Strassenmagazin Nr. 476 29. Mai bis 11. Juni 2020
CHF 6.–
davon gehen CHF 3.– an die Verkaufenden
Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass
Wir sind wieder da e2 ! f u a K 1 e k n che s r e v
ZUSAMMEN SCHAFFEN WIR’S Sie halten ein besonderes Heft in der Hand. Noch nie in seiner über 20-jährigen Geschichte musste Surprise den Heftverkauf einstellen. Mit dieser Ausgabe sind wir wieder zurück auf der Strasse! Unsere Freude ist riesig. Dank Ihrer emotionalen und finanziellen Unterstützung haben wir die vergangenen Monate überlebt und konnten unsere Verkau fenden finanziell und sozial unterstützen. Unsere Verkaufenden kehren nun wieder an ihren Arbeitsort zurück – auf die Strasse. Glauben Sie mir, die Verkaufenden haben Sie vermisst. Wir haben alles gegeben, um mit ihnen in Kontakt zu bleiben und sie zu unterstützen. Trotz der räum lichen Distanz hat uns die Krise auch zusammengeschweisst. Dass die Verkaufenden nun an ihre Arbeit zurückkehren können, ist nicht selbstverständlich. Damit dies so bleibt, hat für uns die Gesundheit oberste Priorität. Wir haben uns in den vergangenen Wochen intensiv um ein Schutzkonzept gekümmert, das allen Bedürfnissen Rechnung trägt – sowohl im Vertrieb als auch beim Strassenverkauf. Ich bin überzeugt, auch bei den Sozialen Stadtrundgängen, beim Strassen fussball und beim Strassenchor werden wir Lösungen finden. Wir bleiben optimistisch, kreativ und flexibel – Eigenschaften, die wir an unseren Verkaufenden tagtäglich bewundern. Zusammen mit Ihnen schaffen wir’s!
Jannice Vierkötter, Geschäftsleiterin Surprise
e2 Kauf ke 1! chen s r e v
Unterstützen Sie unsere Verkaufenden in dieser schwierigen Zeit. Kaufen Sie ihnen zwei Hefte ab und verschenken Sie eines davon an Freunde oder Bekannte. Damit bereiten Sie unseren Verkaufenden und den Beschenkten eine Freude. Vielen Dank für Ihre Solidarität.
Strassenmagazin Nr. 476 29. Mai bis 11. Juni 2020
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Ostukraine
«Nicht mein Krieg» Seit sechs Jahren wütet im Osten der Ukraine ein Krieg, der das Land zu spalten droht.
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BETEILIGTE CAFÉS
Café Surprise – eine Tasse Solidarität Zwei bezahlen, eine spendieren.
IN BASEL Bäckerei KULT, Riehentorstrasse 18 | Bäckerei KULT, Elsässerstr. 43 BackwarenOutlet, Güterstr. 120 | Bohemia, Dornacherstr. 255 | Elisabethen, Elisabethenstr. 14 | Flore, Klybeckstr. 5 | Haltestelle, Gempenstr. 5 | FAZ Gundeli, Dornacherstr. 192 | Oetlinger Buvette, Unterer Rheinweg | Quartiertreffpunkt Kleinhüningen, Kleinhüningerstr. 205 | Quartiertreffpunkt Lola, Lothringerstr. 63 Les Gareçons, Badischer Bahnhof | Manger & Boire, Gerbergasse 81 | Da Sonny, Vogesenstr. 96 | Didi Offensiv, Erasmusplatz 12 | Radius 39, Wielandplatz 8 Café Spalentor, Missionstr. 1 | HausBAR Markthalle, Steinentorberg 20 | Treffpunkt Breite, Zürcherstr. 149 IN BERN Kairo, Dammweg 43 | MARTA, Kramgasse 8 Café MondiaL, Eymattstr. 2b | Café Tscharni, Waldmannstr. 17a | Lehrerzimmer, Waisenhausplatz 30 LoLa, Lorrainestr. 23 | Luna Llena, Scheibenstr. 39 | Brasserie Lorraine, Quartier gasse 17 | Rest. Dreigänger, Waldeggstr. 27 | Rest. Löscher, Viktoriastr. 70 Rest. Sous le Pont – Reitschule, Neubrückstr. 8 | Rösterei, Güterstr. 6 | Treffpunkt Azzurro, Lindenrain 5 | Zentrum 44, Scheibenstr. 44 | Café Paulus, Freiestr. 20 Becanto, Bethlehemstr. 183 | Phil’s Coffee to go, Standstr. 34 IN BIEL Treffpunkt Perron bleu, Bahnhofplatz 2d IN DIETIKON Mis Kaffi, Bremgartnerstrasse 3a IN FRAUENFELD Be You Café, Lindenstr. 8 IN LENZBURG feines Kleines, Rathaus gasse 18 IN LUZERN Jazzkantine zum Graben, Grabenstr. 8 | Meyer Kulturbeiz, Bundesplatz 3 | Blend Teehaus, Furrengasse 7 | Quai4Markt Baselstrasse, Baselstr. 66 Rest. Quai4, Alpenquai 4 | Quai4Markt Alpenquai, Alpenquai 4 Pastarazzi, Hirschen graben 13 | Netzwerk Neubad, Bireggstr. 36 | Sommerbad Volière, Inseli Park | Rest. Brünig, Industriestr. 3 | Arlecchino, Habsburgerstr. 23 IN MÜNCHENBUCHSEE tuorina boutique & café, Bernstr. 2 IN MÜNCHENSTEIN Bücher und Musikbörse, EmilFreyStr. 159 IN NIEDERDORF Märtkaffi am Buuremärt IN OBERRIEDEN Strandbad Oberrieden, Seestr. 47 IN OLTEN Bioland Olten, Tannwaldstr. 44 IN RAPPERSWIL Café good, Marktgasse 11 IN SCHAFFHAUSEN KammgarnBeiz, Baumgartenstr. 19 IN STEIN AM RHEIN Raum 18, Kaltenbacherstr. 18 IN ST. GALLEN S’Kafi, Langgasse 11 IN WINTERTHUR Bistro Dimensione, Neustadtgasse 25 IN ZÜRICH Café Zähringer, Zähringerplatz 11 Cevi Zürich, Sihlstr. 33 | Quartiertreff Enge, Gablerstr. 20 | Flussbad Unterer Letten, Wasserwerkstr. 141 | Kafi Freud, Schaffhauserstr. 118 Kumo6, Bucheggplatz 4a | Sport Bar Cafeteria, Kanzleistr. 76
Weitere Informationen: surprise.ngo/cafesurprise
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Kultur Kultur
Solidaritätsgeste Solidaritätsgeste
STRASSENSTRASSENCHOR CHOR
CAFÉ CAFÉ SURPRISE SURPRISE
Lebensfreude Lebensfreude Entlastung Entlastung Sozialwerke Sozialwerke
BEGLEITUNG BEGLEITUNG UND UND BERATUNG BERATUNG
Unterstützung Unterstützung
Job Job
STRASSENSTRASSENMAGAZIN MAGAZIN Information Information
SURPRISE WIRKT SURPRISE WIRKT
ZugehörigkeitsZugehörigkeitsgefühl gefühl EntwicklungsEntwicklungsmöglichkeiten möglichkeiten
STRASSENSTRASSENFUSSBALL FUSSBALL
Erlebnis Erlebnis
Expertenrolle Expertenrolle
SOZIALE SOZIALE STADTRUNDSTADTRUNDGÄNGE GÄNGE PerspektivenPerspektivenwechsel wechsel
Surprise unterstützt seit 1998 sozial benachteiligte Menschen in der Schweiz. Unser Angebot wirkt in doppelter Hinsicht – auf den armutsbetroffenen Menschen und auf2die Wir arbeiten nicht gewinnorientiert, uns ohne staatliche sind aufHinsicht Spenden Fördergelder angewiesen. Spenden auch Sie. Gesellschaft. Surprise unterstützt seit 1998 sozial benachteiligte Menschenfinanzieren in der Schweiz. Unser Angebot Gelder wirkt inund doppelter – und auf den armutsbetroffenen Menschen surprise.ngo/spenden | Spendenkonto: PC gewinnorientiert, 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1455 3Gelder und sind auf Spenden und Fördergelder angewiesen. Spenden auch Sie. und auf die Gesellschaft. Wir arbeiten nicht finanzieren uns ohne1255 staatliche surprise.ngo/spenden | Spendenkonto: PC 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3
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TITELBILD: KLAUS PETRUS
Editorial
Zeit der Vergessenen Yuliya Vasilevna Horuzhevskaya, 80 Jahre alt, tischt dem Gast eingemachte Peperoni und höllisch deftiges Knoblauchbrot auf. Sie trägt ein geblümtes Kopftuch, und an ihrer Wand hängt ein Teppich mit Rehen und einem Schneeberg drauf. Für Krieg interessiert sie sich nicht. Aber dort, wo sie wohnt, geht die Frontlinie durch. Auf der einen Seite das ukrainische Regierungs-, auf der anderen Seite das prorussische Separatistengebiet. Sie selbst lebt dazwischen: in der Grauzone. Sie gehört nicht nur zu den vielen Leidtragenden in diesem Krieg, sondern zu den komplett Vergessenen. 80 000 Menschen, die meisten von ihnen alt, sind hiergeblieben, in ihrer Heimat, während andere rundherum in einem blutigen Konflikt die Region neu zu ordnen versuchen. Redaktionskollege Klaus Petrus ist hingefahren, um zuzuhören, was die alte Frau zu sagen hat: ab Seite 8.
in Genf, bei Essensausgaben anstehen. Oder Selbständige, Freischaffende und Menschen, die sich ihr Leben so eingerichtet haben, dass es gerade reicht. Dann ist da aber auch Oma Marianne in Berlin. Sie selbst vergisst das meiste. Doch nun denkt plötzlich ihre Familie wieder an sie – auch das kann die Corona-Pandemie bewirken. Ab Seite 20. Und Sie haben es gemerkt: Sie halten seit Wochen erstmals wieder ein Heft in den Händen. Den physischen Beleg dafür, dass unsere Verkäuferinnen und Verkäufer ihre Arbeit wieder aufgenommen haben. Wir sind froh, dass sie ihr Geld wieder selbst ver dienen können. Und wir sind froh, dass sie wieder ein sichtbarer Teil des öffentlichen Lebens sind. Denn auch sie sollen nie vergessen gehen.
Das Virus hat auch anderswo auf der Welt Menschen vergessen gehen lassen. Armutsbetroffene und Sans-Papiers, die nun, wie 4 Aufgelesen 5 Vor Gericht
Kriminalität in Zahlen
6 Moumouni …
... und die Kurkumaflecken
7 Die Sozialzahl
Löhne, Branchen und Gender
8 Ostukraine
Zwischen den Fronten
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16 Sans-Papiers
Heimat: Backstube
DIANA FREI
Redaktorin
20 Demenz
29 Wir alle sind Surprise Impressum Surprise abonnieren
24 Cartoonmuseum
30 Surprise-Porträt
Wenn der Enkel die Oma neu kennenlernt Wacher Blick für Randfiguren
«Ich bin erfinderisch»
26 Veranstaltungen 27 Tour de Suisse
Pörtner in Stäfa
28 SurPlus Positive Firmen
3
Aufgelesen
News aus den 100 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.
Um Einbrüchen und Vandalismus während des Lockdown entgegenzuwirken, sahen sich Ladenbesitzer in der kanadischen Grossstadt Vancouver gezwungen, ihre Schaufenster zu verbarrikadieren. Die Besitzerin eines Kunstbedarf-Ladens im Stadtteil Gastown mochte die Stimmung nicht, die die Holzverschläge verbreiteten. Gemeinsam mit befreundeten Künstlern machten sie kurzerhand ein Stadtverschönerungsprojekt daraus: Nun schmücken Graffiti, Wandmalereien und Botschaften die Bretter. Darunter Dankesbezeugungen an Mitarbeitende im Gesundheitswesen sowie Verhaltenshinweise für jene, deren Zuhause die Strasse ist.
FOTOS: BOAZ JOSEPH
Aus der Not eine Tugend gemacht
Die Gesundheitsbeauftragte des kanadischen Staates Alberta: Dr. Deena Hinshaw, gemalt von David Austin.
MEGAPHONE, VANCOUVER
Izzie Cheung widmete ihr Bild ihren Kolleginnen und Kollegen vom Spital in Vancouver, wo sie als Atemtherapeutin arbeitet.
Die Worte auf dem Wandgemälde der Künstlerin Emerald Repard-Denniston, 20, basieren auf der Poesie ihrer Mutter. 4
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ILLUSTRATION: PRISKA WENGER
Mehr Lohn und Anerkennung
11,35 Euro brutto die Stunde sollen in Deutschland Altenpflegerinnen mindestens verdienen – so schreibt es der allgemeinverbindliche Branchen-Mindestlohn vor. Doch gibt es auch Pflegekräfte, die mit weniger Geld abgespeist werden. Damit werde der Mindestlohn umgangen, sagt Aldona Kucharczuk von der Servicestelle. Zumindest die Löhne in der Altenpflege werden nun aber bald steigen: Gemäss Bundesregierung sollen Helfer und Helferinnen ab September 2021 mindestens 12 Euro die Stunde verdienen, Fachkräfte sogar mindestens 15 Euro. «Das ist auf jeden Fall eine Anerkennung», sagt Michael Imbusch. Der 55-Jährige arbeitet seit mehr als zwanzig Jahren als Helfer in der ambulanten Altenpflege und verdient für 35 Stunden die Woche rund 2450 Euro brutto im Monat. Wichtiger als die Prämie ist ihm jedoch die Frage, wie es nach der Corona-Krise weitergehen wird: «Wir brauchen dauerhaft bessere Löhne, bessere Ausstattung und eine bessere Perso-
HINZ & KUNZT, HAMBURG
Hilfe für Vierbeiner
Die neuen Regeln für das Abstandhalten zu anderen Personen sind schnell erklärt – einem Menschen. Anders verhält es sich jedoch mit Blinden- oder Assistenzhunden, denen das Konzept der 2-Meter-Distanz zu anderen Menschen nicht spontan beizubringen ist. Schon gar nicht, wenn Hundetrainings zu mindest vorübergehend nicht erlaubt sind, wie beispielsweise in Portland, USA. Personen, die auf die Hilfe von Hunden angewiesen sind, sollte man derzeit entgegenkommen, indem man ihnen weiträumig ausweicht und Haustier-Hunde von Arbeitshunden fernhält, empfiehlt eine dortige Organisation für Sehbehinderte.
