ChemieXtra 6/2020

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FOKUS

Sinnvoller Einsatz ist gefragt

Was die Künstliche Intelligenz kann

Roger Bieri Geht es nach Prof. Wolfgang Wahlster, einem emeritierten Professor für Künstliche Intelligenz und Initianten des deutschen Zukunftsprojektes «Industrie 4.0», wird im Zusammenhang mit KI die menschliche Intelligenz stark unterschätzt. «Wir sind noch Lichtjahre von der menschlichen Intelligenz entfernt», betonte der Informatiker in einem Interview mit Robert Thielicke, Chefredaktor der «Technology Review». 1 Die Künstliche Intelligenz ist nicht mit der menschlichen vergleichbar. Sie kann zwar vieles besser als der Mensch, aber sie braucht dazu oft viel mehr Unterstützung, Energie und vor allem Daten.

Viele Anwendungen mit klaren Grenzen Künstliche Intelligenz kann Expertenwissen in einigen Bereichen ersetzen. Beispielsweise wird die Maschine immer besser darin, komplexe Massenspektren zu interpretieren und macht in dieser Hinsicht einen promovierten Chemiker ein Stück weit überflüssig. Nicht nur die Analytiker unter den Chemikern profitieren von der Künstlichen Intelligenz, sondern auch die Synthesechemiker. Gerade die aufwendigen Totalsynthesen von Naturstoffen würden wohl mit einer ausgefeilten KI erfolgreichere Resultate liefern, als sie dies heute tun. Weitere Beispiele für den Einsatz von selbstlernenden Systemen sowohl für das Während des «CeBit future talk» 2017

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Labor als auch für die Fertigung lesen Sie im Artikel «Intelligent trainiert – Sprint zum Neuprodukt» ab Seite 5. Die Alltagsintelligenz eines Menschen hingegen scheint für die Technologie unerreichbar schwierig zu sein. Zum Beispiel ist sie nicht in der Lage, einen einfachen Witz zu verstehen. Gerade wenn Emotionen eine Rolle in der Entscheidungsfindung oder in der Ausführung von intellektuellen Aufgaben spielen, ist die maschinelle Intelligenz hilflos verloren. Sie erkennt in Sekundenschnelle menschliche Emotionen und kann diese sofort richtig einordnen, aber ein Zusammenspiel von Gefühl und Vernunft ist ihr unbekannt. Viele Tätigkeiten – sei es im Privaten oder im Beruf – setzen aber solche schwer fassbare Mechanismen voraus.

Zögerliches Verhalten der Unternehmen Gerade KMU zögern aber bei der Einführung von KI-Anwendungen oder generell bei der Implementierung neuer Digitalisierungslösungen. Einerseits geben die Firmen mangelnde IT-Kenntnisse der Mitarbeitenden und andererseits Bedenken in Bereichen wie Datenschutz und Datensicherheit als Grund für ihr zögerliches Verhalten an. Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO hat nach der Meinung von über 300 Unternehmen gefragt. Dabei haben zurzeit rund 16 Prozent der Unternehmen Anwendungen zu KI im Einsatz. Die grosse Mehrheit hat also noch keine intelligenten Systeme, die sie im Ar-

Bild: Shutterstock

Die Technologie ist über 60 Jahre alt und erlebt seit einigen Jahren einen fortwährenden Hype. Denn sie hat sich dank dem «Deep Learning» stark weiterentwickelt und offeriert Forschenden und auch der Industrie neue Möglichkeiten mit dem Umgang von Daten. Was kann die Künstliche Intelligenz (KI) aber wirklich und wie dient diese Entwicklung der Chemie- und Pharmaindustrie? Die Fokus-Artikel dieser Ausgabe widmen sich diesen Fragen. Hier lesen Sie eine kurze Einführung zu diesem breiten Themenbereich.

Die berühmte Skulptur «Le Penseur» oder zu Deutsch «Der Denker» vor dem Musée Rodin in Paris. Sie steht sinnbildlich für die menschliche Vernunft und Schöpfungskraft.

beitsalltag unterstützen. Dennoch informiere sich momentan etwas mehr als ein Drittel (35 %) ausführlich über Künstliche Intelligenz, schreiben die Autoren der Studie (siehe Seite 7).

KI und Wissensmanagement Von den selbstlernenden Systemen könnte künftig auch die Pharmaindustrie stärker profitieren. Denn sie könnte das Verfahren für die Arzneimittelzulassung verkürzen. Dank der Analyse der Daten mithilfe umfassender KI-Anwendungen wird das gesamte Prozedere beschleunigt und gleichzeitig transparenter. Zu diesem Schluss kommt das Unternehmen Mindbreeze, welches sich auf KI-basiertes Wissensmanagement in der Pharmaindustrie spezialisiert hat (siehe Seite 8).

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