L EB E N S A R T
Die erste bekannte Verherrlichung der Schönheit des (fast) unbekleideten Frauenkörpers seit der Antike: Die Gebur t der Venus von Sandro Botticelli um 1485.
VENUS UNTERM MESSER Immer mehr Frauen lassen sich im Intimbereich oper ieren. Ist das ein Akt der Selbstbestimmung oder wird der weibliche Körper nun endgültig zur Ware? Von Julia Prosinger
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arfümierte Slipeinlagen, Werbung, in denen Menstruationsblut mit blauer Flüssigkeit dargestellt wird, spezielle Waschlotionen, die suggerieren, dass das weibliche Genital schmutzig sei – der Körper der Frau war stets eine Baustelle. Nun haben die Umbaumaßnahmen die Intimzone erreicht. Und es bleibt nicht bei oberflächlichen Renovierungsarbeiten. Weltweit steigen die Zahlen für Schönheitsoperationen – 85 Prozent aller Eingriffe betreffen Frauen – und am schnellsten, um 100 Prozent, wächst dabei die Intimchirurgie. Dazu zählen Vaginalverengungen nach einer Geburt, das Aufspritzen des umstrittenen G-Punktes mit Eigenfett, Bleaching der etwas dunkleren Stellen, die Rekonstruktion des sogenannten „Jungfernhäutchens“ und am häufigsten: Korrekturen der inneren und äußeren Labien, auch „Scham“lippen genannt. Womit schon ein Teil des Problems beschrieben wäre. Reagieren Frauen mit solchen Eingriffen unbewusst auf eine existierende Schönheitsnorm? Und wird es jemals eine Welt geben, in der sie als gleichberechtigte Unikate angesehen werden? Während Penisse und Hoden an jeder Statue im Park baumeln oder in Schulbänke geritzt werden, wurde über die Vul-
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R EL AX Magazin 2021
va lange verschämt geschwiegen. Kleine Mädchen haben noch immer keinen einheitlichen Namen für ihr Organ und können daher auch nicht benennen, wenn jemand sie gegen ihren Willen dort anfasst. Der Begriff „phallisch“ ist unanstößig in unseren Sprachgebrauch eingezogen, hingegen kämen wir kaum auf die Idee, ovale Gegenstände als „vulvisch“ zu deklarieren. Und selbst Wissenschaftlerinnen können ihr Genital nur selten fehlerfrei zeichnen. Das berichtet beispielsweise die Autorin Mithu M. Sanyal, die das Buch „Vulva – die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts“ geschrieben hat. In ihrer Kulturgeschichte des weiblichen Genitals beschreibt Sanyal, wie die Vulva zunächst präsent war, beispielsweise in der griechischen Mythologie, wo die Figur Baubo die Fruchtbarkeitsgöttin Demeter aus ihrer Trauer rettet, indem sie ihr ihr Geschlechtsteil zeigt. Über die Jahrhunderte aber verschwand es immer mehr, wenn man vom Mantel mit Kapuze der Jungfrau Maria, der sich als Labien lesen lässt, und dem allgegenwärtigen Herzsymbol mal absieht. Lange, schildert Sanyal, gab es für das weibliche Genital auch nur den Begriff „Scheide“ oder lateinisch „Vagina“, also einen