STREET ROOTS, PORTLAND
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Vor Gericht
Kriminalität in Zahlen Willkommen zu unserer jährlichen kleinen Lesung der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS)! Damit werden die im Vorjahr bei den kantonalen Polizeibehörden registrierten Straftaten auf Bundesebene gesammelt und ausgewertet. Man kann etwa herauslesen, ob Tötungsdelikte eigentlich oft aufgeklärt werden. (Ja, zu fast 95 Prozent.) Oder ob in den Kantonen lokal auftretende kriminelle Phänomene zu verzeichnen sind. (Ja, in Bergkantonen sind die Menschen entweder besonders respektvoll gegenüber Amtspersonen oder diese besonders abgebrüht. Jedenfalls wurden in AI, OW und NW und im Kanton Uri keine Fälle von Drohung und Gewalt gegen Beamte verzeichnet.) Insgesamt festigte sich im Jahr 2019 ein langjähriger Trend: Die Kriminalität in der Schweiz geht weiter zurück. Mit insgesamt 432 000 registrierten Straftaten gegen das Strafgesetzbuch, 75 757 gegen das Betäubungsmittelgesetz und 37 024 gegen das Ausländer- und Immigrationsgesetz sank sie gegenüber 2018 minim um 0,2 Prozent. Und zwar auf den tiefsten Stand, seit die Statistik in der heutigen Form erstellt wird: seit 2009. Angesichts dieser Grosswetterlage ist es deshalb interessant zu sehen, welche Straftaten besonders zu- oder abnehmen. Und ob – und wenn ja, wie – sich die Verschiebungen in gesellschaftlichen Entwicklungen spiegeln. So ist eine der typischsten Straftaten überhaupt, der Fahrzeugdiebstahl bei Autos, Motorrädern und Velos, auf den tiefsten je verzeichneten Stand gesun-
ken. Doch es wurden gegenüber dem Vorjahr fast doppelt so viele E-Bikes geklaut. Auch beim andern Klassiker, den Vermögensdelikten, ist zwar insgesamt weiterhin ein starker Rückgang zu verzeichnen: Eingebrochen wurde in der Schweiz letztes Jahr nur noch rund 76 Mal täglich. Das ist ein Minus von 6,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr, fast hundert Fälle weniger pro Tag als 2012, dem Rekordjahr, als eine Welle über das Land schwappte. Die Zahlen machen vor allem deutlich, dass sich die Kriminalität weiter ins Internet verlagert. Typische Cyberdelikte wie Betrug, Beschimpfung oder Pornografie nehmen stark zu. So gab es bei den Betrugsstraftaten innert Jahresfrist eine markante Zunahme von fast 8 Prozent auf 17 606 gemeldete Delikte: ein neuer Höchststand. Diese Entwicklung schreibt das Bundesamt für Statistik technisch immer versierteren Täterschaften zu, die darüber hinaus auch immer raffinierter und perfider vorgehen. Auch das breit diskutierte Thema des Hate-Speech im Internet offenbart sich in der aktuellen Statistik. Verzeigungen wegen Beschimpfung haben sich seit 2010 verdoppelt und 2019 erstmals die Marke von 10 000 Fällen geknackt. In kaum einem anderen Bereich ist ein so starker Anstieg zu verzeichnen, plus 8 Prozent. Ausser in der Pornografie. Hier explodieren die Fallzahlen geradezu – von 1817 Fällen im Jahr 2018 auf 2837 im vergangenen Jahr. Auch hierfür dürfte die Hauptursache in der zunehmenden Digitalisierung liegen. Dazu passt, dass es zuhause viel öfter zu schwerer sexueller Gewalt kommt als in der Öffentlichkeit. Und hier zeigt sich die traurigste Entwicklung: Vergewaltigungen stiegen 2019 um 17 Prozent an. Y VONNE KUNZ ist Gerichtsreporterin
in Zürich. 5
ILLUSTRATION: RAHEL NICOLE EISENRING
einmal Kurkumaschneiden aussieht, als hätte es zwanzig Jahre lang Zigaretten geraucht. Meine Schneidebretter sind beizeiten orange geworden. Sogar einige Messerklingen, wenn ich gerade eine Kurkumaphase habe. Ich habe aus Höflichkeit gefragt und definitiv aus Unsicherheit darüber, was in Sachen Kurkuma so gang und gäbe ist. Ist es banal, was ich schreibe? Wichtig ist an Kurkuma, auch «Gelber Ingwer», «Safranwurz(el)», «Gelbwurz(el)» genannt, ja eigentlich, dass sie mega-gesund ist: entzündungshemmend, antioxidativ, gut für Herz und Magen und in Form einer Kurkuma-Latte durch nichts an Hipheit zu übertreffen. Ausserdem hat sie eine richtig geile Farbe, über die ich stundenlang reden könnte, schmeckt gut und macht ein Curry orange-gelb.
Moumouni …
… und die Kurkumaflecken Sie schaut mich entgeistert und gleichzeitig belustigt an, als ich sie frage, ob ich für die Kurkuma-Wurzel ein extra dafür designiertes Brett benutzen soll oder lieber einen Teller, weil sich beim Schneiden die gelb-orangen Flecken so hartnäckig ins Holz und erst recht in die Schneiderillen fressen. Dann sagt sie, als wäre das eine Selbstverständlichkeit, ich könne selbstverständlich einfach das Schneidebrett benutzen, das ich schon in der Hand habe, es sei schliesslich ein Schneidebrett und es spiele keine Rolle, wenn das Schneiden auf dem Brett Spuren hinterlasse. Ausserdem sagt sie: «Ausserdem bin ich mir ganz sicher, dass es auch sonst niemanden im Haus stören wird, wenn es ein paar Flecken auf dem Brett hat.» Sie teilt sich den Haushalt mit fünf anderen Leuten. Anscheinend fünf Leute, die es niemals stören würde, würde der Gelbwurz ihr Brett gilben. «Ganz 6
s icher», sagt sie. Und: «Niemanden.» Und ich frage mich, warum ich mir nicht sicher war, und ob mich das komisch macht. Dann denke ich an verschiedene Haushalte, in denen ich zu wissen glaube, dass man es sicher nicht schätzt, Kurkumaflecken auf dem Schneidebrett zu haben. Und daran, dass ich das gar nicht so genau weiss, denn ich kenne von den meisten mir bekannten Haushalten nur die Regeln zu Zwiebeln auf Schneidebrettern. Bei Zwiebeln bin ich selbst recht heikel, es regt mich geradezu auf, wenn Leute nicht unterscheiden zwischen Zwiebelbrettern und anderen Brettern und dann im schlimmsten Fall die Früchte nach alter Zwiebel schmecken, was ich als Beleidigung für mich, samt Frucht, sehe. Aber das ist ja was anderes. Beim Kurkuma geht es um einen rein ästhetischen Wert. Sie hätte es hässlich finden können, dass ihr Schneidebrett meinetwegen nach
Andererseits beschäftigt mich diese oben beschriebene Interaktion nun schon seit fast einem halben Jahr. Sie wirft die Frage auf, ob ich komisch bin, sie komisch ist oder die Leute, von denen ich denke, dass es sie stören würde, wenn auf ihrem Schneidebrett Kurkumaflecken wären. Ich stelle mir ein besonders schönes Schneidebrett vor. Eines, wie ich es selbst nicht besitze. Eines, bei dem ich mir vorstellen könnte, dass ich es schade fände, wenn Kurkumaflecken drauf wären. Und endlich, in Zeiten, in denen andere Sachen wieder wichtiger ge worden sind, fällt es mir endlich ein: Es ist komisch, sie hat ganz recht, in einem Zustand zu leben, in dem es von Wichtigkeit ist oder sein könnte, dass Schneidebretter keine Kurkumaflecken haben.
FATIMA MOUMOUNI schreibt, weil ja gerade schon alle über die Krise, Solidarität, die Wirtschaft, Flüchtlinge, sogar über Rassismus und häusliche Gewalt und so schreiben, über Kurkuma. Denn darüber hat sie in letzter Zeit noch nichts gelesen.
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Löhne, Branchen und Gender Kürzlich gab das Bundesamt für Statistik bekannt, dass der Medianlohn (brutto) im Jahr 2018 für eine Vollzeitstelle bei 6538 Franken im Monat lag. Gemäss der Lohnstrukturerhebung verdiente die Hälfte aller Erwerbspersonen mit einem vollen Pensum weniger, die andere Hälfte mehr als diesen Mittelwert. Die 10 Prozent Erwerbstätigen mit den tiefsten Löhnen verdienten im Schnitt 4302 Franken, die 10 Prozent Angestellten mit den höchsten Löhnen 11 688 Franken. Wie viel wir verdienen, hängt wesentlich vom Geschlecht und von der Branche ab, in der wir tätig sind. So gibt es ausgesprochene Hochlohnbranchen, in denen der mittlere Lohn über 9000 Franken liegt. So weist die Pharma-Industrie einen Medianlohn von 9747 Franken aus, und bei den Banken und Versicherungen verdient man im Schnitt 9921 Franken. Am anderen Ende der Lohnskala finden sich Niedriglohnbranchen wie das Gast gewerbe und die Hotellerie, der Detailhandel sowie die Textilindustrie, wo die Medianlöhne zwischen 4400 und 5000 Franken liegen. Besonders problematisch ist die Lohnsituation im weiten Feld der persönlichen Dienstleistungen (z B. Reinigung und Betreuung in privaten Haushalten), wo der Medianlohn bei 4144 Franken liegt.
und im Detailhandel bei 24 Prozent. Es sind nun genau diese Branchen, in denen Frauen besonders häufig angestellt sind. Daher überrascht es nicht, dass 64 Prozent aller Tieflohnstellen von Frauen besetzt sind. Die geschlechtsspezifischen Lohnskalen weisen denn auch deutliche Unterschiede aus. Nehmen wir alle Anstellungen (also alle Vollzeit- und Teilzeitstellen) zusammen, so verdient die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen nicht mehr als 4000 Franken brutto im Monat. Bei den Männern liegt der Anteil bei 16 Prozent. Zudem verdienen 42 Prozent der Frauen zwischen 4000 und 8000 Franken; der Anteil der Männer liegt hier bei 60 Prozent! Die Gründe für diese Differenzen sind bekannt. Sie haben mit unterschiedlichen Ausbildungsbiografien und Anstellungsverhältnissen zu tun. Noch immer dominieren bei Frauen andere Berufsbilder und Karrierevorstellungen als bei Männern. Entsprechend kleiner ist der Anteil der Frauen vor allem in leitenden Funktionen in den wertschöpfungsintensiven und lohnexpan siven Branchen wie etwa der Pharma oder den Banken. Zudem arbeiten viel mehr Frauen mit tiefem Beschäftigungsgrad, um ihrer Arbeit im Haushalt und in der Familie nachkommen zu können. Das noch immer dominante Familienbild, wo der Mann mit seinem Hauptverdienst der «Ernährer» der Familie ist und die Frau mit ihrem Nebenverdienst sich vor allem um die Organisation des Familienlebens zu kümmern hat, findet sich also auch in der Lohnstrukturerhebung. Daran wird auch die Corona-Krise mit grosser Wahrscheinlichkeit nichts ändern.
Wenn wir den Tieflohn bei zwei Drittel des gesamtwirtschaftlichen Medianlohns festlegen, kommen wir auf einen Betrag von 4359 Franken. Bei 57 Prozent aller Anstellungen im Bereich der persönlichen Dienstleistungen liegen die Löhne unter oder bei diesem Betrag. In der Textilindustrie liegt dieser Anteil bei 56 Prozent, im Gastgewerbe und der Hotellerie bei 45 Prozent
PROF. DR. CARLO KNÖPFEL ist Dozent am Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.
Lohnhöhenklassen nach Geschlecht (alle Stellen, unabhängig vom Beschäftigungsgrad), 2018, monatlich, brutto in CHF 20%
15%
10%
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20 001+
19 001–20 000
18 001–19 000
17 001–18 000
16 001–17 000
15 001–16 000
14 001–15 000
13 001–14 000
12 001–13 000
11 001–12 000
10 001–11 000
9001–10 000
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7001–8000
6001–7000
5001–6000
4001–5000
3001–4000
2001–3000
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1001–2000
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0–1000
INFOGRAFIK: BODARA ; QUELLE: BUNDESAMT FÜR SOZIALVERSICHERUNGEN (2020): SCHWEIZERISCHE LOHNSTRUKTURERHEBUNG 2018. NEUCHÂTEL.
Die Sozialzahl
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ÂŤWir wollen Frieden. Ist das zu viel verlangt?Âť Yuliya Vasilevna Horuzhevskaya 8
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Ostukraine Seit sechs Jahren wütet in der Ostukraine ein Krieg, der das Land spaltet. Inzwischen sind viele geflohen. Zurückgeblieben sind alte Menschen, die entlang der Frontlinie in verlassenen Dörfern auf den Frieden warten. Kiew UKRAINE
Überleben im Niemandsland Krieg Mit Politik hat Yuliya Vasilevna nichts zu tun.
