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Löhne, Branchen und Gender Kürzlich gab das Bundesamt für Statistik bekannt, dass der Medianlohn (brutto) im Jahr 2018 für eine Vollzeitstelle bei 6538 Franken im Monat lag. Gemäss der Lohnstrukturerhebung verdiente die Hälfte aller Erwerbspersonen mit einem vollen Pensum weniger, die andere Hälfte mehr als diesen Mittelwert. Die 10 Prozent Erwerbstätigen mit den tiefsten Löhnen verdienten im Schnitt 4302 Franken, die 10 Prozent Angestellten mit den höchsten Löhnen 11 688 Franken. Wie viel wir verdienen, hängt wesentlich vom Geschlecht und von der Branche ab, in der wir tätig sind. So gibt es ausgesprochene Hochlohnbranchen, in denen der mittlere Lohn über 9000 Franken liegt. So weist die Pharma-Industrie einen Medianlohn von 9747 Franken aus, und bei den Banken und Versicherungen verdient man im Schnitt 9921 Franken. Am anderen Ende der Lohnskala finden sich Niedriglohnbranchen wie das Gast­ gewerbe und die Hotellerie, der Detailhandel sowie die Textilindustrie, wo die Medianlöhne zwischen 4400 und 5000 Franken liegen. Besonders problematisch ist die Lohnsituation im weiten Feld der persönlichen Dienstleistungen (z B. Reinigung und Betreuung in privaten Haushalten), wo der Medianlohn bei 4144 Franken liegt.

und im Detailhandel bei 24 Prozent. Es sind nun genau diese Branchen, in denen Frauen besonders häufig angestellt sind. Daher überrascht es nicht, dass 64 Prozent aller Tieflohnstellen von Frauen besetzt sind. Die geschlechtsspezifischen Lohnskalen weisen denn auch deutliche Unterschiede aus. Nehmen wir alle Anstellungen (also alle Vollzeit- und Teilzeitstellen) zusammen, so verdient die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen nicht mehr als 4000 Franken brutto im Monat. Bei den Männern liegt der Anteil bei 16 Prozent. Zudem verdienen 42 Prozent der Frauen zwischen 4000 und 8000 Franken; der Anteil der Männer liegt hier bei 60 Prozent! Die Gründe für diese Differenzen sind bekannt. Sie haben mit unterschiedlichen Ausbildungsbiografien und Anstellungsverhältnissen zu tun. Noch immer dominieren bei Frauen andere Berufsbilder und Karrierevorstellungen als bei Männern. Entsprechend kleiner ist der Anteil der Frauen vor allem in leitenden Funktionen in den wertschöpfungsintensiven und lohnexpan­ siven Branchen wie etwa der Pharma oder den Banken. Zudem arbeiten viel mehr Frauen mit tiefem Beschäftigungsgrad, um ihrer Arbeit im Haushalt und in der Familie nachkommen zu können. Das noch immer dominante Familienbild, wo der Mann mit seinem Hauptverdienst der «Ernährer» der Familie ist und die Frau mit ihrem Nebenverdienst sich vor allem um die Organisation des Familienlebens zu kümmern hat, findet sich also auch in der Lohnstrukturerhebung. Daran wird auch die Corona-Krise mit grosser Wahrscheinlichkeit nichts ändern.

Wenn wir den Tieflohn bei zwei Drittel des gesamtwirtschaftlichen Medianlohns festlegen, kommen wir auf einen Betrag von 4359 Franken. Bei 57 Prozent aller Anstellungen im Bereich der persönlichen Dienstleistungen liegen die Löhne unter oder bei diesem Betrag. In der Textilindustrie liegt dieser Anteil bei 56 Prozent, im Gastgewerbe und der Hotellerie bei 45 Prozent

PROF. DR. CARLO KNÖPFEL  ist Dozent am Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Lohnhöhenklassen nach Geschlecht (alle Stellen, unabhängig vom Beschäftigungsgrad), 2018, monatlich, brutto in CHF 20%

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INFOGRAFIK: BODARA ; QUELLE: BUNDESAMT FÜR SOZIALVERSICHERUNGEN (2020): SCHWEIZERISCHE LOHNSTRUKTURERHEBUNG 2018. NEUCHÂTEL.

Die Sozialzahl

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