Nachts am Berg
Übernachten in der Wand „Die Schlüsselseillängen hatten wir alle sturzfrei geklettert und endlich konnten wir uns für ein paar Stunden ausruhen. Der Himmel war mit leuchtenden Sternen gespickt, ganz weit unten leuchteten die Lichter Alleghes: Wir befanden uns dazwischen, weit weg von beidem, aber tief verbunden mit der Wand und uns selbst.“
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m Herbst 2014 hatte ich diese Sätze geschrieben, nachdem ich mit Martin Dejori die Route „Colonne d’Ercole“ an der Civetta-Nordwest-
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Bergeerleben 03/20
wand wiederholt hatte. Heute ver mögen sie Nostalgie auszulösen und schon durchstöbere ich die alten Bilder. Diese rufen Erinnerungen an ein Abenteuer hervor, das in vielerlei Hinsicht etwas ganz Besonderes war. Es handelt sich nicht nur um eine Kletterroute von atemberaubender Schönheit, sondern wir verbrachten auch das erste Mal die Nacht mitten in einer gigantischen Felswand. Bisher kannten wir solche Erlebnisse nur aus schaurigen und gleichzeitig faszinierenden Berichten eines Bonatti oder Messner. Ihre zahlreichen Wandbiwaks waren
auffallend oft mit Leid, Kälte und Nässe verbunden. Vermutlich liegt dies auch daran, dass Biwaks unter widrigen Umständen die Leser besonders ansprechen und daher in Abenteuerbüchern den Vorrang bekommen. Außerdem konnten sich unsere Vor bilder nicht auf genaue Wetterprognosen verlassen und unsere moderne Ausrüstung, die äußerst leicht und gleichzeitig sehr widerstandsfähig ist, stand ihnen nicht zur Verfügung. Nichtsdestotrotz blickten wir unserem ersten Wandbiwak voller Aufregung und Unsicherheit entgegen. Dabei