Trotzdem ist die alte Frau zwischen die Fronten geraten. Und kommt nicht mehr weg. TEXT UND FOTOS KLAUS PETRUS
Gott behüte, nur ein einziger Krümel von diesem Knob lauchbrot, und ich werde 66 Tage leiden müssen mit Haut und Haar und alle, die meinen Weg kreuzen, werden vor mir zurückweichen und mir naserümpfend hinterher maulen: Wie konntest du nur? Ich erlag dem Charme der wundersamen Yuliya Vasi levna Horuzhevskaya, werde ich verschämt erwidern, als hätte ich keine Wahl gehabt. Hatte ich auch nicht. «Nun wird gegessen!», sagt die 80-Jährige mit forscher Stimme, sie zupft das geblümte Kopftuch zurecht, scheucht die Katze weg, dann tischt sie eingemachte Peperoni auf, Gurken, ein ordentliches Stück Butter, einen Teller mit Schweineschmalz und dieses Brot, das einen wegputzt. Draussen flattern Stofftücher an der Wäscheleine, ein kalter Wind bläst seit den frühen Mor genstunden über den Acker. Hier drinnen aber ist es warm, an den Wänden hängt ein Teppich mit Rehen und einem verschneiten Berg darauf, ausserdem goldverzierte Hei ligenbildchen, eine Uhr, ein Rosenkranz, das Abbild der Muttergottes und eine Kinderfotografie von Yuliyas Toch ter. Die alte Frau setzt Wasser auf, dann beginnt sie von früher zu erzählen, und irgendwie scheint alles so normal. Doch das ist es nicht. Denn wo Yuliya lebt – in Lu hanske, einem kleinen Dorf im Osten der Ukraine –, da ist Krieg. Fast jeden Tag hört sie Schüsse, den Donner von Mör serraketen, dann versteckt sie sich in ihrem Häuschen, kriecht ins Bett und wartet, bis sie nur noch das Gebell ihres Hundes vernimmt, der draussen vor dem Schuppen angekettet ist. Manchmal dauert es Minuten, manchmal Stunden. Und manchmal fragt sich Yuliya, ob all das je ein Ende haben wird. Surprise 476/20
All das begann im November 2013. Damals demonstrier ten tausende Menschen auf dem Maidan-Platz in Kiew gegen Präsident Viktor Janukowitsch, der eine Annähe rung der Ukraine an die EU ablehnte und sich stattdessen in Richtung Russland orientierte. Die Proteste endeten blutig, und Janukowitsch, kriminell und korrupt, musste Anfang 2014 aus dem Land fliehen. Sein Nachfolger Petro Poroschenko gab sich als Patriot und versprach, die Ukraine an den Westen zu binden und dem «grossen Bru der» Russland zu trotzen. Damit konnte der Oligarch die Proteste in Kiew beenden. Doch im Osten der Ukraine, wo viele Freunde Russlands lebten, erzeugte Poroschenko Verunsicherung. Für sie war der frühere Präsident Janu kowitsch ein politischer und wirtschaftlicher Förderer des Donbass, wie die Region im Osten des Landes auch ge nannt wird. Von Poroschenko dagegen hiess es, er wolle die Menschen im Osten ihrer Identität berauben, sie «ver westlichen». Leben in der Grauzone Diese fragile Übergangszeit nutzte der russische Präsident Wladimir Putin und schuf quasi über Nacht Fakten: Zu erst im März 2014 mit der Eingliederung der Halbinsel Krim im Südosten der Ukraine in sein «Neurussland», und dann im April mit der Unterstützung der Separatisten im Donbass. Um ihre Unabhängigkeit zu behaupten, be setzten sie völkerrechtswidrig die Gebiete um Donezk und Luhansk und riefen diese als unabhängige Volksrepubli ken aus. Daraufhin schickte die ukrainische Regierung ihr Militär in den Osten. Die Jahre 2014 und 2015 waren bisher die schlimmsten in diesem Krieg, der 1,5 Millionen Menschen in die Flucht getrieben und 13 000 Tote gefor 9
Im kleinen Dorf Luhanske ist Yuliya geboren, dort will sie sterben. «Wo soll ich denn sonst hin? Hier habe ich mein Häuschen, den Garten, Hund und Katze. Dies ist mein Zuhause, ein anderes habe ich nicht.»
dert hat, unter ihnen 3300 Zivilisten. Bis heute sind die Positionen verhärtet: Auf der einen Seite wollen viele Ukrainer ihre Werte von Selbstbestimmung und Freiheit bis in den östlichsten Zipfel ihres Landes verteidigen; auf der anderen Seite wehren sich prorussische Separatisten gegen eine nationalistische Vereinnahmung durch Kiew. Dazwischen liegt eine Frontlinie, 450 Kilometer lang, die weiterhin umkämpft ist und bis heute Opfer fordert. Und an dieser Frontlinie, nur wenige hundert Meter auf der ukrainischen Seite, steht Yuliyas Haus und ihr Garten mit dem verlotterten Schuppen. «Das ist nicht mein Krieg», sagt sie auf Russisch und wird still. Später erzählt sie von jenem Tag, als die Panzer der Separatisten vor Luhanske standen. Wie aus dem Nichts seien sie aufge taucht, hätten auf alles geschossen, was sich bewegte. Bis heute hört sie die Schreie, hat das Blut vor Augen. Damals wohnte Yuliya im Dorfkern, hatte ihr eigenes Haus, ein grosses. Nachdem es beschossen wurde und das Dach einzustürzen drohte, kehrte sie ins Haus ihrer Mutter zu rück, die vor ein paar Jahren verstarb. Dort lebt Yuliya bis heute, in diesem einen Zimmer mit dem Teppich an der Wand, mit einem Bett, Tisch, Sessel und einer Kochnische. Viele seien aus dem Dorf geflohen, zurückgekehrt sei nie mand. «Wer jetzt noch hier ist», murmelt die alte Frau, «ist alt, krank – oder verrückt.» So wie um Luhanske steht es um viele Dörfer und Städte auf beiden Seiten der Frontlinie. Man schätzt, dass noch 80 000 Menschen in dieser Grauzone leben, zwei Drittel von ihnen sind über sechzig Jahre alt. Vor dem Krieg lebten hier Hundertausende. Die meisten sind in Richtung Westen gezogen oder ins Ausland. Wie Yuliyas Tochter, ihr einziges Kind, sie ist Mitte fünfzig, verheiratet und lebt heute bei Sankt Petersburg. Yuliya hat sie allein aufgezo gen, ihren Mann jagte sie schon bald nach der Hochzeit 10
zum Teufel. «Wo-oodka», zischt sie und verwirft die Hände. Die monatliche Rente von umgerechnet 80 Schweizer Franken war schon damals knapp. Doch Yuliya war jung und kräftig. Und sie hatte einen grossen Garten, verkaufte ihr Gemüse und Obst auf den umliegenden Märkten. «Jetzt schmerzen meine Gelenke, und ich habe Zucker. Eigentlich müsste ich frischen Fisch essen, sagt der Arzt. Doch der ist teuer.» Bis heute bestellt Yuliya ih ren Garten, so gut es geht, verkauft ein paar Säcke Kar toffeln, kocht für den Winter Gemüse ein und backt ihre teuflischen Knoblauchbrote. Im Stich gelassen Von der patriotischen Euphorie und Unterstützung der Ukrainer zu Beginn des Krieges ist nicht viel geblieben. Die Soldaten beider Seiten halten in den Schützengräben bloss noch ihre Stellung und Kiew liegt 700 Kilometer von Yuliyas Hof entfernt. Auch sonst ist die Hauptstadt der Ukraine in den Köpfen der Leute weit, weit weg. Viele der in der Grauzone Verbliebenen reden von «denen dort drü ben», und man weiss nicht immer, wen sie damit meinen: die prorussischen Separatisten auf der anderen Seite der Frontlinie oder die eigenen Leute irgendwo im Westen? Ohne ihre Kinder und Enkel wären sie längst verloren, sagt Yuliya. Zwar sind viele Jugendliche aus den Dörfern fortgegangen, so auch Juri, ihr Enkel, der westlich von Luhanske in Bachmut lebt. Doch der Kontakt ist geblieben, und manchmal bringt er seiner Grossmutter ein wenig Geld mit. «Wenn mein Juri auf Besuch kommt und über Nacht bleibt, dann schläft er im Bett und ich im Sessel», sagt Yuliya und schmunzelt. Juri ist Anfang dreissig, noch unverheiratet und arbeitet in einer Fabrik bei Kramatorsk, einer Stadt mit 160 000 Einwohnern westlich der Grau zone. Zu Beginn des Krieges, im Frühjahr 2014, nahmen Surprise 476/20
die Separatisten die Stadt ein. Doch bald wurde Krama torsk von der ukrainischen Armee zurückerobert und viele, die aus dem Donbass fliehen mussten, zogen dorthin – darunter auch reiche, investitionswillige Unternehmer. Heute sind in Kramatorsk die ukrainischen Nationalfar ben Blau-Weiss allgegenwärtig und die Fabriken laufen wieder auf Hochtouren. Yuliya kann verstehen, dass ihr Enkel nicht in Lu hanske leben will. Obschon Kramatorsk keine hundert Kilometer von der Frontlinie entfernt ist, liegen Welten zwischen dort und ihrem kleinen Dorf: unwegsame, vom ständigen Kriegsgeschehen aufgebrochene Strassen, Gasund Stromleitungen, die seit Jahren nicht funktionieren, Sendungen des russischen Rundfunks, in denen die Ukrainer als Faschisten beschimpft werden – und Häuser mit durchschossenen Wänden, eingefallenen Dächern und überwucherten Gärten. Hauptsache Frieden Wie es wäre, wenn es diesen verdammten Krieg nie ge geben hätte oder wenn er endlich aufhören würde, darü ber mag Yuliya nicht nachdenken. Sie misstraut den Po litikern, hüben wie drüben. Zwar hatte sie, wie die meisten hier, vorigen Mai den Schauspieler und Komödi anten Wolodymyr Selenskyj zum Präsidenten gewählt: Schluss mit dem Krieg im Donbass und soziale Gerech tigkeit für alle, das waren seine Parolen. Getan hat sich nichts. Der Krieg dauert an, die Waffenstillstandsverein barungen werden regelmässig ignoriert. Und kaum war Selenskyj im Amt, hat er die Ausgaben für Soziales gekürzt, von 2,7 Milliarden Franken im Jahr 2019 auf 2,3 Milliarden fürs 2020. Zu spüren kriegen das vor allem alte Menschen wie Yuliya. Doch sie zuckt nur mit den Achseln, als wolle sie sagen: Was kann man schon tun? Surprise 476/20
Überhaupt sind die Menschen hier der Politik überdrüs sig geworden. Wem die besetzten Gebiete gehören soll ten – der Ukraine oder den Separatisten –, ist für sie zweitrangig geworden, Hauptsache, der Krieg hat ein Ende. Sie haben sich daran gewöhnt, dass andere über ihr Los entscheiden: Zaren, Oligarchen, der liebe Gott. Ohne hin kommt Yuliya von hier nicht mehr fort. Wohin sollte sie auch gehen? In die Nachbardörfer, ein paar Kilometer weiter weg von den Schützengräben? In die grossen Städte? Hier in Luhanske hat die alte Frau wenigstens ein Dach über dem Kopf, einen Garten, die übriggebliebenen Menschen aus dem Ort – vielleicht noch ein paar hun dert –, die sie ihr Leben lang schon kennt. Doch das sind schwere Gedanken, in diesem kleinen Zimmer mit dem Wandteppich, den Rosenkränzen und Heiligenbildchen. Lieber erinnert sich Yuliya an früher, als Tochter und Enkel noch bei ihr waren. «Schau, wie klein Juri da war, mit dem blauen Hut und einer Blume in der Hand», sagt sie und zeigt auf eine Fotografie wie aus einer anderen Zeit. Dann redet Yuliya über Stalingrad, über verbrannte Kinder, über einen Liebhaber aus Sankt Petersburg, der sie partout heiraten wollte vor vierzig Jah ren, und über ihre Kartoffeln, die allerbesten im ganzen Land. Manchmal hält sie inne und weint und wimmert wie ein kleines Mädchen, ein andermal kann sie sich kaum halten vor Lachen, dann leuchten die Augen dieser alten Frau, die so charmant ist und verwirrt zugleich. Einmal, erzählt Yuliya, sei sie im Garten gewesen, um nach Kartoffeln zu graben, da fand sie eine Mine. Ob sie von der ukrainischen Armee stammte oder von den pro russischen Separatisten, das wusste sie nicht. Was spielt das auch für eine Rolle, dachte sie bei sich und grub weiter. «Wenn sie mich töten wollen, dann töten sie mich halt.» 11
Spuren eines Krieges, der nicht enden will: 13 000 Tote hat der Konflikt bisher gefordert. Gemäss Statistik des «Landmine Monitor» steht die Ukraine nach Afghanistan, Libyen, Jemen und Syrien an fünfter Stelle, was Minenopfer angeht.
RUSSLAND
BELARUS
UKRAINE
POLEN UKRAINE
RUMÄNIEN STANITZA LUHANSKA KRAMATORSK LUHANSKE
LUHANSK
DONEZK
RUSSLAND
ASOWSCHES MEER
Kontakt-Linie Bufferzone 5 km Bufferzone 15 km Separatistenterritorium
0
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50 KM
Ukrainisches Territorium
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«Ein Krieg der Mentalitäten» Standpunkt Als der Ostukraine-Krieg begann, hörte der Schriftsteller
Andrej Kurkow mit der Literatur auf. Nun hat er einen neuen Roman verfasst – der ausgerechnet mitten im Krieg spielt. INTERVIEW KLAUS PETRUS
Andrej Kurkow, der Krieg in der Ostukraine sei auch ein Krieg unterschiedlicher Mentalitäten, heisst es immer wieder. Was meinen Sie dazu? Diese unterschiedlichen Mentalitäten gibt es tatsächlich, und sie spielen für das Verständnis dieses Krieges eine wichtige Rolle. Die russische, kollektive Mentalität hat im Osten der Ukraine, im Don bass, eine lange Tradition. Sie hat viel mit Monarchie zu tun und dem Glauben an eine strenge Hand. Man liebte den Zaren und folgte ihm – und wenn man genug von ihm hatte, tötete man ihn und folgte dem nächsten. Die ukrainische Mentalität dagegen ist eine anarchische, eine, die den Individualismus und die Freiheit ins Zentrum stellt. 1991, im Jahr der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine, verlief die Grenze zwischen diesen Mentalitäten ziemlich genau durch die Mitte des Landes. In den Jahren danach hat sie sich immer weiter nach Osten verschoben, und ich bin überzeugt, sie wäre schon bald bis an die Grenze zu Russland vorgerückt. Doch dann kam 2014 der Krieg. Hatte man im Donbass Angst, vom Rest der Ukraine vereinnahmt und «verwestlicht» zu werden? Der Donbass wird seit jeher von Oligarchen und der lokalen Ma fia kontrolliert. Obgleich sie sich immer gegen einen wirtschaft lichen Einfluss Russlands wehrten, gab – und gibt – es diese starke Affinität zum «grossen Bruder», die Liebe zur russischen Kultur. Und einen Hass auf alles Westliche, auch provoziert durch die prorussische und russische Propaganda. In jedem Fall wollte man vermeiden, dass Kiew auch diese Regionen kontrolliert. Auch jetzt: Es geht dabei nicht um die NATO und Moskau oder um die USA und Russland, sondern um zwei Mentalitäten.
also mitten im Kriegsgebiet. Was unterscheidet für Sie die Arbeit an einem Roman von journalistischen Beiträgen? In der Literatur beziehe ich nicht so deutlich Stellung wie in Es says, ich lasse meine Meinung in die Figuren einfliessen. Auch kann ich mich stärker auf die Psychologie der Leute einlassen und auf ihre Wahrnehmung von diesem Krieg. Denn darum, wie schon gesagt, geht es letztlich: um die Mentalität der Menschen. Auch kann ich mir den Humor zunutze machen, das geht im Journalismus weniger gut. Einige Ihrer bisherigen Romane bestechen tatsächlich durch sehr skurrile und surreale Beschreibungen des postsowjetischen Alltags, wie etwa «Pinguine frieren nicht» oder «Picknick auf dem Eis». Ihr neuer Roman dagegen ist vergleichsweise realistisch und ernst. Der Humor spielt auch im neuen Buch eine Rolle, nur kommt er leiser daher. Aber ja, ein Pinguin hätte darin tatsächlich keinen Platz gehabt, er hätte der Realität sogar etwas weggenommen. Denn die Situation in diesem Kriegsgebiet ist schon für sich ge nommen surreal. Ihre Bücher sind in Russland verboten. Und «Graue Bienen» wurde in Ihrem Land als zu wenig ukrainisch kritisiert. Fühlen Sie sich zwischen Stuhl und Bank? Nein, ich bin ein ukrainischer Schriftsteller, der auf Russisch schreibt, das ist alles. Aber eben einer, der in seinen Büchern nicht die angeblich typischen Helden auftreten lässt, die Soldaten, Ge neräle und Politiker. Viele Menschen können anscheinend nicht verstehen, dass in einem Buch über den Krieg auch ein einfacher Mann ein Held sein kann.
