JOURNAL FÜR PHARMAKOLOGIE UND THERAPIE 2-2022

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NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL

Estrogene in der kombinierten oralen Kontrazeption: Bioidentisches Estetrol macht den Unterschied

K

ombinierte orale Kontrazeptiva zählen trotz eines wachsenden Angebots an estrogenfreien Pillen aktuell zu den meist verordneten hormonellen Verhütungsmitteln in Deutschland: 81 % aller Pillenanwenderinnen erhalten eine Estrogen-GestagenKombination [1] – und das aus gutem Grund. In der Kombinationspille unterstützt das Estrogen nicht nur die ovulationshemmende Wirkung der Gestagenkomponente, sondern sorgt auch für die den Anwenderinnen wichtige Zyklusstabilität und verringert unerwünschte Durchbruch- bzw. Zwischenblutungen. Eine neue estrogene Option für die Verhütung ist das bioidentische Estetrol (E4). Das erste Kontrazeptivum, das E4 enthält, ist die monophasische Kombinationspille Drovelis® (14,2 mg E4, 3 mg Drospirenon) [2]. Suche nach besser verträglichen Estrogenkomponenten

Die Estrogenforschung hatte in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts mit der Entdeckung von Estron (E1), Estradiol (E2) und Estriol (E3) sowie der Entwicklung von synthetischem Ethinylestradiol (EE) ihren Höhepunkt. Seit der Einführung der Pille Anfang der 1960er Jahre enthalten

orale kombinierte Kontrazeptiva als Estrogenkomponente fast ausschließlich Ethinylestradiol. Damit verbundene unerwünschte Nebenwirkungen sowie ein mögliches Risiko für venöse Thromboembolien [3] ließen den Bedarf an besser verträglichen Kombinationspräparaten steigen. Strategien zur Reduktion unerwünschter EEbedingten Nebenwirkungen waren bislang nur eingeschränkt erfolgreich: Eine stufenweise Dosisreduktion auf 20 mg führte zu einem weniger günstigen Blutungsprofil [4, 5]. Der Einsatz von Estradiol (E2) bzw. Estradiolvalerat (E2V) als Estrogenkomponente scheint sich zwar günstig auf das kardiovaskuläre Risiko auszuwirken [6, 7], ist in Bezug auf die Zyklusstabilität aber ebenfalls nicht zufriedenstellend [8, 9]. Heute stehen neben der Verhütungssicherheit die Verträglichkeit und das Wohlbefinden der Frauen im Fokus, beispielsweise durch einen stabilen Zyklus oder auch ein verbessertes Hautbild. Estetrol – die zusätzliche Hydroxylgruppe ist entscheidend

Estetrol (E4), das jüngst wiederentdeckte Estrogen in der Familie der natürlichen Estrogene, ist aufgrund seiner besonderen Eigen-

JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 2/2022 · 31. JAHRGANG

schaften eine neuartige estrogene Option in der Kombinationspille. Seit seiner ersten Erforschung 1965 durch Egon Diczfalusy am Karolinska Institut in Stockholm, Schweden, steht fest: Jeder Mensch synthetisiert Estetrol – und zwar in der sensibelsten Phase seines Lebens: Das natürlich vorkommendes Steroidhormon wird nur während der Schwangerschaft, ab der 9. Schwangerschaftswoche bis zur Geburt, von der Leber des Fötus produziert und gelangt über die Plazenta in den mütterlichen Kreislauf. In seiner chemischen Struktur unterscheidet sich Estetrol mit einer zusätzlichen a-Hydroxylgruppe an Position 15 des Moleküls von den anderen Estrogenen. Daraus resultiert sein spezifisches endokrines und metabolisches Profil [10, 11]. Gewebeselektive Wirkung, geringe Affinität zu Estrogenrezeptoren

Estetrol verfügt über einen einfachen Stoffwechselweg und wirkt selektiv in verschiedenen Geweben: In Leber und Brust ist die estrogene Wirkung schwach ausgeprägt, stark dagegen in Uterus, Vagina, Gehirn und Knochen. Estetrol zeichnet sich durch eine hohe Bioverfügbarkeit und Halbwertszeit von rund 24 Stunden © VERLAG PERFUSION GMBH


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