Erstbegehungen
Alles erlaubt, oder? Gedanken zur Ethik des Eiskletterns
Diskussionen um alpine Ethik sind seltener geworden. Über das Klettern im Eis werden sie fast gar nicht geführt.
D
ank sozialer Medien sind wir so informiert wie niemals zuvor. Beinahe in Echtzeit scheinen Erstbegehungen, aktuelle Verhältnisse und spektakuläre Fotos auf unseren Bildschirmen auf. Eigentlich beste Vor aussetzung, um uns eine Meinung zu bilden und gewisse Tendenzen zu hin terfragen. Stattdessen sind wir unkriti scher denn je. Alles wird akzeptiert, was freilich auch positive Seiten hat: So kann jeder klettern, wie er will. Akzep tanz und Gleichgültigkeit liegen je doch nahe beieinander und in letzter 44
Bergeerleben 01/20
Zeit wird der Alpinismus von Letzterem geprägt. Im Grunde erkennen wir in dieser Entwicklung den Zeitgeist wie der. Der Individualismus hat einen ho hen Stellenwert erlangt und führt dazu, dass wir Kritik oft auf persönlicher Ebe ne auffassen. Dabei ist es mir nur wich tig, ein paar Gedanken loszuwerden und jeden zur Selbstreflexion einzula den. Einiges, was ich folgend kritisiere, habe ich nämlich selber auch schon gemacht. Das Eis und die Geduld Eis ist eine faszinierende Materie und Sinnbild für die Vergänglichkeit auf dieser Welt. Es lehrt uns, dass die Na tur stets im Wandel und jeder Augen blick anders ist. Der Zyklus aus Entste
hen und Schmelzen findet zwar jedes Jahr statt, spielt sich aber immer un terschiedlich ab. Für uns Eiskletterer nimmt daher die Beobachtung eine zentrale Rolle ein. Nicht jeder Moment ist perfekt zum Klettern; im Gegenteil, die wenigsten sind es. Das fordert von uns Geduld und die Bereitschaft zum Verzicht. Doch sind wir dazu wirklich imstande? Oder geben wir der Anzie hung der Senkrechten, der Aussicht auf raschen Erfolg allzu oft nach? Ge wisse Eisfälle kann man nur alle paar Jahre klettern. Es lohnt sich definitiv, so lange zu warten, die Genugtuung wird dann ungleich größer sein. In den Dolomiten sind in den letz ten Jahren und heuer viele neue Eis routen entstanden. Hat sich besonders