Sie sind Schriftsteller, schreiben Romane und Stücke. Nach dem Ausbruch des Kriegs haben Sie damit aufgehört. Ja, ich fand wie andere Autoren, dies sei nicht die Zeit für Litera tur. Damals ging es darum, die politische Lage zu analysieren, die Gründe für den Krieg ausfindig zu machen und den Menschen diesen Konflikt zu erklären. Das habe ich in Kolumnen, Essays und politischen Kommentaren getan. Inzwischen ist die Situa tion eine andere, die Fakten liegen auf dem Tisch, und es gibt bereits viele Arbeiten über den Ostukraine-Krieg. Und so haben Sie einen neuen Roman geschrieben. Er heisst «Graue Bienen» und handelt von einem Dorf in der Grauzone, Surprise 476/20
FOTO: KLAUS PETRUS
Bezieht die lokale Bevölkerung in den Kriegsgebieten politisch überhaupt noch Position? Ich habe den Eindruck, dass die Menschen müde geworden sind, sie wollen keine Kämpfe mehr. Viele verstehen den Grund für diesen Krieg gar nicht. Entsprechend gibt es auch keinen Wider stand oder Protest gegen den Krieg. Die Leute warten einfach auf ein Ende. Sie versuchen zu überleben, das ist alles.
Andrej Kurkow (59) gehört zu den meistgelesenen Autoren der Ukraine, seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Er lebt und arbeitet in Kiew. Für seinen neuen Roman «Graue Bienen» (Diogenes 2019) ist er mehrmals in die Kriegsgebiete der Ukraine gereist. 13
Der beschwerliche Weg zur Rente Grenzübergang Selbst wer im Separatistengebiet lebt, hat von der Ukraine Anrecht auf eine Pension. Dafür müssen die Rentner die Seiten wechseln. Einmal im Monat kommen sie von den Separatistengebie ten herüber auf ukrainisches Territorium, sie nehmen die Brücke über den Grenzfluss Siwerskji Donez nach Staniza Luhanska, einem Städtchen gut zwanzig Kilometer von der russischen Grenze entfernt: tausende Frauen, mit Taschen beladen und hier am Klagen und dort am Murren, Männer in dunklen Anzügen, tatterig und zahnlos. Sie sind gekom men, um ihre Rente zu holen. Denn von den Separatisten bekommen sie kein Geld. Und von den Ukrainern nur, wenn sie es auf ihrem eigenen Grund und Boden abholen: 80 Franken in der Regel, manchmal sind es 100. Hinter dem Kontrollposten warten Taxis und Kleinbusse, sie bringen die Alten zu den Bankautomaten von Staniza Luhanska. Oder zu Bekannten von Bekannten, die ihnen ein Zimmer vermieten, für 100 Griwna oder vier Franken pro Nacht, falls sie es gleichentags nicht mehr zurückschaf fen in die selbsternannte Republik. Was gut sein kann. Ein käufe wollen getätigt werden, Gemüse, Schweinespeck und Medikamente. Am ukrainischen Checkpoint vergehen aufs Neue die Stunden, Soldaten durchwühlen die Taschen, sie prüfen ID und Passierschein. Gott sei Dank gibt es ein paar überdachte Sitzbänke gegen die Sommersonne, Zelte gegen den rauen Wind und das Schneegestöber, Toiletten für alle Jahreszeiten, einen Rollstuhl für die Gebrechlichsten. Hin ter dem Kontrollposten stellen sich die alten Frauen und Männer plaudernd in Reih und Glied, sie warten auf einen Bus, drängeln und drücken sich hinein, als gelte es, einem schrecklichen Schicksal zu entrinnen. Dabei wollen sie doch bloss nicht laufen müssen – diese 800 Meter hinüber bis zur Brücke, an deren Ende die Separatisten warten. Manch mal sind es pro Tag 12 000 Menschen, die hier hin und her gehen, über eine Million sind es in einem Jahr. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie ist für die Grenz gänger alles noch mühseliger geworden. Um die Verbreitung des Virus zu verhindern, hat die ukrainische Regierung die Beschränkungen am Grenzübergang bei Staniza Luhanska verschärft. So können nur noch jene Menschen auf die an dere Seite, die dort einen Wohnsitz haben. Für tausende Arbeiter und Binnenflüchtlinge aus dem Donbass bedeutet dies, dass sie zuhause bleiben müssen – und für die Pensi onäre, dass sie vorerst kein Geld bekommen. Dereinst kamen die Menschen von weit her nach Staniza Luhanska, wegen der prächtigen Birkenwälder entlang des Flusses Siwerskji Donez. Nun, sechs Jahre nach Kriegsaus bruch, sind die Bäume fahl und die Äcker voller Minen. KP
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Viele Dörfer und Häuser entlang der Frontlinie sind verlassen und werden langsam überwuchert. Die meisten der Zurückgebliebenen sind ältere Menschen. Einmal im Monat holen sie sich die Rente. Dafür müssen sie bei Stanitza Luhanska zu Fuss den Grenzübergang überqueren; manche schaffen das nur im Rollstuhl.
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Kommentar
Wenn Nachbarn zu Feinden werden Kriege werden niemals nur auf Schlachtfeldern geführt, sie spielen sich auch in den Köpfen der Menschen ab. Dabei entstehen Feindbilder selten über Nacht. Meist sind sie das Produkt einer ausgefeilten Propaganda, die sich alteingesessene Vorurteile zunutze macht. Im Falle der Ukraine sind die Vorurteile auf beiden Sei ten alt: Die Ukrainer im Westen halten die Bewohner des Donbass für rückständig, autoritätsgläubig, korrupt und kriminell, die Menschen im Osten unterstellen den übrigen Ukrainern, dass diese ihnen westliche Werte aufzwingen wollen. Mit dem Ausbruch des Krieges im Frühjahr 2014 wurden diese Vorurteile zementiert und im Zuge einer für die neuere Zeit wohl beispiellosen Propaganda verzerrt. Namentlich in den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk wird den Menschen durch die prorussischen Separatisten, aber auch im russischen Fernsehen und Rundfunk immer wieder vermittelt, dass sie die «guten» Ukrainer seien, alle anderen aber die «schlechten» – ein Bild, das inzwischen auch in die Schulen hineingetragen wird. In einer besonderen Situation befinden sich, einmal mehr, die Menschen unmittelbar entlang der Frontlinie auf der ukrainischen Seite. Sie reden in der Regel russisch, sie haben womöglich russi sche Vorfahren, gehören der orthodoxen Kirche an, haben seit Beginn des Krieges nur Zugang zu prorussi schen oder russischen Medien – und verstehen sich trotzdem als Ukrainer. Oft geht diese Zugehörigkeit da mit einher, dass sie mit diesem Krieg nichts anfangen können und sie auch gar nicht mehr verstehen, wieso er überhaupt geführt wird. Die Menschen sind, mit einem Wort, kriegsmüde. Was nicht heisst, dass eine Annähe rung an den einstigen Feind problemlos möglich ist, wenn der Konflikt dereinst beigelegt wird. Je länger dieser Krieg andauert, umso weniger wird es Orte geben, an denen sich Menschen von hüben wie drüben begegnen können; kaum jemand lebt heute noch im Donbass, der pro-ukrainisch ist, und umgekehrt. Zwar gibt es an der Frontlinie Übergänge zwischen ukrainischem Regierungsgebiet und Separatistenterri torium. Dennoch leben die Menschen auf beiden Seiten der Linie in eigenen Welten: Arbeit, soziale Beziehun gen, kulturelle Ereignisse finden unter Ausschluss der je Anderen an separaten Orten statt. Dauert dieser Zu stand an, so wird der Ukraine-Krieg früher oder später wohl zu einem «eingefrorenen Konflikt» (frozen con flict) werden, der die Menschen einander immer mehr entfremdet und das Land politisch wie sozial auf lange Zeit spaltet. KP Surprise 476/20
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Die Odyssee hat Reda Rouabhi gezeichnet.
Endlich legal Sans-Papiers Seit Reda Rouabhi in Algerien auf der Strasse
landete, folgte eine Katastrophe der anderen. TEXT SIMON JÄGGI FOTOS ROLAND SCHMID
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Um vier Uhr früh setzt sich Reda Rouabhi in Basel-West auf sein Fahrrad. Er tritt in die Pedale und fährt durch die Nacht. Sein Ziel: eine Backstube am Stadtrand, in einer Stunde ist Arbeitsbeginn. Frisches Brot einräumen, Maschinen reinigen, Boden schrubben. Es ist harte Arbeit, früh am Tag. Rouabhi fährt mit einem Lächeln im Gesicht durch die verlassene Stadt. Erst vor wenigen Tagen hat er den Arbeitsvertrag unterschrieben, für ihn ist es das Ticket in ein neues Leben. Rouabhi lebte zuletzt als Sans-Papiers in Basel. Mit seinen weissen Haaren und dem hageren Gesicht wirkt der 47-Jährige älter, als er ist. Einst sei er stolzer Polizist gewesen, sagt er, Mitglied einer algerischen Spezialeinheit. Er erzählt und zeigt Bilder, die er auf seinem Smartphone gespeichert hat. Sie zeigen einen jungen Mann mit Sturmgewehr und Uniform, doch das ist lange her. Die vergangenen Jahre verbrachte er hinter Gittern und zuletzt auf der Strasse. Nun steht er vor einem Neuanfang: Es ist die Geschichte einer glücklichen Wendung. Doch zuerst ein Blick zurück, Algerien im Jahr 2006. Rouabhi ist 33, die Polizei sein Leben. Er wohnt in der Kaserne, seine Kollegen sind seine Familie. Dann folgt der Absturz: Nach einem Streit mit seinem Vorgesetzten verliert er alles, landet auf den Strassen Algiers. 2007 reist er zum ersten Mal in die Schweiz ein. Weil er in Algerien als ehemaliger Polizist um seine Sicherheit fürchtet, bittet er um Asyl. Doch die Schweizer Behörden lehnen sein Gesuch ab. Rouabhi taucht unter, landet kurz im Gefängnis, dann reist er doch zurück nach Algerien. Dort findet er entgegen seiner Befürchtungen eine neue Stelle, eine Wohnung. Überraschend trifft er eine Schweizerin wieder, die er bei seinem Aufenthalt in der Schweiz kennengelernt hatte. Sie verlieben sich, heiraten, schliesslich folgt ihr Rouabhi nach Basel. Das Glück ist von kurzer Dauer. Die Ehe geht bald in die Brüche, Rouabhi verliert seine Aufenthaltsbewilligung. Er taucht unter und wird schliesslich verhaftet. Die Behörden wollen ihn ausschaffen, zwischen der Schweiz und Algerien besteht jedoch kein Rückübernahmeabkommen, das dafür notwendig wäre. Nach einem zweifelhaften Verfahren verurteilt ihn das Gericht 2015 zu drei Jahren Haft: Weil er sich wiederholt ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz aufgehalten und in Untersuchungshaft ein T-Shirt in Brand Surprise 476/20
Die Ehe geht bald in die Brüche, Rouabhi verliert seine Aufenthaltsbewilligung. Er taucht unter und wird schliesslich verhaftet. gesetzt hatte – es war sein Protest gegen die unzumutbaren Haftbedingungen, er selbst damals psychisch angeschlagen. Die Behörden stecken ihn in ein völlig veraltetes Gefängnis im Kanton Baselland, das selbst die Anforderungen für Kurzhaft nicht mehr erfüllt. Rouabhi verbringt dort einen Grossteil seiner dreijährigen Haftstrafe und geht in dieser Zeit fast zugrunde. (Zu den rechtswidrigen Haftbedingungen und dem zweifelhaften Strafverfahren publizierte Surprise im Februar 2019 eine ausführliche Recherche: «Herr Mourad und seine Richter», Heft 443.) Immer wieder setzt sich jemand ein Es ist der 16. Oktober 2018, als sich die Gefängnistüren in Muttenz für Rouabhi öffnen, er der Freiheit und erneut einem Leben in der Illegalität entgegentritt. Alles, was Rouabhi noch besitzt, trägt er in einer Sporttasche über der Schulter. Die ersten Nächte verbringt er im Stadtpark unter einem Baum. Er zieht die frische Luft ein, die er lange nicht mehr geatmet hat. Schaut in den Himmel, fühlt sich frei und verloren zugleich. Er hat keine gültigen Papiere, seine Aufenthaltsbewilligung ist längst abgelaufen. Nach Algerien zurück will er auf keinen Fall, aber auch in der Schweiz wartet nichts und niemand auf ihn. Doch hier nimmt seine Geschichte eine unerwartete Wende. Rouabhi weckt Mitgefühl. Seit dem Beginn seiner Odyssee trifft er immer wieder auf Menschen, die sich für ihn einsetzen. Ein ehemaliger Lehrer, der ihn in Algier aus der Gosse holte und ihm eine Arbeit verschaffte. Eine ältere Frau in der Schweiz, die ihn regelmässig im Gefängnis besuchte. Der Leiter einer Asylberatungs-
