"die beste Zeit", Januar-März 2021

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Foto: Torsten Krug, 2013

Die Erfindung des Augenblicks Der Wuppertaler Autor Karl Otto Mühl ist gestorben

Das erste Telefonat, es muss 1988 gewesen sein, zwischen dem Schriftsteller Mühl und mir verlief ziemlich unfreundlich. Wir kannten

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uns noch nicht persönlich. Meine Frau hatte mir erzählt, er säße häufig bei den Zusammenkünften der sozialdemokratischen Frauen, an der seine Frau Dagmar Mühl-Friebel teilnahm, schweigend und nachdenklich in der letzten Reihe. Später wusste ich, dass er an allen gesellschaftlichen Bewegungen immer schon stark interessiert war.

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Das zeigte sich schon bei seinem ersten Stücken, als Arno Wüstenhöfer ihn als Dramatiker entdeckte und zum Erfolgsautor weiterentwickelte. „Kur in Bad Wiessee“ kam auf die Bühne. Als Holk Freytag als Intendant und Gerold Theobalt als Dramaturg 1987 nach Wuppertal kamen, haben sie Mühl als Dramatiker gleichsam wiederentdeckt. Er schrieb für die hiesigen Bühnen Hauptmanns „Die Weber“ im schlesischen Dialekt und „Das Privileg“, beides wurden Publikumserfolge. Ich hatte an Holk Freytag einen historischen Stoff aus dem Jahre 1826 geschickt und angefragt, ob das nicht ein Theaterstück werden könnte. Es ging um einen Afrikaner, den

ein Wuppertaler Kaufmann „preiswert“ in einer Kneipe in Rotterdam von einem betrunkenen Kapitän erworben hatte und mit dem jener auf den Jahrmärkten des Bergischen Geld verdiente. Er hatte sich ein blutrünstiges Programm für den Schwarzen ausgedacht. Schließlich war der arme Mann nur noch ein Nervenbündel und konnte sein Arbeitsprogramm nur noch unter Alkohol durchstehen. Eines nachts floh er und landete in Düsseldorf in den Graf Reckeschen Anstalten. Dort lebte er als Schuster noch einige Jahre bis zu seinem Tod; als es ans Sterben ging, war er schon lange ein frommer Mann, der vielen der bäuerlichen Besucher vom Niederrhein, die ihn am Sterbebett besuchten, „zum Segen wurde“, wie es in dem Artikel eines Missionsblattes hieß. Freytag fand Gefallen an dem Stoff, sein Dramaturg Gerold Theobalt sprach Karl Otto Mühl an. Dann hatte ich ihn am Telefon: Wie ich mir das denn vorstellen würde? Um ein Stück zu schreiben, würde er mindestens zwei, drei Jahre brauchen, und ähnliche Klagen, zu denen ich keinen Kommentar abgeben konnte. Mühl und ich trafen uns, um einiges zu besprechen, zu einem ausführlichen Spaziergang. Es folgten regelmäßige gemeinsame Spaziergänge (Hildener Stadtwald, Kemnader See vor Bochum, die Umgebung unserer Stadt etc.). Es war der Beginn einer engen Freund-

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