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MAT THÄUSPASSION
Leipziger KünstlerKollektiv Johann Sebastian Bachs Zusammenarbeit mit dem Librettisten Christian Friedrich H enrici alias P icander
VON BERND HEYDER
»Poesia per Dominum Henrici | alias Picander dictus | Musica di G. S. Bach« – Selten hat Johann Sebastian Bach die Titelseiten seiner Vokalkompositionen so sorgfältig beschriftet wie im Fall der Matthäuspassion. Vermutlich hat er das monumentale zweichörige Werk schon zweimal aufgeführt, bevor er sich 1736 an jene kalligraphische Partiturkopie setzt, in der er die Choralmelodie im Eingangschor und dann die Worte des Evangeliums mit roter Tinte absetzt von den eingestreuten Choralstrophen und den reflektierenden Versen der Accompagnato-Rezitative, Arien und Rahmenchöre. Wie wichtig dem Komponisten diese Poesie im freien madrigalischen Stil einer Oper war, das unterstreicht er mit der Nennung ihres Verfassers Christian Friedrich Henrici. Dessen literarisches Alias Picander – »Elster-Mann« – soll auf
einen Unfall bei einer Elster-Jagd anspielen, bei der Henrici versehentlich einen Bauern durch einen Schuss verletzte; davon abgesehen liegt sein Geburtsort Stolpen ebenso wie Leipzig am Fluss Elster. Die Zusammenarbeit des Thomaskantors mit dem 15 Jahre jüngeren Poeten wird erstmals im Februar 1725 greifbar – da ist Picander Mitte zwanzig. Es geht um eine Gratulationsmusik für den Herzoghof in Weißenfels, und Picander liefert auch gleich noch rhythmisch identische geistliche Verse, die aus derselben Musik wenige Wochen später eine Osterkantate für Leipzig machen. Bach hat einen guten Draht zur Leipziger Studentenschaft. Wir wissen aber nicht, wer genau den Kontakt zu dem damals noch darbenden JuraStudenten Henrici vermittelt hat, der
WUSSTEN SIE, DASS PICANDER…
… Sohn eines Posamentiermeisters, als Beamter in Leipzig die Funktion des Stadttranksteuereinnehmers und Weinin spekteurs innehatte?
… in erster Linie weltliche und auch durchaus pikante Schriften verfasste, darunter »L’art de baiser. Das ist Die Kunst zu küssen nebst einem Unterricht Von allen dabey vorfallenden Umständen«?