stelle, der sich in langen Briefen an die Behörden wandte und Rouabhis Freilassung verlangte. Auch dieses Mal dauert es nicht lange, bis er jemanden findet, der sich für ihn einsetzt. Nach drei Nächten unter freiem Himmel besucht er in Basel die diakonische Anlaufstelle Elim Open Doors, eine Institution, die Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz begleitet. Bereits vor seinem Gefängnisaufenthalt hatte Rouabhi hier Unterstützung gesucht. «Plötzlich stand er bei mir im Büro, blass und dünn. Ich habe ihn fast nicht wiedererkannt», sagt der Leiter Lukas Siegfried. Siegfried findet für ihn Unterschlupf in einer evangelikalen Kirche, der er selbst angehört. Einige Wochen später nimmt er ihn schliesslich bei sich zuhause auf. Rouabhi wäscht Kleider, bügelt, räumt auf, kümmert sich um den Garten. Zwischen den beiden Männern entwickelt sich eine Freundschaft, langsam erholt sich Rouabhi von den Jahren in Haft. Doch seine Situation bleibt prekär. Seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis darf er den Kanton Baselland eigentlich nicht mehr verlassen. Als ihn im Sommer 2019 eine Bekannte in Not darum bittet, ihn nach Bern zu ihrer Tochter zu begleiten, nimmt das Unglück erneut seinen Lauf. In Bern wird er von der Polizei kontrolliert, die Rückkehr nach Basel erfolgt im Streifenwagen. Ziel: Untersuchungsgefängnis Waaghof. Die nächsten zwei Monate verbringt Rouabhi in Haft wegen Missachtung des Kantonsverbots. Der Kanton entscheidet sich um Abermals entgleitet Rouabhi sein Leben, die eben erst gewonnene Stabilität bricht ein. Gerade ein paar Wochen ist es her, dass Lukas Siegfried von Elim Open Doors in Rouabhis Namen ein dringliches Härtefallgesuch an das Migrationsamt Baselland gesendet hat. Sans-Papiers können gemäss Ausländergesetz eine Aufenthaltsbewilligung beantragen, wenn sie sich in einer Notlage befinden und genügend Bindung zur Schweiz haben. Siegfried hatte ein dickes Dossier zusammengestellt. Er beschreibt darin die problematische Haftzeit Rouabhis, die fehlende Existenzgrundlage für ein Leben in Algerien und seine Bemühungen um Integration in der Schweiz. Es ist Oktober, als Rouabhi das Gefängnis ein weiteres Mal verlässt. Er bezieht kurz darauf in Basel eine kleine Wohnung, die ihm Siegfried in Form eines zinslosen Dar17
lehens vorübergehend finanziert. Rouabhis Zukunft ist ungewiss. Wird sein Härtefallgesuch bewilligt? Erhält er eine Arbeitserlaubnis? Muss er die Schweiz verlassen? Anfang 2020 landet eine Einladung des Migrationsamts Baselland im Briefkasten von Lukas Siegfried. Betreff: Vorladung zum Gespräch, Härtefallgesuch. Die nächsten Tage sitzt Rouabhi wie auf Nadeln. Er arbeitet in einem Reinigungsunternehmen auf Probe und putzt in seiner Aufregung versehentlich einen Parkettboden mit Bleichmittel. Dann fährt er am 7. Januar mit Lukas Siegfried zum Migrationsamt nach Frenkendorf, er ist angespannt und nervös. Dort werden sie von zwei betont freundlichen Beamten empfangen. Diese wollen wissen, ob Rouabhi noch immer eine Rückkehr nach Algerien ausschliesst. Zwanzig Minuten später stehen die beiden Männer wieder auf der Strasse. «Das kommt gut», sagt Siegfried zu Rouabhi. Nur wenige Tage später kommt per eingeschriebenem Brief der Entscheid: Das Staatssekretariat für Migration und der Kanton Baselland haben dem Härtefallgesuch stattgegeben. Rouabhi soll einen Ausländerausweis B erhalten. Dieser gilt für fünf Jahre und kann beliebig oft verlängert werden. Derselbe Kanton, der Rouabhi ein paar Jahre zuvor während Monaten unter rechtswidrigen Bedingungen eingesperrt hatte, hat ihm nun zu einem legalen Aufenthalt verholfen. Seither sind vier Monate vergangen. Den definitiven Ausweis hat Rouabhi noch nicht erhalten, wegen der Corona-Pandemie werden zurzeit keine biometrischen Daten erfasst. Doch sein Leben hat sich grundlegend verändert. Nachdem er an verschiedenen Orten auf Probe arbeiten konnte, unterzeichnete er Anfang Mai einen festen Arbeitsvertrag als Hilfsarbeiter in der Bäckerei am Stadtrand von Basel. Für Rouabhi schliesst sich damit ein Kreis, und er freut sich darüber: Schon als Jugendlicher hat er in einer Bäckerei gearbeitet. Jeden Morgen kurz vor fünf trifft er bei der Bäckerei ein und arbeitet bis kurz vor Mittag. Dann fährt er wieder nach Hause. Wenn er sich dann wieder ins Bett legt, schläft er so tief wie vorher jahrelang nicht. Rouabhi hat wieder Sicherheit in seinem Leben. Und hofft, dass dieses Mal der Boden unter seinen Füssen hält.
Legal arbeiten: Das Staatssekretariat für Migration und der Kanton Baselland haben Rouabhis Härtefallgesuch stattgegeben.
Surprise Talk: Reporter Simon Jäggi spricht mit Radiomacher Simon Berginz über die Hintergründe: surprise.ngo/talk 18
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Akut gefährdet Rechtslage Sans-Papiers leben in der Schweiz prekär. Die Corona-Krise bringt ihre Existenzen noch stärker ins Wanken.
Sein Gerichtsverfahren in der Schweiz war zweifelhaft. Erdbeertörtli und Butterzopf zu verkaufen, ist im Vergleich ein Traum.
Für ihn schliesst sich ein Kreis: Rouabhi hat schon als junger Mann in Algerien in einer Bäckerei gearbeitet.
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Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung leben in der Schweiz unter prekären Bedingungen. Sans-Papiers haben kein Bankkonto, in den meisten Fällen keine Sozialversicherungen und leben in der Regel weit unter dem gesetzlichen Existenzminimum. Genaue Zahlen dazu, wie viele Sans-Papiers in der Schweiz leben, gibt es keine. Eine Studie im Auftrag des Bundes aus dem Jahr 2015 geht davon aus, dass in der Schweiz 58 000 bis 105 000 Menschen ohne geregelte Aufenthaltsbewilligung leben – und zwar seit vielen Jahren. Ein Grossteil stammt aus Süd- und Zentralamerika, gefolgt von Personen aus Osteuropa. Als Folge der Corona-Pandemie hat sich die Lebenssituation der allermeisten drastisch verschärft. «Viele fürchten um ihre Existenz», sagt Fabrice Mangold von der Anlaufstelle für Sans-Papiers in Basel. Die Studie von 2015 kommt zum Schluss, dass neun von zehn Sans-Papiers ein Einkommen haben. Jede zweite arbeitet als Reinigungskraft in einem privaten Haushalt, weitere am Bau und in der Gastronomie. «Bei vielen ist mit der Corona-Krise das gesamte Einkommen weggebrochen», sagt Mangold. Anders als andere Arbeitnehmende haben Sans-Papiers keine Möglichkeit zu Kurzarbeit oder staatlicher Unterstützung. Besonders prekär ist die Situation für Familien mit Kindern. Bei den schweizweiten Beratungsstellen für Sans-Papiers haben sich die Themen aufgrund der Corona-Pandemie verschoben. «Viele können ihre Mieten und Krankenkassen nicht mehr bezahlen und es fehlt an Geld fürs Essen», sagt Karin Jenni von der Berner Beratungsstelle für Sans-Papiers. «In der aktuellen Krise geraten Existenzen ins Wanken.» Die Anlaufstellen in Bern und Basel haben sich deshalb auf die Suche nach Hilfe und zusätzlichen Ressourcen gemacht, um Betroffene vorübergehend stärker zu unterstützen. Geld kam unter anderem von Stiftungen, der Glückskette, Kirchen und den Kantonen. «Damit können wir Überbrückungshilfe leisten» sagt Fabrice Mangold von der Anlaufstelle in Basel. Das Wichtigste wäre aber, so Mangold, dass Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen auch während des Shutdown die Löhne bezahlen. Und noch ein weiteres Problem kommt hinzu: Sans-Papiers haben sich ein Leben in der Unsichtbarkeit eingerichtet. Sie wissen, wie sie Polizeikontrollen umgehen und mitten in der Gesellschaft unbemerkt überleben können. In der aktuellen Situation funktionieren viele dieser Strategien nicht mehr. Essensausgabestellen haben geschlossen, die Polizei hat ihre Präsenz massiv verstärkt. Wer sich im öffentlichen Raum bewegt, fällt auf und riskiert, kontrolliert zu werden. Im schlimmsten Fall droht die Ausschaffung. SIM
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ÂŤDie Tagespflege ist geschlossenÂť, schreibt die Mutter des Autors, als das Coronavirus Deutschland erreicht. 20
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Oma giesst die Blumen mit Kakao Demenz Seit Corona ausgebrochen ist, kann meine Oma nicht mehr
zur Tagespflege. Jetzt kümmern sich meine Mutter und ich uns um sie. Was das mit ihr macht – und mit mir. TEXT NIKLAS LIEBETRAU FOTOS MARA TRUOG
Unter der Heizung in der Küche von Oma steht ein Glas Kakao. Ich kann es vom Spülbecken aus sehen, wie es da steht, ohne jeglichen Sinn. Kurz vorher fand ich ihre Lesebrille im Schrank zwischen den Konserven und die leere Kaffeekanne in der Mi krowelle. Mit Plastikhandschuhen wasche ich die Reste von Nu deln von den Tellern. Es ist Nachmittag, zwischen weissen Gar dinen mit roten Blumen scheint tief die Aprilsonne durchs Fenster. Marianne, meine Oma, sitzt hinter mir an ihrem winzi gen Tisch. Bei der Lesebrille und der Kaffeekanne habe ich noch nachgefragt. «Ja, wer macht denn so einen Quatsch?», hat sie geantwortet und den Kopf geschüttelt. Ja, Omi, wer? Beim Ka kaoglas frage ich nicht mehr. Oma ist dement. Sie kann sich nicht daran erinnern, ob sie etwas gemacht hat oder nicht, und schon gar nicht, warum. Auch heute noch, mit ihren fast 88 Jahren, ist sie eine grosse Frau, mit kurzem, schwungvoll gekämmtem grauen Haar. Jeden Tag zieht sie sich allein an. Heute trägt sie eine Jeans und darüber eine blaue Fleecejacke. Die Schuhe schnürt sie im Stehen. Ihr Körper ist so beweglich wie der einer 60-Jährigen. Ihr Kopf wie der eines Kleinkindes. «Guten Morgen» – Kuss-Emoji – «die Tagespflege von Omi ist ab morgen geschlossen» – Emoji mit genervtem Blick zur Seite. Am Mittwoch, den 18. März erreichte mich um 08:51 Uhr diese Nachricht meiner Mutter. Corona! Ich rief sie an und sagte, dass wir das schon hinkriegen. Seitdem fahren meine Mutter und ich jeden Mittag für drei Stunden zu Oma, immer abwechselnd. Wir bringen ihr Tupperdosen mit Gemüselasagne und gebrate nen Wirsing, gehen spazieren, erzählen ihr von Dingen, die sie gleich wieder vergisst. Am Ende stellen wir ihr immer einen Ka kao hin, den trinkt sie lieber als Wasser. Es ist für uns nicht weit zu ihr. Wegen Corona wohne ich im Haus meiner Mutter und sie bei ihrem Freund. Zur Tagespflege geht Oma Marianne seit etwa zwei Jahren. Sie hat damit einen von rund 75 300 Tagespflegeplätzen in Deutschland. Die alten Menschen bekommen dort etwas zu es sen, kriegen die Nachrichten vorgelesen, es wird gebastelt oder musiziert. Am Anfang ging Oma nur einmal die Woche, mittler weile geht sie alle zwei Tage. Für sie ist das Struktur und geistige Fitness. Für meine Mutter ist es Entlastung. War es Entlastung. Surprise 476/20
Jetzt sind alle Tagespflegestätten in Berlin geschlossen. Wegen Corona ist bei der Pflege nun wieder die Familie gefragt. Und meine Mutter und ich stecken in demselben Zwiespalt wie wahr scheinlich viele in diesen Tagen: Eigentlich sollten wir uns von Oma fernhalten, um sie nicht mit einem Virus zu infizieren, von dem wir nicht wissen, ob wir ihn in uns tragen. Aber sie deswe gen sich selbst überlassen? Wir fahren hin, mit Plastikhandschu hen und Desinfektionsmittel. Eine Atemschutzmaske haben wir nicht. Wir hoffen einfach, dass alles gut wird. Etwas vergisst Oma nicht «Das find ich schön, dass du zu mir kommst. Du bist so lieb.» So nett, so warm, so freundlich. Wie oft höre ich Sätze wie diese von meiner Oma in ihrer Sprache, die immer weniger Worte kennt. Ich weiss nicht, wie oft sie mich fragt, wo meine Mutter ist, wenn ich statt ihrer da bin. Oder sie spricht immer wieder von ihrem verstorbenen Mann, meinem Opa Teo. «Kanntest du den auch?», fragt sie in rheinischem Singsang. «Ja, natürlich», antworte ich und erzähle ihr, wie ich mit Opa Teo oft in den Wald gefahren bin, um Rehe zu füttern. Mit tro ckenem Brot, das meine Oma uns immer in einer Tüte mitgab. «Erinnerst du dich daran?», frage ich. Sie nickt. «Nein, ich habe et mir irjenwo aufjeschrieben.» Mit dem Finger zeichnet sie et was auf das gehäkelte Tischdeckchen. Ihre kleine, freundliche Zwei-Zimmer-Wohnung ist penibel aufgeräumt. Sie putzt die fast fünfzig Quadratmeter allein, räumt alles weg. Meine Oma ist so ordentlich, dass sie auch schmutzige Handtücher feinsäuberlich gefaltet in den Schrank legt. Automa tismen einer vergangenen Zeit. Oma weiss nichts von Corona. Sie weiss auch nichts von ihrer Tagespflege oder davon, dass die geschlossen ist. Sie weiss nicht, dass ich erst vorgestern da war, oder dass es schon vier Jahre her ist, seit sie von Krefeld nach Berlin zog, weil dort nichts mehr war, was sie hielt. Sie weiss all das schon lange nicht mehr. Drif tet immer weiter in ihre eigene neblige Welt. Und doch vergisst sie eine Sache in diesen Tagen nicht. Nachdem ich abgewaschen habe, schlage ich ihr vor, einen Spaziergang zu machen. «Dürfen wir das denn jetzt überhaupt noch?» Sie schaut erschrocken. Und ich erstaunt. Hat sie das 21
Die Aufnahmen sind im Herbst 2018 im Pflegeheim für Menschen mit Demenz Sonnweid in Wetzikon entstanden.
