Surprise 514/21

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Heiligabend hinter Gittern Gefängnis Insgesamt vier Mal hat Tito Ries die Feiertage in Unfreiheit verbracht – und sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Der Surprise-Stadtführer schildert seine Erinnerungen. TEXT TERSITO «TITO» RIES

2017 Vorzeitiger Vollzug im Bässlergut, Basel Nach drei Monaten U-Haft im Waaghof, mit unerträglichen Schmerzen in Bein und Gesässmuskel (konnte mich nur noch mit Stöcken fortbewegen) und Schlafstörungen auch infolge des Alk-Entzugs, beantragte ich eine Versetzung in den «vorzeitigen Vollzug». Zwei Wochen später landete ich im Bässlergut. Die Vorteile des «vorzeitigen Vollzugs» sind bemerkenswert: Die Zellentür bleibt den ganzen Tag offen, man kann tagsüber immer telefonieren, solange das Geld reicht. Zwei Mal pro Woche bekam ich Besuch von meiner Freundin Hirijet und meiner Familie. Die Zellen haben eine Dusche – ich liebe ausgiebiges Duschen und die Wärme. Und ich konnte arbeiten, was im Waaghof eher schwierig ist. Taschengeld ist wichtig. Wie schon die drei Monate zuvor im Waaghof kam ich in den Genuss einer Einzelzelle. Diesmal war’s mir nur recht, ich wollte einfach nur meine Ruhe haben. Mir war klar, dass ich’s diesmal wirklich selber verkackt hatte. Hirijet würde nun meinetwegen durch die Hölle gehen … ich brauchte nun echt viel Zeit für mich, das zu verarbeiten. Ich ging jede einzelne Situation der letzten Jahre nochmals durch. Meine Gedanken kreisten hauptsächlich um meine Liebste und wie ich dies alles wieder geradebiegen könne. Mir war bewusst, dass ich diesmal von der Justiz so richtig hart rangenommen werden würde, dass sie alle Trickkisten einsetzen würden, um mich möglichst lange festzuhalten. So ein Vollidiot, sagte ich mir, wie konnte ich mich nur derart gehen lassen? Vier Tage am Stück hatte ich mich mit Hochprozentigem volllaufen lassen, dazu gekifft und rumgetobt wie ein Irrer. Nun gab es nur einen Weg: Den Kontakt zur Gasse abbrechen und was Sinnvolles arbeiten, das Leben geniessen ohne Alk. Der erste Schritt war eine feste Tagesstruktur – Planung ist die halbe Miete. Training, Lesen, Stichworte aufschreiben, was ich besser machen kann/muss/will, und ab sofort umsetzen. Einen konstruktiven Austausch mit anderen Inhaftierten aufbauen. Arbeiten, alle Pendenzen der Reihe nach angehen – dabei immer positiv bleiben. Und an mir arbeiten, egal, wieviel Kraft es mich kostet. Die Anklageschrift rauschte in meine Zelle – oje, ich hatte es geahnt, diesmal würden sie mich richtig «ficken», wie wir es nannten, wenn sie einen hart bestrafen wollten. Fast gleichzeitig und zu meiner Überraschung kam der Chef vom Hausdienst auf uns zu: Wollt ihr an Weihnachten gemeinsam für die ganze Station kochen? Die Ablenkung kam gelegen. Allerdings war mir nicht ganz wohl bei der Sache. Lauter Kriminelle mit riesigen Messern allein in der Küche? Die meisten waren doch wegen Körperverletzung hier! Mein Stress hing direkt mit meiner Inhaftierung zusammen: Ich war auf der Strasse von zwei Typen angegriffen worden – einer davon stach zwanzig bis dreissig Mal mit einem Messer auf mich ein, doch die Polizei liess beide lau8

fen. Deshalb war ich damals vier Tage ausgerastet, meine Nerven lagen sowieso schon blank, weil mir zu dem Zeitpunkt erneut Obdachlosigkeit drohte. Und nun liess man uns mit Messern in der Küche rumhantieren. Zu meinem Erstaunen blieb alles ganz friedlich. Als wir das Essen servierten, fielen alle wie Raubtiere darüber her – doch es kamen keinerlei Festtagsgefühle oder Freude am Zusammensein auf. Jeder zog sich in seine Zelle zurück und war in Gedanken bei seinen Liebsten. Ein trauriges Festmahl, aber es hat wunderbar geschmeckt – und das zählt ja auch. Was mir Nähe gab, waren die täglichen Telefonate mit Hirijet. Mit meinen Söhnen und meinem Vater hatte ich auch oft Kontakt. Die vielen Besuche ohne Panzerglas und der Besuch vom Beistand meiner Liebsten sowie von der Gassenarbeit Schwarzer Peter gaben mir etwas Vertrauen, nicht ganz verloren und vergessen zu sein. Dies hat mir Kraft gegeben, weiter zu kämpfen und trotz aller Widrigkeiten zu versuchen, das Beste aus meiner Misere zu machen. 2018 Vollzug in Lenzburg Beim Betreten dieser Hardcore-Vollzugsanstalt bekam ich das allererste Mal seit Jahren weiche Knie … mir drehte es den Magen um. Dort kommt man durch einen unterirdischen Gang direkt ins Zentrum eines sternförmig angelegten Gebäudes. Erst glaubte ich mich in einem Albtraum, doch auch Augenreiben half nicht weiter. Der erste Typ, den ich zu sehen bekam, glich Godzilla mit seinen aufgepumpten Muskeln. Später lernte ich ihn als gemütlichen, hilfsbereiten Copain kennen, der mir im Fitness auf die Sprünge half. Der zweite Typ starrte mich mit durchdringendem Blick an. Dieselbe Figur wie der erste, und dieser Blick – war das ein Killer?, fragte ich mich. Später übte er mit mir Spanisch. Erstmal war ich froh, in meine Zelle eingeschlossen zu werden, 15 cm Stahl zwischen mir und allen anderen. Wo war ich hier bloss gelandet? Die Zelle war 7,5 m2 gross, zweckmässig, bis ins Detail durchdacht möbliert und erst kürzlich renoviert. Dort war ich zufrieden. Es erinnerte mich an meinen kleinen Camper – alles in unmittelbarer Reichweite, und zu putzen gab’s auch nicht viel. Auch zu essen gab es was Anständiges: Aufschnitt, Käse, Gurken, Eier. Ich war in Hochstimmung. Nun interessierten mich zwei Dinge brennend: die Hausordnung und das Freizeitangebot. Die Hausordnung las ich in einem Zug durch und fand darin den Schlüssel zum Aufgleisen meines schnellen Austrittes. Mein Ziel: in neun Monaten würde ich hier raus sein. (Ich brauchte letztlich fünf Tage länger.) Mein Plan: sechs Monate durchhalten, die Appellation zurückziehen (ansonsten würde es keine Vollzugslockerungen geben) und einen Antrag auf Versetzung stellen. Also Klappe halten, sagte ich mir, jeden Tag arbeiten, Freizeitaktivitäten buchen, soviel ich konnte, und mich von negativen Personen fernhalten. Punkt, Ende der Durchsage. Also zwei Mal FitSurprise 514/21


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