ZUM W ER K Johannes Brahms Sinfonie Nr. 1 c-Moll
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DEN RIESEN BEETHOV EN IM NACK EN VON N ICOL AS F U RCHERT
Kaum ein Werk der Musikgeschichte beschäftigte seinen Schöpfer so lange wie Johannes Brahms seine 1. Sinfonie. Nach Beethoven, der vor allem mit seiner Neunten einen Gipfel der Sinfonik erreicht hatte, wurden viele Komponisten geradezu von einer Blockade befallen. Die Gruppe der sogenannten ‹Neudeutschen› um Franz Liszt und Richard Wagner hielt es gar für unmöglich, nach Beethoven überhaupt noch Sinfonien zu schreiben und wandte sich der ein aussermusikalisches Programm ‹erzählenden› Sinfonischen Dichtung oder der Oper zu.
Wer dennoch an der ‹absoluten›, für sich selbst stehenden Musik in Form von Sinfonien festhielt, wurde von den Neudeutschen des ‹Konservatismus› bezichtigt. Ein scharfer Meinungsstreit über die wahre Zukunftsform der Musik brach los, bei dem sich beide Gruppen auf je einen der bedeutendsten deutschen Komponisten bezogen. Für die Neudeutschen war dies Wagner, für die Konservativen Brahms, wobei Letzterer von seinen Anhängern in seine Rolle gedrängt wurde, ohne sich selbst allzu aktiv zu beteiligen. Der Druck auf – den ohnehin sehr selbstkritischen – Brahms war entsprechend hoch. Da Robert Schumann bereits 1853 in einem Aufsatz den damals 20-jährigen Brahms in einem geradezu messianischen Tonfall als den Komponisten der Zukunft angekündigt hatte, erwartete man von diesem nichts Geringeres als eine Art Befreiungsschlag: den Beweis, dass man die Sinfonieform nach Beethoven doch noch weiterentwickeln kann. Erste Entwürfe einer Sinfonie/eines sinfonischen Werks reichen bis in das Jahr 1854 zurück. Aus der Orchestrierung einer Sonate für zwei Klaviere wurde jedoch das erste Klavierkonzert. Der nächste nachweisbare Versuch stammt aus dem Jahr 1858. Diesmal entstand statt einer Sinfonie die Serenade op. 11. Eine Sinfonie müsse «ganz anders aussehen», schrieb Brahms in dieser Zeit an einen Freund.