wirklich behalten? «Ja Omi, wir müssen aufpassen, wegen des Virus. Aber wenn wir nur zu zweit gehen und Abstand halten, ist das ok», sage ich. Sie nickt, steht auf und schaut aus dem Fenster auf die Strasse. «Ich glaub, ich möchte das nicht, guck mal der Mann dahinten, der steht da die ganze Zeit und schreibt etwas auf.» Ich trete zu ihr und sehe einen Jungen mit Mütze und weis sen Kopfhörern im Ohr, er tippt etwas in sein Handy. «Nicht, dass du noch eins auf die Rübe bekommst», sagt sie und lächelt mich an. Demenzkranke sind äusserst sensibel, wenn es um die Wahr nehmung von Stimmungen geht. Sie können sehr gut spüren, wenn jemand Angst hat oder nervös ist, und das verunsichert sie, obwohl sie den Grund nicht verstehen. Vielleicht spürt meine Oma meine unterschwellige Sorge. Denn ja, ich mache mir Sorgen. Vor ein paar Tagen war in den Nachrichten zu sehen, wie Särge aus dem Wolfsburger Hanns-Lilje-Heim geschoben wur den. 23 Demenzkranke, die an den Folgen von Corona starben, sicher werden es noch mehr. Auch meine Oma könnte in einem 22
solchen Sarg liegen. Meine Mutter sagt oft, «sie hatte ein wun dervolles gelebtes Leben», und dann stimme ich ihr zu. Aber wie wäre es jetzt, in dieser Zeit? Wenn sie stürbe und einsam begra ben werden müsste, weil öffentliche Beisetzungen verboten sind? Würden wir uns Vorwürfe machen, weil wir es waren, die den Virus mit in ihre Wohnung brachten? Das kommt mir surreal vor. Meist kommen diese Gedanken, wenn ich im Auto auf dem Weg nach Hause sitze. Ich versuche sie wegzuwischen. Es gelingt mir nicht immer. Ein Du für den Enkel Das erste Mal, als ich bei meiner Oma vor zweieinhalb Wochen klingelte, erkannte sie mich nicht. «Wer sind Sie? Was möchten Sie?», fragte sie und schaute barsch durch den Türschlitz. Es dau erte ein paar Minuten, bis sie verstand. Im Laufe des Nachmittages schwankte ihr Gesichtsausdruck zwischen Freude und Ver dutztheit. Einmal bot sie mir das Du an: «Also, ich bin die Mari anne.» Davor hatte sie mich ein dreiviertel Jahr nicht gesehen. Surprise 476/20
Die Zürcher Fotografin Mara Truog arbeitet seit 2017 an einem Langzeitprojekt über Menschen mit Demenz und fotografiert regelmässig in diversen Pflegeeinrichtungen in der ganzen Schweiz. maratruog.ch
Zu meiner Oma habe ich eigentlich ein sehr gutes Verhältnis. Ich hab sie lieb und sie mich auch. Besucht habe ich sie trotzdem selten. Warum? Ich habe eben wenig Zeit. Das wäre die einfache Antwort. Schwieriger ist es zu sagen: Ich hatte einfach keine grosse Lust, zu ihr an den Rand von Berlin zu fahren. Für sie war ja auch gesorgt. Und für mich gab es immer etwas Wichtigeres. Meine Oma würde doch eh alles wieder vergessen. Als ich Anfang des Jahres Berlin verliess, aufbrach, um mit dem Journalismus durchzustarten, dachte ich, es könnte gut sein, dass ich sie nie wieder sehen würde. Es schmerzte mich, aber etwas daran geändert habe ich auch nicht, fand mich vielleicht sogar damit ab. Erst der Virus, der zu allen Menschen Distanz einfordert, hat uns wieder näher zusammengebracht. Vielleicht so nah wie nie zuvor. Meiner Oma tut das extrem gut. Seit ich sie besuche, so scheint es mir manchmal, erinnert sie sich an mehr. Sie fragt nach mei ner Freundin, obwohl sie sie nur zweimal gesehen hat, und wie derholt sich ein bisschen weniger oft. Wenn ich heute bei ihr Surprise 476/20
klingele, erscheint da nicht das barsche Gesicht. Sie strahlt und sagt: «Mensch, du kommst aber oft.» Für sie ist Corona ein Glücksfall. Jeden Tag verbringt ein Familienmitglied mehrere Stunden mit ihr. Davor war das nicht so. Doch was ist, wenn es so nicht weitergeht? Es gibt nämlich auch die anderen Tage, an denen sich zeigt, dass diese Krankheit in Schüben kommt und geht, wie die Wellen im Meer. Heute rief mich meine Mutter an. «Omi ist wieder so tüdelich», sagte sie. Sie wolle sich nicht waschen lassen, sei richtig garstig gewesen. Das könne sie ja wohl noch allein, habe sie gesagt. «Wenn ich mir vorstelle, dass das noch bis September so gehen könnte …», ich höre Verzweiflung in der Stimme meiner Mutter. Und dann sei auch noch das Wasser in den Blumenvasen ganz braun gewesen. Sie lacht. «Das ist auch schon fast wieder lustig, Omi hat den Blumen Kakao gegeben.» Auch ich muss lachen. «Am besten be gegnet man dem Ganzen wohl mit Humor», sage ich und über lege insgeheim schon, wo der Kakao morgen sein könnte. Wenn ich wieder zu Oma fahre. 23
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Wo der Schein nur wenig zählt Cartoonmuseum Der Zeichner Christoph Fischer
beobachtet die Welt, die Menschen. Und fokussiert auf diejenigen, die oft übersehen werden. TEXT MICHAEL GASSER
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Jahrelang hat Christoph Fischer von seinem Atelier am lärmgeplagten Luzerner Kreuzstutz aus dem Strassenwischer Heinz Gilli zugeschaut. 2016 entschied sich der Zeichner und Illustrator, für ihn eine über drei Meter grosse Betonfigur zu schaffen. Sie zeigt Gilli, wie er stoisch über die vorbeifahrenden Autos und Lastwagen wacht. «Warum nicht?», sei die Reaktion des inzwischen pensionierten Strassenkehrers gewesen, so Fischer. «Insgeheim war er aber ein wenig stolz auf die Skulptur.» Sie ist auch ein Beweis dafür, dass sich der Luzerner gerne mit Themen auseinandersetzt, die andere meist links liegen lassen. Die Retrospektive «Christoph Fischer. Der Welt abgeschaut» im Cartoonmuseum Basel veranschaulicht die Entwicklung des 43-Jährigen – von seinen frühen Reportagen bis hin zu fünfzig aktuellen Traumbildern. Ursprünglich besuchte Fischer das Lehrerseminar. Nicht, weil er in den Bildungsberuf einsteigen wollte, sondern weil er nicht wusste, was er mit seinem Leben anfangen wollte. Das Zeichnen Surprise 476/20
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habe ihn aber schon früh fasziniert. «Man kann wunderbar beobachten und sich dabei etwas aneignen, ohne es zu besitzen oder zu verändern», sagt er. Über den Umweg Trickfilm fand Fischer zu seiner Berufung und arbeitet seit 2002 als selbständiger Zeichner und Illustrator. Fischer richtet den Blick in seinen gezeichneten Reportagen nicht zuletzt auf die Gesichter und das Leben von Menschen, die es schwer haben. Begonnen habe er damit bei einem Aufenthalt in Paris. «Eigentlich hatte ich vor, heimlich in der Banlieue zu fotografieren und die Bilder später in Zeichnungen umzusetzen. Doch dann habe ich realisiert, dass es viel besser ist, meine Absichten offenzulegen.» Er wollte sein Interesse an Menschen nicht verstecken, setzte sich an öffentliche Plätze und kam mit den Bewohnern mitunter auch ins Gespräch. «Es ist tendenziell so, dass die Menschen in der Banlieue mehr Zeit haben und tatsächlich etwas zu berichten wissen.» Eine Tatsache, die sich mit Fischers zeichnerischem Vorgehen bestens ergänzt, das er als «überaus langsamen Prozess» versteht. Aus Versehen das Drogengeschäft dokumentiert Sein Ansatz sei bislang nur selten auf Ablehnung gestossen. «In Chicago wurde ich einmal gebeten, meinen Zeichnungsblock wieder zu versorgen», erinnert sich Fischer. Aus dem einfachen Grund, dass die Personen, die er zeichnen wollte, gerade am Dealen waren und er als einziger Weisser die Polizei auf sich und insbesondere auf das sich abspielende Drogengeschäft aufmerksam gemacht hätte. «Das habe ich natürlich respektiert», betont Fischer. Dass er sich für die vermeintlich unschönen Seiten einer Stadt und ihrer Bewohner interessiert, führt der Zentralschweizer auf die ihm fremden Welten zurück, in welcher der Schein nur wenig zählt. «Das gilt auch für die Geschichten, die man an solchen Orten erzählt bekommt. In diesen wird nichts überspielt und es muss keine Fassade gewahrt werden – was ich sehr schätze.» Projekte wie in Paris oder Chicago nehme er sich allerdings nur punktuell vor. «Auch, weil sie längere Zeit in Anspruch nehmen. Auf einer Reise auf die Schnelle ein vermeintliches Problemquartier aufzusuchen, das funktioniert nicht. Für ein derartiges Vorhaben müsste ich mich im Voraus und bewusst entscheiden», sagt Fischer. «Sonst käme ich etwa auf meinen langen Veloreisen, die ich seit meiner Jugend immer wieder unternehme, überhaupt nicht mehr vorwärts.» Denn eingehendes Beobachten erfordert einen nicht zu unterschätzenden Aufwand. Doch woher rührt sein Interesse am Beobachten und Dokumentieren? «Ich finde es spannend, Informationen über das Auge zu erfassen. Und sicher ist da auch ein Mitteilungsbedürfnis, das ich mit meinen Zeichnungen und Reportagen ausleben kann.» Sein Atelier am Kreuzstutz aufzuschlagen, wo sich gleich mehrere Verkehrsachsen treffen, sei nicht geplant gewesen, aber: «Hier gibt es einfach viele Geschichten zu erzählen.» Eine Fügung des Schicksals, die Christoph Fischer auch in diesem Fall in kraftvolle und zugleich subtile Skizzen, Zeichnungen und Acrylbilder umzumünzen weiss.
1 Reportage «Auf der langen Bank», 2012: Christoph Fischer wollte erfahren, wer sich den Bahnhofplatz Luzern zum eigenen Wohnzimmer macht. 2/5 «Chicago Westside», USA, 2010: Die Gegend ist bekannt für die vielen Gewaltverbrechen. 3 «Während ich schlief», Christoph Merian Verlag, 2020: Bleistiftzeichnungen von eigenen Träumen. 4/6 «Auf der langen Bank», Christoph Fischer, 2012.
