichert. Ein Freund ist dann auch abgestürzt, ich war damals zum Glück nicht dabei. Auch meine Schwester teilte meine Leidenschaft, und wir sind