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«Christoph Fischer. Der Welt abgeschaut», Ausstellung, bis 30. August, Cartoonmuseum, St. Alban-Vorstadt 28, Basel. www.cartoonmuseum.ch Das Buch «Christoph Fischer – Während ich schlief» ist im Christoph Merian Verlag erschienen. 6 Surprise 476/20
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BILD(1): MONIRA AL QADIRI, BILD(2): THE SAME PRODUCTIONS, BILD(3): LAGARTIJAS TIRADAS AL SOL
Veranstaltungen Zürich Potential Worlds 1: Planetary Memories, Ausstellung, bis So, 11. Oktober, Di bis So 11 bis 18 Uhr, Do 11 bis 20 Uhr (17 bis 20 Uhr Eintritt frei), Migros Museum für Gegenwartskunst, Limmatstrasse 270. migrosmuseum.ch Das Migros Museum für Gegenwartskunst zeigt zwei Ausstellungen, welche die Beziehung von Mensch und Natur untersuchen und potenzielle Zukunftsszenarien des Lebens auf der Erde entwerfen. Als die Museen vor dem Frühlingsanfang noch offen waren, hiess «potenziell» so etwas wie: nicht unmöglich, aber doch sehr weit weg. Unterdessen sind wir schon mittendrin in so einem potenziellen Zukunftsszenario, und es fühlt sich recht seltsam an. Immerhin, in «Potential Worlds 1» geht es nicht um Viren. Dafür um Themen, die uns schon jetzt sehr nah sind: etwa, wie wir uns die Umwelt aneignen, um Macht und Ressourcen zu gewinnen – und was die sozialen Folgen davon sein könnten. Tabita Rezaire, 1989 in Paris geboren, ist in der Ausstellung mit ihren Videos zu spirituellen und ökologischen Wissens- und Kommunikationsnetzwerken vertreten. Während des Lockdowns hat sie zusätzlich ein Video fürs Museum kreiert, das online zu sehen ist: Rezaire lädt zu Meditation und Reflexion mit Kemetic Yoga ein. Das Yoga-System geht auf die altägyptische Kultur zurück und bezieht Atemübungen und geometrische Ausrichtungen des Körpers mit ein. Ziel ist die Besinnung auf uns selbst und auf uns als Gemeinschaft. DIF
Draussen Trottoir-Literatur mit Matto Kämpf und Rolf Hermann, Winterthur Fr, 29. Mai, Bern Do, 4. und Sa, 6. Juni, Luzern Do, 18. Juni, Zürich Fr, 19. Juni und weitere, Dauer 20 Minuten, Honorar 200 CHF, Lesung bestellen: SMS mit Name, Adresse und ge wünschter Zeit (zwischen 17 und 22 Uhr, Beginn zur vollen Stunde) an 079 366 84 73 Rolf Hermann und Matto Kämpf sind Autoren, Zweidrittel des Trios Gebirgspoeten und alles mögliche andere im Feld der Kunst (Film, Theater zum Beispiel). Sie müssen geahnt haben, dass der Bund den freischaffenden Künstlern nicht mir-nichts-dir-nichts das Leben in Corona-Zeiten voll finanzieren würde und haben sich aufgemacht, Lesungen mit Zwei-Meter-Abstand abzuhalten, draussen und vor kleinem Publikum. Das geht über den Gartenzaun hinweg, zum Balkon
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hinauf oder auch vom Balkon hi nunter in den Garten. Eine Art Hauslieferdienst für Literaturhungrige. Bestellbar in Zürich, Luzern, Bern, Basel, Biel, Winterthur, allenfalls auch anderswo. Updates zu den Daten auf dem Facebook-Profil von Rolf Hermann. DIF
Online Kulturlotse, Veranstaltungs kalender; Online-Krimi, Do bis Fr 19 bis 22 Uhr, Sa 16 bis 19 und 20 bis 23 Uhr. kulturlotse.ch stadt-krimi.ch/stadtkrimi/ online-krimi
In der Kulturbranche entstand aus dem Schock des Lockdowns eine riesige Menge neuer Ideen und Projekte. Die Basler Kulturzeitschrift Programmzeitung versucht sie ziemlich flächendeckend mit einem eigenen Portal zusammenzutragen: Der Kulturlotse ist immer frisch und up to date. Hier findet man Veranstaltungen wie den Online-Krimi fürs Wohnzimmer, also eine digitale Schnitzeljagd. Wir sind Kommissar und holen je nach Bedarf weiteres Personal dazu, das sich in anderen Haushalten befinden kann. So kann auch die Grossmutter als Hilfskommissarin fungieren. DIF
Online My Documents / Share your screen, Lecture Perfor mance / Online; «Blue House» von Zhang Mengqi, Fr, 29. und Sa, 30. Mai, 14 Uhr; «or all your changes will be lost» von Tim Etchells, Fr, 5. und Sa, 6. Juni, 20 Uhr; «Lázaro» von Lagartijas Tiradas al Sol, Luisa Pardo y Gabino Rodriguez, Fr, 12. und Sa, 13. Juni, 20 Uhr; «Untitled» von Tania Bruguera, Fr, 19. und Sa, 20. Juni, 20 Uhr kaserne-basel.ch Seit 2012 realisiert die argentinische Künstlerin Lola Arias die Reihe My Documents. In der Corona-Version teilen Künstlerinnen und Künstler via Zoom ihre Bildschirme mit dem Publikum, das live kommentieren kann. Es kommen die unterschiedlichsten Disziplinen auf die virtuelle Bühne – Tanz, Dokumentarfilm, Installationskunst und Performance. Zhang Mengqi realisiert seit 2011 eine Serie von Dokumentarfilmen über das Geburtsdorf ihres Vaters in der zentralchinesischen Provinz Hubei. Ausgehend von ihren Interviews und Recherchen zur chinesischen Hungersnot 1958–1961 trägt sie mit ihren Filmen zum «Folk Memory Project» bei, einem kollektiven Dokumentationsprojekt. Sie schuf auch einen Gemeinschaftsund Begegnungsort namens «Blue House». In «or all your changes will be lost» erforscht Tim Etchells seine Notizbücher. Manche Aufzeichnungen sind persönlich, andere mit politischen und sozialen Ereignissen und Umstürzen verknüpft – manche wahr, andere erfunden. In «Lázaro» rekonstruiert die mexikanische Theatergruppe Lagartijas Tiradas al Sol die Geschichte eines Schauspielers, der sich dazu entscheidet, sein
Gesicht umzugestalten und seinen Namen zu ändern. Mit «Untitled» öffnet die aus Kuba stammende bildende Künstlerin und Aktivistin Tania Bruguera ein Archiv mit Menschen, die seit Jahrzehnten mit der Isolation leben. Die Veranstaltungen sind gratis, Teilnahme online. DIF
Online Gessnerallee, Theater, Streaming-Programm: «With For About», Mi, 3., Mi, 10. und Mi, 17. Juni, je 15.30 Uhr; gratis Zugangslinks über die Website; «Der Widerspruch», Mi, 3., Do, 4., Fr, 5. Juni, je 20 Uhr; Eintritt frei, Anmeldung erforderlich unter: kasse@gessnerallee.ch, um die Zugangsinformationen zum Zoom-Meeting zu erhalten. gessnerallee.ch Heart of Glass ist eine kollaborative soziale Kunstagentur aus England. Mit «With For About» veranstaltet sie eine Konferenz, die auf die aktuellen Herausforderungen eingeht, die Covid-19 für viele marginalisierte Personen und Gemeinschaften darstellt. Ausgewählte Projekte werden online diskutiert. Die Themen des Zürcher Kollektivs Neue Dringlichkeit wiederum reichen von Rassismus bis hin zu Gendergerechtigkeit und digitale Selbstbestimmung. Neue Dringlichkeit arbeitet an der Grenze zwischen Kunst und Aktivismus – und untersucht, wie politische Kommunikation, Spaltung und Radikalisierung funktionieren. Für «Der Widerspruch» haben sie sich mit den Kollegen des Kollektivs Kursk zusammengetan. Ausgangspunkt der gemeinsamen Produktion ist das Denkmal des Komponisten Friedrich Silcher, 1941 von württembergischen Nazis erbaut. Eine Brutalität in Stein, die in der Innenstadt von Tübingen thront und an die dunkle Vergangenheit erinnert. Vom Denkmal aus spannen sich Fäden zur Nationalromantik des 19. Jahrhunderts, zur Vereinnahmung der Künste durch die Nazis und zu Propagandamethoden heutiger rechter Kräfte. DIF
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den sie gewarnt, dass es nicht gern gesehen werde, wenn man sie hinunterspringe. Wenig später hocken sie auf die Treppe zum Chipsessen. Eine Frau gewinnt zwar keinen Blumentopf, kauft aber einen in der draussen aufgebauten Gartenabteilung. Eine andere trägt eines dieser Insektenhotels, die gegen eine Anzahl Punkte gratis abgegeben werden oder so etwas. Die Insektenunterkünfte wurden, als das noch möglich war, aus China importiert, sodass unsere Bienen in Föhrenzapfen hausen, die um die halbe Welt transportiert wurden. Es ist nicht einfach, ein Nature Hero, ein Held der Natur zu sein. Eine Produktion in Europa wäre zu teuer gewesen, lässt das Unternehmen verlauten. Zu teuer zum Verschenken.
Tour de Suisse
Pörtner in Stäfa
Surprise-Standorte: Migros Einwohnerinnen und Einwohner: 14 708 Sozialhilfequote in Prozent: 5,7 Anteil ausländische Bevölkerung in Prozent: 19,3 Anzahl Kühe: 151
Der Tag hat aufgehellt. War es am Morgen noch nass und kalt, ist es nun schon sommerlich warm. Die Coiffeursalons und Gartencenter haben wieder geöffnet. Beim Grossverteiler in diesem kleinen Einkaufszentrum sind diverse Rayons mit rot-weissem Band abgesperrt. Die Lage normalisiert sich, noch aber herrscht kein Normalzustand. Ein Mann bleibt mit seinem Einkaufswagen nach der Handdesinfektion verträumt stehen, bis ihn derjenige, der darüber wacht, wie viele Menschen in den Laden dürfen, auffordert einzutreten. Möglicherweise ein neuer Beruf: Publikumsaufmarschkontrolleur oder Eingangsbereichsüberwacherin oder einfach Tropfenzähler. Zwei Buben fahren mit ihren Velos die Treppe vor dem Gemeindehaus hinunter, der eine forsch, der andere zögerlich, Surprise 476/20
auf den unteren, steilen Teil wagt er sich nicht, während der Grössere schon beim zweiten Durchgang waghalsig die Stufen überspringt. Zwei Polizistinnen gebieten dem Treiben Einhalt und erklären geduldig, dass es wahrscheinlich keine so gute Idee sei, zwischen Gemeindehaus und Einkaufszentrum die Treppe hinunterzublochen. Das sieht der Bub ein oder tut zumindest so, denn eben noch sah es aus, als fände er das eine Superidee. In der Apotheke sind Atemmasken erhältlich, ein Mann kommt mit zwei Packungen unter dem Arm aus dem Geschäft. Das Elektrovelo hat sich als Nahverkehrsund Einkaufsfahrzeug durchgesetzt. Hat das Velo aber einen Anhänger, ist es nicht ganz einfach, einen Parkplatz zu finden, eine Frau kurvt mehrfach herum. Zwei Buben mit Trottis tragen ihre Gefährte die Treppe hinunter, vielleicht wur-
Es wird sich zeigen, ob sich das Konsumverhalten ändert, ob es wirklich als Verlust von Wohlstand empfunden wird, anstatt Unmengen billiger Produkte aus Fernost zu kaufen und rasch wegzuschmeissen, lokal Produziertes und Dauerhaftes zu erwerben und so neben der einheimischen Hotellerie auch die einheimische Insektenhotellerie zu unterstützen. Die Krise hat gezeigt, dass wir vieles gar nicht so dringend brauchen. In diesem kleinen Einkaufszentrum werden keine Hamsterkäufe getätigt, dafür Schwätzchen gehalten, mit dem nötigen Abstand natürlich, auf dem Platz vor dem Eingang. Aber schon ziehen wieder Wolken auf, der Himmel verdüstert sich. Die Luft wird ein paar Grad kälter, und damit hat es sich mit Herumstehen.
STEPHAN PÖRTNER Der Zürcher Schriftsteller Stephan Pörtner besucht Surprise-Verkaufsorte und erzählt, wie es dort so ist.
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IND 0.– S AB 50 ABEI! SIE D
Die 25 positiven Firmen Unsere Vision ist eine solidarische und vielfältige Gesellschaft. Und wir suchen Mitstreiterinnen, um dies gemeinsam zu verwirklichen. Übernehmen Sie als Firma soziale Verantwortung. Unsere positiven Firmen haben dies bereits getan, indem sie Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Mit diesem Betrag unterstützen Sie Menschen in prekären Lebenssituationen dabei auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit. Die Spielregeln: 25 Firmen oder Institutionen werden in jeder Ausgabe des Surprise Strassenmagazins sowie auf unserer Webseite aufgelistet. Kommt ein neuer Spender hinzu, fällt jenes Unternehmen heraus, das am längsten dabei ist.
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Eine von vielen Geschichten 01 Hausarztpraxis Tannenhof, Tann-Rüti 02 Gemeinnütziger Frauenverein Nidau 03 Sublevaris GmbH, Birsfelden 04 Brother (Schweiz) AG, Dättwil 05 Senn Chemicals AG, Dielsdorf 06 Stoll Immobilientreuhand AG, Winterthur 07 Scherrer & Partner GmbH, Basel 08 TopPharm Apotheke Paradeplatz 09 Coop Genossenschaft, Basel 10 Gemeinnützige Frauen Aarau 11
VXL, gestaltung und werbung, Binningen
12 Arbeitssicherheit Zehnder GmbH, Zürich 13 Yogaloft, Rapperswil 14 Madlen Blösch, Geld & so, Basel 15 Zubi Carosserie, Allschwil 16 Kaiser Software GmbH, Bern
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17 Schluep & Degen, Rechtsanwälte, Bern
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18 RLC Architekten AG, Winterthur 19 Stellenwerk AG, Zürich & Chur 20 Neue Schule für Gestaltung, Bern 21 SpringSteps GmbH, Bülach 22 Steuerexperte Peter von Burg, Zürich 23 Büro Dudler, Raum- und Verkehrplanung, Biel 24 Infopower GmbH, Zürich 25 Dr. med. dent. Marco Rüegg, Herzogenbuchsee Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende ab 500 Franken sind Sie dabei. Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma und Ihr gewünschter Namenseintrag Sie erhalten von uns eine Bestätigung. Kontakt: Nicole Huwyler Team Marketing, Fundraising & Kommunikation T +41 61 564 90 50 I marketing@surprise.ngo
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Wir alle sind Surprise Strassenmagazin
#474: Aussen vor
«Wir bleiben stark»
«Einfach nur fantastisch»
Ich bleibe euch, den Menschen, die ihr unterstützt, eurem gut gemachten Magazin – selbst das Papier gefällt mir – treu. Ihr könnt mir glauben, ich bin nicht der Einzige! Wir lassen uns von der Corona-Pandemie trotz des Leidens, trotz des Todes, die sie leider mit sich bringt, nicht schwächen. Wir bleiben stark! Es ist gut, dass es euer Magazin gibt, euren Einsatz, es ist auch bedauerlich, dass es dies geben muss. A . GÄRTNER, Oberentfelden
Die Strassenreportage in Zeiten der Corona-Krise von Klaus Petrus hat mich tief beeindruckt. Einerseits die Ästhetik der Fotos, die es schaffen, die Schönheit im Düsteren zu erfassen. Andererseits dann eine Reportage, die einen so reinzieht, dass mensch das Gefühl hat, er sei bei den Gesprächen dabei gewesen. Einfach nur fantastisch! Thömu wirft in der Reportage so schön formuliert die Frage auf, ob wir nach der Krise noch an sie, die «Junkies, Bettler, Nutten» denken werden. Ich glaube und hoffe, dass solche Beiträge dazu beitragen, dass wir sie nicht vergessen. C. GRÜTZNER, ohne Ort
«Buchstäblich die Augen geöffnet»
#473: Isolation der Ausgegrenzten
Das Cover von «Aussen vor» hat mich erschüttert und zutiefst betroffen gemacht. Ich konnte mich minutenlang von diesem Blick nicht mehr lösen. Trotzdem ist er auch voller Hoffnung, weil liebevoll. Die Reportage und Fotografien von Klaus Petrus sind happig, aber sehr wichtig. Ich muss gestehen, dass ich so gar nichts über diese Menschen auf der Strasse wusste. Der Beitrag hat mir buchstäblich die Augen geöffnet. Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar.
Es gibt ohne Frage viele Surprise-Verkäufer, welche in Armut leben, und die unterstütze ich auch gerne mit dem Heftkauf und Spenden. Aber Kibrom Mesfun lebt in meinen Augen nicht in Armut. Er und seine Frau arbeiten je 50 Prozent und die beiden Söhne haben einen Lehrlingslohn. Damit sollte man eigentlich einfach leben können. Und warum braucht diese Familie eine 5,5-Zimmer-Wohnung? Wir haben damals als vierköpfige Familie in einer 3,5-Zimmer-Wohnung einer Baugenossenschaft gewohnt, bis meine Schwester ihr Studium und ich meine Ausbildung beendet hatten. Wir haben es gutgehabt und nichts vermisst.
M. LOOSLI, Bern
M. BUFF, Facebook
Impressum Herausgeber Surprise, Münzgasse 16 CH-4051 Basel Geschäftsstelle Basel T +41 61 564 90 90 Mo–Fr 9–12 Uhr info@surprise.ngo, surprise.ngo Regionalstelle Zürich Kanzleistrasse 107, 8004 Zürich T +41 44 242 72 11 M+41 79 636 46 12 Regionalstelle Bern Scheibenstrasse 41, 3014 Bern T +41 31 332 53 93 M+41 79 389 78 02 Soziale Stadtrundgänge Basel: T +41 61 564 90 40 rundgangbs@surprise.ngo Bern: T +41 31 558 53 91 rundgangbe@surprise.ngo Zürich: T +41 44 242 72 14 rundgangzh@surprise.ngo Anzeigenverkauf Stefan Hostettler, 1to1 Media T +41 61 564 90 90 M+41 76 325 10 60 anzeigen@surprise.ngo Redaktion Verantwortlich für diese Ausgabe: Diana Frei (dif) Klaus Petrus (kp), Sara Winter Sayilir (win) Reporter: Andres Eberhard (eba), Simon Jäggi (sim) T +41 61 564 90 70 F +41 61 564 90 99 redaktion@strassenmagazin.ch leserbriefe@strassenmagazin.ch
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Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Simon Berginz, Monika Bettschen, Rahel Nicole Eisenring, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Isabel Mosimann, Fatima Moumouni, Stephan Pörtner, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Michael Gasser, Ruben Hollinger, Niklas Liebetrau, Isabel Mosimann, Roland Schmid, Mara Truog Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise, nur mit Geneh migung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt. Gestaltung und Bildredaktion Bodara GmbH, Büro für Gebrauchsgrafik Druck AVD Goldach Papier Holmen TRND 2.0, 70 g/m2, FSC®, ISO 14001, PEFC, EU Ecolabel, Reach Auflage 30 000 Abonnemente CHF 189, 25 Ex./Jahr Helfen macht Freude, spenden Sie jetzt. Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3
«Warum 5,5 Zimmer?»
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FOTO: RUBEN HOLLINGER
Surprise-Porträt
«Ich bin erfinderisch» «Dass da etwas auf uns zukommt, das wir nicht für möglich gehalten hätten, war mir bewusst, weil ich täglich verschiedene Zeitungen lese, Radio höre und die Nachrichten schaue. Zudem sehe ich die Schlagzeilen, die laufend auf der elektronischen Werbefläche neben meinem Verkaufsort im Hauptbahnhof Bern erscheinen. Dass nun auch ich direkt von der Pandemie betroffen bin, realisierte ich am Montag, dem 16. März. Sara Steiner, Co-Leiterin der Berner Regionalstelle von Surprise, suchte mich an meinem Verkaufsort auf und teilte mir mit, dass ab morgen kein Heftverkauf mehr möglich sei. Angst vor einer Ansteckung hatte ich nie, ich bin eigentlich bisher ganz gelassen durch diese Corona-Zeit gegangen. Mühe bereitet haben mir einzig die Tage, an denen ich nicht wusste, ob bei uns eine ebenso strikte Ausgangssperre verhängt würde wie etwa in Italien. Das hat mir deshalb so zugesetzt, weil ich in einem betreuten Wohnhaus in einem kleinen Zimmer wohne – da hätte ich ganz schnell den Koller gekriegt. Und der Weg zum Denner, sprich zum Alkohol, wäre nicht mehr weit gewesen. Aber zum Glück ist es ja anders gekommen.
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Ändu Hebeisen (51) machte das Beste aus der Corona-Krise und liess sich (fast nie) aus der Ruhe bringen.
Im betreuten Wohnen lebe ich, weil ich vor zehn Jahren komplett den Boden unter den Füssen verloren habe. Den Stress und Frust am Arbeitsplatz hatte ich mehr und mehr mit Alkohol runtergespült, was in Burnout, mas siver Alkoholsucht und schliesslich im Jobverlust endete. Nach mehreren Anläufen und Klinikaufenthalten ist es mir im Frühling 2015 schliesslich gelungen, mit dem Trinken aufzuhören und Schritt für Schritt den Weg zurück in ein unabhängiges Leben zu finden.
weiss ich, wie man mit wenig Geld umgeht, und zum andern bin ich erfinderisch und krisenerprobt. Ich habe mich zu Beginn des Lockdown gleich bei einem Grossverteiler gemeldet und konnte drei Wochen lang am Eingang die Zahl der ein- und austretenden Kunden kontrollieren. Bei einem andern Grossverteiler habe ich mich als Einkaufshilfe registriert. Das gibt beim Abliefern der Einkäufe in der Regel ein Trinkgeld, und Zeit zum Einkaufen hatte ich in den vergangenen Wochen ja genügend.
Weil in den letzten zweieineinhalb Monaten der Verkauf des Surprise-Heftes sowie die Sozialen Stadtrundgänge in Bern wegfielen, wo ich als Stadtführer auf zwei Touren zum Thema Armut und Sucht unterwegs bin, war ich sehr froh um meine drei Zeitungstouren. In Bern vertrage ich in verschiedenen Stadtteilen die Werbung und die Zeitung Berner Bär, in Thun schon seit Jahren den Amtsanzeiger. Da war ich unterwegs, habe mich bewegt und kam unter die Leute.
Obwohl ich in den vergangenen Wochen recht aktiv war, habe ich gemerkt, dass ich mich ruhiger und erholter fühle als vor dem Lockdown. Meine verschiedenen Jobs, in zwei Städten, in mehreren Aussenquartieren sind in ‹normalen Zeiten› schon sehr anstrengend und zeit aufwendig. Trotzdem freue ich mich, wenn nach und nach wieder alles losgeht, vom Heftverkauf über die Stadtrundgänge bis zu vielleicht irgendwann wieder dem Fussballspiel vor Publikum.»
Die sozialen Kontakte, die ich sonst beim Heftverkauf und auf den Stadtrundgängen habe, fehlen mir schon. Vermissen tue ich ausserdem die schönste Nebensache der Welt: den Fussball. Seit meiner Kindheit bin ich mit dem FC Thun verbunden. Ich habe viele Jahre als Junior mitgekickt, und heute bin ich an den Heimspielen jeweils als Funktionär im Einsatz. Finanziell geht diese CoronaZeit nicht spurlos an mir vorbei. Aber gut, zum einen
Aufgezeichnet von ISABEL MOSIMANN Surprise 476/20
Solidaritätsgutscheine Soziale Stadtrundgänge Aufgrund der aktuellen Corona-Sitaution musste Surprise am 17. März den Verkauf des Strassenmagazins und die Sozialen Stadtrundgänge bis auf Weiteres einstellen. Dies stellt alle vor massive Herausforderungen, auch die 14 Stadtführerinnen und Stadtführer. Surprise setzt momentan alles daran, die Verkaufenden und Stadtführenden finanziell und sozial zu begleiten.
Unterstützen Sie uns dabei, mit einem Solidaritätsgutschein für die Zeit nach Corona. Verschenken oder bestellen Sie für sich einen Solidaritätsgutschein für einen Sozialen Stadtrundgang. Gutscheine können via Mail an info@surprise.ngo oder mit dem Talon bestellt werden.
Talon einsenden an: Surprise, Münzgasse 16, 4051 Basel Aktuelle Infos zu den Sozialen Stadtrundgänge von Surprise unter: www.surprise.ngo/stadtrundgang
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* Die Gutscheine sind unbeschränkt gültig und können, sobald die Sozialen Stadtrundgänge wieder durchgeführt werden, eingelöst werden. Da die Surprise-Administration wegen der aktuellen Corona-Situation im Homeoffice ist, kann es bei der Bestellverarbeitung zu Verzögerungen kommen. Herzlichen Dank für Ihr Verständnis!
LIEFERADRESSE (falls nicht identisch mit Rechnungsadresse) Vorname, Name:
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WIR SIND WIEDER DA
Der 17. März wird uns allen noch lange in Erinnerung bleiben. An diesem Tag stoppte Surprise wegen der aktuellen CoronaStadtrundgänge. Viele der rund 450 Verkaufenden und 14 Stadtführenden sind armutsbetroffen und für ihr Überleben vom Verkauf des Strassenmagazins und von den Führungen abhängig.
Spenden
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Massnahmen den Strassenmagazin-Verkauf und die Sozialen
Sie verloren auf einen Schlag eine wichtige Einnahmequelle, Tagesstrukturen und soziale Netze. Nun sind wir wieder zuversichtlich und mit viel Freude auf der Strasse zurück. Dank der Corona-Spenden von Leserinnen und Lesern, Stiftungen, Partnern und Firmen konnten wir in dieser schwierigen Zeit denjenigen Verkaufenden, die fast ausschliesslich von Surprise und ohne staatliche Hilfe leben, während des Verkaufsstopps einen Lohnausfall zahlen, genauso den Stadtführenden. Zudem richtete Surprise einen «Notfall-Topf» ein, der bei Geldnot schnell unterstützte. Auch die Verkaufenden mit staatlicher Hilfe wurden unterstützt und beim Verkaufsstart erhielten alle Verkaufenden Gratishefte. Vielen herzlichen Dank allen, die uns bis jetzt unterstützt haben – und danke an alle zukünftigen Spenderinnen und Spendern, die uns noch unterstützen werden! Damit können wir unsere Verkaufenden mit Schutzmaterial ausstatten und dafür sorgen, dass der Verkauf weitergeht.
Verein Surprise, 4051 Basel PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 Vermerk «Corona» oder online via www.surprise.ngo Auf unserer Homepage erfahren Sie ebenfalls wann wir die weiteren Angebote von Surprise wieder aufnehmen können. Vielen herzlichen Dank!
Zoe Scarlett überraschte uns mit ihrer coolen und kreativen Spenden-T-Shirt-Aktion.
Fussball-Legende Karli Odermatt und der FC Basel 1893 sammelten für uns Spenden.
Dominic Eichenberger und Peter Stämpfli riefen in ihrem neuen Magazin «Sydefyn» zu Solidaritätsspenden auf.
EIN RIESENGROSSES MERCI! Krisen kann man nur gemeinsam meistern. Dies haben uns die unglaubliche Solidarität und die grosszügige finanzielle Unterstützung in den letzten drei Monaten gezeigt. Unser grosser Dank geht an alle, die uns in dieser schwierigen Zeit unterstützt haben: Dank Ihnen sind wir heute wieder auf der Strasse!
Wir danken all unseren Spenderinnen und Spendern, die uns durch ihre grosszügigen Spenden und ihren Zuspruch motiviert haben, weiterzumachen. Den Stiftungen: Glückskette, Christoph Merian Stiftung Basel, Arcas Foundation, Burgergemeinde Bern, Stiftung Generationen Dialog. Den kreativen Macherinnen und Machern, die uns mit Ideen und Spendenaktionen immer wieder Mut gemacht haben: FC Basel 1893, Karli Odermatt, der Wonderbabe-Truppe Zoe Scarlett, Stefan Meyer von Permatrend und Elvis Greven, den Mitarbeitenden der Basler Versicherungen, Boxclub Basel, Kurt Aeschbacher, Peter Stämpfli und Dominic Eichenberger, Andri Silberschmidt, Cédric Wermuth, Royal Film und MyFilm.ch und der Wochenzeitung WOZ. Unseren langjährigen Partnern für die motivierende Unterstützung: Bodara GmbH, eyeloveyou, Chris Glutz/Netzpilot, Infinity Transport, AVD GOLDACH AG, MailTec AG, Walter Schmid AG, Andreas Cueni. Unseren Partnern, die uns bei der Organisation der Schutzmaterialien mit fairen Preisen sowie Rat und Tat zur Seite standen: Die Berner Seifenmanufaktur bblubb, Toppharm Nordring Apotheke. Den Mitarbei tenden von Bäckerei KULT Basel, LOLA Lorraine Bern und BachserMärt Kalkbreite und Seefeld Zürich, die während des Verkaufsstopps das Strassenmagazin solidarisch und stellvertretend für uns verkauften. Und natürlich unseren Leserinnen und Lesern und allen, die uns noch unterstützen werden oder hier unerwähnt blieben.
So schützen wir uns gemeinsam beim Magazinkauf! Liebe Kundinnen und Kunden Wir waren alle lange im Lockdown und können nun dank den gelockerten Massnahmen endlich wieder das Surprise Strassenmagazin verkaufen. Das macht uns sehr froh. Damit dies so bleibt, bitten wir Sie, unsere Verkaufsregeln und die Hygieneregeln des BAG einzuhalten. Vielen lieben Dank!
Halten Sie Abstand. Merci für Ihre Solidarität und danke, dass Sie uns treu bleiben. Bis zum nächsten Mal auf der Strasse. Die Surprise-Verkäuferinnen und -Verkäufer.
Die Heft- und Geldübergabe erfolgt via Kessel.
Zahlen Sie möglichst passend in den Kessel.
Nehmen Sie das Heft bitte selber aus dem Kessel.
Wir haben Desinfektionsmittel dabei.
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: info@surprise.ngo